15.06.2011
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 21.01.2009 – 7 K 30/07
1. Für ein behindertes Kind, welches das 18. Lebensjahr vollendet hat, besteht kein Anspruch auf Kindergeld, wenn dieses imstande ist, seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bestreiten und auf elterliche Unterstüzung nicht mehr angewiesen ist.
2. Der existentielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich zusammen aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf nach dem Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG) und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf.
3. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnliche Belastungen. Werden diese nicht im Einzelnen nachgewiesen, kann der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1-3 EStG als Anhalt für den Mehrbedarf dienen.
4. Erhält ein Kind Eingliederungshilfe oder Pflegegeld aus der Pflegeversicherung, kann in der Höhe der geleisteten Zahlungen ein behinderungsbedingter Mehrbedarf angenommen werden. Der Behinderten-Pauschbetrag darf dann nicht zusätzlich als Mehrbedarf angesetzt werden.
5. Die eigenen finanziellen Mittel setzten sich aus dem verfügbaren Einkommen des Kindes und Leistungen Dritter zusammen. Das Kindesvermögen gehört nicht dazu. Berücksichtigt werden neben allgemeinen Einkünften und Bezügen auch behinderungsbedingte Bezüge abzüglich der Kostenpauschale. Hierzu zählen von Dritten ersetzte Heimkosten, Werkstattkosten, Sozialhilfe, soweit sie nicht von den Eltern zurückverlangt wird oder Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII.
6. Die Vermutung der Verwaltungsansweisung DA-FamEStG 63.3.6.3.2 Abs. 4 greift nicht, wenn dem Kind neben behinderungsbedingten Eingliederungshilfen auch Sozialhilfeleistungen zur Deckung der Kosten des Lebensunterhalts gemäß §§ 41 SGB XII gewährt wird.
7. Der Abzug des Arbeitnehmer-Pauschbetrags nach § 9a Abs. 1 S. 1 a EStG bei der Ermittlung der Einkünfte des Kindes scheidet aus, wenn das Kind keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht.
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 7. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. Januar 2009 durch Richter am Finanzgericht … als Einzelrichter …
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Kind X ab Januar 2005 rechtmäßig ist.
Das Kind wurde am … November 1971 geboren. In einer ärztlichen Bescheinigung des …klinikums für Psychiatrie und Neurologie vom 14. August 2003 wird zum Gesundheitszustand des Kindes ausgeführt (Bl. 58 der Kindergeldakte):
„Herr X Y leidet an einer chronifizierten schizophrenen Psychose mit ausgeprägter Zwangssymptomatik und ängstlich-depressiven Stimmungszuständen. Aufgrund der Schwere der Erkrankung ist Herr Y als erwerbsunfähig zu bezeichnen, d. h. er ist nicht in der Lage, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben. Er kann aufgrund seiner Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein, d. h. er ist außerstande, sich selbst zu unterhalten. Der Grad der MdE beträgt 100 %.”
Auf die weitere nervenärztliche Bescheinigung vom 26 Oktober 2005 wird verwiesen (Bl. 94 der Kindergeldakte).
Das Kind wird in der Tagesstätte des R-Instituts in A in der Trägerschaft der Stiftung Z. teilstationär betreut. Die Wohnunterbringung erfolgt im Rahmen eines betreuten Einzelwohnens bei der B-GmbH in A. Hierfür erhält das Kind Eingliederungshilfen nach §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch (SGB) XII in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (Bl. 127 der Kindergeldakte). Zusätzlich werden zur Deckung der Kosten des Lebensunterhalts Sozialhilfeleistungen gemäß §§ 41 ff. SGB XII gewährt (Bl. 127 und Bl. 110 ff. der Kindergeldakte). Der Kläger leistet gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII seit September 2005 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 26,– EUR an den Sozialhilfeträger (vgl. Bl. 84 der Kindergeldakte).
Die beklagte Familienkasse (Familienkasse) ermittelte aufgrund einer Mitteilung der Stadt A (Bl. 127 der Kindergeldakte) folgenden monatlichen Gesamtbedarf (Bl. 131 und 148 – 159 der Kindergeldakte):
Art des Bedarfs | 2005 | 2006 | |
Grundbedarf | 640,00 EUR | 640,00 EUR | |
teilstationäre Betreuung | 824,40 EUR | 824,40 EUR | |
betreutes Einzelwohnen | 190,00 EUR | 190,00 EUR | |
ambulante Betreuung (Weckdienst) | 225,00 EUR | 225,00 EUR | |
abzüglich Sachbezug für Verpflegung | - 78,25 EUR | - 79,20 EUR | |
Gesamtbedarf | 1.801,15 EUR | 1.800,20 EUR |
Art der Einkünfte und Bezüge | 2005 | 2006 |
Leistungen für teilstationäre Betreuung | 824,40 EUR | 824,40 EUR |
Leistungen für betreutes Einzelwohnen | 190,00 EUR | 190,00 EUR |
Leistungen für ambulante Betreuung | 225,00 EUR | 225,00 EUR |
Leistungen für der Grundsicherung | 706,25 EUR | 725,04 EUR |
abzüglich Kostenpauschale | - 15,00 EUR | - 15,00 EUR |
Gesamtbezüge | 1930,65 EUR | 1.949,44 EUR |
Mit weiterem Bescheid vom 30. Januar 2007 hob die Familienkasse darüber hinaus auch die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2005 auf. Zugleich forderte sie das bereits ausgezahlte Kindergeld für die Monate Januar bis Dezember 2005 in Höhe von 1.848,00 EUR zurück. Den am 26. Februar 2007 eingelegten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 1. März 2007 als unbegründet zurück. Hiergegen reichte der Kläger am 29. März 2007 Klage ein (Az. 7 K 43/07).
Zur Begründung trägt der Kläger vor, sein Sohn sei in der teilstationären Einrichtung monatlich circa 30 Stunden berufstätig. Daher sei der Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 920,00 EUR bei dem Lebensbedarf des Kindes anzusetzen.
Der Abzug für den Sachbezug Verpflegung sei nicht nachvollziehbar. Denn das Kind bekomme in der teilstationären Einrichtung von Montag bis Freitag jeweils ein Mittagessen, für das es monatlich circa 46,00 EUR aufzubringen habe (2,30 EUR täglich × 20 Arbeitstage). Dadurch ergebe sich ein monatlicher Gesamtbedarf in Höhe von 1.956,07 EUR, der über dem von der Beklagten berechneten Gesamtbezügen von 1.949,44 EUR liege. Schon aus diesem Grund bestehe demnach ein Anspruch auf Kindergeld.
Darüber hinaus seien aber auch die Gesamteinkünfte des Kindes unzutreffend berechnet worden. Nach den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Oktober 1999 VI R 40/98 und VI R 182/98 könne bei einem vollstationär untergebrachten Kind, welches außer der Eingliederungshilfe einschließlich Taschengeld und dem Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung in einer Werksatt für behinderte Menschen über keine weiteren Einkünfte und Bezüge sowie einzusetzendes Vermögen verfüge, davon ausgegangen werden, dass die Mittel des Kindes nicht ausreichten, um sich selbst zu unterhalten.
Im Übrigen sei nach einem weiteren Urteil des Finanzgerichts (FG) Sachsen-Anhalt vom 3. April 2000 2 K 131/99 davon auszugehen, dass Leistungen aus der Eingliederungshilfe nicht auf das Einkommen angerechnet werden dürften, da diese allein der Durchführung der tagesstrukturierenden Maßnahmen dienten und nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stünden. Deshalb sei die Berechnung der Gesamteinkünfte im vorliegenden Fall ohne Beachtung der Kosten für den behinderungsbedingten Mehrbedarf vorzunehmen. Dies bedeute, dass bei den Einnahmen nur die Grundsicherung in Höhe von derzeit 725,04 EUR zu berücksichtigen sei. Somit verfüge das Kind lediglich über Gesamteinkünfte von 725,04 EUR und liege damit weit unter seinem Gesamtbedarf von 1.956,07 EUR.
Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. Februar 2007 B 9 b SO 5/06 R sei das an den Kindergeldberechtigten gezahlte Kindergeld nur dann als Einkommen des grundsicherungsberechtigten Kindes anzurechnen, wenn es an dieses Kind weitergeleitet oder selbst vereinnahmt werde. Grundsätzlich hätten die Eltern ein Wahlrecht, ob das Kindergeld an das Kind weitergeleitet oder selbst vereinnahmt werde. Eine Ausnahme bestehe nur dann, wenn von dem Kind ein Abzweigungsantrag auf Zahlung an sich selbst gestellt werde. Insoweit hätten die Eltern dann auch das Wahlrecht, ob sie das Kindergeld nicht an das Kind weiterleiten und so das Kind Grundsicherung in voller Höhe erhalten könne. Somit würde dann das Kind Grundsicherungsleistungen in voller Höhe und die Eltern zusätzlich das Kindergeld sowie im vorliegenden Fall damit verbundene weitere Leistungen wie Ortszuschlag etc. erhalten. Wenn die Auffassung der Beklagten zutreffend wäre, so würde dieses Wahlrecht auf die Familienkasse übergehen. Die Familienkasse könnte allein durch die Einstellung der Zahlung des Kindergeldes den Anspruch vernichten.
Die Grundsicherung von 725,04 EUR erhalte das Kind nur deshalb in dieser Höhe, weil die Beklagte kein Kindergeld zahle. Das Kindergeld sei noch im Jahr 2004 bezogen und dann bei den Grundsicherungsleistungen als Einkommen in Abzug gebracht worden, so dass z. B. im November 2004 Grundsicherungsleistungen in Höhe von lediglich 442,65 EUR erbracht worden seien. Nur weil die Beklagte kein Kindergeld mehr auszahle, werde die Grundsicherung jetzt ohne Abzug des Kindergeldes in Höhe von 154,00 EUR geleistet, z. B. im Monat Januar 2005 in Höhe von 706,25 EUR.
Das Kind erhalte in der Behindertenwerkstatt 1,50 EUR je Arbeitstag. Es entstünden Zuzahlungen für notwendige Medikamente in Höhe von 87 EUR jährlich.
Der Kläger beantragt:
den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2007 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. März 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kindergeld für den Sohn X für den Zeitraum Januar 2005 bis Dezember 2005 in Höhe von insgesamt 1.848,00 EUR an den Kläger zu zahlen;
den Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kindergeld für den Sohn X für den Zeitraum ab Januar 2006 in gesetzlicher Höhe von zur Zeit 154,00 EUR im Monat zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf ihre Ausführungen in den Einspruchsentscheidungen. Soweit sich der Kläger auf Entscheidungen des BFH berufe, seien diese zur vollstationären Unterbringung ergangen und könnten bei einer teilstationären Unterbringung nicht im Sinne einer „teilweisen Anrechung” ausgelegt werden. Es könne nur die Kostenpauschale gewährt werden, da das Kind nur über Bezüge und nicht über Einkünfte verfüge.
Mit Beschlüssen vom 22. Dezember 2008 (Az. 7 K 30/07 und 7 K 43/07) wurden die Finanzrechtsstreite auf den Einzelrichter übertragen (§ 6 Abs. 1 Finanzgerichtordnung – FGO).
Mit Beschluss vom 21. Januar 2009 wurden die Verfahren 7 K 30/07 und 7 K 43/07 gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO zur gemeinsam Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. 7 K 30/07 verbunden.
Im Übrigen wird verwiesen auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21. Januar 2009, den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie die vorgelegte Kindergeldakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Kindergeldaufhebungsbescheide vom 6. Juli 2006 in der Gestalt der Einspruchentscheidung vom 25. Januar 2007 sowie vom 30. Januar 2007 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. März 2007 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Dem Kläger steht seit Januar 2005 kein Kindergeld mehr zu.
Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) besteht für ein Kind, welches das 18. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf bestreiten kann.
I. Der existentielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen.
1. Hinsichtlich des Grundbedarfs gilt der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG als Maßstab (7.680 EUR jährlich; 640 EUR monatlich).
2. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnlichen Belastungen, z.B. Wäsche, Hilfeleistungen, Erholung und typische Erschwernisaufwendungen. Werden die behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, so kann der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG als Anhalt für den Mehrbedarf dienen (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2000, 72).
Erhält ein behindertes Kind Eingliederungshilfe oder Pflegegeld aus der Pflegeversicherung, kann in der Höhe der geleisteten Zahlungen ein behinderungsbedingter Mehrbedarf angenommen werden. Der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG darf jedoch aus systematischen Gründen dann nicht zusätzlich als behinderungsbedingter Mehrbedarf angesetzt werden (BFH-Urteile vom 24. August 2004 VIII R 50/03, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 207, 250; vom 31. August 2006 III R 71/05, BFHE 214, 544; Änderung der Rechtsprechung in dem BFH-Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72). Denn dieser Pauschbetrag dient dazu, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung sämtliche laufenden Aufwendungen, die typischerweise mit der Behinderung zusammenhängen, abzugelten. Daher ist es bei der Veranlagung zur Einkommensteuer nicht zulässig, den Pauschbetrag in Anspruch zu nehmen und zusätzlich einen Teil der Aufwendungen, die mit dem Pauschbetrag abgegolten sind, einzeln nachzuweisen (BFH-Urteil vom 4. November 2004 III R 38/02, BFHE 208, 155, BStBl II 2005, 271, m.w.N.).
Es ist kein überzeugender Grund dafür ersichtlich, dies bei der Ermittlung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG anders zu beurteilen und hier solche Aufwendungen, die bereits von dem Pauschbetrag erfasst werden, nochmals als Bedarf anzusetzen. Derartige Gründe haben auch diejenigen FG, die den vollen Behinderten-Pauschbetrag bei einer teilstationären Unterbringung berücksichtigt haben, nicht überzeugend dargelegt (so BFH-Urteil in BFHE 207, 250, BFH/NV 2004, 1719 unter Bezugnahme auf FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 3. April 2000 2 K 131/99, Entscheidungen der FG – EFG – 2000, 875; FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 5. Dezember 2001 6 K 399/00, EFG 2002, 336; Niedersächsisches FG, Urteil vom 24. September 2002 8 K 30/00, EFG 2003, 470).
II. Die eigenen finanziellen Mittel setzen sich aus dem verfügbaren Einkommen des Kindes und Leistungen Dritter zusammen (vgl. Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes – DA – FamEStG – 63.3.6.3.2). Das Kindesvermögen gehört nicht dazu (BFH-Urteile vom 19. August 2003 VIII R 17/02, BStBl II 2003, 88; VIII R 51/01, BStBl II 2003, 91). Berücksichtigt werden neben allgemeinen Einkünften und Bezügen auch behinderungsbedingte Bezüge abzüglich der Kostenpauschale (180 EUR jährlich; 15 EUR monatlich), z.B. von Dritten ersetzte Heimkosten, Werkstattkosten, Werkstattlohn, Sozialhilfe, soweit sie nicht von den Eltern zurückverlangt wird (BFH-Urteil vom 26. November 2003 VIII R 32/02, BStBl II 2004, 588) oder Eingliederungshilfe als erweiterte Hilfe nach § 53 SGB XII (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG, Kommentar, 27. Auflage, 2008, § 32 Rz. 44).
III. Der Kläger kann mit seinen Einwendungen nicht durchdringen.
1. Der Kläger verweist auf die Ausführungen des BFH im Urteil vom 15. Oktober 1999 (VI R 40/98, BStBl II 2000, 75). Danach stelle die Eingliederungshilfe einen behinderungsbedingten Bezug dar und dürfe nicht berücksichtigt werden. Diese Aussage des BFH bezieht sich jedoch lediglich auf seine hilfsweise angestellte Überlegung, ob sich bei „Anlehnung an § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG” ein anderes Ergebnis seines entschiedenen Falles ergeben würde. Nach dieser Vorschrift kann ein Kind im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG nur berücksichtigt werden, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausübung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 EUR im Kalenderjahr hat. Nur in diesem Zusammenhang hat der BFH zutreffend ausgeführt, dass behinderungsbedingte Eingliederungshilfen keine Bezüge darstellen, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausübung bestimmt und geeignet sind.
Demgegenüber sind Eingliederungshilfen bei der Prüfung, ob ein Kind wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (also bei der Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG), bei der Ermittlung der ihm zur Verfügung stehenden Mittel nach der Rechtsprechung des BFH zu berücksichtigen. Diese Einbeziehung hat der BFH auch in der genannten Entscheidung vorgenommen (vgl. die Berechnung der dem Kind zustehenden Finanzmittel unter II.2.b der Entscheidungsgründe; vgl. auch BFH, Urteil vom 24. August 2004 VIII R 50/03, BFHE 207, 250, BFH/NV 2004, 1719).
2. Die Rechtsprechung des FG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 3. April 2000 2 K 131/99, EFG 2000, 875), nach der bei der Ermittlung des existenziellen Lebensbedarfs des Kindes der Behindertenpauschbetrag (§ 33b Abs. 3 EStG) neben gewährten Eingliederungshilfen zu gewähren sei, ist durch die Rechsprechung des BFH überholt (vgl. oben unter I.2)
3. Die Vermutung in der Verwaltungsanweisung in DA-FamEStG 63.3.6.3.2, Absatz 4, Satz 1, nach der bei einem vollstationär untergebrachten Kind, welches außer der Eingliederungshilfe einschließlich Taschengeld und dem Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung in einer Werksatt für behinderte Menschen über keine weiteren Einkünfte und Bezüge sowie einzusetzendes Vermögen verfüge, davon ausgegangen werden könne, dass die Mittel des Kindes nicht ausreichten, um sich selbst zu unterhalten, greift im Streitfall nicht ein. Denn dem Kind X werden neben behinderungsbedingten Eingliederungshilfen auch Sozialhilfeleistungen zur Deckung der Kosten des Lebensunterhalts gemäß §§ 41 ff. SGB XII gewährt (Bl. 127 und Bl. 110 ff. der Kindergeldakte).
4. Der Abzug des Arbeitnehmer-Pauschbetrags in Höhe von 920,– EUR (§ 9 a Abs. 1 Satz 1 a EStG) scheidet aus, da das Kind keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht. Es erhält lediglich Bezüge, von denen mangels Nachweises höherer Aufwendungen nur die Pauschale in Höhe von 180 EUR,– jährlich abgezogen werden kann (Richtlinie 32.10 Abs. 3 Einkommensteuerrichtlinien).
5. Dem Berechtigten steht die Glaubhaftmachung offen, dass der Lebensbedarf des Kindes auch durch höheres verfügbares Einkommen noch nicht gedeckt ist. Der Kläger hat hierzu im Vorverfahren jedoch lediglich vorgetragen, das Kind sei an den Wochenenden bei ihm. Es entstünden hierdurch Kosten für Nahrung, Wäsche, Kleidung und Fahrgeld. Aufwendungen entstünden des Weiteren für Besuchsfahrten und Telefonate. Der Kläger hat im Vorverfahren jedoch weder dargetan, ob es sich hierbei um behinderungsbedingte Aufwendungen handelte, noch hat er deren Höhe beziffert. Im Klageverfahren hat er sich hierzu insgesamt nicht mehr eingelassen.
6. Der Familienkasse kommt bei der Festsetzung von Kindergeld kein „Wahlrecht” zu. Vielmehr hat sie bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Kindergeld zu gewähren.
Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 8. Februar 2007 B 9b SO 5/06 R, BSGE 98, 121 zu der Frage, wann gezahltes Kindergeld als Einkommen eines grundsicherungsberechtigten Kindes anzusehen ist, ist im Streitfall ohne Bedeutung, da ab 2005 wegen der höheren Sozialhilfeleistungen gerade kein Kindergeld mehr geleistet wurde. Diese höheren Leistungen führten dazu, dass das Kind auf die finanzielle Unterstützung durch den Kläger nicht mehr angewiesen war. Bei nicht behinderten Kindern hat der Gesetzgeber in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG mit dem Betrag von 7.680 EUR ausdrücklich einen Grenzwert bestimmt, bei dessen Überschreitung die Anspruchsberechtigung der Eltern entfällt. Dieser Regelung liegt die Wertung zugrunde, dass nicht behinderte Kinder in einem solchen Fall über eine hinreichende Leistungsfähigkeit verfügen, die es ihnen erlaubt, finanziell für sich selbst zu sorgen, und folglich eine steuerrechtliche Entlastung bei den Eltern nicht mehr geboten ist.
Für behinderte Kinder hat der Gesetzgeber zwar keinen festen Grenzbetrag bestimmt. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG hebt jedoch ausdrücklich hervor, dass ein behindertes Kind die Fähigkeit besitzen muss, sich selbst zu unterhalten. Auch hierin kommt zum Ausdruck, dass der Anspruch auf Kindergeld dann entfällt, wenn das behinderte Kind auf elterliche Unterstützung nicht mehr angewiesen ist.
IV. Bei der Prüfung, ob ein volljähriges behindertes Kind behinderungsbedingt außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, ist auf den jeweiligen Kalendermonat abzustellen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 83/02, BStBl II 2007, 248).
Demnach ermitteln sich der monatliche Lebensbedarf sowie die zur Verfügung stehenden eigenen finanziellen Mittel des Kindes wie folgt:
Art des Bedarfs (in EUR) | 1-2/05 | 3-5/05 | 6-8/05 | 9/05-5/06 | 6-12/06 |
Grundbedarf | 640,00 | 640,00 | 640,00 | 640,00 | 640,00 |
teilstationäre Betreuung | 824,40 | 824,40 | 824,40 | 824,40 | 824,40 |
betreutes Einzelwohnen | 190,00 | 190,00 | 190,00 | 190,00 | 190,00 |
ambulante Betreuung (Weckdienst) | 225,00 | 225,00 | 225,00 | 225,00 | 225,00 |
Zuzahlung Medikamente | 7,25 | 7,25 | 7,25 | 7,25 | 7,25 |
Gesamtbedarf | 1.886,65 | 1.886,65 | 1.886,65 | 1,886,65 | 1.886,65 |
finanzielle Mittel (in EUR) | |||||
teilstationäre Betreuung | 824,40 | 824,40 | 824,40 | 824,40 | 824,40 |
betreutes Einzelwohnen | 190,00 | 190,00 | 190,00 | 190,00 | 190,00 |
ambulante Betreuung | 225,00 | 225,00 | 225,00 | 225,00 | 225,00 |
Sozialhilfe | 706,25 | 730,49 | 707,42 | 722,42 | 725,04 |
Unterhaltsbeitrag | – | – | – | -26,00 | - 26,00 |
Bezüge Behindertenwerkstatt | 30,00 | 30,00 | 30,00 | 30,00 | 30,00 |
Kostenpauschale | - 15,00 | - 15,00 | - 15,00 | - 15,00 | - 15,00 |
Summe | 1.960,65 | 1.984,89 | 1.961,82 | 1.950,82 | 1.953,44 |
Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.