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  • 11.05.2011 · IWW-Abrufnummer 111519

    Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 21.07.2010 – 6 K 428/10

    Da im Rahmen der doppelten Haushaltsführung nur die zu den Wohnungsaufwendungen am Lebensmittelpunkt hinzukommenden Wohnkosten abziehbar sind, hat sich das Merkmal „notwendig” am Abzugszweck zu orientieren, also daran, welcher Wohnungszuschnitt für einen Steuerpflichtigen als Einzelperson erforderlich ist, der von dort seiner Arbeit nachgeht, aber an einem anderen Ort, an dem sich auch sein Lebensmittelpunkt befindet, seinen Haupthausstand beibehalten hat.


    Finanzgericht Nürnberg v. 21.07.2010

    6 K 428/10

    Tatbestand
    Streitig ist noch, in welcher Höhe bei doppelter Haushaltsführung Unterkunftskosten für die Wohnung am Beschäftigungsort angemessen sind, wenn der Steuerpflichtige wegen des geplanten (und später durchgeführten) Familiennachzugs eine entsprechend große Wohnung angemietet hat.

    Der Kläger wurde im Streitjahr 2008 auf Grundlage der im ELSTER-Verfahren erstellten und abgegeben Einkommensteuererklärung mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Beide erzielten im Wesentlichen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger machte u.a. Kosten doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten geltend. Er war bereits zum 01.11.2007 an seinen neuen Arbeitsort nach B gezogen. Dort hatten die Eheleute zum 01.12.2007 in X eine 5-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 165 qm, Garage, Stellplatz, Gartennutzung, für 850 € monatlich zuzüglich Nebenkosten gemietet. Am 10.02.2008 zog die Familie (Ehefrau, ein Kind) nach. Die bisherige Familienwohnung in M wurde aufgegeben.

    Im Einkommensteuerbescheid 2008 vom 30.07.2009 berücksichtigte das damals zuständige Finanzamt B die Mietaufwendungen für diese Wohnung „wie im Vorjahr nur anteilig für 60 qm = 382 € monatlich = 764 € insgesamt”. Erklärt waren 2.281 €. Auch die geltend gemachten Umzugskosten und Bewirtungskosten für den Einstand des Klägers an der neuen Arbeitsstelle erkannte es nicht an.

    Mit Schreiben vom 30.07.2009, eingegangen am 31.07.2009, legte der Kläger „Widerspruch gegen den Steuerbescheid für das Steuerjahr 2008” ein. Er merkte an: „Der Widerspruch bezieht sich auf die Informationen des per ELSTER rückübermittelten Steuerbescheids in der Annahme der Übereinstimmung mit der noch ausstehenden Papierform.”

    Daraufhin erließ das Finanzamt am 07.08.2009 einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Bescheid (Teilabhilfebescheid), in dem es die Einkommensteuer 2008 auf 11.600 € herabsetzte. (Übrige Werbungskosten jetzt 188 € statt 136 €). Im Erläuterungstext heißt es: „Hierdurch erledigt sich Ihr Einspruch nicht. Das Verfahren wird fortgesetzt, eines weiteren Einspruchs bedarf es nicht.”

    Mit Schreiben vom 05.01.2010 legte der Kläger die vom Finanzamt geforderten Aufstellungen und Nachweise zum Umzug und zu den Mietaufwendungen vor.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 12.03.2010 setzte das inzwischen zuständig gewordene Finanzamt F die Einkommensteuer 2008 auf 10.823 € herab. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Den Solidaritätszuschlag setzte es auf 499,12 € fest.

    Es berücksichtigte die geltend gemachten Umzugskosten von 2.433 €. Mietaufwendungen für die Wohnung in X berücksichtigte es i.H.v. 830 € (60/165 von 2.281 €) statt bisher 764 €. Die Berücksichtigung der vollen Mietaufwendungen lehnte es ab, weil nur die „angemessenen Unterkunftskosten” für die Zweitwohnung am Arbeitsort zu berücksichtigen seien. Angemessen seien - auch bei Verheirateten - nur die Kosten des Wohnbedarfs des Steuerpflichtigen selbst am Beschäftigungsort. Nach der BFH-Rechtsprechung seien Mehraufwendungen für eine Wohnung am Beschäftigungsort notwendig, soweit sie sich für eine Wohnung mit einer Wohnfläche bis zu 60 qm bei einem ortsüblichen Mietzins für eine nach Lage und Ausstattung durchschnittliche Wohnung ergäben.

    Im Klageverfahren vertritt der Kläger weiter die Auffassung, die gesamten Mietaufwendungen für die Wohnung in X seien anzuerkennen, weil das „nach objektiven Maßstäben zur Zweckverfolgung Erforderliche” in seinem Fall eine für den geplanten Familiennachzug hinreichend große Wohnung gewesen sei. In einer nur 60 qm großen Wohnung hätte ein Dreipersonenhaushalt aber keinen Platz. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der Quadratmeterpreis der angemieteten Wohnung deutlich unter der ortsüblichen Vergleichsmiete in B liege. Nach der BFH-Rechtsprechung könne auch eine Wohnung mit mehr als 60 qm noch angemessen sein, wenn die tatsächlichen Quadratmeterkosten unter dem Ortsüblichen lägen (und eine kleinere Wohnung unangemessen, wenn es sich um eine entsprechend teure Luxuswohnung handle).

    Das Finanzamt hat während des Klageverfahrens mit wiederum nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Bescheid vom 22.06.2010 die Einkommensteuer 2008 auf 10.776 € herabgesetzt. Es erkennt nun Kosten doppelter Haushaltsführung i.H.v. 2.013 € an. Davon entfallen 986 € (2 x 493 €) auf die Miete. (Durchschnittswarmmiete in X laut Internetrecherche des Finanzamts bei 60 qm = 493 €). Im Übrigen bleibt das Finanzamt bei seiner Rechtsauffassung.

    Der Kläger beantragt sinngemäß, den Einkommensteuerbescheid 2008 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 22.06.2010 dahin zu ändern, dass Mietaufwendungen für die Wohnung in X wie erklärt mit 2.281 € als Kosten doppelter Haushaltsführung berücksichtigt werden.

    Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.

    Das Gericht hat den Kläger mit Schreiben vom 27.05.2010 darauf hingewiesen, dass sich die Angemessenheit der Wohnung am Beschäftigungsort nach der BFH-Rechtsprechung daran orientiert, welcher Wohnungszuschnitt für den Steuerpflichtigen als Einzelperson erforderlich ist, der von dort seiner Arbeit nachgeht, aber an einem anderen Ort, an dem sich sein Lebensmittelpunkt befindet, seinen Haupthausstand beibehalten hat. Der Kläger meint aber, weil sein Ziel gerade nicht gewesen sei, die Hauptwohnung beizubehalten, sondern die Familie an den Arbeitsort zu holen und die bisherige Hauptwohnung aufzugeben, sei diese Rechtsprechung nicht auf seinen Fall anzuwenden.

    Das Gericht hat den Kläger mit weiterem Schreiben vom 07.07.2010 darauf hingewiesen, dass er seinen Einspruch gegen den Ausgangsbescheid vom 30.07.2009 bereits erhoben habe, bevor ihm dieser in Papierform vorgelegen habe, das heißt, bevor ihm dieser Bescheid wirksam bekannt gegeben worden sei. Ein vor Bekanntgabe eines Steuerbescheides eingelegter Einspruch sei unwirksam und müsse nach Bekanntgabe nachgeholt werden. Das sei nicht geschehen. Nach Auffassung des Gerichts sei der Einspruch unzulässig gewesen, die Klage schon deshalb unbegründet.

    Hierzu meint der Kläger, das Finanzamt B habe ihm praktisch die staatlich verbürgte Garantie gegeben, dass sein Einspruch zulässig sei, als es in den Bescheiderläuterungen zum Teilabhilfebescheid vom 07.08.2009 „wörtlich klargestellt” habe: „Hierdurch erledigt sich Ihr Einspruch nicht, das Verfahren wird fortgesetzt. Eines weiteren Einspruchs bedarf es nicht.”

    Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden, §§ 79a Abs. 3 und 4, 90 Abs. 2 FGO.



    Gründe
    Die Klage ist unbegründet. Das Finanzamt hat zu Recht nur die der Durchschnittwarmmiete in X für eine 60 qm große Wohnung entsprechenden Kosten als notwendige Mehraufwendungen doppelter Haushaltsführung anerkannt.

    1) Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger mit Schreiben vom 30.07.2009 wirksam Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 vom 30.07.2009 eingelegt hat. War der Einspruch verfrüht und deshalb nicht zulässig, so wäre ihm wegen der dann falschen Erläuterung im Teilabhilfebescheid vom 07.08.2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO zu gewähren gewesen. Das Schreiben vom 05.01.2010, in dem der Kläger seinen „Einspruch” näher begründet und die vom Finanzamt geforderten Nachweise vorgelegt hat, ist innerhalb der Jahresfrist des § 110 Abs. 4 AO beim Finanzamt eingegangen. Damit ist die versäumte Handlung (Einspruchseinlegung innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheides) wirksam nachgeholt.

    2) Notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG Werbungskosten.

    a) Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach Nr. 5 Satz 2 der Vorschrift vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Nach dem Gesetz ist zwischen dem Wohnen in einer Zweitwohnung am Beschäftigungsort und dem Unterhalten eines eigenen Hausstandes außerhalb dieses Ortes zu unterscheiden. Mit dem „Hausstand” ist der Ersthaushalt (Hauptwohnung) umschrieben, an dem sich der Arbeitnehmer (abgesehen von den Zeiten der Arbeitstätigkeit und ggf. Urlaubsfahrten) regelmäßig aufhält, den er fortwährend nutzt und von dem aus er sein Privatleben führt, d.h. wo er seinen Lebensmittelpunkt hat.

    b) Die Beschränkung der Mehraufwendungen auf das Notwendige begrenzt den Abzug auf das nach objektiven Maßstäben zur Zweckverfolgung Erforderliche , d.h., den angemessenen Bedarf. (So die ständige Rechtsprechung des BFH und die überwiegende Auffassung der Finanzgerichte und der Literatur). Mit Urteil vom 09.08.2007 VI R 10/06, BStBl II 2007, 820 hat der BFH erstmals entschieden, welche Angemessenheitsgrenze für den Wohnbedarf der doppelten Haushaltsführung besteht:

    i) Da im Rahmen der doppelten Haushaltsführung nur die zu den Wohnungsaufwendungen am Lebensmittelpunkt hinzukommenden Wohnkosten abziehbar sind, hat sich das Merkmal „notwendig” am Abzugszweck zu orientieren, also daran, welcher Wohnungszuschnitt für einen Steuerpflichtigen als Einzelperson erforderlich ist, der von dort seiner Arbeit nachgeht, aber an einem anderen Ort, an dem sich auch sein Lebensmittelpunkt befindet, seinen Haupthausstand beibehalten hat .

    ii) Im Hinblick auf die von Beschäftigungsort zu Beschäftigungsort erheblich schwankenden Wohnkosten sieht der BFH eine betragsmäßige feste Obergrenze nicht als sachgerecht an, sondern hält Mehraufwendungen für notwendig, soweit sie sich für eine Wohnung mit einer Wohnfläche bis zu 60 qm bei einem ortsüblichen Mietzins je qm für eine nach Lage und Ausstattung durchschnittliche Wohnung (Durchschnittsmietzins) ergeben. Die bestimmenden Merkmale Wohnfläche und ortsüblicher Durchschnittsmietzins haben zur Folge, dass die Grenze des Notwendigen einerseits (zum Beispiel bei einer Luxuswohnung) bereits bei einer Wohnfläche unter 60 qm überschritten, andererseits (zum Beispiel bei tatsächlichen Quadratmeterkosten unter dem Ortsüblichen) bei einer Wohnfläche über 60 qm noch eingehalten sein kann. Dies gestattet es dem Steuerpflichtigen, bei der Wohnungswahl eigene Prioritäten zu setzen, beispielsweise indem er bei der Wohnungsgröße Abstriche macht, aber einen höheren Standard wählt und umgekehrt. Die Grenze des Notwendigen bestimmt sich damit ähnlich wie der angemessene Wohnbedarf in der Rechtsprechung des BSG, wenn es der sog. Produkttheorie folgend auf das in der Wohnungsmiete zum Ausdruck kommende Produkt aus angemessener Wohnfläche und Wohnungsstandard (ausgedrückt in der Miethöhe) abstellt, um nicht ohne sachlichen Grund die Wohnungswahl zu beschränken. D.h., entscheidend ist, ob und inwieweit das Produkt aus Wohnfläche und tatsächlichen Quadratmeterkosten dem Durchschnittsmietzins entspricht. Nur bis zu dieser Höhe können die Kosten steuerlich berücksichtigt werden.

    3) Übertragen auf den Streitfall bedeutet dies, dass das Finanzamt die abzugsfähigen Kosten für die Wohnung am Beschäftigungsort zu Recht auf 493 € im Monat begrenzt hat.

    a) Im Streitfall unterhielt der Kläger in den Monaten Januar und Februar 2008 unstreitig einen doppelten Haushalt. Der Ersthaushalt befand sich bis zum Umzug der Familie im Februar in der Familienwohnung in M . Daneben unterhielt der Kläger eine Zweitwohnung am Beschäftigungsort, von der aus er seiner Arbeitnehmertätigkeit nachging.

    b) Die tatsächlichen Kosten für die Zweitwohnung beliefen sich für die Zeit der doppelten Haushaltsführung auf 2.281 € (= 1.140 € pro Monat), während die vom Finanzamt ermittelte und vom Gericht für zutreffend gehaltene Durchschnittswarmmiete für eine 60 qm große Wohnung in X - und damit das nach der BFH-Rechtsprechung maßgebliche Produkt aus Wohnfläche und Quadratmeterkosten - bei 493 € pro Monat liegt. Ein höherer Betrag kann nicht als notwendiger Mehraufwand berücksichtigt werden.

    c) Das Vorbringen des Klägers, er habe wegen des geplanten und auch tatsächlich durchgeführten Familienumzugs eine größere Wohnung anmieten müssen, ist für die Frage der Angemessenheit der Mehraufwendungen nicht entscheidend. Wie oben dargestellt, orientiert sich das Merkmal „notwendig” am Abzugszweck, also daran, welcher Wohnungszuschnitt für einen Steuerpflichtigen als Einzelperson erforderlich ist, der von dort seiner Arbeit nachgeht, aber an einem anderen Ort, an dem sich auch sein Lebensmittelpunkt befindet, seinen Haupthausstand beibehalten hat. Die Größe der Familie und die angestrebte Beendigung der doppelten Haushaltsführung spielt dafür keine Rolle. Es ist nicht Zweck der Abzugsfähigkeit der Kosten doppelter Haushaltsführung, dem Steuerpflichtigen den Familiennachzug zu ermöglichen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5