09.03.2011
Finanzgericht München: Urteil vom 04.03.2010 – 5 K 3273/08
Die unzutreffende Auskunft einer nicht mit der Steuerfestsetzung befassten Behörde, die deutsche Staatsangehörigkeit gehe durch die Heirat mit einem italienischen Staatsangehörigen automatisch verloren, bewirkt keine Bindung der Finanzbehörden nach Treu und Glauben und führt im Verfahren wegen abweichender Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
hat der 5. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht … des Richters am Finanzgericht … und der Richterin am Finanzgericht … sowie der ehrenamtlichen Richter … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 04. März 2010
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Klägerin war in den Streitjahren in der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in M. beschäftigt. Sie wird mit dem Kläger zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.
Streitig ist, ob die Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit der deutschen Einkommensteuer zu unterwerfen sind. Die Klägerin, von Geburt an deutsche Staatsangehörige, erwarb 1991 anlässlich ihrer Eheschließung auf Antrag die italienische Staatsangehörigkeit. Sie ging davon aus, dass sie hierdurch die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat. Unter Berufung auf das deutsch-amerikanische Doppelbesteuerungsabkommen erklärte sie in den jeweiligen Einkommensteuererklärungen ihre Einkünfte nicht als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, sondern gab diese nur zum Zweck der Einbeziehung im Rahmen des Progressionsvorbehalts an. Das beklagte Finanzamt (vormals Finanzamt M.) unterwarf den Arbeitslohn der Klägerin in den Streitjahren jedoch als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in vollem Umfang der Besteuerung. Die Einkommensteuer 1998 wurde mit Bescheid vom 08. März 2000, die Einkommensteuer 1999 mit Bescheid vom 14. August 2001, die Einkommensteuer 2000 mit Bescheid vom 25. April 2002 und die Einkommensteuer 2001 mit Bescheid vom 20. Juni 2003 entsprechend festgesetzt.
Mit hiergegen gerichteten Einsprüchen trugen die Kläger jeweils vor, sie hätten vom Kreisverwaltungsreferat M. stets die Auskunft erhalten, dass die Klägerin mit dem Erwerb der italienischen Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch verloren habe. Entsprechendes sei auch in den Merkblättern des Bundesverwaltungsamts ausgeführt und auch vom Bayerischen Innenministerium noch im Januar 2000 vertreten worden. Diese Rechtsauffassung sei erst durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 1998 1 C 20/96, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 1999, 963 revidiert worden. Nachdem die Klägerin am 10. Mai 2001 von dieser geänderten Rechtsauffassung Kenntnis erlangt habe, habe sie eine ausdrückliche Verzichtserklärung abgegeben. Die deutsche Staatsangehörigkeit habe sie durch Aushändigung der Verzichtsurkunde am 13. November 2001 verloren.
Das Finanzamt wies die Einsprüche in der Einspruchsentscheidung vom 20. März 2006 als unbegründet zurück. Hiergegen wandten sich die Kläger mit ihrer beim Finanzgericht München unter dem Az. 5 K 3734/08 (vormaliges Az. 5 K 1511/06) geführten Klage und dem damit verbundenen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) in Sachen Einkommensteuer 1998 bis 2001, Az. 5 V 2157/06.
Nach Ablehnung des AdV-Antrags beantragten sie beim beklagten Finanzamt die abweichende Festsetzung der Einkommensteuer für die Streitjahre aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO). Das Finanzamt lehnte den Antrag mit Verwaltungsakt vom 07. November 2006 ab und wies den hiergegen erhobenen Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 08. September 2008 als unbegründet zurück.
Mit der Klage verfolgen die Kläger ihren Antrag auf abweichende Festsetzung der Einkommensteuer für die Streitjahre weiter und berufen sich auf den Schutz ihres durch die Auskünfte mehrerer Behörden erzeugten Vertrauens in die Steuerfreiheit des Arbeitslohns. Nach Treu und Glauben müsse das Finanzamt bei der Ausübung seines Ermessens sachgerecht vorgehen. Hinzuweisen sei auch noch auf das weitere Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. April 2008 5 C 28/07, NJW 2008, 2729. Zu berücksichtigen seien auch persönliche Gründe, da die Kläger nicht mit einer Steuerzahlung im festgesetzten Umfang hätten rechnen müssen.
Für das Verfahren unter dem Az. 5 K 3734/08 wurde mit Senatsbeschluss vom 13. Januar 2009 (erneut) das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Verwaltungsakt vom 07. November 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 08. September 2008 zu verpflichten, im Wege der Billigkeit die Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit in den Veranlagungszeiträumen 1998, 1999, 2000 und 2001 lediglich hinsichtlich des Progressionsvorbehalts in die Berechnung der Einkommensteuer einzubeziehen sowie diese nicht dem Solidaritätszuschlag zu unterwerfen und die Festsetzungen der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlages für die Streitjahre entsprechend zu ändern.
Der Beklagte (das Finanzamt) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Eine sachliche Unbilligkeit liege nicht vor, da in Art. 19 Abs. 1 DBA-USA (Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und einiger anderer Steuern vom 29. August 1989, Bundesgesetzblatt – BGBl – II 1991, 355) eindeutig geregelt sei, dass Löhne und Gehälter, die die Vereinigten Staaten von Amerika an natürliche Personen, ausgenommen deutsche Staatsangehörige, auszahlten, in der Bundesrepublik Deutschland steuerbefreit seien. Die Klägerin habe diese Voraussetzung jedoch erst ab der Aushändigung der Verzichtsurkunde am 13. November 2001 erfüllt. Anderslautende mündliche Auskünfte anderer Behörden seien für die Besteuerung ebenso wenig bindend wie die Verbalnote vom 14. Juni 1988, die nur den Wortlaut des Art. 19 Abs 1 Buchst. a DBA-USA wiedergebe. Da die Einkünfte der Klägerin nicht in den USA versteuert worden seien, habe die Klägerin nicht darauf vertrauen dürfen, dass ihre Einkünfte auch in Deutschland nicht – und damit überhaupt nicht – besteuert werden würden.
Im Übrigen wird auf die Einspruchsentscheidung, den AdV-Beschluss vom 30. August 2006 unter dem Az. 5 V 2157/06, die Akten unter dem Az. 3734/08 und die von den Beteiligten in diesem Verfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
In der mündlichen Verhandlung wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Nach § 163 Satz 1 AO 1977 können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des FA, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1972, 603). Die Entscheidung darf gerichtlich (nur) daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. § 102 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Gleichwohl kann das Finanzgericht ausnahmsweise eine Verpflichtung des Finanzamts zum Erlass aussprechen (vgl. § 101 FGO), wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (vgl. zur sog. Ermessensreduzierung auf Null: Bundesfinanzhof-BFH-Urteil vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BStBl II 1993, 3).
2. Die ablehnende Verfügung vom 7. November 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 8. September 2008 enthalten keine Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass der Beklagte bei seiner Entscheidung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten oder von dem ihm eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Vorschriften nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Fehlerfrei hat er das Vorliegen von sachlichen Billigkeitsgründen verneint. Zutreffend hat er auch das Vorliegen persönlicher Billigkeitsgründe mit der Begründung verneint, die Kläger hätten keine eventuelle Existenzgefährdung behauptet.
2.1. Die Festsetzung der Einkommensteuer unter Ansatz der Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Tätigkeit stellt keine sachliche Unbilligkeit dar.
Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer vor allem dann, wenn sie zwar dem Tatbestand des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Einzelfall zuwider läuft. Dies ist dann anzunehmen, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers davon ausgegangen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt – im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. BFH-Urteil vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BStBl II 1994, 833, mit weiteren Nachweisen – m.w.N. –). Ein derartiger Gesetzesüberhang liegt hier nicht vor.
Diese Annahme scheitert im vorliegenden Fall bereits daran, dass der deutsche Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) grundsätzlich davon ausgeht, dass Bürger mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland – ungeachtet ihrer Nationalität – der unbeschränkten deutschen Einkommensteuerpflicht unterliegen. Art. 19 Abs. 1 Buchst. a DBA-USA (in der Fassung vom 29. August 1989, die Änderung durch das Änderungsprotokoll vom 01. Juni 2006 erfasst nicht Personen, die im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens bereits Bedienstete der Vereinigten Staaten waren) geht zwar nach § 2 AO dieser Regelung vor, lässt aber nur bei Vorliegen einer anderen als der deutschen Staatsangehörigkeit das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats entfallen „other than a German national”). Auf die Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit kommt es nicht an. Es ist kein Grund ersichtlich, die Klägerin, deren Einkünfte aus nichtelbständiger Tätigkeit im Ausland nirgends besteuert werden, steuerlich besser zu stellen, als andere Steuerpflichtige, die in Deutschland wohnen und arbeiten.
Auch unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes liegt keine sachliche Unbilligkeit vor. Im steuerlichen Verfahren ist kein Vertrauensschutz dahingehend erkennbar, dass die Klägerin von einem automatischen Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit und des damit zusammenhängenden Besteuerungsrechts allein durch die Eheschließung ausgehen durfte. Dass grundsätzlich ein Zusammenhang zwischen ihrer Tätigkeit, ihrem Wohnsitz und ihrer Staatsangehörigkeit hinsichtlich des Besteuerungsrechts besteht, war der Klägerin offensichtlich bekannt. Ihr Vertrauen auf die Auskünfte nicht steuer verwaltender Behörden kann jedoch nicht zu einer abweichenden Steuerfestsetzung führen. Die Auskünfte dieser nicht im Bereich der Steuerverwaltung angesiedelten Behörden beruhten zwar auf einer – bis zum Bekanntwerden des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 1998 – unzutreffenden Rechtsanwendung. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass selbst bei Auskünften steuerlicher Behörden Vertrauensschutz im Sinne einer abweichenden Steuerfestsetzung nur unter den Voraussetzungen der §§ 89 und 204 AO sowie nach den Grundsätzen der Verwirkung des Besteuerungsanspruchs als besonderer Ausprägung des Prinzips von Treu und Glauben zu gewähren wäre. Hierfür liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor.
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass das von den Klägern zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. April 2008 Personen deutscher Staatsangehörigkeit betrifft, die – im Gegensatz zur Klägerin – weder den Wohnsitz noch den dauernden Aufenthalt im Inland haben. Auch bei diesem Personenkreis besteht nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit.
Nach alledem müssen die Kläger das Risiko hinsichtlich des Wegfalls der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin (allein) durch Heirat tragen. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin dadurch – äußerst selten anzutreffen und nach dem DBA-USA typisierend ausgedrückt, offensichtlich nur auf amerikanische Staatsangehörige gemünzt – steuerfreie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt hätte. Dazu, dass es an einer sachlichen Unbilligkeit fehlt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen ergänzend auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Begründung der Einspruchsentscheidung vom 8. September 2008, der der Senat folgt, Bezug genommen (§ 105 Abs. 5 FGO), sowie auf die Ausführungen bezüglich des Verhaltens anderer Behörden im AdV-Verfahren verwiesen.
2.2. Für das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit haben die Kläger bereits keine drohende Existenzvernichtung durch die von ihnen geforderte Steuerzahlung vorgetragen; dafür ist auch nichts ersichtlich.
2.3. Damit war es dem Beklagten verwehrt, in eine Ermessensabwägung einzutreten, die nach § 102 FGO überprüft werden könnte. Der Ermessensspielraum hängt vom Maß der festgestellten Unbilligkeit ab. Liegt eine solche nicht vor, so ist einzig die Entscheidung ermessensgerecht, die zur Ablehnung des Antrags auf abweichende Steuerfestsetzung führt (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 2009 I R 112/08, veröffentlicht z.B. im Internet unter www.bundesfinanzhof.de).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.