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  • 02.03.2011

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 09.07.2010 – 4 K 3154/08 F

    1) Prozessuale und außerprozessuale Rechtsbehelfe sind grundsätzlich dahingehend auszulegen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen.

    2) Bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO sind nur Rechtsirrtümer über die Einspruchsfrist oder die Form der Fristwahrung anzuerkennen. Der Irrtum über eine materielle Rechtsfrage ist kein solcher Irrtum.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat der 4. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Ehrenamtlicher Richter xxxx Ehrenamtlicher Richter … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 09.07.2010 für Recht erkannt:

    Tatbestand:

    Streitig ist die Zulässigkeit eines Einspruchs sowie die Höhe der bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten zu berücksichtigenden Verpflegungsmehraufwendungen und Umzugskosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung.

    Die Klägerin begehrt die Feststellung eines höheren vortragsfähigen Verlustes zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005.

    Die Klägerin ist promovierte Dipl.-Biologin und wohnte durchgängig im Streitjahr 2005 zusammen mit ihrem Lebensgefährten mit Erstwohnsitz in N-Stadt. Sie war bis Ende Februar 2005 beim Forschungszentrum K-Stadt im Rahmen eines

    Promotionsdienstverhältnisses beschäftigt. Im Zeitraum vom 01.03. bis 30.06.2005 fertigte sie in N-Stadt den schriftlichen Teil ihrer Promotionsarbeit an. Ab 01.07.2005 arbeitete die Klägerin nach bestandener Promotion erneut beim Forschungszentrum K-Stadt. Während der Tätigkeiten in K-Stadt mietete die Klägerin jeweils eine Zweitwohnung am Beschäftigungsort bzw. in der dortigen Nähe an.

    In ihrer im Februar 2006 abgegebenen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2005 erklärte die Klägerin Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit von EUR xxxxx. Bei den Werbungskosten machte sie u.a. Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung für die Beschäftigungszeiträume in K-Stadt in Höhe von insgesamt EUR 6.757,74 geltend. Die erklärten Verpflegungsmehraufwendungen für den Zeitraum vom 01.01. bis 28.02.2005 betrugen EUR 1.200 und für den Zeitraum 15.07. bis 14.10.2005 EUR 1.584 (insgesamt EUR 2.784). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einkommensteuererklärung 2005 sowie die dort beigefügten Anlagen Bezug genommen.

    Der Beklagte setzte die Einkommensteuer für 2005 mit Bescheid vom 23.03.2006 auf EUR Null fest. Er erkannte die doppelte Haushaltsführung dem Grunde nach an und berücksichtigte Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von insgesamt EUR 11.203. Die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen reduzierte der Beklagte auf EUR 1.620. Zur Begründung führte er in den Erläuterungen zum Bescheid an, die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen seien um die Tage der Familienheimfahrten zu kürzen. Der Gesamtbetrag der Einkünfte für das Jahr 2005 betrug EUR yyyyy. In Abzug brachte der Beklagte einen zum 31.12.2004 festgestellten Verlustvortrag (§ 10 d Einkommensteuergesetz – EStG –) in Höhe von EUR zzzzz. Das zu versteuernde Einkommen für 2005 betrug EUR xxxx.

    Ferner erließ der Beklagte am 23.03.2006 einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 und stellte diesen mit EUR Null fest.

    Die Kürzung der Verpflegungsmehraufwendungen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit beanstandete die Klägerin innerhalb der Rechtsbehelfsfrist nicht.

    Vor dem Hintergrund der für die Klägerin positiven Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Anerkennung von Aufwendungen für ein Erststudium als vorweggenommene Werbungskosten reichte die Klägerin am 25.09.2006 Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1999 bis 2001 ein. Ziel hierbei war es, durch die Berücksichtigung der Berufsausbildungs-/Studiums-Kosten die vortragsfähigen Verluste zu erhöhen.

    Am 04.10.2006 – d.h. mehr als sechs Monate nach Bescheiderlass – erhob die Klägerin zunächst gegen den Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 23.03.2006 Einspruch. Sie begehrte die erklärungsgemäße Berücksichtigung der Verpflegungsmehraufwendungen. Zur Begründung führte sie an: Auch an denjenigen Tagen, an denen die Familienheimfahrten durchgeführt worden seien bzw. sie wieder zur Zweitwohnung zurückgekehrt sei, sei es zu einer zeitlich bestimmten Abwesenheit von der Erstwohnung in N-Stadt gekommen. Sie, die Klägerin, habe zunächst aufgrund mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses von einem Einspruch abgesehen. In Hinblick auf die nunmehr abgegebenen Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1999 bis 2001 erwarte sie aber einen höheren Verlustvortrag zum 31.12.2005, so dass erstmalig eine Beschwer eingetreten sei. Die Versäumnis der Einspruchsfrist sei entschuldbar, da sie es aufgrund vertretbarer rechtlicher Erwägungen unterlassen habe, ihr Recht innerhalb der Frist geltend zu machen. Die durch das BFH-Urteil vom 20.07.2006 (Aktenzeichen VI R 26/05) eingeräumte Möglichkeit, auch Aufwendungen für ein Erststudium als vorweggenommene Werbungskosten geltend zu machen, sei erst zu späterer Zeit veröffentlicht worden. Gleiches gelte für die Entscheidung des BFH vom 01.03.2006 (Aktenzeichen XI R 33/04) zur Möglichkeit der erstmaligen Verlustfeststellung bei bestandskräftiger Ablehnung einer Einkommensteuerveranlagung. Erst am 21.09.2006 sei einer Pressemitteilung des BFH zu entnehmen gewesen, dass erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der seinerzeit geltenden Zwei-Jahres-Frist für Antragsveranlagungen bestünden. Es könne von ihr, der Klägerin, daher nicht erwartet werden, dass sie innerhalb der laufenden Rechtsbehelfsfristen gegen die Bescheide vom 23.03.2006 abschließende Klarheit über die vorgenannte Rechtslage hätte gewinnen können. Erst durch die aufgrund der Rechtsprechung des BFH motivierte Abgabe der Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1999 bis 2001 sei erkennbar geworden, dass sich ein Verlustvortrag ergebe, der durch das Ergebnis der Steuerveranlagung für das Jahr 2005 nicht vollständig ausgeglichen würde.

    Mit Schreiben vom 16.02.2007 erhob die Klägerin hilfsweise auch Einspruch gegen den Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2005 vom 23.03.2006.

    Der Beklagte führte für die Jahre 1999 bis 2001 Einkommensteuerveranlagungen durch und berücksichtigte die erklärten Verluste antragsgemäß. Dies führte dazu, dass die Verlustfeststellung zur Einkommensteuer auf den 31.12.2004 auf EUR xyxyx (Bescheid vom 06.06.2008) und auf den 31.12.2005 auf EUR xyxy (Bescheid vom 01.09.2008) erhöht wurden. Dementsprechend änderte der Beklagte am 01.09.2008 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) auch den Einkommensteuerbescheid für 2005 und berücksichtigte nunmehr einen Verlustabzug in Höhe von EUR zxzxz. Die Einkommensteuerfestsetzung für 2005 blieb bei EUR Null.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 14.08.2008 verwarf der Beklagte den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2005 als unzulässig. Die Klägerin – so die Begründung – habe nicht innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist Einspruch erhoben. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand komme nicht in Betracht. Die Klägerin habe nicht einem Rechtsirrtum über die Dauer der Einspruchsfrist unterlegen. Vielmehr habe sie sich ihrem eigenen Vortrag nach materiell-rechtlich geirrt. Der Irrtum habe darin gelegen, dass der Einspruch zum damaligen Zeitpunkt durchaus zulässig gewesen sei. Die von der Klägerin geltend gemachte „Beschwer” sei nicht erst bei Veröffentlichung des für sie günstigen Urteils eingetreten. Die Beschwer habe bereits aufgrund des beim BFH seinerzeit anhängigen Verfahrens vorgelegen. Die nachträgliche Erkenntnis über das für die Klägerin günstige Urteil des BFH rechtfertige keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Anderenfalls würde de facto keine steuerliche Bestandskraft mehr erreicht.

    Den – hilfsweise – erhobenen Einspruch gegen den Verlustfeststellungsbescheid zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 wies der Beklagte (erst) mit Einspruchsentscheidung vom 20.08.2009 zurück. Auch insoweit berief er sich aus vorgenannten Erwägungen auf die Verfristung des Einspruchs.

    Die Klägerin erhob am 19.08.2008 Klage und wendet sich – nach Maßgabe der Klarstellung im Schreiben vom 26.08.2009 – gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005. Insofern begehrt sie weiterhin wegen Versäumung der Einspruchsfrist die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, da erstmalig durch die Abgabe der Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1999 bis 2001 eine Beschwer eingetreten sei. Vorher sei die Abschätzung betragsmäßiger Änderungen der bestehenden Verlustfeststellungsbescheide überhaupt nicht möglich gewesen. Es könne ihr, der Klägerin, nicht zum Nachteil gereichen, dass die Steuererklärungen für die Jahre 1999 bis 2001 erst nach Ergehen der für sie günstigeren Rechtsprechung des BFH abgegeben worden seien. Seinerzeit sei die Rechtslage höchst unsicher gewesen. Sie habe es daher aufgrund rechtlich vertretbarer Erwägungen unterlassen, fristgerecht Einspruch einzulegen.

    In der Sache trägt die Klägerin ergänzend vor, ihre Beschäftigungsverhältnisse beim Forschungszentrum K-Stadt seien zeitlich derart intensiv gewesen, dass sie im Streitjahr 2005 nur an zwei Tagen Urlaub beansprucht habe. Zudem sei sie an den Wochenenden sonnabends erst nachmittags nach N-Stadt gefahren, so dass auch für jene Tage Verpflegungsmehraufwendungen zutreffend von ihr in Ansatz gebracht worden seien. Lediglich für die Rückfahrten zum Beschäftigungsort an den Sonntagen seien – was ihr erst in der Nachschau aufgefallen sei – keine Mehraufwendungen zu berücksichtigen, da sie regelmäßig erst in den Abendstunden zurückgefahren sei. Dementsprechend seien die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen um EUR 240 zu kürzen. Allerdings stünden dieser vorzunehmenden Kürzung bislang nicht als Werbungskosten (doppelte Haushaltsführung) erklärte Umzugskosten in Höhe von ca. EUR 430 entgegen. Sie, die Klägerin, halte daher weiterhin daran fest, bei den Werbungskosten der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung – wie erklärt – in Höhe von EUR 6.758 zu berücksichtigen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schreiben der Klägerin vom 16.08.2008, 10.10.2008, 29.11.2008, 26.08.2009, 21.10.2009 und 02.11.2009.

    Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

    den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 vom 23.03.2006, geändert am 01.09.2008, in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 20.08.2009 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Werbungskosten für eine doppelte Haushaltsführung für das Jahr 2005 in Höhe von EUR 6.758 berücksichtigt werden.

    Hilfsweise – für den Unterliegensfall – beantragt die Klägerin,

    die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte nimmt im Wesentlichen Bezug auf die Einspruchsentscheidungen vom 14.08.2008 (Einkommensteuer 2005) und 20.08.2009 (Verlustfeststellung zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005). Ergänzend führt er an, eine Änderung zugunsten der Klägerin widerspreche auch der Regelung des § 351 Abs. 1 AO.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die Einspruchsentscheidungen vom 14.08.2008 und 20.08.2009 sowie die Schriftsätze der Beteiligten nebst beigefügter Unterlagen.

    Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten und ihren Vertretern am 27.07.2009 den Sach- und Streitstand erörtert. Insofern wird auf das Sitzungsprotokoll vom selben Tag Bezug genommen.

    Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

    Entscheidungsgründe:

    Die zulässige Klage, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO –), ist unbegründet.

    Der Beklagte hat den Einspruch gegen den Verlustfeststellungsbescheid zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 wegen Verfristung zu Recht als unzulässig verworfen und keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Klägerin ist daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

    Der Einspruch vom 04.10.2006 gegen den Einkommensteuerbescheid 2005 vom 23.03.2006 ist als Einspruch gegen den ebenfalls am 23.03.2006 erlassenen Verlustfeststellungsbescheid zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 auszulegen, so dass es auf den – zumindest hilfsweise – am 16.02.2007 erhobenen Einspruch gegen den Verlustfeststellungsbescheid nicht ankommt. Zwar hat die Klägerin in ihrem Einspruchsschreiben vom 04.10.2006 ausdrücklich ausgeführt, dass sie gegen den Einkommensteuerbescheid des Jahres 2005 Einspruch einlege. Dies wäre – unabhängig von der Frage der Fristeinhaltung – bereits deshalb nicht erfolgversprechend gewesen, da die Steuerfestsetzung des Jahres 2005 EUR Null betrug und die Klägerin hierdurch nicht beschwert war. Allerdings sind prozessuale und außerprozessuale Rechtsbehelfe unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auszulegen, wenn es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung fehlt. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen (BFH-Urteile vom 31.10.2000 VIII R 47/98, BFH/NV 2001, 589; vom 08.05.2008 VI R 12/05, BFHE 222, 196, BStBl II 2009, 116; BFH-Beschlüsse vom 06.07.2005 XI B 45/03, BFH/NV 2005, 2029; vom 24.08.2006 XI B 149/05, BFH/NV 2006, 2035). Dementsprechend hätte vom Grundsatz nur der ebenfalls am 23.03.2006 erlassene Verlustfeststellungsbescheid zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 angefochten werden können. Da die Klägerin – wie dem Einspruchsschreiben vom 04.10.2006 zu entnehmen ist – weitere Verlustvorträge durch Anerkennung von zusätzlichen Werbungskosten nutzbar machen wollte, ist das Begehren rechtsschutzgewährend dahingehend auszulegen, dass (nur) der Verlustfeststellungs- und nicht auch der Einkommensteuerbescheid angefochten werden sollte.

    Dieser Einspruch war allerdings wegen Verfristung unzulässig. Der Einspruch vom 04.10.2006 ist zeitlich deutlich außerhalb der gesetzlichen Monatsfrist des § 355 Abs. 1 AO erhoben worden. Hierüber besteht zu Recht auch kein Streit.

    Der Klägerin war keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO ist dem Steuerpflichtigen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist – vorliegend die Einspruchsfrist – einzuhalten. Die vorgetragenen Gründe sind nicht geeignet, um annehmen zu können, die Klägerin sei verhindert gewesen, die Einspruchsfrist einzuhalten. Der Verlustfeststellungsbescheid zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 enthält (ebenso wie der Einkommensteuerbescheid 2005) eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Rechtsbehelfsbelehrung. Der Klägerin wurde in den Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid auch mitgeteilt, weshalb und in welcher Höhe die Verpflegungsmehraufwendungen im Rahmen der geltend gemachten doppelten Haushaltsführung nicht anerkannt wurden, so dass die gesetzliche Fiktion für eine zu gewährende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 126 Abs. 3 AO nicht eingreift.

    Soweit sich die Klägerin darauf beruft, erst im Laufe des Jahres 2006 durch die sich in ihrem Sinne positiv entwickelnde Rechtsprechung des BFH veranlasst worden zu sein, Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1999 bis 2001 einzureichen, um hierdurch einen höheren Verlustvortrag zu erreichen, war sie nicht gehindert, fristgemäß Einspruch gegen den Verlustfeststellungsbescheid einzulegen. Sie unterlag insoweit nicht einem grundsätzlich im Rahmen des § 110 AO anzuerkennenden Rechtsirrtum über die Einspruchsfrist selbst oder die Form ihrer Fristwahrung. Die Klägerin irrte vielmehr über eine materielle Rechtsfrage, nämlich die steuerliche Anerkennung von Kosten eines Erststudiums als vorweggenommene Werbungskosten (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 20.07.2006 VI R 26/05, BFHE 214, 370, BStBl II 2006, 764). Zum anderen irrte sie – wie sie anführt – über die Möglichkeit, noch im Wege des Verlustfeststellungsverfahrens auch nach Ablauf der seinerzeit geltenden Zwei-Jahres-Frist für Antragsveranlagungen (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F.) vortragsfähige Erwerbskosten geltend zu machen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 01.03.2006 XI R 33/04, BFHE 212, 497, BStBl II 2007, 919). Derartige materielle Irrtümer sind keine im Rahmen des § 110 AO anzuerkennenden Rechtsirrtümer (vgl. BFH-Urteile vom 09.11.1990 III R 103/88, BFHE 162, 183, BStBl II 1991, 168; vom 14.09.1999 III R 78/97, BFHE 189, 273, BStBl II 2000, 37; vom 29.11.2006 VI R 48/05, BFH/NV 2007, 861; Pahlke in Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 110 Rdnr. 22, 39). Denn sie waren nicht unmittelbar ursächlich für die Fristversäumnis, sondern offenbar nur Beweggrund, nicht bereits frühzeitig das später geltend gemachte Recht einzufordern. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass sie unter Berücksichtigung ihres steuerrechtlichen Kenntnisstandes und ihrer Begehr den Verlustfeststellungsbescheid auf den 31.12.2005 innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist nicht mit Erfolg hätte anfechten können. Denn selbst im Falle der vollständigen Anerkennung der erklärten Verpflegungsmehraufwendungen im Streitjahr 2005 wäre – unter Ausblendung des Ergebnisses der später abgegebenen Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1999 bis 2001 – der vortragsfähige Verlust zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 weiterhin mit EUR Null festgestellt worden. Dies hat seinen Grund darin, dass trotz eines um EUR 1.164 geringeren Gesamtbetrags der Einkünfte (Differenz zwischen erklärten und anerkannten Verpflegungsmehraufwendungen) der auf den 31.12.2004 zunächst festgestellte Verlustvortrag in voller Höhe gemäß § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG im Streitjahr 2005 verbraucht worden wäre. Allerdings war die Klägerin nicht deswegen erst durch die mit der Abgabe der Einkommensteuererklärungen erhofften höheren Verlustberücksichtigung – verbunden mit einer sodann steuerlichen Auswirkung für die begehrte Anerkennung der vollständigen Verpflegungsmehraufwendungen – „nachträglich beschwert”. Die Beschwer bestand von vornherein, wurde von der Klägerin nur nicht fristgerecht geltend gemacht.

    Der Senat hält es für gerechtfertigt, Irrtümer, die nicht die Fristwahrung unmittelbar selbst betreffen, für Zwecke einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unbeachtlich zu lassen. Das Risiko, von einer dem Steuerpflichtigen günstigen Entwicklung der Rechtsprechung für die Vergangenheit (nicht) zu partizipieren, trägt dieser selbst. Insofern ist – worauf der Beklagte zu Recht hinweist – der Bestandskraft der Steuerfestsetzung und der damit einhergehenden Rechtssicherheit Vorrang einzuräumen. Die Klägerin war tatsächlich nicht gehindert, sich bereits innerhalb der laufenden Einspruchsfrist gegen den Verlustfeststellungsbescheid zu wenden und die nicht anerkannten Werbungskosten einzufordern. Ebenso wenig war die Klägerin tatsächlich gehindert, bereits innerhalb der Einspruchsfrist gegen den Verlustfeststellungsbescheid ihre „Beschwer” durch die Abgabe der Einkommensteuererklärungen für 1999 bis 2001 zu konkretisieren. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass zwar erstmals mit BFH-Urteil vom 20.07.2006 über die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für ein Erststudium als vorweggenommene Werbungskosten (positiv) entschieden wurde. Allerdings war bereits seit den Entscheidungen des BFH vom 04.12.2002 (VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 – Umschulung), vom 17.12.2002 (VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407 – berufsbegleitendes Erststudium) und vom 22.07.2003 (VI R 50/02, BFHE 202, 563, BStBl II 2004, 889 – Universitätsstudium nach Fachhochschulstudium) die Tendenz der Rechtsprechung deutlich erkennbar, dass ein – zu Werbungskosten führender – erwerbsbezogener Veranlassungszusammenhang auch bei einem Erststudium vorliegen kann. Ebenso wenig relevant ist, dass die Klägerin erst am 21.09.2006 anlässlich einer Pressemitteilung des BFH (Pressemitteilung 41/06 vom 06.09.2006) erfahren hat, dass der erstmalige Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids auch außerhalb der seinerzeit bei Antragsveranlagungen geltenden Zwei-Jahres-Frist i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. möglich sei. Dies erklärt zwar, dass die Klägerin kurze Zeit später ihre Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1999 bis 2001 beim Finanzamt eingereicht und entsprechende Verlustberücksichtigung beantragt hat. In Anbetracht der bereits im Jahr 2002 veröffentlichten Entscheidung des BFH vom 12.06.2002 (XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681) zur fristlos möglichen Verlustfeststellung und zudem veröffentlichter Entscheidungen von Finanzgerichten zur Nichtgeltung der zweijährigen Antragsfrist i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. im Verlustfeststellungsverfahren nach § 10 d EStG (vgl. z.B. FG Berlin, Urteil vom 27.04.2004 7 K 7414/03, EFG 2004, 1295; FG Köln, Urteil vom 11.05.2005 4 K 2205/02, EFG 2005, 1679) hätte auch für die Klägerin die Möglichkeit bestanden, bereits frühzeitig Verlustfeststellungen für die Jahre 1999 bis 2001 zu beantragen und hierdurch die Grundlage für eine Berücksichtigung für zusätzliche Werbungskosten zu schaffen.

    Die Klägerin begründet ihr Wiedereinsetzungsgesuch letztlich mit der Bekanntmachung neuer Rechtsprechungsgrundsätze. Hierbei dürfte unstreitig sein, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen ist, wenn ein Steuerpflichtiger nach Bestandskraft seine Steuerfestsetzung anficht und sich nunmehr auf die neue Rechtslage beruft. Nichts anderes gilt, wenn – wie vorliegend – durch die veränderte Rechtslage ein verfahrensrechtlicher Zustand geschaffen wird, der es erstmals erlaubt, die Steuerfestsetzung (Feststellung) nachträglich anzufechten.

    Über die Höhe der bei den Werbungskosten der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigenden Verpflegungsmehraufwendungen und Umzugskosten war nicht mehr zu entscheiden.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Revision war nicht zuzulassen. Der Senat stützt seine Entscheidung auf höchstrichterlich geklärte Grundsätze. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO sind nicht gegeben.

    VorschriftenAO § 347, AO § 355 Abs 1, BGB § 133, BGB § 157, AO § 110 Abs 1 Satz 1