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  • 02.03.2011

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 29.09.2010 – 12 K 528/09

    1) Über einen erneuten Kindergeldantrag kann nur insoweit entscheiden werden, als die vom Antrag umfassten Zeiträume nicht der Bindungswirkung eines zuvor ergangenen Ablehnungsbescheides unterfallen.

    2) Auf einen erneut gestellten Antrag kann Kindergeld ab dem Monat gewährt werden, der auf den Monat folgt, in dem der Ablehnungsbescheid erlassen wurde. Bei Anfechtung dieses Ablehnungsbescheides verlängert sich der Zeitraum der Bindungswirkung nicht bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (gegen FG Düsseldorf v. 7.3.2008 -14 K 2266/06 KG, DStRE 2008, 1474).

    3) Zur Frage, wann die Behinderung eines Kindes in erheblichem Umfang mitursächlich für dessen Unfähigkeit ist, sich selbst zu unterhalten.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat der 12. Senat in der Besetzung: Vorsitzende Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtliche Richterin … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 29.09.2010 für Recht erkannt:

    Tatbestand

    Strittig ist das Kindergeld für das Kind A.

    Der im Januar 1984 geborene Sohn des Klägers ist seit seiner Geburt schwerbehindert. Das Versorgungsamt B hat im Schwerbehinderten-Ausweis vom 12. März 2002 einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 festgestellt (gültig ab 22. November 2001, Bl. 204 KG-Akte).

    Der Sohn erhielt von September 2001 bis August 2003 Leistungen zur beruflichen Eingliederung Behinderter nach §§ 97 ff SGB III (Lehrgangskosten und Ausbildungsgeld, Bl. 97, 134 KG-Akte) und er nahm an Förderlehrgängen der Kreishandwerkerschaft C teil (Bl. 123, 125 KG-Akte).

    Ab September 2003 bis August 2007 war er bei der zuständigen Agentur für Arbeit als arbeitssuchend gemeldet für eine Stelle als Gartenbauhelfer oder Verpacker (Bl. 140 KG-Akte). In dieser Zeit wurden weitere Fördermaßnahmen durchgeführt, und zwar im Januar 2004, März 2005, April bis Oktober 2005 und Dezember 2005 (Bl. 185 KG-Akte). Ihm wurde die Eingliederung in eine Werkstatt für Behinderte empfohlen. Er bat jedoch, hiervon abzusehen, weil er die damit einhergehende psychische Belastung im Kreise zum Teil sehr schwer geistig behinderter Menschen nicht ertragen könne (Bl. 205 KG-Akte). Nach dreimaligem Meldeversäumnis wurde er im August 2007 zunächst aus der Arbeitsvermittlungsstelle abgemeldet (Bl. 207 KG-Akte).

    Der Kläger erhielt für den Sohn A Kindergeld bis zur Vollendung des 21.Lebensjahres im Januar 2005 (Bl. 175 KG-Akte).

    Mit Bescheid vom 15. Dezember 2004 hatte die Beklagte (Familienkasse B – FK –) die Festsetzung des Kindergeldes ab Februar 2005 aufgehoben. Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers wurde mit bestandskräftiger Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 2005 zurückgewiesen (Bl. 164 KG-Akte).

    Im Dezember 2006 hatte der Kläger unter Hinweis auf die Schwerbehinderung des Sohnes erneut Kindergeld beantragt. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 15. Januar 2007 (Bl. 180 KG-Akte) abgelehnt, ein dagegen gerichteter Einspruch des Klägers mit bestandskräftiger Einspruchsentscheidung vom 29. November 2007 (Bl. 194-197 KG-Akte) zurückgewiesen.

    Am 8. April 2008 stellte der Kläger wiederum einen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld und verwies auf den Schwerbehinderten-Ausweis des Sohnes (Bl. 198 KG-Akte). Eigene Einkünfte und Bezüge habe das Kind nicht.

    Die FK lehnte dies mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 1. Juli 2008 erneut ab mit der Begründung, das Kind sei lediglich wegen eines Meldeversäumnisses im August 2007 bei der Arbeitsvermittlungsstelle abgemeldet worden, nicht jedoch wegen der Schwerbehinderung. Es sei davon auszugehen, dass der Sohn dem Arbeitsmarkt hätte zur Verfügung stehen können (Bl. 4,5 FG-Akte). Feststellungen zu den eigenen Einkünften und Bezügen des Kindes wurden nicht getroffen.

    Der Kläger erhob Einspruch, begründete diesen jedoch nicht.

    Die FK bat die „Reha/SB-Stelle” der zuständigen Agentur für Arbeit in D um Auskunft. Diese führte unter dem Datum des 4. Dezember 2008 aus, nach den vorhandenen Unterlagen sei das Kind in der Lage, „eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben” (Bl. 217 KG-Akte).

    Als der Kläger – trotz der unterbliebenen Begründung seines Einspruchs – mit einer Untätigkeitsklage drohte, wies die FK den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2009 unter Hinweis auf diese Auskunft der „Reha/SB-Stelle” als unbegründet zurück (Bl. 6-10 FG-Akte).

    Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger trägt vor, sein Sohn sei seit der Geburt sowohl geistig als auch körperlich behindert. Die geistige Behinderung sei auf eine mangelnde Sauerstoffzufuhr während der Geburt zurückzuführen; er befinde sich auf dem geistigen Entwicklungsstand eines acht bis neunjährigen Kindes. Der körperlichen Behinderung liege ein angeborener Herzfehler zugrunde (Ventrikel-Septum-Defekt), sowie ein angeborener Irisriss (Iriskolobom) und ein allergisches Asthma bronchiale. Diese Behinderungen führten zu einer erheblichen Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit.

    Der Sohn habe eine Sprachbehindertenschule besucht und anschließend eine Pestalozzischule abgeschlossen, könne jedoch nicht richtig lesen und schreiben. Nach Abschluss der schulischen Ausbildung habe der Kläger vergeblich versucht, den Sohn irgendwo unterzubringen. Mit den genannten Behinderungen habe er nicht die geringste Chance, eine Arbeit zu finden, geschweige denn eine Lehre zu absolvieren. Der Sohn verliere auch leicht die Orientierung, wenn er sich außerhalb seines normalen Lebensbereichs aufhalte.

    Das Gesundheitsamt des Kreises C habe empfohlen, den Sohn in einer Behindertenwerkstatt unterzubringen. Darum wolle sich der Kläger nun bemühen.

    Aufgrund der genannten, nicht behebbaren Behinderungen sei der Sohn nicht in der Lage, sich selbst zu unterhalten.

    Der Kläger hat folgende Unterlagen vorgelegt:

    • Ärztlicher Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin E vom 27. April 2007, gefertigt für den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (Bl. 28 FG-Akte). Dort heißt es, das Kind sei aufgrund verschiedener Erkrankungen in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit kardial, pulmonal und psychomotorisch „hochgradig eingeschränkt”. Hinzu komme eine Retardierung der geistigen Entwicklung. Hieraus resultierend sei er dauerhaft nicht in der Lage, eine sozialversicherungspflichtige Anstellung auf dem öffentlichen Arbeitsmarkt zu erlangen. Wegen der aufgeführten Erkrankungen wird auf den Befundbericht Bezug genommen (Bl. 28 FG-Akte).

    • Gutachten der Fachärztin für öffentliches Gesundheitswesen der Kreisverwaltung C F vom 30. Juli 2009 (Bl. 61-62 FG-Akte) in dem es heißt, der Sohn sei für den ersten Arbeitsmarkt ein „Grenzfall”. Er habe sicherlich Ressourcen, vor allem im handwerklichen Bereich, mit denen er „eine gewisse Leistung” erbringen könne. Bei der heutigen Arbeitsmarktsituation sei es aber leider „sehr unrealistisch” anzunehmen, dass er dauerhaft übernommen werde. Diese Einschätzung werde durch die Tatsache unterstützt, dass er schon etliche Fördermaßnahmen und Praktika durchlaufen hat, ohne dass er einen adäquaten Arbeitsplatz habe finden können. Sie empfehle den Kontakt zu einer Werkstatt für geistig und körperlich Behinderte (Werkstatt der Lebenshilfe), da sie wenig andere Chancen sehe und auch bereits die Pestalozzischule diese Werkstatt vorgeschlagen hatte.

    • Psychologisches Gutachten der Diplom-Psychologin G vom 26. Februar 2010 im Auftrag der Agentur für B (Bl. 70 FG-Akte). Dort ist ausgeführt, der Sohn sei mit den meisten der ihm im Rahmen der Untersuchung gestellten Aufgaben völlig überfordert gewesen. Schreiben und einfaches Rechnen beherrsche er nicht. Das Lesen sei ihm sehr schwer gefallen; er habe es sehr langsam und stockend getan, Selbstlaute verwechselt und den Inhalt nicht verstanden. Sprachliche Inhalte habe er sich nur außerordentlich schwer merken können; er habe praktisch nichts im Gedächtnis behalten können. Es seien lediglich leichte Begabungsansätze beim räumlichen Vorstellungsvermögen und logischen Denken feststellbar, wenn ihm viel Bearbeitungszeit zur Verfügung gestellt wird. Aus psychologischer Sicht werde die Aufnahme in eine Werkstatt für psychisch behinderte Menschen empfohlen.

    • Neurologisches Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie H vom 19. Mai 2010 (Bl. 84 FG-Akte). Dort ist ausgeführt, bei dem Sohn bestehe eine geistige Retardierung, wobei das Ausmaß der Retardierung dem Grenzfall einer geistigen Behinderung mit psychischer Beeinträchtigung entspreche. Sekundär habe sich eine Depression im Sinne einer Dysthymia eingestellt. Aus medizinischer Sicht sei eine Beschäftigungsmaßnahme in einer Einrichtung für psychisch Behinderte (Prospex) zu empfehlen.

    Auf die Nachfrage des Gerichts, für welchen Zeitraum genau das Kindergeld beantragt wird, erwiderte der Kläger, er habe seit Dezember 2004 bis heute kein Kindergeld mehr erhalten. Das Kindergeld werde jetzt „wenigstens” ab April 2008 gefordert, wenn es nicht sogar rückwirkend ab Dezember 2004 gefordert werden könne.

    Der Kläger beantragt,

    den Bescheid vom 1. Juli 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2009 aufzuheben und dem Kläger das ihm zustehende Kindergeld für den Sohn A zu bewilligen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie ist der Auffassung, der Kläger habe für den Zeitraum bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung im Januar 2009 nicht nachgewiesen, dass der Sohn aufgrund der Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. In dem Schwerbehinderten-Ausweis seien keine besonderen Merkzeichen, z.B. „H” für hilflos eingetragen. Auch sei der Sohn nicht in einer Werkstatt für Behinderte untergebracht. Nach der Stellungnahme der „Reha/SB-Stelle” sei er in der Lage, einer Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Wochenstunden nachzugehen. Nach Bl. 1 des Gutachtens von F (Bl. 61 FG-Akte) sei ein vollschichtiges Leistungsvermögen festgestellt worden. Die im Klageverfahren vorgelegten Gutachten seien nicht geeignet, die Ursächlichkeit der Behinderung für den fehlenden Lebensunterhalt für den streitigen Zeitraum April 2008 bis Januar 2009 nachzuweisen.

    Auf das Hinweisschreiben des Gerichts vom 23. März 2010 wird Bezug genommen (Bl. 72, 73 FG-Akte).

    Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

    Entscheidungsgründe

    Der Senat versteht den Klageantrag des Klägers dahin, dass die Festsetzung von Kindergeld ab Dezember 2004 (weitestgehender Antrag), hilfsweise ab April 2008 begehrt wird.

    Die so verstandene Klage ist teilweise begründet.

    Der Kläger hat dem Grunde nach Anspruch auf Kindergeld für den Sohn A nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG.

    Jedoch kann ihm dieser Anspruch aus verfahrensrechtlichen Gründen im vorliegenden Klageverfahren nur für den Zeitraum ab Februar 2007 zuerkannt werden.

    1. Für den aus verfahrensrechtlichen Gründen maßgebenden Beginn des Anspruchszeitraums sind folgende Rechtsgrundsätze zu beachten:

    Grundsätzlich ist ein Kindergeldantrag, der keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthält, seinem objektiven Inhalt nach dahin zu verstehen, dass die Kindergeldfestsetzung in den Grenzen der Festsetzungsfrist auch für die Vergangenheit begehrt wird (BFH-Urteil vom 28. Januar 2004 VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786). Im Streitfall enthielt der hier maßgebliche Kindergeldantrag des Klägers vom 8. April 2008 keine ausdrückliche zeitliche Beschränkung, so dass er sich theoretisch auf alle nicht verjährten Zeiträume (ab 2004) beziehen konnte.

    Allerdings ergibt sich verfahrensrechtlich eine zeitliche Beschränkung aus dem Umstand, dass die FK zuvor bereits mehrfach Kindergeldanträge des Klägers bestandskräftig abgelehnt hatte. Mit bestandskräftiger Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 2005 war der Antrag des Klägers auf Weiterzahlung des Kindergeldes über das 21. Lebensjahr des Kindes hinaus abgelehnt worden. Ferner hatte die FK den Antrag des Klägers vom 16. Dezember 2006 mit Bescheid vom 15. Januar 2007 abgelehnt und den dagegen erhobenen Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 29. November 2007 zurückgewiesen. Diese Einspruchsentscheidung wurde ebenfalls bestandskräftig.

    a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der sich der erkennende Senat anschließt, entfalten bestandskräftige Ablehnungsbescheide der FK Bindungswirkung, so dass über erneute Kindergeldanträge (hier Antrag des Klägers vom 8. April 2008) nur insoweit entschieden werden kann, als die vom Antrag umfassten Zeiträume nicht der Bindungswirkung des zuvor ergangenen Ablehnungsbescheids unterfallen. Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Bindungswirkung gilt nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH folgendes: Wird eine Kindergeldfestsetzung bestandskräftig abgelehnt, erstreckt sich die Bindungswirkung des entsprechenden Ablehnungsbescheides auf die Vergangenheit und auf die Zeit bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe (BFH-Urteile vom 25. Juli 2001 VI R 164/98, BStBl II 2002, 89; VI R 78/98, BStBl II 2002, 88 und vom 28. Januar 2004 VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786). Auf einen erneut gestellten Antrag kann demzufolge das Kindergeld zwar auch rückwirkend bewilligt werden, jedoch beschränkt auf den Zeitraum der mit dem Monat beginnt, der auf den zuvor ergangenen Ablehnungsbescheid folgt.

    Hierzu vertritt das FG Düsseldorf in seinem Urteil vom 7. März 2008 14 K 2266/06 KG, DStRE 2008, 1474 die Auffassung, dass dann, wenn ein Ablehnungsbescheid mit dem Einspruch angefochten und dieser bestandskräftig zurückgewiesen wird, sich der Zeitraum der Bindungswirkung des Ablehnungsbescheids bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung verlängert.

    Im Streitfall stellt sich daraus die Frage, ob der Ablehnungsbescheid der FK vom 15. Januar 2007 bis Ende Januar 2007 Bindungswirkung entfaltet, oder ob die Bindungswirkung auch den Zeitraum bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung im November 2007 umfasst.

    Die Rechtsfrage ist höchstrichterlich noch nicht geklärt (BFH-Beschluss vom 20. August 2009 III S 31/08 (PKH), BFH/NV 2009, 1987 – Revision ist nicht mehr anhängig).

    b) Der erkennende Senat folgt der Auffassung des FG Düsseldorf nicht, so dass im Streitfall die Bindungswirkung des Ablehnungsbescheids der FK vom 15. Januar 2007 sich für das vorliegende Klageverfahren auf den Zeitraum bis Januar 2007 beschränkt und dem Kläger auf seinen erneuten (hier maßgeblichen) Antrag vom 8. April 2008 das Kindergeld rückwirkend ab Februar 2007 gewährt werden kann.

    Zwar ist es zutreffend, wie das FG Düsseldorf ausführt, dass die Behörde im Rahmen eines Einspruchsverfahrens nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO den Sachverhalt in vollem Umfang erneut überprüft. Wird die Einspruchsentscheidung mit der Klage angefochten, so ist nach § 44 Abs. 2 FGO der ursprüngliche Verwaltungsakt in Gestalt der Einspruchsentscheidung Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung. In der Praxis der Finanzgerichte werden negative Kindergeldbescheide bis zum Monat des letzten Verwaltungshandelns, also bis zum Monat der Einspruchsentscheidung überprüft (Anm. Selder zum BFH-Urteil vom 26. November 2009 III R 87/07, jurisPR-SteuerR 15/2010). Dies erklärt sich daraus, dass das Kindergeld grundsätzlich jeweils für einzelne Monate festgesetzt wird (§ 31 Satz 3, § 66 Abs. 2 EStG). Es handelt sich zwar um einen begünstigenden Dauerverwaltungsakt; die Voraussetzungen des Kindergeldes sind aber für jeden einzelnen Monat zu überprüfen. Der Dauerverwaltungsakt umfasst also monatliche Einzelregelungen. Daraus folgt, dass es nach Auffassung zahlreicher Finanzgerichte für Kindergeldmonate, die zeitlich nach Ergehen der Einspruchsentscheidung liegen, an der Durchführung des Vorverfahrens im Sinne des § 44 Abs. 1 FGO fehlt (vgl. u.a. FG Düsseldorf vom 23. Januar 2007 10 K 5107/05 Kg, EFG 2007, 600; Sächsisches FG vom 2. Februar 2009 2 K 2215/07 Kg, Niedersächsisches FG vom 11. September 2009 9 K 259/06, EFG 2010, 225; FG Brandenburg vom 15. Dezember 2009 10 K 10249 B).

    Aus dieser von den Gerichten praktizierten Begrenzung des Streitprogramms für den Kindergeldanspruch zum Ende hin folgt aber nicht zugleich, dass auch der Beginn des zu prüfenden Anspruchszeitraums hinausgeschoben wird, wenn zuvor bereits einmal ein Kindergeldantrag abgelehnt und diese Ablehnung erfolglos mit einem Einspruch angefochten wurde.

    Denn es gilt der Grundsatz, dass einem ablehnenden Kindergeldbescheid grundsätzlich keine in die Zukunft weisende Bindungswirkung zukommt. Bindungswirkung für die Zukunft haben nach der gesetzlichen Konzeption des § 70 Abs. 1 – 3 EStG grundsätzlich nur positive Kindergeldfestsetzungen (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 164/98, BStBl II 2002, 89).

    Der Umfang der Bindungswirkung eines Verwaltungsakts muss sich aus seinem Regelungsgehalt erkennen lassen. Der versagende Bescheid erschöpft sich jedoch in der Regelung für die Vergangenheit auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderteilung für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum (BFH in BStBl II 2002, 89). Daran ändert sich nach Auffassung des Senats auch durch ein späteres erfolgloses Einspruchsverfahren nichts. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die FK in der Einspruchsentscheidung erkennbar weitere belastende Regelungen treffen will und dies auch zum Ausdruck bringt (so auch Reuß in Anmerkung EFG 2010, 228), was im Streitfall in der Einspruchsentscheidung vom 29. November 2007 nicht geschehen ist.

    Für eine Begrenzung der Bindungswirkung eines bestandskräftigen Ablehnungsbescheids auf den Zeitraum bis zum Monat seiner Bekanntgabe spricht auch, dass es ansonsten zu einer Benachteiligung derjenigen Kindergeldberechtigten kommen würde, die nur Anspruch auf Kindergeld haben, gegenüber denjenigen Eltern, die alternativ im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung einen Kinderfreibetrag beanspruchen können. Denn im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung ist die Gewährung eines Kinderfreibetrages auch dann noch nachträglich möglich, wenn zuvor das Kindergeld bestandskräftig abgelehnt worden war. Damit wäre es nicht vereinbar, einem Kindergeldberechtigten, bei dem sich der Kinderfreibetrag steuerlich nicht auswirkt, einen rückwirkenden Kindergeldanspruch aus verfahrensrechtlichen Gründen in einem mehr als notwendigen Umfang zu versagen. Auch hieraus folgt, dass eine weitergehende Bindungswirkung des bestandskräftigen Ablehnungsbescheids bis zum Zeitpunkts des Ergehens der Einspruchsentscheidung nur dann gerechtfertigt ist, wenn diese Rechtsfolge aus der Einspruchsentscheidung selbst deutlich hervorgeht und für den Kindergeldberechtigten unzweifelhaft erkennbar ist, was vorliegend nicht der Fall ist.

    Hinzu kommt, dass der Zeitpunkt des Ergehens einer Einspruchsentscheidung oftmals von Zufällen abhängt (wie z.B. Arbeitsbelastung des Sachbearbeiters o.ä.). Der Senat ist daher der Auffassung, dass sich im Streitfall der Zeitraum der Bindungswirkung des bestandkräftigen Ablehnungsbescheids vom 15. Januar 2007 nicht bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung im November 2007 verlängert hat.

    2. Für den Zeitraum ab Februar 2007 steht dem Kläger das Kindergeld materiell rechtlich zu, weil der Sohn des Klägers wegen seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG).

    a) Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Kind dann außerstande sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten kann. Der Lebensbedarf eines behinderten Kindes setzt sich zusammen aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf. Der Grundbedarf ist mit dem am Existenzminimum ausgerichteten Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (bis VZ 2009: 7.680,00 Euro) zu bemessen. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf kann, wenn kein Einzelnachweis erfolgt, mit dem nach § 33 b Abs. 1-3 EStG maßgebenden Behinderten-Pauschbetrag angesetzt werden (BFH-Urteil vom 19. November 2008 III R 105/07, BFH/NV 2009, 638).

    Entsprechend dem Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz Nr. 3 EStG führt eine Behinderung des Kindes nur dann zu einem Kindergeldanspruch der Eltern, wenn sie ursächlich für die Unfähigkeit des Kindes ist, seinen Lebensbedarf durch eigene Erwerbstätigkeit selbst zu bestreiten. Eine Ursächlichkeit kann angenommen werden, wenn im Schwerbehinderten-Ausweis das Merkmal „H” (hilflos) eingetragen ist oder wenn der Grad der Behinderung (GdB) 50 und mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint. Dabei muss die Behinderung nicht die alleinige Ursache für die fehlende eigene Fähigkeit des Kindes zur Unterhaltssicherung sein. Vielmehr genügt eine mit Ursächlichkeit, die allerdings erheblich sein muss (BFH-Urteile vom 19. November 2008 III R 105/07, BFH/NV 2009, 638; vom 28. Mai 2009 III R 16/07, BFH/NV 2009, 1639 und vom 28. Mai 2009 III R 72/06, BFH/NV 2009, 1975).

    Ob die Behinderung in erheblichem Umfang mit ursächlich ist, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (BFH-Urteile vom 19. November 2008 III R 105/07, BFH/NV 2009, 638; vom 28. Mai 2009 III R 16/07, BFH/NV 2009, 1639 und vom 28. Mai 2009 III R 72/06, BFH/NV 2009, 1975).

    Dabei kommt dem GdB eine wichtige indizielle Bedeutung zu. Je höher der GdB ist, desto stärker wird die Vermutung, dass die Behinderung der erhebliche Grund für die fehlende Erwerbstätigkeit ist. Dagegen spricht ein GdB unter 50 eher gegen eine Kausalität der Behinderung (BFH-Urteil vom 19. November 2008 III R 105/07, BFH/NV 2009, 638).

    Ein weiteres Indiz für die Fähigkeit des behinderten Kindes zum Selbstunterhalt kann die Feststellung in ärztlichen Gutachten, z.B. von der „Reha/SB-Stelle” der Agentur für Arbeit sein, das Kind sei nach Art und Umfang seiner Behinderung in der Lage, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes auszuüben. Alleine die theoretische Möglichkeit, das Kind am allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln, ist aber nicht ausreichend, die Mitursächlichkeit der Behinderung auszuschließen. Entscheidend ist die konkrete Bewertung der jeweiligen Situation des behinderten Kindes (BFH-Urteil vom 19. November 2008 III R 105/07, BFH/NV 2009, 638 vom 28. Mai 2009 III R 16/07, BFH/NV 2009, 1639).

    Ferner kann eine nicht behinderungsspezifische Berufsausbildung als Indiz für die Vermittelbarkeit des Kindes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sprechen. Behinderungsspezifische Ausbildungen und Praktika sprechen dagegen eher gegen eine Vermittelbarkeit, da sie den Schluss auf nur bedingte Einsatzmöglichkeiten am Arbeitsmarkt zulassen (BFH-Urteil vom 19. November 2008 III R 105/07, BFH/NV 2009, 638).

    Steht das behinderte Kind der Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit zur Verfügung und kann diese in einem mittelfristigen Zeitraum keine Stellenangebote benennen, wird dies in der Regel gegen die Vermittelbarkeit des behinderten Kindes und damit für eine Ursächlichkeit der Behinderung sprechen (BFH-Urteil vom 19. November 2008 III R 105/07, BFH/NV 2009, 638).

    Ist eine erhebliche Mitursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes, sich selbst zu unterhalten, nicht feststellbar, kann gleichwohl ein Anspruch auf Kindergeld bestehen, wenn die Einkünfte, die das Kind aus einer trotz der Behinderung möglichen Erwerbstätigkeit erzielen könnte, nicht ausreichen würden, den gesamten Lebensbedarf einschließlich des behinderungsbedingten Mehrbedarfs zu decken (BFH-Urteil vom 22. Oktober 2009 III R 50/07, BFH/NV 2010, 716).

    b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Senat davon überzeugt, dass die Behinderung des Kindes des Klägers in erheblichem Umfang mitursächlich für dessen Unfähigkeit ist, sich selbst zu unterhalten.

    Der Grad der Behinderung beträgt 70, also jedenfalls mehr als 50.

    Das Kind hat keine abgeschlossene Berufsausbildung, es erhielt vielmehr seit seinem 17. Lebensjahr (Sept. 2001 bis August 2003) Leistungen zur beruflichen Eingliederung Behinderter und stand anschließend nahezu 4 Jahre (Sept. 2003 bis August 2007) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, ohne dass der Sohn auf dem Arbeitsmarkt vermittelt werden konnte, auch nicht für einfachste ungelernte Tätigkeiten wie Gartenbauhelfer oder Verpacker. Selbst verschiedene Fördermaßnahmen und Praktika konnten hieran nichts ändern. Ihm wurde schon nach Abschluss der Schullaufbahn (Pestalozzischule) und nochmals im Mai 2007 sowie im Juli 2009, Februar 2010 und Mai 2010 die Eingliederung in eine Werkstatt für Behinderte empfohlen. Daraus ist zu schließen, dass er wegen seiner Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vermittelbar ist. Denn die Werkstatt für Behinderte ist eine Einrichtung gerade für solche Menschen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht beschäftigt werden können (§ 136 SGB IX).

    Der ärztliche Befundbericht des Facharztes E vom 27. April 2007 attestiert, dass der Sohn aufgrund seiner hochgradigen gesundheitlichen Einschränkungen und der Retardierung seiner geistigen Entwicklung nicht in der Lage ist, eine sozialversicherungspflichtige Anstellung auf dem öffentlichen Arbeitsmarkt zu erlangen. Auch die Fachärztin für öffentliches Gesundheitswesen der Kreisverwaltung C hält es in ihrem Gutachten vom 20. Juli 2009 trotz gewisser Ressourcen des Kindes im handwerklichen Bereich für „sehr unrealistisch” anzunehmen, das Kind könne dauerhaft in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernommen werden. Die Diplom-Psychologin G hat ausweislich ihres Gutachtens vom 26. Februar 2010 leichte Begabungsansätze beim räumlichen Vorstellungsvermögen und logischen Denken festgestellt, im übrigen aber eindrucksvoll die völlige Überforderung des Kindes im Bereich Schreiben, Rechnen, Lesen, Merkfähigkeit und Verständnis sprachlicher Inhalte geschildert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch für einfachste Tätigkeiten auf dem regulären Arbeitsmarkt das Verstehen und Behaltenkönnen sprachlicher Anweisungen und Erklärungen gefordert wird. Hieraus schließt der Senat, dass die körperlichen und geistigen Leistungseinschränkungen des Kindes trotz abstrakter Arbeitsfähigkeit die Vermittlungschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erheblich einschränken und daher im erheblichen Maße zumindest mitursächlich sind für die Unfähigkeit des Kindes, sich selbst zu unterhalten.

    c) Hieran ändert auch die Feststellung der „Reha/SB-Stelle” der Arbeitsagentur vom 4. Dezember 2008 (Bl. 217 KG-Akte) nichts, das Kind sei in der Lage, eine arbeitsversicherungspflichtige mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, aufgrund welcher tatsächlicher Feststellungen diese Schlussfolgerung gezogen wurde, reicht – wie bereits ausgeführt – die theoretische Möglichkeit des Kindes, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, nicht aus. Es muss auch eine konkrete Vermittelbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt werden können, woran es vorliegend angesichts der vergeblichen Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur über einen Zeitraum von 4 Jahren mangelt. Hinzu kommt, dass nach Auffassung des Senats eine zeitlich auf 15 Stunden pro Woche beschränkte Erwerbstätigkeit des Kindes nicht ausreichen würde, seinen Lebensbedarf zu decken. Denn für die in Betracht kommenden einfachsten schematischen Arbeiten wie Gartenbauhelfer oder Verpacker wird kaum mehr als der Mindestlohn bzw. ein Entgelt im Rahmen der untersten Lohngruppe erzielt. Nach dem Tarifvertrag mit dem Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e.V. und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Regionalbüro Nordrhein-Westfalen (gültig bis 31.12.2010) liegt der Stundenlohn für Gartenbauhelfer in der untersten Lohngruppe bei 8,32 Euro brutto ( www.tarifregister-nrw.de). Für Verpacker werden in NRW bei vollschichtiger Tätigkeit Bruttolöhne zwischen 900,00 Euro und 1.800,00 Euro, durchschnittlich 1.433,00 Euro gezahlt ( www.gehaltvergleich.com/gehalt/verpacker; Gehaltstabelle Bundesland/Nordrhein-Westfalen), was einem durchschnittlichen Stundenlohn von 8,95 Euro entspricht. Bei einer Tätigkeit von 15 Stunden pro Woche könnte das Kind also einen Bruttolohn zwischen 499,00 Euro und 537,00 Euro monatlich bzw. 5.988,00 Euro und 6.444,00 Euro jährlich erzielen. Aufs Jahr gesehen würden die Einkünfte den Jahresgrenzbetrag von 7.680,00 Euro, also das Existenzminimum, zuzüglich des behinderungsbedingten Mehrbedarfs von 890,00 Euro (§ 33 b Abs. 3 EStG) nicht erreichen. Bei einer Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte könnte das Kind im übrigen nach den Auskünften des Landschaftsverbands Rheinland als finanzieller Träger solcher Maßnahmen einen Lohn von nur rund 190,00 Euro monatlich erzielen ( www.lvr.de).

    Zwar geht aus dem Gutachten der Fachärztin für öffentliches Gesundheitswesen F vom 30. Juli 2009 hervor, dass diese von einer vollschichtigen Arbeitsfähigkeit des Kindes ausgegangen ist (Bl. 61 FG-Akte). Da jedoch auch hier nicht ersichtlich ist, auf welchen tatsächlichen Umständen diese im Ankreuzverfahren getroffene Feststellung beruht, im übrigen auf Seite 2 des Gutachtens (Bl. 62 FG-Akte) von nicht näher spezifizierten Einschränkungen des Leistungsbildes die Rede ist und gerade Frau F die Vermittlungsfähigkeit des Kindes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als „sehr unrealistisch” bezeichnet, misst der Senat dieser theoretischen Aussage zur vollschichtigen Arbeitsfähigkeit keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

    d) Ebenfalls nicht ausschlaggebend ist im Streitfall, dass die im Klageverfahren vorgelegten ärztlichen Berichte vom Datum her nach Erlass der hier angegriffenen Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2009 erstellt wurden. Denn die Gutachten beschreiben offensichtlich ein Leistungsbild des Kindes, das auch schon in dem hier streitigen Zeitraum vor Erlass der Einspruchsentscheidung vorgelegen hat. Der Schwerbehinderten-Ausweis des Kindes ist seit November 2001 gültig. Öffentliche Eingliederungsbeihilfen für Behinderte und weitere Fördermaßnahmen sowie die vergeblichen Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur erfolgten im Zeitraum September 2001 bis August 2007. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich in dem nachfolgenden Zeitraum der Zustand des Kindes entscheidend verbessert und erst nach Erlass der Einspruchsentscheidung wieder verschlechtert haben könnte.

    3. Da die Beklagte von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, sind der hier angefochtene Ablehnungsbescheid vom 1. Juli 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2009 aufzuheben. Die Beklagte wird verpflichtet unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zur Frage der erheblichen Miturächlichkeit der Behinderung des Kindes für dessen Unfähigkeit sich selbst zu unterhalten sowie zur Frage der zeitlichen Bindungswirkung des Ablehnungsbescheids vom 15. Januar 2007 erneut über den nunmehr wieder offenen Antrag des Klägers vom 8. April 2008 zu entscheiden, bezogen auf den Zeitraum ab Februar 2007.

    Entgegen dem Antrag des Klägers kann der Senat das Kindergeld nicht nach § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO selbst festsetzen, denn bei einer Klage gegen einen Bescheid, mit dem die Festsetzung von Kindergeld abgelehnt wurde, handelt es sich nicht um eine Anfechtungsklage, sondern um eine Verpflichtungsklage.

    Bei einer Verpflichtungsklage kann das Gericht nach § 101 Satz 1 FGO die Behörde verpflichten, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen, wenn die Sache spruchreif ist. Anderenfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (Bescheidungsurteil). Der Senat macht von dieser zuletzt genannten Möglichkeit Gebrauch, da die Sache nicht spruchreif ist. Denn abgesehen von der erheblichen Mitursächlichkeit der Behinderung des Kindes sind die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG von der Beklagten bislang nicht festgestellt worden. Nach der Rechtsprechung des BFH ist das Finanzgericht nicht in jedem Fall verpflichtet, die Sache zur Spruchreife zu bringen. Aufgabe des Gerichts ist es vielmehr das bisher Geschehene bzw. Unterlassene auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht jedoch, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktionen auszuüben. Es hat daher nur die Pflicht, den Sachverhalt bis zur Entscheidungsreife für den Erlass eines Bescheidungsurteils aufzuklären (vgl. BFH-Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04, BStBl II 2006, 184).

    4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. Satz 1 FGO. Dem Kläger werden die Kosten zur Hälfte auferlegt, weil er gemessen an seinem Klageantrag nur teilweise obsiegt und weil er entscheidungserhebliche Unterlagen zur Ursächlichkeit der Behinderung des Sohnes erst im Klageverfahren vorgelegt hat, seiner Mitwirkungspflicht im Vorverfahren also nicht in dem erforderlichen Umfang nachgekommen ist.

    5. Die Revision wird zugelassen im Hinblick auf die höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage der zeitlichen Bindungswirkung eines bestandskräftigen Ablehnungsbescheids (vgl. BFH-Beschluss vom 20. August 2009 III S 31/08 (PKH), BFH/NV 2009, 1987).

    VorschriftenEStG § 63 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Satz 2, EStG § 32 Abs 4 Satz 1 Nr 3, EStG § 70, EStG § 62 Abs 1 Nr 1