17.02.2011
Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 26.05.2010 – 3 K 323/09
1. Der aus der Insolvenz einer GmbH entstandene Auflösungsverlust gem. § 17 Abs. 4 EStG unterliegt, nach dem zu keiner Zeit offene oder verdeckte Ausschüttungen erfolgt sind, auch dann nicht dem Halbabzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG, wenn nachträglich aus der Veräußerung der GmbH-Anteile verlustmindernde Einkünfte erzielt werden.
2. Veräußert der Insolvenzverwalter einer GmbH noch im Jahr der Eröffnung des Insolvenzverfahrens den gesamten Geschäftsbetrieb der GmbH auf einen Betriebserwerber, so dass die Geschäftsanteile der GmbH, die nur noch als sog. Hülle ohne eigenes Anlage- und Umlaufvermögen anzusehen ist, wertlos sind, ist der Auflösungsverlust gem. § 17 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 EStG bereits in diesem Jahr entstanden.
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 3. Senat, … aufgrund der mündlichen Verhandlung am26. Mai 2010 unter Mitwirkung des Präsidenten des Finanzgerichts … als Vorsitzenden, des Richters am Finanzgericht … und … des Richters am Amtsgericht … sowie … der ehrenamtlichen Richterinnen … und des ehrenamtlichen Richters …
für Recht erkannt:
Abweichend vom Einkommensteuerbescheid 2006 vom 21. Februar 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05. August 2009 wird die Einkommensteuer dahingehend festgesetzt, dass ein Veräußerungsverbot i.H.v. Euro und Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.H.v. 0,00 Euro angesetzt werden.
Die Kosten des Verfahrens tragen zu 1/3 die Kläger und zu 2/3 der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert beträgt … Euro.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist (1.) der Zeitpunkt der Entstehung eines Auflösungsverlustes nach § 17 Einkommensteuergesetz (EStG) und (2.) der Zufluss von Einkünften aus selbständiger Arbeit i. S. v. § 18 EStG streitig.
Die Kläger sind verheiratet und wurden im Streitjahr zusammenveranlagt.
Die Klägerin überwies am 07. Mai 1993 einen Betrag i. H. v. … DM an die Mitarbeiter-Beteiligungsgesellschaft bürgerlichen Rechts der KGW Schweriner Maschinenbau GmbH (im Folgenden GbR), deren Mitglied Nr. … sie war.
Die Klägerin erwarb durch notariellen Geschäftsanteilsübertragungsvertrag am 23. Dezember 1998 (Urkunden-Nr. …/19 der Notarin …) zwei Geschäftsanteile i. H. v. insgesamt … DM zum Kaufpreis von … DM an der KGW Schweriner Maschinenbau Abwicklungsgesellschaft mbH i. L. (im Folgenden GmbH), eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Schwerin unter HRB …. Durch weiteren notariellen Geschäftsanteilsübertragungsvertrag am 15. Juni 2000 (Urkunden-Nr. …/20 der Notarin …) erwarb die Klägerin einen weiteren Geschäftsanteil an der GmbH im Nominalwert von … DM zum Kaufpreis von … DM.
Durch weiteren notariellen Geschäftsanteilsübertragungsvertrag vom 18. September 2000 (Urkunden-Nr. …/20 der Notarin H.) erwarb die Klägerin einen Geschäftsanteil an der GmbH i. H. v. … DM von der GbR ohne die Zahlung eines weiteren Kaufpreises.
Nach der durch Gesellschafterbeschluss vom 20. November 2001 beschlossenen Währungsumstellung und Glättung der Nominalhöhe des Stammkapitals der GmbH betrug der Anteil der Klägerin daran … EUR entsprechend 49,8 %.
Für die Anteilserwerbe hatte die Klägerin Notargebühren in einer Gesamthöhe von … DM zu entrichten.
Durch Vertrag vom 21. Mai 1999 beteiligte sich die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern mbH (im Folgenden M.) mit … DM an der GmbH als stille Gesellschafterin. Gemäß § 5 des Vertrages nahm die M. mit ihrer Einlage am Verlust der GmbH nur im Falle der Insolvenz teil. Gemäß § 9 Abs. 1 des Vertrages garantierte die Klägerin der M. durch Mitunterzeichnung dieses Vertrages, dass von der Einlage … DM darauf entfallendes rückständiges Beteiligungsentgelt und das Agio nach Auflösung der stillen Gesellschaft von der Klägerin an die M. bezahlt wird. Dieser Vertrag gelangte am 13. Dezember 2002 durch Rückzahlung der Beteiligungsmittel durch die GmbH zur Erledigung.
Auf den Eigenantrag der GmbH vom 18. September 2006 eröffnete das Amtsgericht Schwerin durch Beschluss vom 01. November 2006 in dem Verfahren 584 IN 101/06 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH und bestellte Herrn Rechtsanwalt zum Insolvenzverwalter. Das Insolvenzverfahren dauert an.
Durch notariellen Geschäftsanteilskaufvertrag vom 27. Dezember 2007 (Urkunden-Nr. …/20 des Notars Biermann-Ratjen) veräußerte die Klägerin ihre Geschäftsanteile an der GmbH zum Kaufpreis von … EUR an Herrn J. W. und die W. G.. Durch Nachtrag vom 29. Februar 2008 (Urkunden-Nr. …/20 des Notars Biermann-Ratjen) veränderten die Vertragsparteien der Urkunden-Nr. …/20 die Vereinbarung dahin, dass es sich bei dem in jener Urkunde genannten Kaufpreis um einen Mindestkaufpreis handeln solle. Ansonsten verpflichteten sich die Käufer als Kaufpreis gesamtschuldnerisch der Klägerin einen Geldbetrag in Höhe von einem Viertel des noch festzustellenden Vermögenswertes der GmbH (Substanzwert) zu zahlen. Als Vermögenswert wurde der Verkehrswert des Unternehmens unter Einbeziehung der stillen Reserven vereinbart. Als Stichtag wurde der 31. Dezember 2008 vereinbart. Darüberhinaus vereinbarten die Vertragsparteien, dass im Falle des Beschlusses der Gläubigerversammlung der GmbH über die Fortführung des Unternehmens der GmbH gemäß § 157 Insolvenzordnung (InsO) die Käufer die Wahl hätten, den ermittelten Kaufpreis oder aber einen Pauschalkaufpreis von … EUR an die Klägerin zu zahlen. Gemäß Ziffer 3 der Urkunde erklärte die Klägerin, dass diese Vereinbarung eine Modifikation des Geschäftsanteilskaufvertrages vom 27. Dezember 2007 im Sinne ihrer Rücktrittserklärung vom 30. Januar 2008 darstelle. Die Klägerin erhielt am 26. März 2008 von der W. G. … EUR.
Mit Schreiben vom 14. März 2007 teilte der Insolvenzverwalter der G. der Klägerin mit, dass die zu erwartende Insolvenzmasse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht hinreichend sein werde, um im Rahmen der insolvenzrechtlichen Verteilung Zahlungen an die Gesellschafter vornehmen zu können. Unter dieser Prämisse schätze er die Gesellschaftsanteile der Klägerin an der G. als nicht werthaltig ein. Mit Schreiben vom 30. Juli 2008 an den Beklagten teilte der Insolvenzverwalter der G. mit, dass er die von diesem angemeldete Forderung anerkenne. Im Übrigen teilte er hinsichtlich der Quotenaussichten der unbesicherten Insolvenzgläubiger mit, dass auf diese aller Wahrscheinlichkeit nach bestenfalls eine ganz geringe Quote entfallen werde. Mit Schreiben vom 23. März 2010 an das Gericht teilte der Insolvenzverwalter mit, dass der gesamte Geschäftsbetrieb der G. auf einen Betriebserwerber übertragen worden sei.
Die Klägerin hatte gegenüber der GmbH aufgrund eines Dienstleistungsvertrages vom 23. März 2005 Dienstleistungen erbracht. Entsprechend der vertraglichen Vereinbarung sollte die Klägerin hierfür eine monatliche Vergütung i. H. v. … EUR/je Monat erhalten. Diese vertraglich vereinbarte Vergütung wurde von der GmbH über einen längeren Zeitraum nicht entrichtet und die Klägerin erklärte im Jahre 2006 gegenüber der G. in Höhe eines Betrages von … EUR im Hinblick auf ein Darlehen, welches sie der GmbH schuldete, die Aufrechnung. Die Rechtmäßigkeit dieser Aufrechnungserklärung war Gegenstand des Rechtsstreites vor dem Landgericht Schwerin zum Geschäftszeichen 3 O 151/09 zwischen dem Insolvenzverwalter der G. und der Klägerin, der durch gerichtlichen Vergleich vom 19. November 2009 beendet wurde. Danach verpflichtete sich die Klägerin an den Insolvenzverwalter bis zum 31. Mai 2010 … EUR zu zahlen und der in dem dortigen Rechtsstreit Beklagte verpflichtete sich zum Erlass der Restschuld.
Am 13. September 2007 ging die Einkommensteuererklärung der Kläger für das Streitjahr beim Beklagten ein. Darin erklärte die Klägerin bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit ein Beratungshonorar i. H. v. … EUR. Bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb erklärte die Klägerin einen Veräußerungsverlust gemäß § 17 EStG i. H. v. … EUR.
Hinsichtlich der Berechnung dieses Veräußerungsverlustes machte die Klägerin neben den Kaufpreisen für die Gesellschaftsanteile an der GmbH sowie den Anschaffungsnebenkosten hierfür den an die GbR am 07. Mai 1993 gezahlten Betrag i. H. v. … DM sowie den Betrag i. H. v. … DM für die gegenüber der MBMV übernommene Garantie geltend. Darüberhinaus legte sie der Steuererklärung das Schreiben des Insolvenzverwalters der GmbH vom 14. März 2007 bei.
Durch Bescheid vom 21. Februar 2008 für 2006 über Einkommensteuer setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf … EUR fest. Dabei berücksichtigte er den geltend gemachten Veräußerungsverlust nicht, weil die Klägerin trotz mehrfacher Erinnerung keine weiteren Unterlagen über die geltend gemachten Verluste vorgelegt hätten.
Mit Schreiben vom 25. März 2008 legten die Kläger Einspruch ein. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit irrtümlich ein Betrag von … EUR erklärt worden sei. Tatsächlich habe sie wegen der Insolvenz der G. im Herbst 2006 und der vorherigen schlechten Liquiditätslage der GmbH nur einen Betrag i. H. v. … EUR durch Aufrechnung erhalten. Der Differenzbetrag i. H. v. … EUR sei ihr nicht zugeflossen. Darüberhinaus legten die Kläger das Schreiben des Insolvenzverwalters sowie dessen Bericht zum Berichts- und Prüftermin vom 15. Januar 2007 vor und führten ergänzend aus, dass bereits bei Insolvenzeröffnung im Jahre 2006 festgestanden habe, dass die Gesellschaftsanteile der Klägerin an der G. völlig wertlos seien. Mit einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse sei nicht mehr zu rechnen gewesen. Der Geschäftsanteilsübertragungsvertrag aus Dezember 2007 bzw. Februar 2008 sei bisher trotz mehrfacher Bemühungen nicht durchgeführt worden. Der mögliche Erlös von … EUR sei nur im Falle einer Unternehmensfortführung durch Beschluss der Gläubigerversammlung zahlbar und somit eher unwahrscheinlich. Es habe im Übrigen von Anfang an festgestanden, dass es bei der G. im Insolvenzverfahren nicht zu einer Auskehrung von Restvermögen an die Gesellschafter kommen werde. Selbst wenn damit noch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01. November 2006 zu rechnen gewesen sei, habe die Möglichkeit einer Auskehrung von Restvermögen spätestens mit dem Verkauf sämtlichen Betriebsvermögens durch den Insolvenzverwalter am 01. Februar 2006 nicht mehr bestanden. Der bisher nicht wirksam zustande gekommende Geschäftsanteilsübertragungsvertrag ändere daran nichts.
Die erklärten Einkünfte aus selbständiger Arbeit seien im Streitjahr nicht zugeflossen. Sie, die Kläger, seien zwar ursprünglich von einer anteiligen Verrechnung ausgegangen, die aber aufgrund der zwischenzeitlichen Insolvenz der G. tatsächlich nicht erfolgt sei.
Mit Einspruchsentscheidung vom 05. August 2009 setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf … EUR herab und wies im Übrigen den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit der Klägerin sei ein Betrag i. H. v. … EUR und nicht der Betrag von … EUR der Besteuerung zugrunde zu legen. Dieser Betrag sei der Klägerin durch Verrechnung zugeflossen. Im Streitjahr 2006 sei nicht zu berücksichtigen, dass die Klägerin das für ihre Tätigkeit empfangene Honorar gegebenenfalls ganz oder teilweise an den Insolvenzverwalter wieder zurückzahlen müsse. Dieser Vorgang wirke sich gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG erst in späteren Veranlagungszeiträumen aus.
Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb nach § 17 Abs. 1 und 4 EStG würde auch der Verlust aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft gehören. Ein solcher Verlust sei bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens regelmäßig erst bei Abschluss der Verfahren zu realisieren. Ausnahmsweise könne ein Verlust jedoch früher berücksichtigt werden, wenn der Verlust sicher feststehe. Insbesondere dann, wenn aufgrund des Inventars und der Insolvenzeröffnungsbilanz ohne weitere Ermittlung mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen sei, dass das Vermögen der Gesellschaft zu Liquidationswerten die Schulden nicht mehr decken werde. Im Streitfall sei der Geschäftsbetrieb der GmbH mit dem gesamten betriebsnotwendigen Anlagevermögen durch Vertrag vom 01. Dezember 2006 vom Insolvenzverwalter an einen neuen Investor veräußert und übergeben worden. Danach habe zwar der Insolvenzverwalter der Klägerin bestätigt, dass ihre Gesellschaftsanteile wertlos seien. Jedoch habe die Klägerin aufgrund des Geschäftsanteilsübertragungsvertrages vom 27. Dezember 2007 und dem ergänzenden Nachtrag vom 29. Februar 2008 noch mit Zahlungen aus der Veräußerung ihrer Anteile zu rechnen. Insoweit stehe im Streitjahr 2006 die Höhe des Auflösungsverlustes noch nicht fest und könne dementsprechend auch keine steuerliche Berücksichtigung finden.
Die Kläger haben am 09. September 2009 hiergegen Klage erhoben und tragen zur Begründung ergänzend zu ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren vor, dass mit Erlösen der möglichen Anteilsveräußerung bei der Klägerin nicht habe gerechnet werden können. Der Vertrag vom 27. Dezember 2007 in der Fassung vom 29. Februar 2008 sei bis zum heutigen Tage noch immer schwebend unwirksam und damit letztlich rechtlich nicht existent. Es sei zu keiner Veräußerung des Gesellschaftsanteils gekommen und es sei auch sehr unwahrscheinlich, dass dieser Vertrag jemals durchgeführt werde. Insbesondere sei der Vertrag bisher nicht von allen Vertragsbeteiligten rechtswirksam unterschrieben worden.
Darüberhinaus weisen die Kläger darauf hin, dass der Veräußerungsverlust in der beantragten Höhe und nicht nur zur Hälfte zu berücksichtigen sei. Das Abzugsverfahren gemäß § 3 c EStG sei verfassungswidrig, insoweit würden sie auf das beim Bundesverfassungsgericht unter dem Aktenzeichen 2 BvR 2659/07 anhängige Verfahren verweisen.
Wie sich aus dem Verfahren 3 O 151/09 vor dem Landgericht Schwerin ergebe, bestreite der Insolvenzverwalter der GmbH, dass es bezüglich der Forderungen der Klägerin aus dem Dienstleistungsvertrag in Höhe eines Betrages von … EUR zu einer wirksamen Aufrechnung gekommen sei. Die Klägerin habe sich zwischenzeitlich mit dem Insolvenzverwalter verglichen und an diesen … EUR zum Ausgleich ihrer Verbindlichkeiten gezahlt. Den restlichen Betrag ihrer Forderung aus dem Beratungsvertrag habe sie zur Insolvenztabelle der GmbH angemeldet.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
abweichend von dem Bescheid für 2006 über Einkommensteuer vom 21. Februar 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05. August 2009 die Einkommensteuer 2006 unter Berücksichtigung eines Veräußerungsverlustes i.H.v. … EUR und Einkünften aus selbständiger Arbeit i.H.v. 0,00 EUR festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Einkommensteuer entsprechend dem klägerischen Antrag vorzunehmen, hierbei … jedoch die Regelung über das Halbeinkünfteverfahren anzuwenden.
Ergänzend zu seiner Einspruchsentscheidung führt der Beklagte aus, dass im Streitfall die Ermittlung des Veräußerungsverlustes im Streitjahr 2006 nicht möglich sei, weil die Klägerin aufgrund des Geschäftsanteilsübertragungsvertrages mit einem erzielbaren Erlös für ihre Geschäftsanteile habe rechnen können. Unabhängig davon, dass der Auflösungsverlust im Streitjahr 2006 dem Grunde nach nicht anzuerkennen sei, seien die bisher geltend gemachten Aufwendungen i. H. v. … EUR um den Betrag von … EUR zu kürzen, da es sich hierbei nicht um nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung handele.
Der Hinweis der Klägerin auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 19. November 2009 des bei dem Landgericht Schwerin unter dem Aktenzeichen 3 O 151/09 anhängigen Verfahren führe zu einer anderen Beurteilung. Der Beklagte gehe nunmehr davon aus, dass die Klägerin im Streitjahr kein Beratungshonorar versteuern müsse.
Dem Gericht lagen je 1 Band Einkommensteuer-, Rechtsbehelf- und Dauerbelegakten betreffend die Kläger sowie die Verfahrensakte 3 V 77/09 vor.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist teilweise begründet. Der angegriffene Bescheid ist hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit vollständig und hinsichtlich des von der Klägerin geltend gemachten Auflösungsverlustes gemäß § 17 EStG (2.) teilweise (1.) rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –),
1. Zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits besteht Übereinstimmung, dass der Klägerin im Streitjahr keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit zugeflossen sind.
2. Der Beklagte hat zu Unrecht Veräußerungsverluste i.H.v. … EUR nicht bei der Einkommensteuerfestetzung berücksichtigt.
Nach § 17 Abs. 1 und 4 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Auflösung von Kapitalgesellschaften, wenn der Gesellschafter innerhalb der letzten 5 Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen hält. Veräußerungsgewinn ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG). Im Falle der Auflösung ist als Veräußerungspreis der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft anzusehen (§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG).
Die Entstehung des Verlustes setzt zunächst eine wesentliche Beteiligung und die zivilrechtliche Auflösung der Gesellschaft voraus. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor, denn die Klägerin war mit 49,8 % am Gesellschaftsvermögen der GmbH beteiligt. Durch Beschluss des Amtsgerichts Schwerin vom 01. November 2006 ist über das Vermögen der G. das Insolvenzverfahren eröffnet worden, weswegen die Gesellschaft aufgelöst ist. Dieses ist am 22. März 2007 in das Handelsregister eingetragen.
Die Entstehung des Verlustes setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) voraus, dass mit Zuteilungen und Rückzahlungen gemäß § 17 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht mehr zu rechnen ist, und feststeht, ob und in welcher Höhe noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigende wesentliche Aufwendungen anfallen werden (vgl. BFH-Urteil vom 01. März 2005 VIII R 46/03, BFH/NV 2005, 2171). Diese Voraussetzungen sind gerade im Falle der Auflösung mit anschließender Liquidation häufig erst im Zeitpunkt des Abschlusses der Liquidation erfüllt. Nur wenn diese mangels Masse nicht stattfindet, ist der Auflösungsverlust bereits bei Ablehnung des Antrages auf Konkurs- oder Insolvenzeröffnung entstanden (vgl. BFH-Beschluss vom 27. November 1995 VIII B 16/95, BFH/NV 1996, 406). Außerdem ist eine vorzeitige Berücksichtigung z. B. möglich, bei eindeutiger Vermögenslosigkeit im Zeitpunkt des Auflösungsbeschlusses oder wenn der wesentlich beteiligte Gesellschafter mit einer Auskehrung von Gesellschaftsvermögen im Rahmen der Vermögensverteilung nicht mehr rechnen konnte. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens lässt sich diese Feststellung regelmäßig noch nicht treffen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 2000 VIII R 36/97, BFH/NV 2001, 761). Diese Rechtsprechung des BFH verfolgt den Zweck, den Zeitpunkt des Entstehens eines Auflösungsverlustes aus Gründen der Rechtssicherheit an objektivierbare Kriterien zu knüpfen, wie sie der Abschluss der Liquidation oder die Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse abstellen (vgl. BFH-Beschluss vom 22. November 2005 VIII B 308/04, BFH/NV 2006, 539).
a) Im Streitfall waren die Geschäftsanteile der Klägerin an der G. bereits am 31. Dezember 2006 mit hinreichender Sicherheit wertlos.
Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH wurde nach deren Eigenantrag im Herbst 2006 am 01. November 2006 eröffnet. Bereits wenige Wochen danach, nämlich am 01. Dezember 2006 gelang es dem Insolvenzverwalter die betriebsnotwendige Immobilie und die gesamte Betriebs- und Geschäftsausstattung per 01. Dezember 2006 an einen Investor zu veräußern, der hierfür insgesamt … EUR zahlte. Im Prüfbericht vom 15. Januar 2007 des Insolvenzverwalters, der unmittelbar nach dem maßgeblichen Stichtag erstellt worden ist, hat dieser die Position Stammkapital der GmbH nur mit einem Erinnerungswert von … EUR angesetzt. Folgerichtig hat der Insolvenzverwalter bereits mit Schreiben vom 15. März 2007 der Klägerin die Wertlosigkeit ihrer G. -Anteile mitgeteilt. Der Insolvenzverwalter hat dem Gericht durch Schreiben vom 23. März 2010 mitgeteilt, dass er eine Anteilsbewertung betreffend die Geschäftsanteile der G. auf den 31. Dezember 2006 nicht vornehmen kann und zugleich darauf hingewiesen, dass er per 01. Dezember 2006 den gesamten Geschäftsbetrieb auf einen Betriebserbwerber übertragen hat. Die Geschäftsanteile der Klägerin an der G. waren somit zum 31. Dezember 2006 wertlos, denn bei der G. handelt es sich zu diesem nur noch um eine „Hülle” ohne eigenes Anlage- oder Umlaufvermögen, welches den Wert der Geschäftsanteile hätte zum Ausdruck bringen können. Darüber besteht zwischen den Beteiligten Einvernehmen.
b) Der bei der Einkommensteuerveranlagung 2006 geltend gemachte Veräußerungsverlust der Klägerin ist um die im Jahre 2008 von der Willms GmbH gezahlten Kaufpreise in einer Gesamthöhe von … EUR zu mindern.
Nachträgliche Änderungen des Kaufpreises für eine wesentliche Beteiligung wirken auf den Zeitpunkt der Gewinnrealisierung zurück (BFH-Urteil vom 21. Dezember 1993 VIII R 69/88, BFHE 174, 324, BStBl II 1994, 648 und – zum Veräußerungsgewinn i.S. von § 16 EStG – BFH-Beschluß vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Das gilt für die nachträgliche Uneinbringlichkeit (vgl. dazu BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897) oder die nachträgliche Minderung eines Kaufpreises (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 23. Juni 1988 IV R 84/86, BFHE 154, 85, BStBl II 1989, 41) ebenso wie für die Stornierung des Kaufpreises nach Aufhebung des Kaufvertrags (BFH-Urteil vom 21. Dezember 1993 VIII R 69/88 BFHE 174, 324, BStBl II 1994, 648).
Die in diesen Entscheidungen für die Rückwirkung einer nachträglichen Herabsetzung des Kaufpreises angeführten Gründe sprechen auch für die Rückwirkung einer nachträglichen Erhöhung des Kaufpreises (vgl. BFH-Beschluss vom 27. September 1994 VIII B 21/94, BFHE 175,516). Das ist auch schon bisher für den Fall angenommen worden, dass die Vertragsparteien im Zeitpunkt der (Betriebs-)Übertragung noch keine abschließende Einigung über die Höhe des Kaufpreises erzielt haben (BFH-Urteile vom 26. Juli 1984 IV R 10/83, BFHE 141, 488, BStBl II 1984, 786, und vom 17. Januar 1989 VIII R 370/83, BFHE 156, 103, BStBl II 1989, 563 unter 3.c der Gründe m.w.N.). Dem ist der hier vorliegende Fall gleichzustellen, dass die endgültige Höhe des Kaufpreises von der künftigen Unternehmensfortführung abhängt.
c) Als weitere Anschaffungskosten sind die Notargebühren i.H.v. … EUR sowie die Zahlung der Klägerin von aus dem Jahre 1993 an die zu berücksichtigen. Denn der Klägerin wurde durch notariellen Vertrag vom 18. September 2000 hierfür ein Geschäftsanteil i.H.v. … DM übertragen.
Soweit die Klägerin darüberhinaus die von ihr gegenüber der MBMV aus dem Vertrag aus dem Jahre 2003 eingegangene Garantieverpflichtung i. H. v. … DM als nachträgliche Anschaffungskosten geltend machen will, kann dem bereits deswegen nicht entsprochen werden, weil dieser Vertrag bereits im Jahre 2002 durch Rückzahlung der Beteiligungsmittel an die MBMV seine Erledigung fand und die Klägerin keine Zahlungen auf diesen Vertrag geleistet hat.
Die Klägerin hat für den Erwerb von 49,8 % der Gesellschaftsanteile an der GmbH insgesamt in den Jahren 1998 und 2000 … DM entsprechend … EUR aufgewandt. Unter Berücksichtigung der an die Klägerin im Jahre 2008 gezahlte Betrag von … EUR für die Geschäftsanteile an der GmbH, beträgt der Veräußerungsverlust – wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist – … EUR.
d) Entgegen der Rechtsaufassung des Beklagten ist das Halbeinkünfte-Verfahren des § 3c Abs. 2 EStG im Streitfall nicht anwendbar. Der Auflösungsverlust ist in voller Höhe zu berücksichtigen.
Der Verlust unterliegt nicht dem Halbabzugsverbot des § 3 c Abs. 2 Satz 1 EStG. Gemäß § 3 Nr. 40 Buchst. c) EStG, in der im Streitjahr anzuwenden Fassung, ist die Hälfte des gemeinen Werts im Sinne von § 17 Abs. 2, Abs. 4 EStG steuerfrei. Die hiermit in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Aufwendungen sind nur zur Hälfte abzuziehen, denn nach § 3 c Abs. 2 Satz 1 EStG dürfen Betriebsvermögensminderungen, Betriebsausgaben, Veräußerungskosten oder Werbungskosten, die mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, unabhängig davon, in welchem Veranlagungszeitraum die Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen anfallen, bei der Ermittlung der Einkünfte nur zur Hälfte abgezogen werden. Entsprechendes gilt, wenn bei der Ermittlung der Einkünfte der Wert des Betriebsvermögens oder des Anteils am Betriebsvermögen oder die Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder der an deren Stelle tretende Wert mindernd zu berücksichtigen sind. Bei steuerfreien Einnahmen soll kein doppelter steuerlicher Vorteil durch den zusätzlichen Abzug von unmittelbar mit diesen zusammenhängenden Aufwendungen erzielt werden (BFH-Urteil vom 06. Juli 2005 XI R 61/04, BFHE 210, 332, BStBl II 2006, 163).
Fallen keine Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen an, kommt eine hälftige Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 40 EStG nicht in Betracht. Folgerichtig tritt die nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG maßgebende Bedingung dafür, entsprechende Aufwendungen nur zur Hälfte zu berücksichtigen, nicht ein. Denn dieser stehen nicht – wie dies § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG schon dem Wortlaut nach für die hälftige Kürzung verlangt – in wirtschaftlichem Zusammenhang mit lediglich zur Hälfte anzusetzenden Einnahmen. Fließen keine Einnahmen zu, kommt § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG nicht zur Anwendung; mithin ist der Erwerbsaufwand in vollem Umfang abziehbar. Dies entspricht dem Gesetzeszweck des Halbabzugsverbots, eine Doppelbegünstigung auszuschließen (BFH-Urteil vom 25. Juni 2009 IX R 42/08, BFHE 225,455, BStBl II 2010, 220).
Da im Streitfall zu keiner Zeit offene oder verdeckte Ausschüttungen der GmbH erfolgt sind, kommt es auf die Streitfrage nicht an, ob das Halbabzugsverbot nur Anwendung findet bei Ausschüttungen, die während der Geltungsdauer des Halbeinkünfteverfahrens erfolgt sind oder auch bei früheren Ausschüttungen (vgl. diesbezüglich FG Rheinland-Pfalz vom 12.11.2009, 6 K 2084/07, juris).
Der Auflösungsverlust ist auch nicht deswegen nur zur Hälfte zu berücksichtigen, weil die Klägerin im Jahre 2008 … EUR für die Veräußerung der Anteile erheilt. Das Bundesministerium der Finanzen hat mit Schreiben vom 15. Februar 2010 IV C 6 – S 2244/09/10002, BStBl I 2010, 181 die Finanzämter angewiesen, das Urteil in BFHE 225, 455, BStBl II 2010, 220 nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden, weil die dem Halbeinkünfteverfahren zugrunde liegende Wertung, Gewinne und Verluste gleich zu behandeln, sowohl für die Vermögens- als auch für die Ertragsebene gelte. Der BFH hat mit Beschluss vom 18. März 2010 (IX B 227/09, BFH/NV 2010, 1022) darauf hingewiesen, bisher nur über Fallkonstellationen entschieden zu haben, in denen keinerlei Einnahmen angefallen sind.
Aus der in § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG gewählten Formulierung, „unabhängig davon in welchem Veranlagungszeitraum die Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen anfallen”, ergibt sich nicht, dass das anteilige Abzugsverbot nicht eingreift, wenn überhaupt keine anteiligen steuerfreien Einnahmen anfallen. Diese Formulierung soll allein klarstellen, dass es bei der Anwendung des Absatz 2 Satz 1 abweichend von Absatz 1 nicht auf einen zeitlichen Zusammenhang ankommt. Sie bezweckt aber nicht den Ausschluss vergeblicher Betriebsausgaben vom anteiligen Abzug. Überdies ist kaum ein Fall denkbar, in dem überhaupt keine anteiligen steuerfreien Einnahmen i.S.d. § 3 Nr. 40 EStG anfallen. Selbst wenn es nie zu einer Gewinnausschüttung kommt und der Wert der Anteile sinkt, fallen regelmäßig bei der steuerlichen Ermittlung eines Veräußerungsverlustes in der Saldorechnung anteilig steuerfreie Einnahmen an (vgl. Desens in Herrmann/Heuer/Raupach, § 3c EStG Rz. 54).
So auch im Streitfall, in dem die Klägerin für ihre Geschäftsanteile im Nominalwert von … EUR für deren Erwerb sie … EUR aufgewendet hatte, lediglich einen Betrag von … EUR erhielt. Bei der vom Beklagten vertreten Auslegung würde der Zufluss dieses Betrages dazu führen, dass Anschaffungskosten der Klägerin i. H. v. … EUR steuerlich nicht berücksichtigt werden. Ein solches Ergebnis kann der Gesetzgeber nicht gewollt. Im Übrigen ist der Zufluss dieses Betrages steuerlich nicht unberücksichtigt geblieben, sondern hat den Veräußerungsverlust reduziert.
Die volle Berücksichtigung des Verlustes erscheint dem erkennenden Senat im Ergebnis auch zutreffend, da die Klägerin die Erwerbsaufwendungen für seine Beteiligung an der GmbH vor Einführung des Halbeinkünfteverfahrens getätigt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 i.V.m. der entsprechenden Anwendung von § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung – ZPO –.
Die Revision ist zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO vorliegen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).