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  • 10.02.2011

    Finanzgericht München: Urteil vom 14.10.2010 – 14 K 3419/08

    In mehreren Brennvorgängen unter Umwandlung von Kohlenstoff in Graphit hergestellte, weder Metalle noch organische Materialien enthaltende Graphitelektroden sind auch dann keramische Erzeugnisse i. S. v. § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromstG i.V.m. den Abteilungen DI 26 und DJ 27 der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates vom 9.10.1990 betreffend die statistische Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft in der am 1.1.2003 geltenden Fassung (NACE Rev. 1.1), wenn sie aufgrund ihrer elektrischen Leitfähigkeit in Lichtbogenöfen der Stahlindustrie eingesetzt werden, in denen über den Lichtbogen hohe Temperaturen auf das Schmelzgut übertragen werden, wobei letztlich auch elektrische Energie fließt.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In der Streitsache

    hat der 14. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung … sowie der ehrenamtlichen Richter … und … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2010

    für Recht erkannt:

    1. Das HZA wird verpflichtet unter Aufhebung der Verfügung vom 4. Dezember 2007 und der Einspruchsentscheidung vom 24. September 2008, der Klägerin Stromsteuer i.H.v. … EUR für den Zeitraum August bis Dezember 2006 zu erstatten.

    2. Die Kosten des Verfahrens trägt das HZA.

    3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

    4. Die Revision wird zugelassen.

    Gründe

    I.

    Streitig ist, ob der Klägerin ein Anspruch auf Stromsteuerentlastung für die Herstellung von Kohlenstoff- und Graphitprodukten zusteht.

    Die Klägerin ist ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes und stellt Kohlenstoff- und Graphitprodukte, insbesondere Graphitelektroden, u. a. unter Einsatz von nachweislich versteuertem Strom her. Der Herstellungsprozess läuft in der Form ab, dass aus den Hauptrohstoffen (…) in Mischern eine Masse hergestellt wird, die über Pressen in Form gebracht wird. Dabei werden die flüssigen Rohstoffe (…) teils elektrisch, teils gasbeheizt warm gehalten, um die Verarbeitung zu ermöglichen. Die Mischer und Pressen sind ebenfalls teils elektrisch, teils gasbeheizt, da die Mischung bei einer bestimmten Temperatur durchgeführt werden muss.

    Nach dem Pressen werden die Formkörper in Ringkammeröfen gebrannt, wodurch aus der vorher plastischen Masse ein Kohlenstoffkörper entsteht. Diese Öfen werden mit leichtem Heizöl (HEL) beheizt. Für einige Produkte ist die Fertigung damit abgeschlossen.

    Andere Produkte, z. B. Kohleelektroden, werden in einem weiteren Arbeitsschritt noch einem Imprägniervorgang unterzogen, wobei diese erst erwärmt und anschließend in einem Autoklaven unter Druck beispielsweise mit heißem Steinkohlenteerpech imprägniert werden. Diese Produkte werden anschließend einem weiteren Brennvorgang unterzogen, bei dem das Pech ebenfalls in Kohlenstoff umgewandelt wird. Dieser Vorgang wird bei manchen Produkten einmal wiederholt.

    In dem sich anschließenden Arbeitsschritt werden die imprägnierten und gebrannten Körper in Graphitierungsöfen eingebaut und elektrisch bis auf ca. 3.000 °C aufgeheizt. Dabei wird der Kohlenstoff in Graphit umgewandelt. Danach werden die Produkte mechanisch endbearbeitet.

    Den größten Teil der von der Klägerin auf diese Weise hergestellten Produkte stellen Graphitelektroden für Lichtbogenöfen der Stahlindustrie dar. Ein Teil der hergestellten Graphitelektroden wird noch mit einer Aluminiumbeschichtung versehen. Zu diesem Zweck werden die Elektroden nochmals gasbeheizt erwärmt und dann im Flammspritzverfahren beschichtet.

    Die Klägerin begehrte für den Zeitraum von August bis Dezember 2006 eine Stromsteuerentlastung i.H.v. … EUR für bestimmte Prozesse und Verfahren für eine Strommenge von … MWh (vgl. Antrag vom 18. Mai 2007). Die beantragte Steuerentlastung bezog sich auf folgende Verarbeitungsschritte: elektrische Vorwärmung von Petrolkoks in den Mischern, Warmhalten der zu pressenden Mischungen, elektrische Begleitheizung des Imprägnierpechs, elektrischer Graphitierungsbrand und Flammspritzen von Aluminium auf Graphitelektroden.

    Mit Verfügung vom 4. Dezember 2007 lehnte das Hauptzollamt (HZA) die beantragte Steuerentlastung ab, weil die Herstellung von Graphitelektroden in die NACE Klasse 31.62 einzuordnen sei und daher die Voraussetzungen für eine Steuerentlastung nicht gegeben seien.

    Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (vgl. Einspruchsentscheidung vom 24. September 2008) erhob die Klägerin Klage, die sie im Wesentlichen folgendermaßen begründet: Der Wortlaut des § 9a des Stromsteuergesetzes enthalte keinen ausdrücklichen Bezug zu den Statistikklassen. Die Gesetzesbegründung verweise zwar darauf, aus der Formulierung „im Wesentlichen” werde jedoch deutlich, dass dadurch keine abschließende und verbindliche Eingrenzung des Tatbestandes vorgenommen werden sollte. Das Warenverzeichnis WZ 2003 diene zudem ausschließlich statistischen Zwecken und könne deshalb nicht verbindlich für die Klärung stromsteuerrechtlicher Fragestellungen herangezogen werden. In der NACE werde die Herstellung von Graphitelektroden dagegen in Klasse 31.62 nicht genannt. Abgesehen davon sei die Herstellung von Graphitelektroden auch nicht der Klasse 31.62 zuzuordnen. Insbesondere sei sie nicht der Herstellung elektrischer Ausrüstung gleichzusetzen. Vielmehr seien die Graphitelektroden dem Bereich Keramik zuzuordnen.

    Die Klägerin beantragt,

    unter Aufhebung der Verfügung vom 4. Dezember 2007 und der Einspruchsentscheidung vom 24. September 2008 das HZA zu verpflichten, ihr die beantragte Steuerentlastung i.H.v. … EUR zu gewähren.

    Das HZA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Graphitelektroden würden nach der Beschreibung des Herstellungsprozesses durch die Klägerin in den Lichtbogenöfen der Stahlindustrie eingesetzt. Sie würden daher ausschließlich als elektrische Ausrüstungsgegenstände in Elektrolichtbogenöfen zum Einsatz kommen. Die Herstellung von sonstigen elektrischen Ausrüstungsgegenständen werde in Klasse 31.62 der NACE ausdrücklich genannt. Eine Zuordnung der Graphitelektroden zur Klasse 26.24 (Herstellung von keramischen Erzeugnissen für sonstige technische Zwecke) komme nicht in Betracht, weil die genaue Zuordnung einer Tätigkeit einer allgemeineren Zuordnung vorgehe. Durch die Formulierung „im Wesentlichen” in der Gesetzesbegründung zu § 9a des Stromsteuergesetzes habe der Gesetzgeber zwar zum Ausdruck bringen wollen, dass diese Norm auch Herstellungstätigkeiten nenne, die nicht in den Abteilungen DI 26 und DJ 27 der NACE Rev. 1.1 aufgeführt sind. Er habe jedoch damit nicht ausdrücken wollen, dass die Herstellung von Graphitelektroden, die der NACE-Klasse 31.62 zuzuordnen sei, eine Herstellung von keramischen Erzeugnissen sei. Darunter seien vielmehr nur solche Verfahren zu verstehen, die den NACE-Klassen 26.21 bis 26.26 zuzuordnen seien. Zudem begünstige § 9a des Stromsteuergesetzes nur mineralogische Verfahren, die der NACE-Klasse DI 26 zuzuordnen seien.

    Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die HZA-Akten, die im Verfahren eingereichten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung hingewiesen.

    II.

    Die Klage ist begründet.

    1. Das HZA hat zu Unrecht eine Erstattung von Stromsteuer gem. § 9a Abs. 1 Nr. 2 des Stromsteuergesetzes in der hier maßgeblichen Fassung (StromStG) für den Zeitraum August bis Dezember 2006 abgelehnt, weil der Klägerin insoweit ein Anspruch auf Steuerentlastung in der beantragten Höhe von … EUR zusteht.

    Gem. § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG wird die Stromsteuer für nachweislich versteuerten Strom auf Antrag erlassen, erstattet oder vergütet, den ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes u. a. für die Herstellung von keramischen Erzeugnissen entnommen hat, wobei allein Letzteres zwischen den Beteiligten streitig ist. Welche Produktionsbereiche genau von der Steuerentlastung umfasst sein sollen, wird im Gesetzeswortlaut nicht näher definiert. Dieser knüpft die Steuerentlastung vielmehr nur an die materielle Beschaffenheit des hergestellten Erzeugnisses.

    In der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 9a StromStG wird darauf hingewiesen, dass die in Absatz 1 Nr. 2 und 3 aufgeführten Prozesse und Verfahren im Wesentlichen den Tätigkeiten entsprechen, die in den Abteilungen DI 26 und DJ 27 der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates vom 9. Oktober 1990 betreffend die statistische Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (ABL. (EG) Nr. L 293/1) in der am 1. Januar 2003 geltenden Fassung – NACE Rev. 1.1 – aufgeführt sind. Die NACE Rev. 1.1 sei deshalb zur Auslegung der Vorschrift heranzuziehen (vgl. Begründung zu Art. 2 Nr. 7 des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes – RegE, BR-Drucks. 206/06 vom 16. März 2006). Die NACE Rev. 1.1 erfasst in Unterabschnitt DI Abteilung 26 „Herstellung von Glas und Glaswaren, Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden” und in den Klassen 26.24 „Herstellung von keramischen Erzeugnissen für sonstige technische Zwecke” und 26.25 „Herstellung von keramischen Erzeugnissen a.n.g.”.

    a) Bei den von der Klägerin hergestellten Graphitelektroden handelt es sich um keramische Waren. Diese enthalten weder Metalle noch organische Materialien, sondern sie werden aus den Ausgangsmaterialien … hergestellt und in mehreren Brennvorgängen bearbeitet. Dabei wird der enthaltene Kohlenstoff in Graphit umgewandelt.

    Diese Einordnung wird auch durch die Erläuterungen 01.0 und 02.0 zu Kapitel 69 des Harmonisierten Systems bestätigt, wonach der Begriff „keramische Erzeugnisse” Waren umfasst, die – wie vorliegend – durch Brennen anorganischer, nichtmetallischer Materialien hergestellt sind, die aufbereitet und vor dem Brennen im allgemeinen bei Raumtemperatur geformt worden sind.

    b) Der Ansicht des HZA, wonach die hergestellten Graphitelektroden in Abteilung 31 des Unterabschnitts DL der NACE Rev. 1.1 „Herstellung von Geräten der Elektrizitätserzeugung, -verteilung u. a.” bzw. in die Klasse 31.62 „Herstellung von sonstigen elektrischen Ausrüstungen a.n.g.” einzuordnen und damit von der Stromsteuerentlastung ausgeschlossen sein sollen, vermag der Senat dagegen nicht zu folgen, auch wenn die von der Klägerin überwiegend hergestellten Graphitelektroden für den Einsatz in Lichtbogenöfen der Stahlindustrie bestimmt sind.

    Die Graphitelektroden weisen zwar insofern zumindest einen Bezug zur Elektrotechnik auf, als sie aufgrund ihrer elektrischen Leitfähigkeit in Lichtbogenöfen eingesetzt werden, in denen über den Lichtbogen hohe Temperaturen auf das Schmelzgut übertragen werden, wobei letztlich auch elektrische Energie fließt.

    Aber unabhängig davon, ob allein dieser Energiefluss bereits ausreicht, um die Graphitelektroden zumindest auch als elektrische Ausrüstungen einzuordnen, handelt es sich aufgrund der Materialbeschaffenheit weiterhin um keramische Waren i.S.d. NACE-Abteilung 26 und i.S.d. § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG. Denn die stoffliche Zusammensetzung, die die Grundlage für die Stromsteuerentlastung ist, ändert sich gerade nicht durch die Art der späteren Verwendung. Vielmehr kommt es nach dem Wortlaut des § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG auf die spätere Verwendung oder den späteren Bestimmungszweck nicht an.

    c) Selbst wenn es sich bei den Graphitelektroden um Waren handeln sollte, die zugleich unter die NACE-Abteilungen 26 und 31 fallen, führt dies nicht zu einem Ausschluss aus der Stromsteuerentlastung nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG, weil ein Vorrang der Abteilung 31 gegenüber der Abteilung 26 im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden kann.

    Wie eine Abgrenzung zwischen mehreren NACE-Abteilungen erfolgen soll bzw. wie Waren behandelt werden sollen, die in mehrere NACE-Abteilungen eingeordnet werden können, ergibt sich weder aus § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG selbst noch aus der Begründung zum Regierungsentwurf. Vielmehr ist die Verweisung auf die in Abteilung DI 26 aufgeführten Prozesse und Verfahren nach der in der Begründung zum Regierungsentwurf angewandten Wortwahl nicht abschließend („im Wesentlichen”).

    Auch eine Abgrenzung anhand der Wertschöpfung (vgl. z. B. NACE Rev. 2, Statistische Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft, S. 27, herausgegeben von Eurostat) scheidet vorliegend aus, weil hier nicht nacheinander verschiedene und voneinander abzugrenzende Produktionsprozesse stattfinden, sondern sich mit Fertigstellung der Graphitelektroden die Frage stellt, ob diese der NACE-Abteilung 26 oder eventuell 31 zuzuordnen sind.

    Ein Ausschluss der Graphitelektroden aus Abteilung 26 ergibt sich auch nicht aufgrund der ausdrücklichen Nennung der Herstellung von Kohle- und Graphitelektroden in den von Eurostat herausgegebenen Erläuterungen zur NACE Rev. 1.1 und Rev. 2. Denn dabei handelt es sich zum einen um Erläuterungen zu statistischen Zwecken, die in dieser Genauigkeit nicht im Wortlaut der NACE Rev. 1.1 wiederzufinden sind. Zum anderen wird auf diese Erläuterungen weder im Gesetzeswortlaut des § 9a Abs. 1 Nr. 2 StromStG noch in der Begründung zum Regierungsentwurf Bezug genommen. Hier wird vielmehr nur auf die maßgeblichen EU-Verordnungen hingewiesen.

    Ein Ausschluss der Graphitelektroden aus Abteilung 26 kommt auch nicht aufgrund der ausdrücklichen Nennung der Herstellung von Kohle- und Graphitelektroden in der Klasse 31.62.0 der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgaben 1993 und 2003, in Betracht, weil in der Begründung zum Regierungsentwurf auf die NACE und nicht auf die nationale Klassifikation der Wirtschaftszweige Bezug genommen wird.

    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    3. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wird die Revision zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

    VorschriftenStromStG § 9a Abs. 1 Nr. 2, EWGV 3037/90