26.01.2011
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 17.06.2010 – 1 K 2864/09
- Aufwendungen für eine Behandlung einer Krankheit dienende Kur sind nur dann als Krankheitskosten im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen abzugsfähig, wenn die Reise zur Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich notwendig und eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint.
- Die Notwendigkeit der Kurmaßnahme ist vor Antritt der Kur durch ein amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis nachzuweisen.
- Zur Anerkennung eines Kuraufenthaltes von Kindern als Heilmaßnahme bedarf es zusätzlich der Unterbringung in einem Kinderheim, sofern nicht vor Antritt der Kur durch amtsärztliches Attest nachgewiesen wird, dass und warum der Kurerfolg ausnahmsweise auch bei einer anderweitigen Unterbringung erreicht werden kann.
- Auf eine solche Bescheinigung kann auch nicht verzichtet werden, wenn sich am avisierten Kurort kein Kinderheim befindet, es sei denn die amtsärztliche Bescheinigung enthält die Angabe eines konkreten Ortes zur Durchführung der Kur und eine hinreichende Begründung dafür, warum nur dieser Kurort die empfohlene Kur unterstützt.
- Die Notwendigkeit dem Steuerpflichtigen die Gelegenheit zu geben ein solches amtsärztliches Zeugnis nachträglich beizubringen oder zu ergänzen, besteht nicht, es sei denn die Rechtsprechung verlangt erstmals einen entsprechenden Nachweis durch amtsärztliches Attest.
Tatbestand
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Kosten einer Begleitperson bei einer Kinderkur als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG).
Der Kläger ist alleinerziehender Vater eines an Neurodermitis und Asthma leidenden 15jährigen Kindes. Im Streitjahr machte er im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Kuraufenthalt seines Kindes an der … Mittelmeerküste in Höhe von insgesamt x.xxx,- € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Kosten wird auf die Anlage zum Mantelbogen (Bl. 5 der Einkommensteuerakte) Bezug genommen. Zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der entstandenen Kosten legte der Kläger u.a. folgende Unterlagen vor:
Ein Attest des Kinderarztes vom…Juni 2008, in dem dieser bestätigt, dass „jährliche heilklimatische Aufenthalte am Meer (in Begleitung des Vaters) zur Besserung des Krankheitsbildes beitragen” und er daher „einen dreiwöchigen Aufenthalt an der … Mittelmeerküste in den diesjährigen Sommerferien” empfiehlt. Des Weiteren eine amtsärztliche Bescheinigung vom…Juni 2008, in der es heißt: „Amtsärztlich wird (…) die kinderärztlich empfohlene heilklimatische Kur am Mittelmeer zur Erhaltung der Gesundheit bei vorliegendem Atopiesyndrom mit chronischer Neurodermitis sowie einem Exogen-allergischen Asthma Bronchiale für notwendig erachtet. … wird sich einer dreiwöchigen Kurmaßnahme in … an der … Mittelmeerküste zur Erhaltung der Gesundheit vom ...06 - ...07.2008 unterziehen.”
Im Rahmen der Veranlagung kürzte der Beklagte (das Finanzamt – FA –) die Kosten der Unterbringung und den Verpflegungsmehraufwand um 50 %, insgesamt um x.xxx,- €. Es war der Ansicht, von den geltend gemachten Aufwendungen könnten lediglich die Kurkosten des Kindes anerkannt werden, da die Notwendigkeit einer Begleitperson aus der amtsärztlichen Bescheinigung nicht hervorgehe.
Gegen den Einkommensteuerbescheid vom…August 2009 legte der Kläger am…September 2009 Einspruch ein. Zur Begründung trug er – unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 2. April 1998 (II R 687/97, BStBl II 1998, 613) – vor, die Notwendigkeit der heilklimatischen Kur in … an der … Mittelmeerküste ergebe sich aus der vorgelegten amtsärztlichen Bescheinigung. Da sich dort kein Kinderheim befinde, erfordere die Betreuung seines damals 15jährigen Kindes die Begleitung eines Erziehungsberechtigten.
Mit seiner Entscheidung vom…Oktober 2009 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Nach der Rechtsprechung des BFH erfordere die Berücksichtigung von Kosten einer Begleitperson während einer medizinisch indizierten Kur als außergewöhnliche Belastungen grundsätzlich, dass die Notwendigkeit einer Begleitung durch ein vor Reiseantritt eingeholtes amtsärztliches Gutachten – oder eine gleichzustellende Bescheinigung – nachgewiesen werde (Urteil vom 17. Dezember 1997 BStBl II 1998, 298). Zwar könne die Begleitungsbedürftigkeit aufgrund feststehender objektiver Umstände offenkundig sein; beispielsweise bei einem Kuraufenthalt eines neunjährigen Kindes; ein solcher Einzelfall liege jedoch im Streitfall nicht vor. Vielmehr sei auch eine unbegleitete Auslandsreise eines 15jährigen Kindes – bei entsprechendem Reifegrad des Kindes, dem Vertrauen der Eltern und der Organisation der Reise – möglich und nicht unüblich.
Hiergegen hat der Kläger am…November 2009 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und führt im übrigen aus, ein mehrwöchiger Auslandsaufenthalt eines chronisch kranken 15jährigen Kindes außerhalb eines Kinderheimes oder einer vergleichbaren organisierten Unterbringung entspreche nicht der in § 1626 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelten elterlichen Sorge. Die Erforderlichkeit seiner Begleitung ergebe sich auch aus der amtsärztlichen Bescheinigung, da diese auf das Attest des Kinderarztes verweise, der wiederum die Notwendigkeit seiner Begleitung zur Besserung des Krankheitsbildes bestätigt habe. Auch habe der Kuraufenthalt in den Sommerferien stattfinden müssen, da er aus beruflichen Gründen gezwungen gewesen sei, seine Urlaubstage (vornehmlich) in den Schulferien zu nehmen; zudem habe er sich eine zusätzliche Urlaubsreise auch aus finanziellen Gründen nicht erlauben können.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 2008 vom…August 2009 und die Einspruchsentscheidung vom…Oktober 2009 dahingehend zu ändern, dass die geltend gemachten Aufwendungen des Kuraufenthaltes in voller Höhe als außergewöhnlichen Belastungen berücksichtigt werden.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung.
Gründe
I. Die Klage ist unbegründet.
Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom…August 2009 und die Einspruchsentscheidung vom…Oktober 2009 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Das FA hat zu Recht die Anerkennung weiterer Kosten des Kuraufenthaltes als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG versagt.
Gemäß § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse erwachsen. Die Aufwendungen entstehen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (Zwangsläufigkeit dem Grunde nach) und soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (Zwangsläufigkeit der Höhe nach).
1. Im Streitfall hat der Kläger die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen für die heilklimatische Kur seines Kindes bereits nicht hinreichend nachgewiesen.
Krankheitskosten erwachsen einem Steuerpflichtigen regelmäßig zwangsläufig, weil er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Sie gehören zu den nach § 33 EStG berücksichtigungsfähigen Aufwendungen, wenn sie zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen. Diese Voraussetzung fehlt bei Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstehen. Aufwendungen für eine der Behandlung einer Krankheit dienende Reise (Kur) sind daher nur dann als Krankheitskosten anzusehen, wenn die Reise zur Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich notwendig ist und eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint. An die Beurteilung der medizinischen Indikation sind dabei strenge Anforderungen zu stellen, denn gerade bei Kuraufenthalten handelt es sich um private Aufwendungen, die ihrer Art nach nicht ausschließlich von Kranken, sondern mitunter auch von Gesunden getätigt werden, um ihre Gesundheit zu erhalten, ihr Wohlbefinden zu steigern oder ihre Freizeit sinnvoll und erfüllt zu gestalten. Daher muss zur Anerkennung einer Kurmaßnahme als außergewöhnliche Belastung deren Notwendigkeit durch ein vor Antritt der Kur ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis nachgewiesen werden. Denn nur ein rechtzeitig eingeschalteter Amtsarzt oder etwa der Medizinische Dienst einer öffentlichen Krankenversicherung nach § 278 des Sozialgesetzbuchs V – der frühere vertrauensärztliche Dienst nach § 369b der Reichsversicherungsordnung a.F. – besitzt zugleich Sachkunde und die notwendige Neutralität, um die medizinische Indikation solcher nicht nur für Kranke nützlichen Maßnahmen ohne die für den behandelnden Arzt bestehende Gefahr einer Störung des Vertrauensverhältnisses zu seinem Patienten objektiv beurteilen zu können. Nur auf diesem Weg können der im Allgemeinen schwierigen Abgrenzung von Kuraufenthalten gegenüber Erholungsreisen sachgerecht Rechnung getragen und Missbräuche ausgeschlossen werden (Urteil des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 2. April 1997 III R 67/97, Bundessteuerblatt -BStBl- 1998 II 613 und vom 17. Dezember 1997 III R 35/97, BStBl II 1998, 298, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, ist zur Sicherstellung des Kurerfolges von Kindern darüber hinaus die Unterbringung in einem Kinderheim angezeigt. Dies gilt auch für heilklimatische Kuren, da auch bei solchen Kuren gewährleistet sein muss, dass der Heilerfolg fachgerecht etwa durch eine kurgemäße Tages- und Freizeitgestaltung, insbesondere durch sportliche Betätigung, eine der Kur angepasste Ernährung unterstützt und zumindest nicht durch unkontrollierte schädliche Einflüsse gefährdet wird. Dies kann bei Kindern regelmäßig am besten durch eine Unterbringung in einem Kinderheim gewährleistet werden. Im Übrigen ist gerade bei Kuraufenthalten von Kindern die Abgrenzung von Kur- und Urlaubsaufenthalten besonders schwierig, insbesondere, wenn das nicht in einem Heim untergebrachte Kind von einer erwachsenen Person – insbesondere von einem Elternteil – begleitet wird. Daher ist zur Anerkennung eines Kuraufenthaltes von Kindern als Heilmaßnahme zusätzlich erforderlich, dass das Kind während der Kur in einem Kinderheim untergebracht worden ist oder eine vor Antritt der Kur ausgestellte, amtsärztliche Bescheinigung bestätigt, dass und warum der Kurerfolg ausnahmsweise auch bei einer anderweitigen Unterbringung erreicht werden kann. Andernfalls sind die mit der Kurmaßnahme zusammenhängenden Aufwendungen nicht als Krankheitskosten nach § 33 Abs. 1 EStG anzuerkennen (BFH-Urteile vom 12. Juni 1991 III R 102/89, BStBl II 1991, 763 und vom 2. April 1998 III R 67/97, BStBl II 1998, 613).
Bei Anwendung dieser Grundsätze sind die streitgegenständlichen Kosten nicht als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen, da bereits die Notwendigkeit der heilklimatischen Kur nicht hinreichend nachgewiesen wurde.
Denn aus der vorgelegten Bescheinigung des Amtsarztes vom…Juni 2008 ergibt sich lediglich, dass „die kinderärztlich empfohlene heilklimatische Kur am Mittelmeer für notwendig erachtet wird” und sich das Kind „einer dreiwöchigen Kurmaßnahme in … (…) unterziehen wird”. Dass und warum der Kurerfolg ausnahmsweise auch bei einer anderweitigen Unterbringung als in einem Kinderheim erreicht werden kann, wurde dagegen nicht amtsärztlich bescheinigt. Entgegen der Ansicht des Klägers kann auf eine solche Bescheinigung auch nicht deshalb verzichtet werden, da sich an dem avisierten Kurort – so der Vortrag der Klägerseite – kein Kinderheim befinde. Gerade die Bezugnahme einer amtsärztlichen Bescheinigung auf einen konkreten Ort zur Durchführung der Kurmaßnahme erfordert eine hinreichende Begründung, warum gerade dieser die empfohlene Kur unterstützt. Dies gilt insbesondere, wenn sich dort – wie im Streitfall – kein Kinderheim oder eine andere spezielle Einrichtung befindet, die gerade auf dieses spezifische Krankheitsbild ausgerichtet ist. Denn wenn der Senat die Frage, ob und an welchem Ort eine Kur stattzufinden hat, als medizinische Vorfrage nicht selbst entscheiden kann, muss er doch die Möglichkeit haben, ein amtsärztliches Gutachten dahingehend auf seine Plausibilität zu überprüfen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass für die Durchführung von heilklimatischen Kuren an der Küste – wenn auch nicht an der Mittelmeerküste – Kinderheime in Deutschland zur Verfügung stehen, die einen zuverlässigen Aufenthalt von Minderjährigen auch ohne Begleitung ihrer Eltern gewährleisten. Im Streitfall konnte der
Senat die Notwendigkeit, die streitgegenständliche Kurmaßnahme gerade in … und damit außerhalb eines Kinderheimes durchzuführen, anhand der vorgelegten Bescheinigung nicht nachvollziehen. Hält demzufolge der Senat die Kosten für den Aufenthalt des Kindes schon – entgegen der Auffassung des FA – für nicht abzugsfähig, so können erst recht nicht die Kosten für die Begleitung durch den Vater als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden.
Dem Kläger war auch nicht Gelegenheit zu geben, ein amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis nachträglich beizubringen bzw. das vorgelegte Gutachten entsprechend zu ergänzen. Denn dem Streitfall liegt kein Sachverhalt zugrunde, für den die Rechtsprechung erstmals den Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein amtsärztliches Attest verlangt (vgl. BFH-Urteile vom 12. Juni 1991 III R 102/89, BStBl II 1991, 763 und vom 2. April 1998 III R 67/97, BStBl II 1998, 613) Daher ist für die Notwendigkeit einer Beweiserleichterung in Form eines nachträglichen Gutachtens kein Raum (so BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996 III R 118/95, BFH/NV 1997, 337).
2. Im Übrigen sind die streitgegenständlichen Aufwendungen des Klägers auch nicht außergewöhnlich im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG. Bei den geltend gemachten Aufwendungen, die über den vom FA bereits anerkannten Betrag hinausgehen, handelt es sich um die Übernachtungskosten und den Verpflegungsmehraufwand des Klägers. Diese Kosten sind weder dem Grund noch der Höhe nach krankheits- bzw. kurbedingt und auch nicht aufgrund des speziellen Kurortes entstanden. Vielmehr erwachsen sie bei jeder „normalen Urlaubsreise”, die üblicherweise von nahezu allen Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse unternommen wird (hierzu Paus, Außergewöhnliche Belastungen bei Kinderkuren, Deutsche Steuerzeitung – DStZ – 1999, 39).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.