01.12.2010
Finanzgericht Münster: Urteil vom 22.07.2010 – 3 K 3464/08 E
Für die Beurteilung der Frage, ob ein Gesellschafter-Geschäftsführer seine Anwartschaft auf Altersversorgung ausschließlich durch eigene Beitragsleistungen erworben hat, ist auch im Rahmen von konzernverbundenen Unternehmen ausschließlich auf die einzelne Kapitalgesellschaft abzustellen und nicht auf den Konzern mit seinen Gesellschaftern als Gesamtheit.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 3. Senat in der Besetzung: Richterin am Finanzgericht … als Vorsitzende Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Ehrenamtlicher Richter … Ehrenamtliche Richterin … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 22.07.2010 für Recht erkannt:
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) gehört und ob deshalb der Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen zu kürzen ist.
Die Kläger sind verheiratet und wurden für die Streitjahre 2005 und 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Für den Kläger bestanden in den Streitjahren folgende Beteiligungsverhältnisse:
An der Textilhäuser L 2 GmbH sind der Kläger und sein Bruder zu jeweils 50 % beteiligt; beide sind zu Geschäftsführern berufen.
An der L 3 GmbH sind der Kläger und sein Bruder zu je 45 % unmittelbar beteiligt. Die weiteren 10 % der Anteile werden von der L 4 GmbH gehalten, an der wiederum der Kläger und sein Bruder zu jeweils 50 % beteiligt sind. Geschäftsführer der L 3 GmbH und der L 4 GmbH sind ebenfalls der Kläger und sein Bruder.
Außerdem sind der Kläger und sein Bruder an der N GmbH beteiligt.
Dem Kläger ist von der Textilhäuser L 2 GmbH eine Pensionszusage erteilt worden, nach der er ab Vollendung des 65. Lebensjahres eine jährliche Rente in Höhe von 23.004 Euro erhält. Sein Bruder hat eine Pensionszusage von der L 3 GmbH erhalten, wonach er ab Vollendung des 65. Lebensjahres eine jährliche Rente von 23.008 Euro beanspruchen kann. Pensionszusagen seitens der L 4 GmbH und seitens der N GmbH bestehen dagegen nicht.
Im Rahmen der Einkommensteuererklärungen 2005 und 2006 erklärte der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus drei nebeneinander ausgeübten Beschäftigungsverhältnissen als Geschäftsführer der Textilhäuser L 2 GmbH, der L 4 GmbH sowie der N GmbH. Außerdem gab er an, dass keine gesetzliche Rentenversicherungspflicht in 2005 und 2006 als GmbH-Gesellschaftergeschäftsführer und auch keine Anwartschaft auf Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistungen oder durch steuerfreie Beiträge zu einer betrieblichen Altersversorgung bestanden habe. Ebenso wenig seien steuerfreie Arbeitgeberzuschüsse zur Kranken-, Pflege-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung gezahlt worden.
Im Rahmen der Steuerfestsetzungen für 2005 durch Bescheid vom 02.08.2007 und für 2006 durch Bescheid vom 28.04.2008 kürzte der Beklagte den Vorwegabzug gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG auf Grund der dem Kläger als GmbHGesellschaftergeschäftsführer gewährten Pensionszusage.
Gegen die Steuerfestsetzungen wandten sich die Kläger mit Einsprüchen vom 17.08.2007 (2005) und vom 07.05.2008 (2006). Unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 16.10.2002 (XI R 25/01, BStBl II 2004, 546) und vom 23.02.2005 (XI R 29/03, BStBl II 2005, 634) vertraten sie die Auffassung, eine Kürzung des Vorwegabzugs gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG sei im Fall des Klägers nicht gerechtfertigt. Der Kläger gehöre nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG, da der Kläger sein Anwartschaftsrecht auf seine Altersversorgung durch die Textilhäuser L 2 GmbH nicht ganz oder teilweise ohne, sondern ausschließlich durch eigene Beitragsleistungen erworben habe. Für den Erhalt der Versorgungszusage habe der Kläger eine Beitragsleistung in der Weise erbracht, dass er auf entsprechende gesellschaftsrechtliche Ansprüche bei der L 3 GmbH verzichtet habe, während sein Bruder dort eine Pensionszusage in gleicher Höhe erhalten habe unter Verzicht auf seine gesellschaftsrechtlichen Ansprüche bei der Textilhäuser L 2 GmbH. Diese Konstellation in konzernverbundenen Unternehmen sei nicht anders zu behandeln, als eine Pensionszusage an zu jeweils 50 % beteiligte Gesellschaftergeschäftsführer einer GmbH.
Die Einsprüche wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 12.08.2008 als unbegründet zurück. Er vertrat die Auffassung, da nur der Kläger und nicht auch sein Bruder eine Pensionszusage der Textilhäuser L 2 GmbH erhalten habe, habe er seine Anwartschaft auf Altersversorgung nicht allein durch einen Verzicht auf eigene gesellschaftsrechtliche Ansprüche entsprechend seiner quotalen Beteiligung erlangt, sondern auch durch eine Minderung der gesellschaftsrechtlichen Ansprüche seines Mitgesellschafters und Bruders. Auch im Rahmen konzernverbundener Unternehmen sei für die Beurteilung der Frage, ob eine Anwartschaft auf Altersversorgung ausschließlich durch eigene Beitragsleistungen erworben sei, nicht auf den Konzern mit all seinen Gesellschaften als Gesamtheit abzustellen, sondern auf die einzelne Kapitalgesellschaft, die die Pensionszusage erteilt habe.
Mit ihrer Klage vom 10.09.2008 verfolgen die Kläger ihr Begehren auf die Gewährung des ungekürzten Vorwegabzugs weiter. Unter Vertiefung ihres Vorbringens aus dem Einspruchsverfahren weisen sie darauf hin, dass den genannten Entscheidungen des BFH eine typisierende und wirtschaftliche Betrachtungsweise zu Grunde liege, die auch der Bundesminister der Finanzen in seinem Schreiben vom 22.05.2007 (IV C 8-S2221/07/0002) übernommen habe. Unter Berücksichtigung dieses wirtschaftlichen Hintergrundes sei im Rahmen des § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG eine konzernbezogene weite Betrachtungsweise angebracht. Bei wirtschaftlicher Betrachtung ändere der Umstand, dass die Pensionszusagen im vorliegenden Fall von zwei verschiedenen Unternehmen eines Konzerns erteilt worden seien, nichts daran, dass sowohl der Kläger als auch sein Bruder wirtschaftlich betrachtet ihre Anwartschaft auf Altersversorgung ausschließlich durch einen ihrer Beteiligungsquote entsprechenden Verzicht auf gesellschaftsrechtliche Ansprüche erworben hätten.
Während des Klageverfahrens hat der Beklagte am 21.04.2009 einen aus hier nicht streitigen Gründen geänderten Bescheid für 2005 erlassen. Zu den Einzelheiten wird auf die Kopie des Bescheides (Blatt 23/24/25 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2005 vom 21.04.2007 sowie den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 28.04.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2008 dahingehend abzuändern, dass im Rahmen der Ermittlung der abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 3 EStG a. F. der Vorwegabzug nicht um 16 % des Arbeitslohns des Klägers gekürzt wird,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung bezieht er sich auf seine Einspruchsentscheidung.
Der Senat hat in der Sache am 22.07.2010 mündlich verhandelt. Zu den Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide in der Fassung der Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig und verletzten die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Den Klägern steht ein ungekürzter Vorwegabzug gemäß § 10 Abs. 4 i. V. m. § 10 Abs. 3 und § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG a. F. für die Streitjahre nicht zu.
Nach den genannten Vorschriften steht zusammenveranlagten Ehegatten für Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 1 EStG als Höchstbetrag ein Vorwegabzug von 6.136 Euro zu. Dieser Vorwegabzug ist gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG i. V. m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG a. F. u. a. dann um 16 % der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 EStG zu kürzen, wenn der Steuerpflichtige während des ganzen oder eines Teils des Kalenderjahres nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegt, eine Berufstätigkeit ausgeübt und im Zusammenhang damit auf Grund vertraglicher Vereinbarungen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung erworben hat.
Im Streitfall sind diese Voraussetzungen erfüllt. Die dem Kläger seitens der Textilhäuser L 2 GmbH erteilte Pensionszusage beruht nicht vollständig auf eigener Beitragsleistung des Klägers. Der Umstand, dass die L 3 GmbH dem Bruder des Klägers eine identische Pensionszusage erteilt hat, führt nicht dazu, dass die dem Kläger erteilte Pensionszusage vollständig auf eigener Beitragsleistung beruht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der der erkennende Senat sich auch für den vorliegenden Fall anschließt, ist einem Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH der Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen ungekürzt zu belassen, weil dieser – wirtschaftlich betrachtet – eine ihm von der GmbH zugesagte Altersversorgung durch Verzicht auf entsprechende gesellschaftsrechtliche Ansprüche (§§ 29, 72 GmbHGesetz – GmbHG –) und damit letztlich ausschließlich durch eigene Beitragsleistung erwirbt (BFH-Urteil vom 16.10.2002 XI R 25/01, BStBl II 2004, 546). Das gleiche gilt, wenn eine GmbH mehreren Gesellschaftergeschäftsführern eine Altersversorgung zugesagt hat und der einzelne Gesellschaftergeschäftsführer bei typisierender und wirtschaftlicher Betrachtung sein Anwartschaftsrecht auf Altersversorgung auf Dauer gesehen ausschließlich durch einen seiner Beteiligungsquote entsprechenden Verzicht auf gesellschaftsrechtliche Ansprüche erwirbt (BFH-Urteil vom 23.02.2005 XI R 29/03, BStBl II 2005, 634).
Aus diesen Grundsätzen folgt, dass der von einem Gesellschaftergeschäftsführer einer GmbH bezogene Arbeitslohn nur dann aus der Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs auszunehmen ist, wenn die gegen die Gesellschaft erworbenen Ansprüche auf eigene Altersversorgung vollständig mit dem Verzicht auf die dem Steuerpflichtigen in seiner Eigenschaft als (Mit-)Gesellschafter zustehenden Ansprüche in Verbindung gebracht werden können. Mindert sich dagegen durch die Zusage der Altersversorgung zugleich dauerhaft der Gewinnanteil eines Mitgesellschafters oder dessen Anspruch auf Teilhabe am Liquidationserlös, ohne dass dem Mitgesellschafter eine vergleichbare, seiner Beteiligungsquote entsprechende Alterssicherung zugesagt worden ist, so erwirbt der Steuerpflichtige seine Pensionsanwartschaft zumindest insoweit ohne eine von ihm selbst erbrachte eigene Beitragsleistung. Dabei reicht es nach dem Gesetzeswortlaut für die vorzunehmende Kürzung des Vorwegabzuges aus, wenn die Versorgungszusage zumindest teilweise nicht auf eigener Beitragsleistung des Steuerpflichtigen beruht.
Im Streitfall hat der Kläger seine Versorgungsanwartschaft nicht in voller Höhe durch eigene Beitragsleistung erworben, sondern auch zu Lasten seines Bruders und Mitgesellschafters. Denn die Textilhäuser L 2 GmbH hat dem Bruder des Klägers eine gleich lautende Versorgungszusage nicht erteilt.
In diesem Zusammenhang kann entgegen der Auffassung der Kläger nicht berücksichtigt werden, dass dem Bruder des Klägers bei der L 3 GmbH eine gleich lautende Versorgungszusage erteilt worden ist, nicht aber dem Kläger. Eine derartig weite, allein an einer wirtschaftlichen Betrachtung ausgerichtete Auslegung der Vorschrift des § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG ist nicht geboten.
Dabei geht der Senat im Anschluss an die vom Bundesfinanzhof im Urteil vom 02.09.2008 (X R 17/08, BFH/NV 2009, 141) entwickelten Grundsätze davon aus, dass eine Kapitalgesellschaft ein selbständiges Steuersubjekt ist (§ 1 des Körperschaftsteuergesetzes – KStG –), das die von ihr erzielten Einkünfte unabhängig vom Gesellschafter zu versteuern hat (sog. Trennungsprinzip). Folge dieses Trennungsprinzips ist, dass einer „wirtschaftlichen Betrachtungsweise”, die die Rechtsprechung zur Kürzung des Vorwegabzugs bei einem Alleingesellschaftergeschäftsführer oder auch bei identischen Beteiligungsquoten bei Mehrpersonengesellschaften prägt, Grenzen gesetzt sind. Die von den Klägern im Streitfall geforderte Ausdehnung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise stünde mit dem Trennungsprinzip nicht mehr im Einklang.
Das gilt für den vorliegenden Fall, obwohl der Kläger und sein Bruder an den die Pensionszusagen gewährenden Gesellschaften jeweils in der selben Höhe beteiligt sind und auch die gleichberechtigte Geschäftsführung innehaben und die Verantwortlichkeit des Klägers für die Textilhäuser L 2 GmbH und die Verantwortlichkeit seines Bruders für die L 3 GmbH, auf der die getrennten Pensionszusagen beruhen, auf innerfamiliärer tatsächlicher Übung beruht. Denn auch bei wirtschaftlicher Betrachtung kann nicht außer Acht gelassen werden, dass beide Gesellschaften im Konzernverbund ein vollständig unterschiedliches Schicksal erleiden können (z.B.: Insolvenz, Veräußerung).
Im Übrigen lässt die von den Klägern geforderte Betrachtung außer Ansatz, dass Versorgungszusagen Rechtsbeziehungen betreffen, die allein den Arbeitnehmer (hier den Gesellschaftergeschäftsführer) und den Arbeitgeber (hier die Textilhäuser L 2 GmbH) betreffen. Für die Frage, ob Versorgungsleistungen auf eigenen Beitragsleistungen des Steuerpflichtigen beruhen, kann es nach Auffassung des Senats daher auch nur auf das Verhältnis zwischen diesen beteiligten Rechtspersonen ankommen und nicht darauf, ob aufgrund innerfamiliärer oder konzerninterner Absprachen Verzichte an anderer Stelle geleistet wurden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.
Die Revisionszulassung erfolgt zur Fortbildung des Rechts gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO, da eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu der Frage der Kürzung des Vorwegabzugs bei Gesellschaftergeschäftsführern in konzernverbundenen Unternehmens bisher nicht vorliegt.