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  • 01.12.2010

    Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 27.07.2009 – 6 K 2008/2008

    Geht das Kind in dem Zeitraum, in dem es die gesetzlichen Voraussetzungen eines Berücksichtigungstatbestands i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG erfüllt, einer Erwerbstätigkeit nach und übersteigen seine gesamten Einkünfte und Bezüge den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht, besteht ein Anspruch auf Kindergeld unabhängig davon, ob es sich bei der Erwerbstätigkeit um eine Vollzeiterwerbstätigkeit handelt.


    Tatbestand

    Streitig ist, inwieweit das Meistbegünstigungsprinzip hinsichtlich des Kindergeldes bei zeitweise vollzeitbeschäftigten volljährigen Kindern nach Änderung der Rechtsprechung durch BFH-Urteil vom 16.11.2006 III R 15/06 noch Anwendung findet.

    Der Sohn A (geboren 17.06.1989) des Klägers beendete im Februar 2008 seine Ausbildung zum Bankkaufmann. Da die Einkünfte und Bezüge von A ab Vollendung des 18. Lebensjahres den anteiligen Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten hatten, hatte die Beklagte mit Bescheid vom 13.07.2007 die Bewilligung von Kindergeld für A ab Juli 2007 aufgehoben. Der dagegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 31.10.2007 als unbegründet zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde bestandskräftig.

    Nach Mitteilung, dass für die Monate Januar und Februar 2008 der anteilige Jahresgrenzbetrag (1.280 €, d.h. 2/12 von 7.680 €) nicht überschritten werde, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 06.12.2007 Kindergeld für A für Januar und Februar 2008. Ausweislich der Berechnung der Beklagten betrugen die Einkünfte von A in diesem Zeitraum 1.219,11 €.

    Bezüglich der weiteren Tätigkeit von A teilte der Kläger am 15.02.2008 mit, dass A bis Mitte 2008 bei der Bank 1 beschäftigt sei und ab dem neuen Schuljahr, d.h. ab September 2008 die Berufsoberschule zur Erlangung des Abiturs besuchen werde.

    Mit Bescheid vom 21.02.2008 hob die Beklagte die Bewilligung von Kindergeld für A ab März 2008 auf. Zur Begründung war ausgeführt, dass A im Februar 2008 die Berufsausbildung beendet habe und danach kein Anspruch auf Kindergeld mehr bestehe.

    Im Hinblick auf den beabsichtigten Ausbildungsbeginn im September 2008 und die in diesem Zusammenhang erfolgte Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei der Bank 1 zum 31.08.2008 beantragte der Kläger am 24.06.2008 die Bewilligung von Kindergeld für A ab September 2008. In der Erklärung zu den Einkünften und Bezügen eines über 18 Jahre alten Kindes für 2008 gab er an: „Mein Kind wird ab Sept. 2008 voraussichtlich keine Einkünfte und Bezüge haben.”

    Mit Bescheid vom 26.09.2008 hob die Beklagte daraufhin die Bewilligung von Kindergeld ab Januar 2008 auf. Zur Begründung trug sie vor, die kindergeldrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen lägen für das gesamte Kalenderjahr 2008 vor. So habe A bis Februar 2008 in Berufsausbildung gestanden, so dass der Berücksichtigungstatbestand nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vorliege, für den Zeitraum März bis August 2008 liege der Berücksichtigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG vor, weil A eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht habe beginnen können und ab September, dem Besuch der Berufsoberschule, liege wiederum der Berücksichtigungstatbestand nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vor. Somit seien alle Einkünfte und Bezüge von A im Jahr 2008 zu berücksichtigen. Diese überstiegen allerdings den Jahresgrenzbetrag (lt. Berechnung der Beklagten betrugen diese im Jahr 2008 insgesamt 9.061,92 €). Zugleich wurde zuviel gezahltes Kindergeld für Januar und Februar 2008 i.H.v. 308 € zurückgefordert, § 37 Abs. 2 AO.

    Der dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. In der Einspruchsentscheidung vom 01.12.2008 war dazu ausgeführt, dass im Hinblick auf die Änderung der Rechtsprechung durch das BFH-Urteil vom 16.11.2006 III R 15/06, BStBl. II 2008, 56 auch die Zeiten der Vollerwerbstätigkeit zu berücksichtigen seien, wenn gleichzeitig der Grundtatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a-c EStG erfüllt sei.

    Mit seiner Klage beantragt der Kläger den Aufhebungsbescheid vom 26.09.2008 und die Einspruchsentscheidung vom 01.12.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Kindergeld für A für das Kalenderjahr 2008 für die Monate zu bewilligen, in denen A keiner Vollzeiterwerbstätigkeit nachgegangen sei.

    Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass die Rechtsprechung des BFH bei Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit des volljährigen Kindes eine typische Unterhaltssituation verneine. Zwar habe der BFH in seinem Urteil vom 16.11.2006 III R 15/06 seine Rechtsprechung zum Meistbegünstigungsprinzip teilweise geändert, jedoch erfasse dies nicht den vorliegenden Fall.

    Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

    Zur Begründung verweist sie auf ihre Einspruchsentscheidung vom 01.12.2008. Nach der bisherigen Rechtsprechung sei bei Überschreiten des Grenzbetrags das Kindergeld nur für die Monate der Vollzeiterwerbsfähigkeit entfallen und für die übrigen Monate erhalten geblieben, wenn der anteilige Grenzbetrag insoweit unterschritten gewesen sei. Nach der nunmehr eingetretenen Änderung der Rechtsprechung des BFH durch das BFH-Urteil vom 16.11.2006 III R 15/06, BStBl. II 2008, 56 entfalle das Kindergeld, wenn das volljährige Kind vollzeitig erwerbstätig gewesen und der Grenzbetrag überschritten sei, nicht nur für die Monate der Vollzeiterwerbstätigkeit, sondern für das gesamte Kalenderjahr.

    Mit Beschluss vom 31.03.2009 ist der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen worden, § 6 FGO.

    Gründe

    Die Klage ist begründet.

    Die Beklagte hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Kindergeld für das Kalenderjahr 2008 allein mit der Begründung verneint, das Kind habe auch in der Zeit, in der es einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgegangen sei, den Grundtatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG erfüllt. Deswegen könnte der Zeitraum der Vollerwerbstätigkeit von März bis einschl. August 2008 nicht als Kürzungsmonate berücksichtigt werden mit der Folge, dass die in diesen Monaten erzielten Einkünfte und Bezüge nicht zu berücksichtigen sind.

    Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird ein Kind, welches das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, u.a. beim Kindergeldberechtigten berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird (Buchst. a), sich in einer Übergangszeit von höchstens 4 Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befindet (Buchst. b) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (Buchst. c) und wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr 2008 hat (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG an keinem Tag vorliegen, ermäßigt sich der Grenzbetrag um 1/12 (§ 32 Abs. 4 Satz 7 EStG). Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf diese Kalendermonate entfallen, bleiben außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 Satz 8 EStG).

    Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Eltern in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a-c EStG typischerweise durch Unterhaltsleistungen für ihre Kinder in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sind. Übt das Kind eine Vollzeiterwerbstätigkeit aus, kann es aber in der Regel – unter Freistellung der Eltern von ihren Unterhaltspflichten – seinen existenznotwendigen Bedarf selbst decken.

    Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist daher ein Kind, auch wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, b oder c EStG im Übrigen vorliegen, in den Monaten einer Vollzeiterwerbstätigkeit nicht als Kind zu berücksichtigen, weil es in diesen Monaten typischerweise an einer verminderten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern fehlt, die eine Entlastung durch Kindergeld rechtfertigt (BFH-Urteile vom 19.10.2001 VI R 39/00, BStBl II 2002, 481; vom 15.09.2005 III R 67/04, BStBl II 2006, 305).

    Die vom BFH mit der vorgenannten Rechtsprechung erstrebte Begünstigung aktiv tätiger Kinder wirkt sich jedoch nachteilig aus, wenn das zeitweise vollzeiterwerbstätige Kind nur so wenig verdient, dass seine gesamten Einkünfte und Bezüge aus dem Berücksichtigungszeitraum den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht überschreiten. In dieser Fallkonstellation würden die Eltern für ihr Kind, das auch während der Monate der Vollzeiterwerbstätigkeit einen Berücksichtigungstatbestand erfüllt, auf der Grundlage der im Urteil vom 15.09.2005 III R 67/04 (BStBl II 2006, 305) vertretenen Rechtsansicht ihre Kindergeldansprüche für sämtliche Monate verlieren, in denen das Kind während des gesamten Monats vollzeiterwerbstätig war.

    Um dieses unerwünschte Ergebnis zu vermeiden, hat sich der BFH unter teilweiser Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung im BFH-Urteil vom 16.11.2006 (III R 15/06, BStBl II 2008, 56) für ein Meistbegünstigungsprinzip zugunsten der Eltern ausgesprochen und entschieden, dass in Fällen, in denen die Einkünfte und Bezüge des Kindes den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen, der Kindergeldanspruch unabhängig davon besteht, ob es sich bei der Erwerbstätigkeit um eine Vollzeiterwerbstätigkeit handelt.

    Es hat dabei allerdings ausdrücklich an dem früheren Ausgangspunkt festgehalten, dass ein Kind in den Monaten der Vollzeiterwerbstätigkeit seinen existenznotwendigen Bedarf typischerweise selbst decken könne und deshalb in den Monaten der Vollzeiterwerbstätigkeit auch dann nicht als Kind zu berücksichtigen sei, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, b oder c EStG im Übrigen vorliegen. Dies ergibt sich insbesondere aus den Ausführungen in Rdn. 17 bis 20 des BFH-Urteils vom 16.11.2006 (III R 15/06, BStBl II 2008, 56).

    Der BFH ergänzt seine laufende Rechtsprechung lediglich dahin, dass die dort vorgenommene einschränkende, vom Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung sich nicht nachteilig auswirken und dazu führen dürfe, dass der Kindergeldanspruch aufgrund einer Vollzeiterwerbstätigkeit entfalle, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes im Berücksichtigungszeitraum insgesamt den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht überschritten. Zur Begründung stellt der BFH auf die fortbestehende Unterhaltssituation bei den Eltern ab und führt aus, dass andernfalls das Existenzminimum des Kindes beim Kindergeldberechtigten nicht von der Einkommensteuer freigestellt wäre.

    Das Gericht folgt dem vom BFH in inzwischen ständiger Rechtsprechung befürworteten Prinzip der Meistbegünstigung, um die aktive Erwerbstätigkeit in Ausbildung befindlicher Kinder zu fördern (ebenso Finanzgericht Köln, Urteil vom 12.03.2009 10 K 3830/08, StE 2009, 371 und in Juris).

    Unter Berücksichtigung der vorgenannten Ausführungen sind die Monate der Vollzeiterwerbstätigkeit, d.h. die Monate März bis einschl. August 2008 als Kürzungsmonate zu behandeln, mit der Folge, dass die in diesen Monaten erzielten Einkünfte und Bezüge von A nicht zu berücksichtigen sind. Bei dieser Rechtsansicht wird der anteilige Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG unstreitig nicht überschritten.

    Soweit die Beklagte die im BFH-Urteil vom 16.11.2006 III R 15/06 erfolgte Änderung der Rechtsprechung entgegen der klaren Urteilsbegründung zum Anlass nimmt, die bisher ständige Rechtsprechung des BFH zum Meistbegünstigungsprinzip in vollem Umfang als überholt anzusehen, kann dem nicht gefolgt werden. Hintergrund der Rechtsprechung, die zum Meistbegünstigungsprinzip führte, war die Willensentscheidung, aktive Kinder zu fördern, die bei zeitlichen Kapazitäten nicht nur zu Hause sitzen. Daran hat sich nichts geändert.

    Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenEStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c, EStG § 32 Abs. 4 Satz 2, EStG § 63 Abs. 1 Satz 2