08.01.2010
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 29.01.2009 – 4 K 82/07
Unzutreffende Referenzmengenfestsetzungen vom Hauptzollamt sind nach § 10 Abs. 1 MOG zurückzunehmen.
Ein Betriebserwerber kann für das Jahr des Übergangs der Referenzmenge nur noch die Referenzmenge für sich in Anspruch nehmen, die der Abgebende bis zum Übergang nicht für eigene Milchanlieferungen ausgeschöpft hat.
Tatbestand
Der Landwirt A verkaufte zum 01.10.2005 seinen auf Milcherzeugung ausgerichteten landwirtschaftlichen Betrieb an die Klägerin. Auf der Grundlage des Kaufgeschäftes übertrug die Landwirtschaftskammer B mit ihrer Übertragungsbescheinigung vom 02.11.2005 die zum Betrieb gehörende Referenzmenge in Höhe von 617.690 kg mit einem dazu gehörigen Referenzfettgehalt von 3,95 % mit Ablauf des 30.09.2005 auf die Klägerin. Da der Landwirt A bis zur Übergabe des Betriebes auf die übertragende Milchquote bereits eine fettkorrigierte Milchmenge von 325.994 kg geliefert hatte, teilte die Molkerei C GmbH der Klägerin aus der vorgenannten Übertragungsbescheinigung für den 12-Monatszeitraum 2005/2006 eine abgabefrei belieferbare Referenzmenge in Höhe von 291.696 kg zu. Für eine nach Saldierung verbliebene Überlieferung von 187.883 kg meldete die Molkerei C GmbH dann mit der berichtigten Abgabeanmeldung Nr. 1 vom 07.08.2006 für den 12-Monatszeitraum 2005/2006 einen von der Klägerin geschuldeten Abgabenbetrag in Höhe von 58.074,59 € beim Beklagten zur Zahlung an.
Gegen diese Abgabeanmeldung legte die Klägerin am 23.08.2006 Einspruch ein und machte geltend, sie sei sich mit dem Landwirt A darüber einig gewesen, die ihr übertragene Referenzmenge in Höhe von 617.690 kg im 12-Monatszeitraum 2005/2006 voll nutzen zu können. Dazu legte sie eine von ihr und Herrn A am 31.08.2006 unterschriebene Zusatzvereinbarung zum notariellen Kaufvertrag vor, in der die Parteien vereinbart hatten, dass die Klägerin die von der Landesstelle übertragene Referenzmenge bereits im 12-Monatszeitraum 2005/2006 in vollem Umfang unbeliefert zur Verfügung stehen soll.
Mit Schreiben vom 06.09.2006 erkannte der Beklagte die Vereinbarung zwischen den Erzeugern vom 31.08.2006 an und teilte der Klägerin für den 12-Monatszeitraum 2005/2006 eine abgabefrei belieferbare Referenzmenge in Höhe von 617.690 kg mit einem Referenzfettgehalt von 3,95 % zu.
Mit Bescheid vom 01.02.2007 nahm der Beklagte seine Entscheidung vom 06.09.2006 nach § 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und Direktzahlungen (MOG) zurück und setzte die der Klägerin für den 12-Monatszeitraum 2005/2006 für abgabefreie Lieferungen zur Verfügung stehende Referenzmenge auf 291.696 kg mit einem Referenzfettgehalt von 3,95 % fest.
Gegen den Bescheid vom 01.02.2007 legte die Klägerin mit Schreiben vom 19.02.2007 Einspruch ein, den der Beklagte mit seiner Einspruchsentscheidung vom 27.02.2007 als unbegründet zurückwies. Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage vom 26.03.2007, zu deren Begründung die Klägerin u. a. Folgendes vorträgt:
Der angefochtene Bescheid könne nicht auf die Ermächtigungsgrundlage des § 10 Abs. 1 MOG gestützt werden. Auf Bescheide über die Festsetzung der Referenzmenge gem. § 18 Milchabgabenverordnung (MilchAbgVO) und über die Festsetzung der Höhe der Milchabgabe seien gem. § 12 Abs. 1 MOG die Vorschriften der AO anzuwenden.
Darüber hinaus habe die Landwirtschaftskammer den Übergang einer Referenzmenge in Höhe von 617.690 kg bescheinigt. An diesem Grundlagenbescheid sei die Finanzbehörde gebunden und könne daher die Referenzmenge für den 12-Monatszeitraum 2005/2006 nicht abweichend von diesem Bescheid festsetzen (§ 18 Abs. 3 Satz 2 MilchAbgVO).
In den maßgeblichen Vorschriften der Milchabgabenverordnung sei nicht geregelt, was bei Übertragungen im laufenden 12-Monatszeitraum gelten solle.
Allerdings sei jetzt in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 geregelt, dass die Bedingungen der Übertragung der Referenzmenge - soweit die nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten nichts anders vorsehen - durch eine Vereinbarung zwischen den Parteien geregelt werden könne. Im Übrigen seien nach Art. 5 k der genannten Verordnung zur Bestimmung der verfügbaren Referenzmenge alle Übertragungen, Überlassungen und Neuzuweisungen, die während des 12-Monatszeitraums erfolgt sein, zu berücksichtigen.
Nach der bindenden und bestandskräftigen Übertragungsbescheinigung der Landwirtschaftskammer sei die volle Referenzmenge in Höhe von 617.690 kg auf die Klägerin übergegangen.
Die Klägerin beantragt,
den Aufhebung und Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 01.02.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.02.2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung vom 27.02.2007. Ergänzend trägt er u. a. Folgendes vor:
Eine unzutreffende Referenzmengenfestsetzung sei nach § 10 Abs. 1 MOG zurückzunehmen, unabhängig davon, ob die unzutreffende Festsetzung dem Hauptzollamt oder der Molkerei zuzurechnen sei.
Anders als die Klägerin meint, könnten wirksame Vereinbarungen zur Nutzung der Referenzmenge im Jahr des Übergangs nur noch hinsichtlich des vom abgebenden noch nicht ausgeschöpften Teils der übertragenden Milchquote erfolgen.
Zwei Sachvorgänge des Beklagten (Heft Sachakte und RL-Akte zu 4 K 82/07) haben vorgelegen.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 01.02.2007 zu Recht unter Aufhebung seiner Einspruchsentscheidung vom 06.09.2006 die Referenzmenge der Klägerin für das Milchwirtschaftsjahr 2005/2006 auf 291.696 kg mit einem Referenzfettgehalt von 3,95 % festgesetzt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wie auch mit der Entscheidung vom 06.09.2006 hat der Beklagte Referenzmengen für die Klägerin festgesetzt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, sind unzutreffende Referenzmengenfestsetzungen vom Hauptzollamt nach § 10 Abs. 1 MOG zurückzunehmen. Die Rücknahme ist dabei nicht in das Ermessen der Behörde gestellt. Dass § 48 Abs. 2 bis 4 und § 49 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes der Rücknahme des Referenzmengenfestsetzungsbescheides des Beklagten vom 06.09.2006 entgegenstehen, hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Anhaltspunkte dafür sind auch nicht ersichtlich.
Der Klägerin ist vom Beklagten für das Milchwirtschaftsjahr 2005/2006 zu Recht nur eine Referenzmenge von 291.696 kg zugeteilt worden. Mangels einer gesetzlichen Regelung hat der Senat in seinem Urteil vom 14.04.1989, IV 69/87 S-H (ZFZ 1990, 54) im Wege rechtlicher Rechtsfortbildung entschieden, dass der Erwerber für das Jahr des Übergangs der Referenzmenge nur noch die Referenzmenge für sich in Anspruch nehmen kann, die der abgebende bis zum Übergang nicht für eigene Milchanlieferungen ausgeschöpft hat. Die Vertragsparteien können deshalb - anders als im Streitfall - wirksame Vereinbarungen zur Nutzung der Referenzmenge im Jahr des Übergangs auch nur noch hinsichtlich des vom Abgebenden noch nicht ausgeschöpften Teils der übertragenen Milchquote treffen. Da Herr A bis zum Übertragungszeitpunkt eine Milchmenge von 325.994 kg an die Molkerei angeliefert hatte, musste der Beklagte - anders als von den Vertragsbeteiligten in der Zusatzvereinbarung vom 31.08.2006 vereinbart - die Referenzmenge für die Klägerin auf 291.696 kg festsetzen.
Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, ihr stünde die von der Landesstelle am 02.11.2005 übertragende Referenzmenge in Höhe von 617.960 kg im streitbefangenen 12-Monatszeitraum 2005/2006 in vollem Umfang zur Verfügung. Im Hinblick auf die Höhe der übertragenden Referenzmenge im Jahr des Überganges hat die Landesstelle unter Nr. 7 geregelt, dass die Molkerei der Klägerin mitteilt, welche Referenzmenge ihr im 12-Monatszeitraum 2005/2006 unter Berücksichtigung der vom Abgeber bereits gelieferten Milchmenge noch verbleibt. Diese Feststellung ist für den Beklagten und für die Molkerei verbindlich für die Zuordnung der Referenzmenge.
Soweit die Klägerin auf das Urteil des Finanzgerichtes Hamburg vom 29.03.2007 im dem Verfahren 4 K 101/06 verweist, ist anzumerken, dass dort eine Entscheidung vor dem Hintergrund der Saldierungsmöglichkeit nach § 14 der MilchAbgVO getroffen worden ist. In welchem Umfang die von der Landesstelle bescheinigte Referenzmenge vom Übernehmer noch beliefert werden kann, war in dem vom Finanzgericht Hamburg entschiedenen Fall zwischen den Parteien unstreitig.
Im Hinblick auf die der Klägerin für den 12-Monatszeitraum 2005/2006 zustehende Referenzmenge kann sie sich auf nicht auf Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 berufen. Denn diese Rechtsnorm regelt ausschließlich das Übertragungsverfahren durch die Landesstelle, dessen Ausgestaltung der nationale Verordnungsgeber im § 7 MilchAbgVO vorgenommen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
In der mündlichen Verhandlung ist deutlich geworden, dass die vom Finanzgericht Hamburg in seinem Urteil vom 14.04.1989 IV 69/87 S-H im Wege der Rechtsfortbildung beantwortete Frage, welche Referenzmenge einem Betriebsübernehmer im Jahr der Quotenübertragung zur abgabenfreien Belieferung zur Verfügung steht, grundsätzliche Bedeutung hat. Es ist deshalb die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen worden.