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  • 08.01.2010

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 12.06.2008 – 15 K 4271/07 Kg

    - Der nach deutschem Recht (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) bei Nichtbestehen eines Anspruchs auf Familienbeihilfe in Polen gegebene Kindergeldanspruch eines im Inland selbständig tätigen und dort – wegen des Betriebs eines zulassungsfreien Handwerks – nicht rentenversicherungspflichtigen polnischen Staatsbürgers für seine in Polen wohnhaften Kinder ist nicht aufgrund der VO (EWG) 1408/71 ausgeschlossen oder aufgrund der Regelungen in Art. 12 Abs. 2, 76 VO (EWG) 1408/71 oder Art. 7 Abs. 1, 10 Buchst. a VO (EWG) 574/72 zu kürzen.


    - Unerheblich ist dabei die Sozialversicherungspflicht im Heimatland aufgrund des Bezugs einer Militärrente.


    Tatbestand

    Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er ist in Deutschland als Trockenbauer selbständig tätig. Seit dem 01.07.2007 ist der Kläger in Deutschland freiwillig krankenversichert bei der „I- Versicherung”.

    Die Ehefrau des Klägers und die beiden Kinder leben in Polen. Die Tochter – „B” – geb. am 01.02.1990 wird voraussichtlich im Jahr 2010 ihre Schulausbildung beenden. Der Sohn – „N” – ist am 05.08.2000 geboren.

    Die Ehefrau des Klägers bezog für die Kinder vom 01.09.2005 bis 30.06.2006 (Bl. 28 ff. GA) Familienleistungen (mtl. 86 zl = ca. 20 EUR). Für den Zeitraum ab Juli 2006 hat die Ehefrau keine weiteren Anträge gestellt. Die Ehefrau hätte auch keine Familienleistungen mehr erhalten, weil die Einkünfte des Klägers zu hoch sind.

    Die Familie lebt von den Einkünften des Klägers. Die Ehefrau ist Hausfrau und hat keine eigenen Einkünfte.

    Der Kläger war in Polen beim Militär. Aus dieser Zeit bezieht der Kläger eine Militärrente, von der Krankenkassenbeiträge als Pflichtbeiträge durch das Rentenbüro der Streitkräfte „E-Stadt” einbehalten werden.

    Am 27.11.2006 beantragte der Kläger Kindergeld für die beiden Kinder „B” und „N”.

    Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.05.2007 ab.

    Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit der Einspruchsentscheidung vom 11.10.2007 als unbegründet zurück. Der Kläger unterliege der Sozialversicherungspflicht seines Heimatlandes und sei in Deutschland in der Rentenversicherung nicht pflichtversichert. Das deutsche Sozialrecht und damit auch das deutsche Kindergeldrecht finde daher keine Anwendung.

    Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Er beruft sich auf Art. 13 ff. und 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Zudem seien die Anspruchsvoraussetzungen von § 62 Abs. 1 EStG erfüllt.

    Der Kläger beantragt,

    die Beklagte zu verpflichten, ab Juli 2006 Kindergeld für 2 Kinder zu

    gewähren.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte vertritt nunmehr die Auffassung, deutsches Sozialrecht und damit auch das deutsche Kindergeldrecht finde grundsätzlich Anwendung. Ein Kindergeldanspruch sei jedoch nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen, weil die in Polen lebende Ehefrau dem Kindergeld vergleichbare Leistungen beziehe.

    In der mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin der Beklagten erklärt, sie gehe nunmehr ebenfalls davon aus, dass die Ehefrau des Klägers in Polen Familienleistungen lediglich bis Juni 2006 bezogen habe. Gleichwohl habe der Kläger aufgrund der VO (EWG) 1408/71 keinen Anspruch auf Kindergeld.

    Das Gericht hat die Kindergeldakte beigezogen. Auf diese und auf die Schriftsätze der Beteiligten im vorliegenden Verfahren wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

    Gründe

    Die Klage ist begründet, denn der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für die Kinder „B” und „N” ab Juli 2006 (§ 101 FGO).

    1) Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf Kindergeld in Deutschland ist § 62 ff. EStG. Danach hat ein Elternteil Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Inland einen Wohnsitz hat und sich seine Kinder im Inland oder einem Land der Europäischen Union (EU) aufhalten und dort die weiteren Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 bis 5 EStG erfüllen.

    a) Der Kläger hat im Inland seinen Wohnsitz und ist infolgedessen unbeschränkt steuerpflichtig.

    b) Nach § 62 Abs. 2 EStG ergibt sich für den Kläger keine Einschränkung. Er genießt seit dem Beitritt Polens zur EU am 01.05.2004 gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) i.V. mit § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügigkeitsG/EU) Freizügigkeit (vgl. DA 62.4.4 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des EStG –DA-FamEStG- vom 05.04.2004, BStBl I 2004, 742).

    c) Die beiden Kinder „B” und „N” sind berücksichtigungsfähige Kinder i.S. des § 63 EStG i.V. mit § 32 EStG. Sie haben ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG), sind leibliche Kinder des Klägers i.S. des § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG und haben das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet bzw. – sofern es „B” betrifft – befindet sich in Berufsausbildung gemäß § 22 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a) EStG.

    d) Der Anspruch auf Kindergeld ist nicht durch § 65 EStG ausgeschlossen.

    Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass für die beiden Kinder ab Juli 2006 in Polen keine dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistungen mehr gewährt wurden und in Polen auch kein Rechtsanspruch auf Gewährung von Kindergeld besteht. Ein Ausschluss gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG kommt daher nicht in Betracht.

    2) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Kindergeldanspruch auch nicht durch die Regelungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.19781 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – AblEG – 1971 Nr. L 149/2 – Konsolidierte Fassung AblEG Nr. L 28 vom 30.01.1997) oder die Verordnung (EWG) Nr. 572/72 des Rates vom 21.03.1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (AblEG Nr. L 74 vom 27.03.1972) ausgeschlossen oder zu kürzen. Das Gericht ist der Auffassung, dass die Beklagte die Frage der Gewährung von Kindergeld ausgehend von den Regelungen des EStG zu prüfen hat und lediglich in diesem Zusammenhang die Frage zu klären ist, ob die Ausschlussklausel des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG von speziellem europäischen Recht verdrängt wird (vgl. FG Düsseldorf, Urteile v. 15.11.2007 14 K 2642/07, juris und v. 02.01.2008 14 K 2546/07, juris).

    a) Der Kläger unterliegt jedoch bereits nicht dem persönlichen Anwendungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408/71. Die VO (EWG) Nr. 1408/71 gilt gemäß Art. 2 Abs. 1 für Arbeitnehmer und Selbständige und bestimmte andere, näher bezeichnete Personengruppen. Der Kläger ist diesen Personengruppen nicht zuzurechnen, insbesondere ist er kein „Selbständiger” i.S. der VO. „Selbständiger” i.S. der VO ist gemäß Anhang I, Anmerkung I E b) zur VO nur, wer in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- und beitragspflichtig ist, oder in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist (s. dazu Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Fach D Anhang I zu VO Nr. 1408/71; BFH, Urteil v. 13.08.2002 VIII R 54/00, BStBl II 2002, 869; Hessisches FG, Urteile v. 23.05.2007 3 K 3143/06, EFG 2007, 1527 und v. 12.07.2007 2 K 2908/06, juris; FG Düsseldorf, Urteile v. 15.11.2007 14 K 2642/07, juris, v. 02.01.2008 14 K 2546/07, juris und v. 16.04.2008 9 K 1664/07, juris). Dies wiederum ist der Fall, wenn der Betreffende dem in § 2 Satz 1 SGB VI aufgeführten Personenkreis zuzurechnen ist, oder auf Antrag gemäß § 4 SGBB VI versicherungspflichtig ist. Der Kläger übt indessen ein Gewerbe als Trockenbauer aus und betreibt damit kein zulassungspflichtiges Handwerk (dazu Wüllenkemper, EFG 2008, 696, 697, linke Spalte a.E.). Der Kläger hat auch nicht geltend gemacht, er sei gesetzlich oder freiwillig beitragspflichtig. Seit dem 01.07.2007 ist er lediglich freiwillig krankenversichert.

    b) Der nach nationalem Recht gegebene Anspruch auf Kindergeld ist – ungeachtet der Ausführungen zu a) - auch nicht aufgrund der Regelungen in Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408/71 oder Art. 10 VO (EWG) Nr. 574/72 zu kürzen (dazu FG Düsseldorf, Urteile v. 22.01.2008 10 K 1462/07, EFG 2008, 695 mit Anmerkung Wüllenkemper, EFG 2008, 696 und v. 16.04.2008 9 K 1664/07, juris).

    aa) Nach Art 76 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 ruht ein Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gemäß Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408/71 geschuldeten Familienleistungen (Art. 1 Buchstabe u Ziffer ii, Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) Nr. 1408/71) bis zu dem in den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag, wenn für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit vorgesehen sind. Wird in diesem Mitgliedstaat kein Antrag auf Leistungsgewährung gestellt, so kann der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem der Anspruch ganz oder teilweise ruht, Art. 76 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 anwenden, als ob Leistungen in dem anderen Mitgliedstaat gewährt würden (Art. 76 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71). Gleiches gilt nach Art. 10 Buchstabe a VO (EWG) Nr. 574/72 für den Fall, dass der Anspruch auf die Familienleistung nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit abhängig ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind nicht erfüllt, weil für die Kinder des Klägers und seiner Ehefrau in Polen kein Anspruch auf Familiengeld besteht.

    bb) Eine Kürzung von Kindergeld lässt sich auch nicht auf Art. 12 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 574/72 stützen. Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 574/72 sieht für den Fall, dass nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten geschuldete Leistungen gegenseitig gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden können, vor, dass Beträge, die bei strenger Anwendung der in den Rechtsvorschriften der betreffenden Mitgliedstaaten vorgesehenen Kürzungs-, Ruhens- oder Entziehungsbestimmungen nicht ausgezahlt werden können, durch die Zahl der zu kürzenden, zum Ruhen zu bringenden oder zu entziehenden Leistungen geteilt werden. Auch diese Bestimmung ist im Streitfall nicht anwendbar, weil mangels Anspruchs des Klägers oder seiner Ehefrau auf Kindergeld in Polen keine Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten eingreifen, nach denen die geschuldeten Leistungen gegenseitig gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden können. Vielmehr besteht ein Anspruch nur und ausschließlich nach deutschem Recht.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO

    VorschriftenEStG § 62 Abs. 1, EStG § 62 Abs. 2, EStG § 63 Abs. 1 Satz 3, EStG § 65 Abs. 1 Satz 1, SGB VI § 2 Satz 1