08.01.2010
Finanzgericht Münster: Urteil vom 15.09.2003 – 11 K 1203/02 E
Bei einem GmbH-Gesellschafter-Geschäftführer sind die Vorsorgeaufwendungen grundsätzlich nicht ungekürzt als Sonderausgaben abzugsfähig.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 11. Senat des Finanzgerichts Münster in der Sitzung vom 15.09.2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht …
Richter am Finanzgericht …
Richter am Finanzgericht …
Ehrenamtlicher Richter …
Ehrenamtliche Richterin …
aufgrund mündlicher Verhandlung für Recht erkannt:
Tatbestand
Streitig ist, ob bei einem nichtselbständig tätigen Gesellschafter-Geschäftsführer die Vorsorgeaufwendungen in voller Höhe bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer (ESt) abzuziehen sind.
Der 1950 geborene Kläger wurde für die Streitjahre 1998 und 1999 nach der Grundtabelle zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Hierbei war ein Kind zu berücksichtigen. Er war mit einer anderen Person zu jeweils 50 v.H. an einer GmbH beteiligt. Als Gesellschafter-Geschäftsführer erzielte er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In 1998 betrug der Bruttoarbeitslohn 91.995 DM und in 1999 50.998 DM. In beiden Streitjahren bestand keine gesetzliche Rentenversicherungspflicht. Nach seinen Angaben in den ESt-Erklärungen hatte der Kl. jedoch als GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer eine Anwartschaft auf Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung. In den Streitjahren zahlte der Kl. Vorsorgeaufwendungen in folgender Höhe:
1998 | 1999 | |
Freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung | 10.591 DM | 11.035 DM |
Unfallversicherung | 302 DM | 302 DM |
Lebensversicherung | 3.176 DM | 3.242 DM |
Haftpflichtversicherung | 824 DM | 689 DM |
14.893 DM | 15.268 DM |
Das Finanzamt (FA) berücksichtigte bei der Festsetzung der ESt diese Vorsorgeaufwendungen nur beschränkt in jedem der Streitjahre nach folgender Berechnung jeweils mit 3.915 DM:
1998: | |||
Summe der Aufwendungen | 14.893 DM | ||
Vorwegabzug | 6.000 DM | ||
Minderung nach § 10 Abs. 3 | |||
Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) | ./. 14.719 DM | ||
(= 16 v.H. des Bruttolohns) | |||
verbleibender Vorwegabzug | 0 DM | 0 DM | 0 DM |
verbleibende Aufwendungen | 14.893 DM | ||
höchstens abziehbar | ./. 2.610 DM | 2.610 DM | |
verbleiben | 12.283 DM | ||
davon höchstens abziehbar | 1.305 DM | 1.305 DM | |
abzugsfähig im Rahmen des § 10 Abs. 3 EStG | 3.915 DM | ||
1999: | |||
Summe der Aufwendungen | 15.268 DM | ||
Vorwegabzug | 6.000 DM | ||
Minderung nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG | ./. 8.159 DM | ||
(= 16 v.H. des Bruttolohns) | |||
verbleibender Vorwegabzug | 0 DM | 0 DM | 0 DM |
verbleibende Aufwendungen | 15.268 DM | ||
höchstens abziehbar | ./. 2.610 DM | 2.610 DM | |
verbleiben | 12.658 DM | ||
davon höchstens abziehbar | 1.305 DM | 1.305 DM | |
abzugsfähig im Rahmen des § 10 Abs. 3 EStG | 3.915 DM |
Mit dem ESt-Bescheid vom 28.03.2000 setzte das Finanzamt (FA) die ESt für 1998 nach der Grundtabelle auf … DM endgültig fest. Da aufgrund einer beim FA eingegangenen Mitteilung bei dem Kl. Beteiligungseinkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht mehr in negativer Höhe, sondern mit 0 DM zu berücksichtigen waren, änderte es diesen ESt-Bescheid am 31.10.2001 gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) und setzte nunmehr die ESt auf … DM fest. Diese ESt-Festsetzung erging in Hinblick auf die Anhängigkeit von Verfassungsbeschwerden bzw. Revisionen nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG). Gegen diesen Bescheid legte der Kl. Einspruch ein.
Für das Jahr 1999 setzte das FA die ESt mit dem Bescheid vom 29.08.2001 zunächst auf … DM fest. Auch hiergegen legte der Kl. Einspruch ein.
Nachdem dem FA aufgrund einer weiteren Mitteilung bekannt geworden war, dass Beteiligungseinkünfte des Kl. aus Gewerbebetrieb mit höheren Beträgen zu berücksichtigen waren, änderte es am 31.10.2001 auch diesen ESt-Bescheid gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO und setzte die ESt auf … DM fest. Dieser Bescheid erging ebenfalls vorläufig im Hinblick auf die Anhängigkeit von Verfassungsbeschwerden bzw. Revisionen nach § 165 Abs. 1 AO hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen.
Beide Einsprüche bleiben erfolglos.
Hiergegen hat der Kl. Klage erhoben. Er macht geltend, dass die Bemessungsgrundlage für die ESt von vornherein um die geleisteten Vorsorgeaufwendungen zu mindern sei. Sie seien ähnlich wie das Existenzminimum bei der Besteuerung dem staatlichen Zugriff entzogen.
Soweit die angefochtenen ESt-Bescheide vorläufig gem. § 165 Abs. 1 AO ergangen seien, sei der von ihm, dem Kl., nunmehr geltend gemachte rechtliche Grund in den bereits anhängigen Revisionsverfahren bzw. Verfassungsbeschwerden nicht streitgegenständlich. Insbesondere sei offensichtlich eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.06.2000, B 4 RA 57/98 R (BSGE 86, 262) noch nicht bekannt gewesen. Insofern fehle es nicht am Rechtsschutzinteresse für die vorliegende Klage.
Der Kl. beantragt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung (EE) vom 26.10.2002 und Abänderung der ESt-Bescheide 1998 und 1999 jeweils vom 31.10.2001 höhere Vorsorgeaufwendungen i.H.v. insgesamt 14.893 DM für 1998 und für 1999 insgesamt 15.268 DM von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abzusetzen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Unter Hinweis auf die Ausführungen in der EE macht es geltend, dass die angefochtenen ESt-Festsetzungen nicht zu beanstanden seien. Die Kürzung des Vorwegabzugs sei in jedem der Streitjahre zu Recht entsprechend der gesetzlichen Vorgabe vorgenommen worden.
Im Übrigen sei der Kl. schon vor Ergehen der EE am 07.02.2002 darüber informiert worden, dass der Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen auch die Frage erfasse, ob die Kürzungsregelung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 a EStG mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und die FA-Akten verwiesen.
Der Senat hat am 15.09.2003 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Die Klage hat keinen Erfolg.
Gründe
Dahingestellt bleiben kann, ob für die vorliegende Klage überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Auch wenn hiervon ausgegangen wird und die Klage als zulässig anzusehen ist, ist sie jedenfalls nicht begründet.
Das FA hat die ESt für die Jahre 1998 und 1999 zu Recht nach der Grundtabelle auf … DM bzw. … DM festgesetzt.
Diese Beträge ergeben sich für 1998 bei einem zu versteuernden Einkommen von … DM, für das nach der Grundtabelle die ESt … DM beträgt, sowie bei einer Hinzurechnung von Kindergeld gemäß § 36 Abs. 2 EStG für ein Kind in einer Höhe von … DM und für 1999 bei einem zu versteuernden Einkommen von … DM ebenfalls unter Anwendung der Grundtabelle.
Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind der Höhe nach für 1998 mit 91.995 DM und für 1999 mit 50.998 DM zutreffend erfasst.
Die Ausführungen des Kl. dazu, dass bei einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Versicherungsschutz allein vom Arbeitgeber getragen werde und dass dieser den gesamten Rentenversicherungsbeitrag originär als eigene Schuld schulde, haben für den Streitfall keine Bedeutung. Der Kl. übersieht, dass er als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Rentenversicherungsbeiträge sind für ihn in den Streitjahren von seiner Arbeitgeber-GmbH nicht erbracht worden.
Das zu versteuernde Einkommen ist in den Streitjahren auch nicht aus dem Grund zu mindern, dass die Vorsorgeaufwendungen bei der Ermittlung der maßgeblichen Bemessungsgrundlage in voller Höhe abzuziehen sind.
Vorsorgeaufwendungen sind lediglich in dem in § 10 Abs. 3 EStG bezeichneten Umfang als Sonderausgaben abzugsfähig. Nach der für die Streitjahre 1998 und 1999 geltenden Fassung dieser Vorschrift sind Vorsorgeaufwendungen bei Alleinstehenden je Kalenderjahr mit folgenden Höchstbeträgen als Sonderausgaben abziehbar: Ein Grundhöchstbetrag von 2.610 DM und ein sog. hälftiger Höchstbetrag von 1.305 DM. Den hiernach höchstmöglichen Betrag von 3.915 DM hat das FA auch abgezogen.
Ein Vorwegabzug von 6.000 DM kommt vorliegend nicht in Betracht. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 a i.V.m. § 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG ist der Vorwegabzug i.S.d. § 10 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S.d. § 19 EStG zu kürzen, wenn der Steuerpflichtige während des ganzen oder eines Teils des Kalenderjahres nicht der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt, eine Berufstätigkeit ausübt und im Zusammenhang damit aufgrund vertraglicher Vereinbarungen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung erworben hat. Diese Kürzungsvoraussetzungen liegen im Streitfall vor.
Der Kl. unterliegt als Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht. Denn er ist nicht Arbeitnehmer i.S.d. sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften. Er hat auch als Geschäftsführer in beiden Streitjahren eine Berufstätigkeit ausgeübt. Im Zusammenhang damit hat er schließlich eine Anwartschaft auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung erworben. Dies ergibt sich aus seinen eigenen Angaben in den ESt-Erklärungen beider Streitjahre.
Davon, dass dies in einem der Streitjahre anders gewesen sein könnte, vermag der Senat aufgrund des Vortrags des Kl. in der mündlichen Verhandlung nicht auszugehen. Nach seinen Angaben ist die GmbH später in 2001 liquidiert worden. In diesem Rahmen seien zur Schuldentilgung die Rückkaufswerte der Versicherung eingesetzt worden, die die GmbH zur Rückdeckung ihrer Verpflichtung zur Altersversorgung des Kl. eingegangen war. Schließlich seien die Versicherungsbeiträge zumindest während des Laufs des Jahres 1999 nicht mehr in voller Höhe von der GmbH erbracht worden. Alle diese Umstände ändern aber nichts daran, dass der Kl. noch in beiden Streitjahren die aus der Zeit vorher stammende Anwartschaft auf eine Altersversorgung hatte.
Das Urteil des BFH vom 16.10.2002, XI R 25/01 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (HFR) 2003, 348) führt zu keiner anderen Beurteilung. Danach hat zwar der BFH die Kürzung des Vorwegabzugs als unzulässig angesehen. In jenem Fall ging es aber um einen Alleingesellschafter einer GmbH. Nach § 29 Abs. 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-G) haben die Gesellschafter einer GmbH Anspruch auf den nach handelsrechtlichen Vorschriften zu ermittelnden Jahresüberschuss. Sagt eine GmbH ihrem alleinigem Gesellschafter eine Altersversorgung zu, so mindert die nach Handelsrecht gebotene Bildung der Pensionsrückstellung diese Ansprüche. Daher erwirbt der Alleingesellschafter – zumindest wirtschaftlich betrachtet – seine Anwartschaftsrechte auf die Altersversorgung durch eine Verringerung seiner eigenen gesellschaftsrechtlichen Ansprüche.
Sind aber – wie im Streitfall – mehrere Gesellschafter vorhanden, stellt sich die Situation anders dar. Dann tragen auch die anderen Gesellschafter wirtschaftlich durch „Verzicht” auf die ohne Pensionsrückstellung handelsrechtlich entstehenden Ansprüche auf Gewinnausschüttungen zur Altersversorgung des Geschäftsführers bei. Für die Kürzung des Vorwegabzugs genügt es aber, wenn ein Gesellschafter-Geschäftsführer seine Anwartschaftsrechte nur teilweise ohne eigene Beitragsleistung erhalten hat (vgl. Anm. zum BFH-Urteil vom 16.10.2002, XI R 25/01, a.a.O.).
Die Berücksichtigung weiterer Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 3 EStG kommt vorliegend nicht in Betracht. Dieser Abzug gilt nur für Steuerpflichtige, die nach dem 31. Dezember 1957 geboren sind. Der Kl. war dagegen schon 1950 geboren.
Der beschränkte Abzug von Vorsorgeaufwendungen gem. § 10 Abs. 3 EStG ist in den Streitjahren 1998 und 1999 auch nicht verfassungswidrig (vgl. BFH-Urteil vom 16.10.2002, XI R 41/99, BStBl. II 2003, 179, und Weber-Grellet, Anm. zu diesem Urteil in Deutsches Steuerrecht (DStR) 2003, 454 m.w.N.). Dieser Rechtsauffassung folgt auch der Senat.
Das Recht auf steuerliche Freistellung des Existenzminimums ist nicht verletzt. Im Unterschied zu solchen Aufwendungen, die der Sicherung des aktuellen Grundbedarfs dienen, sind Vorsorgeaufwendungen der Sache nach zukunftsorientierte Leistungen, für deren Beurteilung in steuer- und verfassungsrechtlicher Hinsicht andere Maßstäbe gelten (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil vom 16.10.2002, XI R 41/99, a.a.O. unter II 1 m.w.N.).
Insbesondere ist die Kürzung des Vorwegabzugs steuerlich nicht zu beanstanden. Diese Regelung hat allein den Zweck, dem Personenkreis eine zusätzliche Steuerentlastung zu gewähren, der seine gesamte Altersvorsorge aus eigenem Einkommen finanzieren muss (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.03.2002, 2 BvL 17/99, BStBl. II 2002, 618). Im Streitfall hat aber der Kl. Anwartschaftsrechte auf seine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung erworben.
In welcher Weise die vielfältigen tatsächlichen und rechtlichen Unterschiede der Versorgungssysteme für Pflicht- und Nichtpflichtversicherte aufeinander abzustimmen sind, kann für den die Jahre 1998 und 1999 betreffenden Streitfall dahingestellt bleiben. Den dahingehenden Auftrag hat der Gesetzgeber erst mit Wirkung auf den 01.01.2005 zu erfüllen (vgl. die Entscheidungsformel aus dem Urteil des BVerfG vom 06.03.2002, 2 BvL 17/99, a.a.O., veröffentlicht unter Nr. 2 in Bundesgesetzblatt – BGBl. – I 2002, 1305). Bis dahin begegnet der Abzug von Vorsorgeaufwendungen in der bisherigen Form verfassungsrechtlich keinen durchgreifenden Einwendungen (vgl. auch Weber-Grellet, Anm. zu Urteil des BFH vom 16.10.2002, XI R 41/99, a.a.O. unter 5 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.