08.01.2010
Finanzgericht Münster: Urteil vom 21.05.2003 – 10 K 38/03 E
Nach der Neuregelung in § 1612b Abs. 5 BGB ist im Rahmen der Günstigerprüfung Kindergeld nur in Höhe des bestehenden zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs zu verrechnen.
IM NAMEN DES VOLKES hat der 10. Senat des Finanzgerichts Münster in der Sitzung vom 21.05.2003, an der teilgenommen haben:
auf Grund mündlicher Verhandlung für Recht erkannt:
Unter Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 28.03.2002 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 04.12.2002 wird die Einkommensteuer 2001 auf 8.832,57 Euro festgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Gründe
Streitig ist, ob im Rahmen einer sog. „Günstiger-Prüfung” nach § 31 Sätze 4 und 5 Einkommensteuergesetz (EStG) auch Kindergeld oder vergleichbare Leistungen gemäß § 36 Abs. 2 EStG zu verrechnen sind, die dem Steuerpflichtigen im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichs nicht zustehen.
Der Kläger hat aus seiner geschiedenen Ehe die am 23.11.1993 und 24.09.1997 geborenen Töchter M. und T., die im Haushalt der Mutter leben. Er hatte sich laut notarieller Urkunde vom 14.03.2000 (Urkunde Nr. 68/2000 des Notars … in X.) verpflichtet, für die beiden Kinder vom 1. des auf die Rechtskraft der Scheidung folgenden Monats an Kindesunterhalt i.H.v. jeweils 128 % des jeweiligen Regelsatzes der Düsseldorfer Tabelle (Einkommensgruppe 5) abzüglich 50 % des gesetzlichen Kindergeldes zu zahlen.
Dementsprechend zahlte der Kläger im Januar 2001 für seine beiden Töchter Kindesunterhalt in Höhe von insgesamt 737 DM (für T. nach Altersgruppe 1-5 Jahre: 455 DM ./. 135 DM Kindergeld = 320 DM und für M. nach Altersgruppe 6-11 Jahre: 552 DM ./. 135 DM Kindergeld = 417 DM).
Nach Aufforderung seiner geschiedenen Ehefrau, Kindesunterhalt entsprechend der zum 1.1.2001 in Kraft getretenen Neuregelung des § 1612 b Abs. 5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu leisten, zahlte der Kläger ab Februar 2001 Kindesunterhalt in Höhe von monatlich insgesamt 792 DM (für T.: 455 DM ./. 110 DM Kindergeld = 345 DM und für M.: 552 DM ./. 105 DM Kindergeld = 447 DM).
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2001 gab der Kläger in der Anlage „Kinder” die Höhe des zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs wegen ausgezahlten Kindergeldes mit jeweils 1.317 DM (insgesamt 2.634 DM) an.
Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 28.03.2002 die Einkommensteuer 1991 unter Hinzurechnung von insgesamt 3.240 DM, der Hälfte des gesetzlichen Kindergeldes bzw. vergleichbarer Leistungen fest.
Mit der hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage vertritt der Kläger die Auffassung, nach der Neuregelung des § 1612 b Abs. 5 BGB habe er auf den geschuldeten Unterhalt nicht mehr wie bisher das halbe Kindergeld, sondern für die Zeit ab Februar 2001 nur noch 110 DM für T. und 105 DM für M. anrechnen können.
Seine geschiedene Ehefrau habe einen entsprechenden Anspruch auf Änderung der notariellen Urkunde gehabt, so dass Einwendungen gegen die ab Februar 2001 erhobene Forderung nach höheren Unterhaltszahlungen keinen Erfolg versprochen hätten.
Als „gezahltes Kindergeld” i.S.d. EStG dürften daher nur die unter Berücksichtigung des § 1612 b Abs. 5 BGB noch anrechenbaren Beträge angesetzt werden.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 28.03.2002 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 04.12.2002 die Einkommensteuer 2001 unter Hinzurechnung von Kindergeld und vergleichbaren Leistungen in Höhe von 2.635 DM festzusetzen,
hilfsweise im Falle des Unterliegen die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise im Falle des Unterliegen die Revision zuzulassen.
Er ist der Auffassung, bei Ansatz des hälftigen Kinderfreibetrages sei auch nach Inkrafttreten des § 1612 b Abs. 5 BGB in jedem Fall ein anteiliges hälftiges Kindergeld anzurechnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Einkommensteuerakten Bezug genommen.
Die zulässige Klage ist begründet.
Bei der Einkommensteuerfestsetzung für 2001 sind gem. §§ 31 Satz 5, 36 Abs. 2 Satz 1 EStG Kindergeld oder vergleichbare Leistungen nur i.H.v. 2.635 DM zu verrechnen.
Nach § 31 Satz 1 EStG wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Bedarfs für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG bewirkt. Wird die gebotene steuerliche Freistellung durch das Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt, sind bei der Veranlagung zur Einkommensteuer die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG abzuziehen (§ 31 Satz 4 EStG). In diesen Fällen sind das Kindergeld oder vergleichbare Leistungen nach § 36 Abs. 2 EStG zu verrechnen, auch soweit sie dem Steuerpflichtigen im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichs zustehen (§ 31 Satz 5 EStG).
Im Streitfall sind bei der Einkommensteuerveranlagung des Klägers -wie zutreffend geschehen- für jedes Kind ein Kinderfreibetrag und ein Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes von jeweils insgesamt 4.968 DM vom Einkommen abzuziehen (§ 32 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 EStG). Die gebotene steuerliche Freistellung des Klägers wird nicht durch Kindergeld bewirkt, da das Kindergeld nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG an die Mutter gezahlt wurde. Dies ist nicht streitig.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist gem. §§ 31 Satz 5, 36 Abs. 2 Satz 1 EStG aber nicht die Hälfte des gesetzlichen Kindergeldes, sondern nur Kindergeld in Höhe des bestehenden zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs zu verrechnen.
Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ist das Bestehen eines zivilrechtlichen Ausgleichsanspruches in jedem Fall Voraussetzung für die Hinzurechnung kinderbezogener Leistungen beim Abzug eines Kinderfreibetrages, wenn -wie hier- das Kindergeld oder vergleichbare Leistungen nicht an den Steuerpflichtigen ausgezahlt werden.
Dem Kläger stand im Streitjahr ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruchs auf Anrechnung von Kindergeld auf seine Unterhaltsverpflichtungen nur in Höhe von insgesamt 2.635 DM zu.
Zwar ist nach § 1612 b Abs. 1 BGB das auf das Kind entfallende Kindergeld grundsätzlich zur Hälfte anzurechnen, wenn an den barunterhaltspflichtigen Elternteil Kindergeld nicht ausgezahlt wird, weil ein anderer vorrangig berechtigt ist. Nach der durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kinderunterhaltsrechts vom 02.11.2000 (BGBl I 1479) mit Wirkung ab 01.01.2001 erfolgten Neuregelung des § 1612 b Abs. 5 BGB unterbleibt eine Anrechnung des Kindergeldes aber, soweit der Unterhaltspflichtige außerstande ist, Unterhalt i.H.v. 135 % des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten.
Die Anwendung dieser Vorschrift führte für den Kläger dazu, dass er keinen Anspruch mehr auf die bisherige volle Anrechnung des hälftigen Kindergeldes hatte, weil 135 % des für das Streitjahr geltenden Regelbetrages, das sog. Barexistenzminimum in Höhe von 480 DM für Kinder von 0-5 Jahren bzw. von 582 DM für Kinder von 6-11 Jahren mit Einsatz eines hälftigen Kindergeldanteils von jeweils 135 DM nicht mehr erreicht wurde.
Auf die nach der Düsseldorfer Tabelle Stand: 1.7.1999 (FamRZ 1999, 766, NJW 1999, 1845) zu zahlenden Unterhaltsbeträge waren bei Anwendung des § 1612 b Abs. 5 BGB in der Einkommensgruppe 5 (128 %) vielmehr nur noch folgende Kindergeldbeträge anrechenbar:
Unterhaltsanspruch | AnrechenbaresKindergeld | zu zahlenderBetrag | |
Kinder von 1-5 Jahre | 455 DM | ./. 110 DM | 345 DM |
Kinder von 6-11 Jahren | 552 DM | ./. 105 DM | 447 DM |
Seit der ab Februar 2001 erfolgten Aufforderung zur Zahlung von Kindesunterhalt entsprechend der geänderten Rechtslage hatte der Kläger damit keinen Anspruch mehr auf die bis dahin erfolgte Anrechnung des hälftigen Kindergeldes. Dementsprechend hat er -offensichtlich zur Vermeidung einer Unterhaltsanpassung nach § 2 des Unterhaltstitelanpassungsgesetzes (Art. 4 des Gesetzes v. 02.11.2000, BGBl. I 1479) im vereinfachten Verfahren nach § 655 Zivilprozessordnung (ZPO)- ab Februar 2001 den höheren Unterhalt für seine beiden Kinder gezahlt.
Die danach im Jahre 2001 bestehenden zivilrechtlichen Ansprüche des Klägers auf Anrechnung von Kindergeld auf den zu zahlenden Unterhalt berechnen sich wie folgt:
für Kind T | für Kind M. | |
Januar 2001 | 135 DM (wie bisher) | 135 DM (wie bisher) |
Februar – Juni 2001 | 1.155 DM (11x105 DM) | 1.210 DM (11x110 DM) |
1.290 DM | 1.345 DM |
Der Senat verkennt bei seiner Entscheidung nicht, dass es im Streitfall zu einer vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten teilweise kumulativen Inanspruchnahme von Kindergeld und Kinderfreibetrag kommt. Dem Gesetzgeber ging es bei der Neuregelung des sog. Familienlastenausgleichs durch das Jahressteuergesetz 1996 zwar in erster Linie darum, durch den Abzug eines Kinderfreibetrags oder durch Kindergeld-Zahlung einen Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums des Kindes von der Besteuerung freizustellen. Im Ergebnis sollte auch dann nur das Existenzminimum des Kindes steuerlich freigestellt werden, soweit die Eltern geschieden sind oder dauernd getrennt leben und der Unterhalt von beiden Elternteilen getragen wird. Diese Wechselbeziehung zeigt sich bei einem nicht der Ehegattenveranlagung unterliegenden Elternpaar insbesondere darin, dass der Gesetzgeber die wahlrechtsabhängige Übertragung des Kinderfreibetrags abgeschafft hat, um ein Auseinanderfallen der Kindergeldberechtigung von dem Anspruch auf einen Kinderfreibetrag zu verhindern (Bundestag-Drucks. 13/3084 Seite 70). Die Gewährung eines Kinderfreibetrags sollte damit stets zu einer Anrechnung kinderbezogener Leistungen führen.
Der Senat verkennt weiterhin nicht, dass die vom Gesetzgeber mit der Änderung des § 1612 b Abs. 5 BGB beabsichtigte finanzielle Besserstellung des das Kind betreuenden Elternteils möglicherweise in ihr Gegenteil verkehrt wird, wenn bei einer Vergleichsberechnung nach § 31 Satz 4 EStG bei dem Elternteil, der das Kind betreut, einerseits wegen Fehlens einer entsprechenden zivilrechtlichen Ausgleichsverpflichtung mehr als die Hälfte oder -wie bei Unterhaltszahlungen nach Stufe 1 der Düsseldorfer Tabelle möglich- das gesamte Kindergeld anzusetzen, andererseits aber nur der hälftige Kinderfreibetrag zu berücksichtigen ist, weil die Voraussetzungen für eine Übertragung der Freibeträge nicht vorliegen (siehe hierzu auch Pust in Littmann, Einkommensteuerrecht, § 31 Rn. 443)
Da nach dem Wortlaut des § 31 Satz 5 EStG („zustehen”) aber nur ein bestehender zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch einem dem Ausgleichsberechtigten gezahlten Kindergeld gleichgestellt wird, hat gleichwohl die Hinzurechnung des Kindergeldes (§ 36 Abs. 2 Satz 1 EStG) nach Auffassung des Senats insoweit zwingend zu unterbleiben, als der Unterhaltsanspruch des Kindes wie hier nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht um das anteilige Kindergeld gekürzt werden darf.
Schließlich verkennt der Senat nicht, dass die Finanzämter in Fällen der sog. Günstiger-Prüfung -im Einzelfall nicht einfache- zivilrechtliche Vorüberlegungen hinsichtlich der Anrechenbarkeit des anteiligen Kindesgeldes bei dem betreuenden und dem barunterhaltspflichtigen Elternteil anzustellen haben. Diese Konsequenz hat der Gesetzgeber aber bewusst in Kauf genommen, indem er eine steuerliche Vergünstigung an eine zivilrechtliche Vorfrage angeknüpft hat.
Die laut Urteil festzusetzende Einkommensteuer 1991 berechnet sich wie folgt:
Zu versteuerndes Einkommen (wie bisher) | 64.553 DM |
darauf nach Grundtabelle entfallende | |
Einkommensteuer (wie bisher) | 14.640 DM |
dazu Kindergeld oder vergleichbare Leistungen | + 2.635 DM |
festzusetzende Einkommensteuer | 17.275 DM = 8.832,57 EUR |
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Da die Streitfrage eine Vielzahl von Steuerpflichtigen betrifft, ist eine höchstrichterliche Klärung erforderlich.