08.01.2010
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 22.09.2004 – 2 K 1686/01
Ein Verlustrücktrag von 1999 nach 1998 gem. § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002, ist nicht möglich, da der Verlustrücktrag bzw. die Ermittlung des Verlustrücktragsbetrages erkennbar die vorherige Anwendung des § 2 Abs. 3 Satz 2 EStG n.F. im Verlustrücktragsjahr voraussetzt, der aber erst ab dem 1.1.1999 gilt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe eines vom Beklagten vorgenommenen Verlustrücktrages von 1999 nach 1998. Dem liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger zu 1. erzielte im Streitjahr 1998 Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 508.453,00 DM. Die Klägerin zu 2. erzielte aus atypisch stiller Beteiligung an der Firma ........GmbH ( GmbH) Verluste in Höhe von ./. 17.500,00 DM sowie aus Vermietung und Verpachtung mehrerer Mietobjekte einen Verlust von ./. 226.302,00 DM, insgesamt Verluste in Höhe von ./. 243.802,00 DM. Die Kläger wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Die GmbH beschäftigte sich im Streitjahr 1998 ausschließlich mit dem Export von Lebensmitteln und sonstigen Waren an Groß- und Einzelhändler in Russland. Gesellschafter und Geschäftsführer der Gesellschaft war ab 1996 der Kläger zu 1..
Der Beklagte stellte im – bestandskräftigen – Bescheid vom 29. August 2000 nach Ausgleich der Verluste der Klägerin zu 2. den Gesamtbetrag der Einkünfte der Kläger mit 264.651,00 DM fest und setzte die Einkommensteuer für 1998 nach Abzug von Sonderausgaben bei einem zu versteuernden Einkommen von 234.998,00 DM auf 81.910,00 DM fest.
Für 1999 ermittelte der Beklagte in seinem Einkommensteuerbescheid vom 31. Januar 2001 Einkünfte des Klägers zu 1. aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 160.033,00 DM sowie Verluste aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. 2.383.902,00 DM fest. Die Verluste resultierten aus der Inanspruchnahme des Klägers zu 1. in 1999 durch Gläubiger der GmbH aus selbstschuldnerischen Bürgschaften für deren Verbindlichkeiten. Die GmbH war Mitte August 1998 aufgrund einer drastischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in Russland und darauf beruhender Umsatzeinbrüche in eine wirtschaftliche Krise geraten, die zum Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens am 10. Dezember 1998 führte, der am 13. Oktober 1999 mangels Masse abgelehnt wurde.
Für die Klägerin zu 2. wurden für 1999 Verluste aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ./. 85.901,00 DM ermittelt. Nach Verlustausgleich in Höhe der positiven Einkünfte des Klägers zu 1. ermittelte der Beklagte die Summe der negativen Einkünfte des Klägers zu 1. mit ./. 2.223.869,00 DM und der Klägerin zu 2. mit ./. 85.901,00 DM und den Gesamtbetrag der Einkünfte in 1999 mit 0,00 DM und setzte die Einkommensteuer ebenfalls mit 0,00 DM fest.
Mit geändertem Bescheid über Einkommensteuer für 1998 vom 02. Februar 2001 nahm der Beklagte einen auf den Betrag von 110.425,00 DM beschränkten Verlustrücktrag von 1999 nach 1998 vor und setzte die Einkommensteuer für 1998 nunmehr auf 33.360,00 DM fest. Die Berechnung des Verlustrücktrages erfolgte auf der Grundlage des § 10d EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (BGBl. I 1999, 402) in Verbindung mit § 2 Abs.3 S.2 ff. EStG der gleichen Fassung in Anwendung der dortigen Grundsätze zur Mindestbesteuerung. Mit Verlustfeststellungsbescheid vom 07. Februar 2001 wurde der verbleibende Verlustvortrag auf den 31. Dezember 1999 für den Kläger zu 1. auf 2.113.444,00 DM, für die Klägerin zu 2. auf 85.901,00 DM festgestellt.
Die Kläger legten gegen den geänderten Bescheid über Einkommensteuer für 1998 am 16. Februar 2001 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 02. März 2001 zurückwies.
Die Kläger haben gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für 1998 und die am 12. März 2001 zur Post gegebene Einspruchsentscheidung am 12. April 2001 Klage erhoben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Vorgehensweise des Beklagten entspreche zwar der Richtlinie 115 Abs.6 zu § 10 d EStG n.F.. Indessen sei nach ihrer Auffassung, die von namhaften Autoren geteilt werde, § 10 d EStG Abs.1 S.2 ff. EStG und damit § 2 Abs.3 S.2 ff. EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 nicht für Verlustrückträge in den Veranlagungszeitraum 1998 anwendbar. Hilfsweise werde die Verfassungswidrigkeit der Mindestbesteuerung nach § 2 Abs.3 S.2 ff, § 10 d Abs.1 S.2 ff. EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 gerügt.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Beklagten über Einkommensteuer 1998 vom 02.Februar 2001 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02. März 2001 dahingehend abzuändern, dass der Verlustrücktrag aus 1999 um 132.637,00 DM auf 243.062,00 DM erhöht wird, so dass sich ein zu versteuerndes Einkommen von 0,00 DM ergibt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt zur Begründung im wesentlichen aus, aus der allgemeinen Anwendungsregelung des § 52 Abs.1, der Anwendungsregelung des § 52 Abs. 25 zu § 10 d im Rahmen einer grammatikalischen Auslegung und aus der Gesetzessystematik des § 10 d Abs.1 S.2 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 ergebe sich, dass bei einem Verlustrücktrag aus dem Veranlagungszeitraum 1999 in den Veranlagungszeitraum 1998 die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 2Abs.3 S.2 ff EStG 1999/2000/2002 eingreife. Im übrigen sei er an die eindeutige Anweisung in Richtlinie 115 Abs.6 1999/2000 zu § 10 d EStG, § 2 Abs.3 S.2ff. EStG 1999/2000/2002 bei einem Verlustrück-trag von 1999 nach 1998 anzuwenden, gebunden gewesen.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 24.Oktober 2001 und 31. Oktober 2001 Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.
Die Einkommensteuerakten des Beklagten für 1998 und 1999 waren beigezogen und Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
Gründe
Die Klage der Kläger ist zulässig und begründet.
Die angefochtenen Bescheide des Beklagten erweisen sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage als rechtswidrig und verletzen die Kläger dadurch in ihren Rechten (§100 Abs.1 FGO).
Der Beklagte hat zu Unrecht den Verlustrücktrag von 1999 nach 1998 nach § 10d Abs.1 S.2 ff. Einkommensteuergesetz in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (BGBl. I 1999, 402) – Einkommensteuergesetz n.F. – in Verbindung mit § 2 Abs.3 S.2 ff. EStG der gleichen Fassung in Anwendung der dortigen Grundsätze zur Mindestbesteuerung vorgenommen.Dieser hätte vielmehr in Anwendung des bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Rechts, also durch Abzug der in 1999 verbliebenen Verluste vom Gesamtbetrag der Einkünfte in 1998 ohne Beschränkung auf Höchstbeträge und vorrangig vor Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen erfolgen müssen. Im Einzelnen:
Nach Maßgabe des § 10d Abs.1 S.2 Einkommensteuergesetz n.F. sind die im Verlustentstehungsjahr verbliebenen negativen Einkünfte zunächst jeweils von den positiven Einkünften derselben Einkunftsart des Verlustrücktragsjahres abzuziehen, die nach der Anwendung des § 2 Abs.3 Einkommensteuergesetz n.F. (im Verlustrücktragsjahr) verbleiben. Nach Maßgabe des § 10d Abs.1 S.3 Einkommensteuergesetz n.F. mindern, soweit im Verlustrücktragsjahr durch einen Ausgleich nach § 2 Abs.3 S.3 Einkommensteuergesetz n.F.…die dort genannten Beträge nicht ausgeschöpft sind, die nach der Anwendung des § 10d Abs.1 S.2 verbleibenden negativen Einkünfte (des Verlustentstehungsjahres) die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten (im Verlustrücktragsjahr) bis zu einem Betrag von 100.000,00 DM, darüber hinaus bis zur Hälfte des 100.000,00 DM übersteigenden Teiles der Summe der positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten.
Nach dem Gesamtzusammenhang der Regelungen in § 10d Abs.1 S.2 und 3 Einkommensteuergesetz n.F. setzt der Verlustrücktrag bzw. die Ermittlung des Verlustrücktragsbetrages erkennbar die vorherige Anwendung des § 2 Abs.3 S.2 ff. Einkommensteuergesetz n.F. im Verlustrücktragsjahr voraus.
Indessen war § 2 Abs.3 Einkommensteuergesetz n.F. in 1998 noch nicht in Kraft. Die Neufassung der Vorschrift ist erst mit dem Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 zum 01. Januar 1999 in Kraft getreten. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 52 Abs.1 S.1 Einkommensteuergesetz n.F. ist diese Fassung und damit auch § 2 Abs.3 erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden, es sei denn, in den folgenden Absätzen ist etwas anderes bestimmt.In den nachfolgenden Absätzen ist die Anwendung des § 2 Abs.3 n.F. im Jahr 1998 nicht bestimmt (gleicher Auffassung: Hallerbach in: H/H/R, Steuerreform 1999/2000/2002, Komm., § 10d Einkommensteuergesetz, Anm. R4 a.E.; Horlemann in: Blümich, EstG, § 10d Rdn. 040 ff.; a.A. allerdings ohne Begründung Schmidt, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl., § 10d Rdn.11; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 10d Rdn. 102).
Die hier gefundene Lösung führt auch nicht zu sinnwidrigen Ergebnissen, sondern im Zusammenwirken mit der Regelung des § 52 Abs.25 S.1 Einkommensteuergesetz n.F. zu einer abgestimmten und praktikablen Behandlung der Verlustverrechnung an der Schnittstelle des Übergangs zur Mindestbesteuerung. In dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber angeordnet, dass auf den am Schluss des Veranlagungszeitraums 1998 festgestellten verbleibenden Verlustabzug § 10d in der Fassung des Gesetzes vom 16. April 1997 anzuwenden ist, weil ihm eine Zuordnung der bis zum Schluss des Veranlagungszeitraums 1998 entstandenen und noch nicht ausgeglichenen und zurückgetragenen Verluste zu den einzelnen Einkunftsarten aus verwaltungstechnischen Gründen nicht möglich erschien (s. BT-Drucks. 14, 443). Angesichts dieser Regelung würde die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung zu dem in sich widersprüchlichen Ergebnis führen, dass der Verlustvortrag auf den Schluss des Veranlagungsjahres 1998 ohne größeren Verwaltungsaufwand nach altem Recht festgestellt wird, zur Berechnung des Verlustrücktrags aus 1999 aber für das gleiche Jahr 1998 der komplizierte, dem Gesetzgeber aus verwaltungstechnischen Gründen nicht möglich erscheinenden Verlustausgleich nach § 2 Abs.3 S.2 ff. Einkommensteuergesetz n.F. durchgeführt wird. Vielmehr legt die fehlende Anordnung der Anwendung des § 2 Abs.3 n.F. bzw des § 10d Abs.1 n.F. auf den Verlustrücktrag nach 1998 im Zusammenwirken mit der angeordneten Vornahme des Verlustvortrags von 1998 nach 1999 nach altem Recht nahe, dass der Gesetzgeber sich von der Vorstellung leiten ließ, die Verlustverrechnung bis einschließlich des Jahres 1998 und damit auch den Verlustrücktrag nach 1998 nach altem Recht vorzunehmen und die neue Fassung des § 10d Einkommensteuergesetz n.F. einheitlich ab dem Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden mit der Folge, dass § 10d Abs.1 n.F. erstmals für Verlustrückträge in den Veranlagungszeitraum 1999 Anwendung findet.
Dieses Ergebnis wird im Übrigen bestätigt durch das Verhalten des Gesetzgebers im Zusammenhang mit der Neuregelung des Verlustausgleichs und Verlustabzugs ab Veranlagungszeitraum 2004 durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2003, indem er in § 52 Abs. 25 S.3 und 4 die Anwendung des § 10d Einkommensteuergesetz in der aktuellen Fassung erstmals für den Veranlagungszeitraum 2004 und für den Verlustrücktrag von 2004 nach 2003 die Anwendung des § 10d Abs.1 in der ab 2004 geltenden Fassung ausdrücklich anordnet.
Nach den soeben getroffenen Feststellungen ist vorliegend der Verlustrücktrag von 1999 nach 1998 wie folgt vorzunehmen:
Von dem für 1998 ermittelten Gesamtbetrag der Einkünfte der Kläger von 264.651,00 DM sind vorab die ermittelten Sonderausgaben von 21.589,00 DM abzusetzen. Die für 1999 ermittelten verbleibenden Verluste nach Verlustausgleich sind bis zur Höhe der für 1998 verbleibenden positiven Einkünfte von 234.998,00 DM von diesen abzuziehen, so dass ein Einkommen von 0,00 DM verbleibt und die Einkommensteuer und der Solidaritätszuschlag für 1998 auf 0,00 DM festzusetzen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs.1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 151 Abs.3, § 155 FGO, § 708 Ziff.10, § 711 ZPO.
Die Revision wird gemäß § 115 Abs.2 Nr.1 FGO zugelassen.