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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 27.10.2009 – 4 K 151/07

    Zur Frage, ob der Nacherhebung von Abgaben eine von der Kommission geduldete nationale gemeinschaftswidrige Verwaltungspraxis entgegensteht.


    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um die Nacherhebung von Einfuhrabgaben.

    Die Klägerin ist Inhaberin eines Zolllagers. Im Frühsommer 2003 lagerte sie für die Firma A KG (GmbH & Co), X-Straße, ... Hamburg - im Folgenden: Firma A -, verschiedene Frucht- und Gemüsekonservendosen aus China ein. Die Umschließungen für diese Konserven - scil. Metalldrehverschlüsse sowie Gläser -, die aus dem freien Verkehr der Gemeinschaft stammten und in der Zeit zwischen dem 27.02.2002 und 22.12.2002 ausgeführt wurden, hatte die Firma A den chinesischen Herstellern unentgeltlich zur Verfügung gestellt.

    In den einzelnen Zollanmeldungen hatte die Klägerin der Zollwertberechnung lediglich die der Firma A von den chinesischen Lieferern in Rechnung gestellten Preise zugrunde gelegt, die die Kosten der Umschließungen nicht umfassten. Diese Verfahrensweise entsprach der früheren Dienstanweisung VSF Z 5314 vom 15.03.1993, die auf einer Duldungsabsprache mit der Europäischen Kommission beruhte. Dort hieß es unter Ziffer 7: „Dem tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis sind folgende Kosten hinzuzurechnen, soweit diese für den Käufer entstanden sind, aber nicht in dem tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis enthalten sind: a) ... b) Kosten von Umschließungen, ... Dies gilt nicht, wenn die Umschließungen aus dem freien Verkehr des Zollgebiets der Gemeinschaft stammen und vom Käufer zur Verfügung gestellt worden sind.”

    Im Dezember 2002 änderte die Bundesfinanzverwaltung die Dienstvorschrift zum Zollwertrecht. Unter Abs. 42 der Dienstvorschrift Z 51 01 heißt es nunmehr: „Kosten für Umschließungen sind dem tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis hinzuzurechnen, wenn die zu bewertende Ware und ihre Umschließung gemeinsam einzureihen sind. Umschließungen sind Behältnisse (z. B. Kamerataschen, Geigenkästen, Brillenetuis, Bierfässer) und Verpackungen (z. B. Papiersäcke, Getränkedosen, Eierkartonagen und Joghurtbecher), die eine Lagerung oder Verpackung der Ware ermöglichen.” Die geänderte Dienstanweisung zum Zollwertrecht wurde in den VSF-Nachrichten vom 10.12.2002 (N 65 2002 Nr. 466) bekannt gegeben. Mit VSF-Nachrichten vom 27.02.2003 (N 13 2003) wies die Bundesfinanzverwaltung zudem darauf hin, dass aufgrund geänderter zollwertrechtlicher Regelung für die Behandlung von Umschließungen (Hinweis auf die in den VSF-N 65 2002 veröffentlichte neue Dienstvorschrift Zollwert, VSF Z 51 01 Absatz 42) eine entsprechende Änderung der Dienstvorschrift Passive Veredelung, VSF Z 1601, erforderlich sei. Die bisherige Regelung könne nicht mehr beibehalten werden. Vom Inhaber der Bewilligung zur Verfügung gestellte Verpackungs- und Umschließungsmaterialien seien künftig in die Bewilligung der passiven Veredelung mit einzubeziehen und in das Verfahren der passiven Veredelung zu überführen (III B 1 - Z 1490 - 1/03 vom 17.02.2003).

    Über die Änderung der zollwertrechtlichen Behandlung von Umschließungen und Verpackungen unterrichtete das beklagte Hauptzollamt die Firma A unter dem 19.03.2003. In diesem Schreiben heißt es:

    „Verpackungs- und Umschließungsmaterialien, die vom Inhaber der Bewilligung dem ausländischen Veredelungsbetrieb zur Verfügung gestellt werden, sind bislang in die Bewilligung einer passiven Veredelung nicht aufgenommen worden, da sie bei der Überführung der Veredelungserzeugnisse in den freien Verkehr formlos als Rückwaren abgabenfrei belassen worden sind. Aufgrund geänderter zollwertrechtlicher Regelung für die Behandlung von Umschließungen kann diese Regelung nicht mehr beibehalten werden. Es ist deshalb erforderlich, alle erteilten PV-Bewilligungen entsprechend anzupassen.

    Zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsanwendung beabsichtige ich, alle PV-Bewilligungen zeitgleich umzustellen und räume deshalb bis zum 30.04.2003 eine Übergangsfrist ein, in der bis zum Ablauf dieser Frist noch nach der bisherigen Regelung verfahren werden darf.

    Ab 01.05.2003 ist der in Rede stehende Warenkreis in die Bewilligung der passiven Veredelung mit einzubeziehen und in das Verfahren der passiven Veredelung zu überführen.

    Um künftig auch für diese Waren in den Genuss einer Zollermäßigung bei der Einfuhr der Veredelungserzeugnisse zu gelangen, bitte ich - soweit erforderlich - bis zum 14.04.2003 die Erweiterung der o. a. PV-Bewilligung für diesen Warenkreis zu beantragen. Es genügt, die Verpackungs- und Umschließungsmaterialien einschließlich Etiketten im Erweiterungsantrag mit der vierstelligen HS-Position zu bezeichnen.

    PV-Scheine, die vor Ablauf der Übergangsfrist (30.04.2003) erteilt wurden, können noch nach dem bisherigen Verfahren abgerechnet werden. Ab 01.05.2003 kommt eine diesbezügliche Zollbetragsminderung nur noch in Betracht, wenn die PV-Bewilligung auf den o. a. Warenkreis erweitert wurde.”

    Mit Erlass vom 13.01.2005 - Z 5314 - 2/04 Z 42 - wies das BMF die Oberfinanzdirektion Hamburg an, wie folgt zu verfahren:

    „Nicht zu korrigieren sind die Einfuhrvorgänge vor dem 27. Februar 2003, (Datum der überarbeiteten DV im Bereich pV).

    Die vor dem 27. Februar 2002 ausgeführten Umschließungen, die nach dem 27. Februar 2003 befüllt eingeführt werden, bleiben zollwertrechtlich unberücksichtigt, weil für diese Umschließungen auch bei fristgerechter Beantragung einer rückwirkenden pV keine Einfuhrabgabenfreiheit (wie es sie nach der alten nationalen DV gab) mehr hätte erreicht werden können ...

    Die zwischen In-Kraft-Treten der rückwirkenden pV und dem 27. Februar 2003 ausgeführten Umschließungen, die befüllt nach dem 27. Februar 2003 eingeführt wurden bzw. noch werden, sind, um eine Abgabenbegünstigung zu erlangen, von den Wirtschaftsbeteiligten über bestehende pV'en abzuwikkeln.

    Für die nach dem 27. Februar 2002, aber vor In-Kraft-Treten der rückwirkenden pV ausgeführten Umschließungen, die befüllt nach dem 27. Februar 2003 eingeführt wurden bzw. noch werden, sind Steueränderungsbescheide zu erlassen.”

    Nachdem das beklagte Hauptzollamt im Rahmen einer bei der Firma A durchgeführten Zollprüfung festgestellt hatte, dass die Kosten der aus dem freien Verkehr der Gemeinschaft stammenden Umschließungen, die die Firma A den chinesischen Lieferern unentgeltlich zu Verfügung gestellt hatte, nicht in die Zollwertberechnung einbezogen waren, erhob es mit - u. a. - Einfuhrabgabenbescheid vom 16.02.2006 unter Hinweis auf Art. 220 Abs. 1 Zollkodex (ZK) von der Klägerin Zoll in Höhe von EUR 4.502,96 nach.

    In ihrem gegen den Einfuhrabgabenbescheid vom 16.02.2006 gerichteten Einspruch wandte die Klägerin ein, dass nach dem Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 13.01.2005 Einfuhrvorgänge vor dem 27.02.2003 nicht zu korrigieren seien. Das Gleiche gelte für Umschließungen, die vor dem 27.02.2002 ausgeführt und nach dem 27.02.2003 befüllt eingeführt worden seien. Denn für diese Umschließungen hätte auch bei fristgerechter Beantragung einer rückwirkenden passiven Veredelung keine Einfuhrfreiheit mehr erreicht werden können. Ihr - der Klägerin - sei ein solcher Vertrauensschutz auch für Umschließungen zu gewähren, die in der Zeit vom 27.02. bis 30.09.2002 ausgeführt worden seien. Die Vorschrift des Art. 508 ZK-DVO erlaube nämlich eine rückwirkende Bewilligung einer passiven Veredelung nur bei neuen Bewilligungsanträgen, nicht aber auch bei bereits erteilten Bewilligungen. Die analoge Anwendung des Art. 508 Abs. 3 ZK-DVO auf bereits erteilte Bewilligungen einer passiven Veredelung sei erst im August und September 2003 geklärt und ihr - der Klägerin - am 30.09.2003 zugestanden worden. Ihr - der Klägerin - sei daher auch für die während der Lücke vom 27.02. bis 30.09.2002 ausgeführten Umschließungen Vertrauensschutz zu gewähren.

    Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch der Klägerin gegen den Einfuhrabgabenbescheid vom 16.02.2006 mit Einspruchsentscheidung vom 05.06.2007 zurück. Es führte zur Begründung u. a. aus, dass die Firma A bereits am 27.02.2003 einen Antrag auf rückwirkende Bewilligung einer passiven Veredelung gemäß Art. 508 Abs. 3 ZK-DVO hätte stellen können. Eine solche Bewilligung wäre zum 27.02.2002 mit der Folge wirksam geworden, dass alle streitgegenständlichen Umschließungen nachträglich in das Verfahren der passiven Veredelung hätten überführt werden und damit von den Einfuhrabgaben freigestellt bleiben können.

    Mit ihrer am 02.07.2007 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. Sie meint, der angefochtene Bescheid verstoße sowohl gegen den Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 17.02.2003 als auch gegen das Schreiben des beklagten Hauptzollamtes vom 19.03.2003. Sie habe vor dem Hintergrund dieser Schreiben der Verwaltung darauf vertrauen dürfen, dass das Verfahren der passiven Veredelung erst auf Umschließungen Anwendung finde, die ab dem 27.02.2003 in dieses Verfahren hätten überführt, d. h. ausgeführt werden können. Von einer nachträglichen oder rückwirkenden passiven Veredelung sei in dem Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 17.02.2003 auch nicht andeutungsweise die Rede. Das beklagte Hauptzollamt habe in seinem Schreiben vom 19.03.2003 zudem die Anwendung der bisherigen Rückwarenregelung auf Umschließungen zugestanden, die bis zum 30.04.2003 ausgeführt worden seien. Dass die den Gegenstand des Rechtsstreits bildenden Umschließungen vor dem 27.02.2003 und erst recht vor dem 30.04.2003 ausgeführt worden seien, sei unstreitig. Dessen ungeachtet verstoße der angefochtene Bescheid gegen Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK. Die streitgegenständliche zollwertrechtliche Abfertigung, bei der die Umschließungskosten nicht in den Zollwert einbezogen worden seien, beruhe auf einem im Sinne des Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK Irrtum der Zollbehörden, den weder die Firma A noch sie - die Klägerin - hätte erkennen können.

    Die Klägerin beantragt,

    den Einfuhrabgabenbescheid vom 16.02.2006 sowie die Einspruchsentscheidung vom 05.06.2007 (RL .../06) aufzuheben.

    Das beklagte Hauptzollamt beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es bezieht sich auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und merkt ergänzend an, dass die Klägerin nicht die Zollbehörden dafür verantwortlich machen könne, dass ihre Geschäftspartnerin, die Firma A, die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten nach Art. 508 ZK-DVO nicht unmittelbar nach Veröffentlichung des am 27.02.2003 in den VSF-Nachrichten veröffentlichten BMF-Erlasses vom 17.02.2003 ausgeschöpft habe, zumal bereits mit den am 10.12.2002 erschienenen VSF-Nachrichten 65 aus 2002 Nr. 466 die geänderte Dienstanweisung Zollwert und die endgültige Abkehr von der ehemaligen Rückwarenregelung bekannt gewesen sei.

    Die Sachakte des beklagten Hauptzollamtes hat vorgelegen.

    Gründe

    Die zulässige Anfechtungsklage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

    Rechtsgrundlage für den von der Klägerin angefochtenen Einfuhrabgabenbescheid ist die Vorschrift des Art. 220 Abs. 1 ZK. Danach erfolgt eine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn der einer Zollschuld entsprechende Abgabenbetrag nicht nach den Artikeln 218 und 219 ZK buchmäßig erfasst oder mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag erfasst worden ist. Dass die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall erfüllt sind, wird letztlich auch von der Klägerin nicht mehr in Abrede gestellt. Nach Art. 32 Abs. 1 lit. a) ii) ZK sind nämlich bei der Ermittlung des Zollwertes nach Art. 29 ZK dem für die eingeführten Waren tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis die Kosten von Umschließungen, soweit sie für den Käufer entstanden, aber nicht in dem für die Waren tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis enthalten sind, hinzuzurechnen. Die im Streitfall von der Firma A den chinesischen Herstellern unentgeltlich zur Verfügung gestellten Metalldrehverschlüsse und Gläser unterfallen auch dem Begriff der Umschließungen im Sinne des Art. 32 Abs. 1 lit. a) ii) ZK, da sie Behältnisse darstellen, die sich nicht nur zur Beförderung der Waren, sondern auch zu ihrer Lagerung und Vermarktung eignen (vgl. zum Begriff der Umschließungen Reiche, in: Witte, Zollkodex, 5. Auflage, Art. 32, Rz. 12).

    Dieser zollwertrechtlichen Betrachtung steht nicht entgegen, dass nach der in der früheren Dienstanweisung VSF Z 5314 vom 15.03.1993 zum Ausdruck kommenden Verwaltungspraxis der Gemeinschaft Kosten für Umschließungen, die aus dem freien Verkehr der Gemeinschaft stammten und vom Käufer zur Verfügung gestellt wurden, dem Zollwert der eingeführten Waren nicht hinzugerechnet wurden. Diese über viele Jahre praktizierte und von der Europäischen Kommission geduldete Praxis findet in der eindeutigen Regelung des Art. 32 Abs. 1 lit. a) ii) ZK keine Stütze und ist zwischenzeitlich auch aufgegeben worden.

    Auch der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung hindert im Streitfall eine nachträgliche Erhebung der Einfuhrabgaben nicht. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass Verwaltungsanweisungen, die im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht stehen, nicht den Vorrang des Gemeinschaftsrechts durchbrechen können (vgl. nur BFH, Beschluss vom 24.04.1990, VII B 197/89, juris; Beschluss vom 18.03.1986, VII R 55/83, juris). Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht vor dem Hintergrund, dass die in Rede stehende Dienstanweisung VSF Z 5314 vom 15.03.1993, wonach Kosten von Umschließungen, die aus dem freien Verkehr des Zollgebiets der Gemeinschaft stammten und vom Käufer zur Verfügung gestellt wurden, bei der Berechnung des Zollwertes der eingeführten Waren unberücksichtigt blieben, auf einer Duldungsabsprache mit der Europäischen Kommission beruhte. Denn gültiges Gemeinschaftsrecht kann nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass die Europäische Kommission eine nationale gemeinschaftswidrige Verwaltungspraxis zulässt. Die Vorschrift des Art. 32 Abs. 1 lit. a) ii) ZK stellt das einzige positive Recht auf dem Gebiet des Zollwertrechts dar; diese Normierung in Form einer Ratsverordnung ist nicht nur von jeder nationalen Verwaltungsbehörde, sondern auch von der Europäischen Kommission anzuwenden und zu beachten (vgl. EuGH, Urteil vom 20.11.2008, C-38/07, Rz. 61; Urteil vom 13.01.2004, C-453/00, Rz. 22; Urt. vom 12.07.1989, C-161/88, Rz. 19), anderenfalls ihre einheitliche Geltung und Anwendung im Gemeinschaftsgebiet in Frage gestellt wäre.

    Ebenfalls steht der Grundsatz des Vertrauensschutzes der streitgegenständlichen Nachforderung nicht entgegen. Zwar kann sich auf Vertrauensschutz nach allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen jeder berufen, bei dem die Gemeinschaftsverwaltung begründete Erwartungen erweckt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 07.09.2006, C-310/04, Rz. 81, juris; Urteil vom 22.06.2006, C-182/03, Rz. 8, juris; Urteil vom 18.1.2000, T-290/97, Rz. 59; Urteil vom 17.12.1998, T-203/96, Rz. 74, jeweils m. w. N.); dagegen kann niemand eine Verletzung dieses Grundsatzes geltend machen, dem die Gemeinschaftsverwaltung keine bestimmten Zusicherungen gemacht hat (vgl. EuGH, Urteil vom 18.01.2000, T-290/97, Rz. 59, juris; Urteil vom 14.09.1995, T-571/93, Rz. 72, juris). Abgesehen davon, dass es kein berechtigtes Vertrauen in den Fortbestand einer - wie hier - offenkundig gemeinschaftsrechtswidrigen Lage geben kann (vgl. EuGH, Urteil vom 25.03.2004, C-480/00, Rz. 67, juris; Urteil vom 15.09.2005, C-199/03, Rz. 68, juris), regelt freilich hinsichtlich der Nacherhebung von Abgaben die Vorschrift des Art. 220 ZK abschließend, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Berufung auf die Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes oder den Grundsatz von Treu und Glauben möglich ist (vgl. BFH, Urteil vom 05.04.1980, VII R 50/88, BFH/NV 1991, 204; Urteil vom 12.10.1999, VII R 6/99, BFH/NV 2000, 294; Urteil vom 06.06.2000, VII R 72/99, BFH/NV 2000, 1435). Diese gemeinschaftsrechtliche Normierung hat auch Vorrang vor nationalrechtlichen Grundsätzen.

    Der erkennende Senat hat im gegebenen Kontext bedacht, dass sich das beklagte Hauptzollamt mit Schreiben vom 19.03.2003 an die Firma A gewandt und auf die Änderung der zollwertrechtlichen Regelung für die Behandlung von Verpackungen/Umschließungen und Etiketten unter gleichzeitiger Gewährung einer Übergangsfrist hingewiesen hat. In diesem Schreiben heißt es: ”... Zur Wahrung einer einheitlich Rechtsanwendung beabsichtige ich, alle PV-Bewilligungen zeitgleich umzustellen und räume deshalb bis zum 30.04.2003 eine Übergangsfrist ein, in der bis zum Ablauf dieser Frist noch nach der bisherigen Regelung verfahren werden darf. Ab 01.05.2003 ist der in Rede stehende Warenkreis in die Bewilligung der passiven Veredelung mit einzubeziehen und in das Verfahren der passiven Veredelung zu überführen ... Ab 01.05.2003 kommt eine diesbezügliche Zollbetragsminderung nur noch in Betracht, wenn die PV-Bewilligung auf den o. a. Warenkreis erweitert wurde ...” Ob und gegebenenfalls inwieweit dieses Schreiben des beklagten Hauptzollamtes einen Vertrauenstatbestand vermittelt, hat der Senat in diesem gerichtlichen Verfahren allerdings nicht zu entscheiden. Der Zollkodex enthält zwei Ausnahmetatbestände für die Zahlung einer Zollschuld unter Vertrauensschutzgesichtspunkten, nämlich einerseits Art. 220 ZK und andererseits Art. 239 ZK. Wenn auch die beiden Vorschriften das gleiche Ziel verfolgen - scil. die Nachzahlung von Abgaben auf gerechtfertigte und mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes zu vereinbarende Fälle zu beschränken -, so unterscheiden sie sich in ihrem Anwendungsbereich erheblich (vgl. Alexander, in: Witte, Zollkodex, 5. Auflage, vor Art. 220, Rz. 5). Während Art. 220 ZK lediglich das berechtigte Vertrauen des Abgabenschuldners in die Richtigkeit aller Gesichtspunkte schützen soll, die bei der Entscheidung darüber, ob Zoll erhoben wird, Berücksichtigung gefunden haben (vgl. EuGH, Urteil vom 14.11.2002, C-251/00, Rz. 39, juris), ist die Vorschrift des Art. 239 ZK als eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel ausgestaltet, die immer dann zur Anwendung gelangt, wenn es angesichts des Verhältnisses zwischen Wirtschaftsteilnehmer und Verwaltung unbillig wäre, den Wirtschaftsteilnehmer einen Schaden tragen zu lassen, den er bei rechtem Gang der Dinge nicht erlitten hätte (vgl. EuGH, Urteil vom 14.12.2004, T-332/02, Rz. 40, juris). Dieser Vergleich der Regelungsgehalte von Art. 220 ZK einerseits und Art 239 ZK andererseits macht zugleich deutlich, dass es bei Art. 239 ZK nicht auf einen Irrtum im Sinne des Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK der zuständigen Behörde ankommt, was wiederum auch ermöglicht, ein beiderseitiges Verschulden zu berücksichtigen. Mit Blick auf die in diesem gerichtlichen Verfahren streitgegenständliche Nacherhebung von Abgaben nach Art. 220 ZK kann freilich unter Vertrauensschutzgesichtspunkten von der Nacherhebung aus Gründen des Vertrauensschutzes nur abgesehen werden, wenn die in Art. 220 Abs. 2 lit. b) Unterabsatz 1 ZK niedergelegten drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, scil. die Nichterhebung der Abgaben muss auf einen Irrtum der zuständigen Behörde zurückzuführen sein (1.), der Abgabenschuldner muss gutgläubig gehandelt (2.) und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten haben (3.). Vorliegend fehlt es allerdings bereits an einem Vertrauensschutz begründenden Irrtum der zuständigen Behörde.

    Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat wiederholt festgestellt, dass im Rahmen des Art. 220 Abs. 2 ZK lediglich solche Irrtümer, die auf ein Handeln der zuständigen Behörde zurückzuführen sind, einen Anspruch auf ein Absehen von der Nacherhebung begründen (vgl. EuGH Urteil vom 18.10.2007, C-173/06, Rz. 32; Beschluss vom 09.12.1999, C-299/98 P, Leitsatz 2). Die zuständige Behörde muss deshalb die Angaben in der Zollanmeldung tatsächlich geprüft und das Ergebnis dieser Prüfung der Abgabenfestsetzung zugrunde gelegt haben; die Behörde muss - mit anderen Worten - selbst auf der Basis des vollständigen Sachverhalts die Grundlage geschaffen haben, auf der das Vertrauen des Abgabenpflichtigen beruht (vgl. EuGH, Urteil vom 14.11.2002, C-251/00, Rz. 42, juris; Urteil vom 10.05.2001, T-186/97, Rz. 231, juris). Der vorliegende Streitfall ist indes dadurch gekennzeichnet, dass die entscheidungserhebliche Frage, ob die Umschließungskosten bei der Ermittlung des Zollwertes hinzuzurechnen sind, nicht Gegenstand einer Prüfung der Zollbehörden war. Die Zollanmeldungen enthielten keine Angaben darüber, dass die Firma A die Umschließungen für die Konserven dem chinesischen Hersteller unentgeltlich zur Verfügung gestellt hatte. Angesichts dieser unvollständigen Tatsachengrundlage konnte die Zollbehörde keine Prüfung der zollwertrechtlichen Behandlung der Umschließungskosten vorgenommen haben und von daher auch keinem vertrauensschutzbegründenden Irrtum im Sinne des Art. 220 Abs. 2 ZK unterlegen sein.

    Der erkennende Senat ist sich im zu betrachtenden Kontext bewusst, dass auch eine langjährige unrichtige Abfertigungspraxis ohne ein eigentliches zollbehördliches Handeln einen Irrtum im Sinne des Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK begründen kann (vgl. EuGH, Urteil vom 01.04.1993, C-250/91, juris; BFH, Beschluss vom 04.11.2003, VII R 23/02, juris). Der Europäischen Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 01.04.1993 (C-250/91, juris) allerdings betont, dass in einem solchen Fall ein den zuständigen Zollbehörden zuzurechnender Irrtum nur vorliegt, wenn die Zollanmeldung des Abgabenschuldners alle für die Anwendung der betreffenden Regelung erforderlichen Angaben enthielt, so dass eine eventuelle nachträgliche Überprüfung durch die zuständige Behörde keine neue Tatsache ergeben kann (Rz. 19). So liegt der Fall hier indes nicht. Denn die streitbefangenen Zollanmeldungen waren - wie bereits dargelegt - insofern unvollständig, als sie keine Angaben hinsichtlich der Umschließungskosten enthielten. Mit dieser Erkenntnis steht freilich zugleich fest, dass auch eine weitere Voraussetzung des Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK nicht gegeben ist, nämlich dass die Klägerin bzw. die Firma A alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat. Nach Art. 62 Abs. 1 ZK müssen aber die Zollanmeldungen alle Angaben enthalten, die zur Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet werden, erforderlich sind.

    Der erkennende Senat hat fernerhin bedacht, dass auch eine falsche Rechtsanwendung einen im Sinne des Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK erheblichen Irrtum darstellen kann. Ein solches Handeln kann etwa darin bestehen, dass die Zollbehörden die Zollanmeldung vorbehaltlos annehmen (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.12.1991, 11 K 68/86 Z, juris; EuGH, Urteil vom 22.10.1987, C-314/85, juris; Alexander, in: Witte, Zollkodex, 5. Auflage, Art. 220, Rz. 116). Freilich setzt auch die Anerkennung eines Irrtums infolge falscher Rechtsanwendung voraus, dass die Tatsachen in der Zollanmeldung zutreffend und vollständig angegeben werden, was auf den Streitfall gerade nicht zutrifft. Dass die Klägerin bzw. die Firma A Angaben zu den Umschließungskosten möglicherweise im Vertrauen auf die in der früheren Dienstanweisung VSF Z 5314 vom 15.03.1993 dokumentierte und mit dem Gemeinschaftsrecht nicht übereinstimmende Rechtsauffassung unterlassen hat, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne rechtliche Relevanz. Denn die Vorschrift des Art. 220 ZK macht die Nacherhebung von Abgaben nicht davon abhängig, ob der Zollbeteiligte Angaben schuldhaft unterlassen oder schuldhaft unrichtige Angaben gemacht hat.

    Angesichts der vorstehenden Ausführungen kann der Senat unerörtert lassen, ob im Streitfall Vertrauensschutz auch deshalb zu versagen ist, weil die Klägerin bzw. die Firma A nicht gutgläubig gehandelt hat (vgl. Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK).

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.