02.11.2010
Finanzgericht Münster: Urteil vom 18.01.2010 – 5 K 1986/06 E
Einnahmen aus der Anwerbung neuer Teilnehmer an einem sog. „Schenkkreis” sind Entgelt i. S. des § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 5. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter … ehrenamtliche Richterin … ehrenamtlicher Richter … im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 18.1.2010 für Recht erkannt:
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Erlöse aus der Beteiligung an einem sog. „Schenkkreis” Einkünfte aus Leistungen nach § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) darstellen.
Die Kläger (Kl.) waren im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kl. war als Immobilienmakler gewerblich tätig, die Klägerin (Klin.) unterhielt einen Friseursalon.
Daneben beteiligte sich der Kl. an einem Schenkkreis, der in Form von „Tafelrunden” durchgeführt wurde. Das System unterlag folgenden Regeln: Jede einzelne Tafel war pyramidenförmig aufgebaut und bestand aus 15 Positionen (P1 bis P15). An der Spitze stand ein König (P1). Auf der zweiten Ebene standen zwei Edelmänner (P2 und P3), auf der dritten Ebene vier Ritter (P4 bis P7) und auf der untersten Ebene acht Knappen (P8 bis P15). Neue Mitspieler stiegen stets als Knappen ein und mussten, um teilnehmen zu können, an den König der jeweiligen Tafel einen Betrag von 2.500,– EUR bzw. 5.000,– EUR zahlen. Sobald alle Positionen einer Tafel besetzt waren, wurde die Tafel geteilt. Der König schied aus und alle anderen Teilnehmer stiegen in einer der beiden neuen Tafeln jeweils um eine Ebene auf.
In verschiedenen Gaststätten fanden Treffen statt, in denen neue Mitspieler als Knappen in die Tafeln einstiegen und vorformulierte „Schenkungsurkunden” unterzeichneten, mit denen sie sich verpflichteten, dem jeweiligen König ihren Beitrag zu überweisen. In den Urkunden ist ausdrücklich aufgeführt, dass das Geschenk an keinerlei Verpflichtungen gebunden sei und dass kein Recht bestehe, das Eigentum zurückzufordern. Die Urkunden wurden jeweils vom Schenker und einem Zeugen, der nicht mit dem Beschenkten identisch war, unterzeichnet.
Auf dem Konto des Kl. gingen im Streitjahr Beträge aus derartigen Schenkungen in Höhe von insgesamt 210.000,– EUR ein. Über die einzelnen Schenkungen waren jeweils Schenkungsurkunden in der o.g. Form ausgestellt worden. Sein Einsatz für die Teilnahme an den Tafelrunden betrug insgesamt 15.000,– EUR.
Die Regeln waren im Internet unter der Adresse www.tafelrunden.net abrufbar. Spätestens ab dem Jahr 2003 befand sich unter dieser Internetadresse daneben auch ein „Ehrenkodex”, nach dem es jedem Teilnehmer oblag, mindestens zwei neue Personen zur Tafelrunde zu inspirieren. Wem dies bis zum Erreichen der zweiten Ebene (Edelmann) nicht gelingen sollte, konnte von den übrigen Mitgliedern der Tafel gegen Rückzahlung seines Geschenks ausgeschlossen werden.
In ihrer am 2.4.2004 eingegangenen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2002 gaben die Kl. keine Einkünfte aus der Teilnahme an den Tafelrunden an. Eine vom Beklagten (Bekl.) beim Kl. durchgeführte Betriebsprüfung kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Erlösen um sonstige Einkünfte nach § 22 EStG handele. Wegen der Einzelheiten wird auf Tz. 2.2.4 des Prüfungsberichts vom 16.6.2005 Bezug genommen. Mit Einkommensteuerbescheid vom 9.11.2005 setzte der Bekl. unter Berücksichtigung von Einkünften aus Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG in Höhe von 195.000,– EUR. die Einkommensteuer für 2002 auf 82.132,– EUR fest.
Hiergegen legten die Kl. am 9.12.2005 Einspruch ein, den sie damit begründeten, dass die Teilnahme an den Tafelrunden keine steuerpflichtigen Einkünfte auslösten. Da es sich um Schenkungen handele, stellten die Zahlungen keine Gegenleistungen für Leistungen i.S.v. § 22 Nr. 3 EStG dar. Es handele sich nach den „Schenkungsurkunden” ausdrücklich um Zuwendungen, für die keine Gegenleistung erwartet und für die keine Verpflichtung eingegangen werde. Eine andere Auslegung der Urkunden sei wegen ihres eindeutigen Wortlauts nicht zulässig. Es habe keine Verpflichtung zur Anwerbung neuer Mitspieler bestanden und es sei auch keine Provision für das Anwerben neuer Spieler gezahlt worden. Insoweit unterscheide sich der Schenkkreis erheblich von dem dem BFH-Beschluss vom 14.5.1997 (Az. XI B 145/96) zugrunde liegenden Spiel „Life”. Es handele sich vielmehr um ein reines Glücksspiel, da der Erhalt von Geschenken allein vom Zufall abhänge.
Mit Einspruchsentscheidung vom 7.4.2006 wies der Bekl. den Einspruch als unbegründet zurück. Die Tafelrunde sei kein reines Glücksspiel, da der Kl. durch Anwerben neuer Mitspieler die Möglichkeit gehabt habe, seinen eigenen Gewinn erheblich zu beeinflussen. Er habe den neuen Teilnehmern seiner Tafelrunde mit der Räumung der Königsposition die Möglichkeit eingeräumt, selbst teilzunehmen und durch Anwerbung neuer Mitspieler ihrerseits Gewinne zu erzielen. Da die Zahlungen auf den Erhalt dieser Gegenleistungen gerichtet gewesen seien, seien die „Schenkungsverträge” als entgeltliche Verträge auszulegen.
Am 10.5.2006 haben die Kl. Klage erhoben. Neben ihrem Vorbringen im Einspruchsverfahren behaupten sie, der Kl. habe niemals aktiv andere Personen für die Teilnahme an der Tafelrunde angeworben. Vielmehr habe es sich um ein reines Internetsystem gehandelt. Es habe auch keine Verpflichtung zur Anwerbung bestanden. Der Ehrenkodex, der die Obliegenheit zur Anwerbung mindestens zweier neuer Teilnehmer enthält, habe in dieser Form im Streitjahr noch nicht existiert, sondern sei erst Ende 2003 oder Anfang 2004 vom damaligen Webmaster eingeführt worden. Zum Beweis dieser Tatsache wird die Vernehmung des damaligen Webmasters sowie dreier weiterer Personen beantragt. Da der Webmaster auch darüber entschieden habe, ob ein neuer Teilnehmer einer Tafel als Knappe beitreten durfte, habe der Kl. auch nicht die Möglichkeit gehabt, gegenüber den neuen Teilnehmern Leistungen in Form der Einräumung bestimmter Positionen zu erbringen.
Die Kl. beantragen sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 9.11.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7.4.2006 dahingehend abzuändern, dass die sonstigen Einkünfte um 195.000,– EUR geringer angesetzt werden.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er behauptet, bereits im Streitjahr 2002 habe der Ehrenkodex gegolten, nach dem die Obliegenheit zum Anwerben neuer Mitspieler bestanden habe. Der Kl. habe sich auch tatsächlich aktiv an der Anwerbung neuer Mitspieler beteiligt.
Am 22.1.2009 hat ein Termin zur Erörterung des Sach- und Streitstands vor dem Berichterstatter stattgefunden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 16.3.2009 hat der Bekl. Unterlagen aus den Ermittlungen der Steuerfahndung C vorgelegt. Daraus ergebe sich, dass der Kl. der erste König gewesen sei und damit zu den Gründern der Tafelrunde gehört habe. Bei der Tafelrunde habe es sich nach diesen Ermittlungen nicht um ein reines Internetsystem gehandelt. Die Internetseite sei gar nicht öffentlich zugänglich, sondern vielmehr durch ein Passwort geschützt gewesen, das nur den Teilnehmern bekannt gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz nebst Anlagen (Bl. 176 bis 198 GA) Bezug genommen.
Der Kl. bestreitet, dass die Internetseite im Streitjahr 2002 nicht öffentlich zugänglich gewesen sein soll. Sämtliche vom Bekl. mit Schriftsatz vom 16.3.2009 vorgelegten Unterlagen beträfen nicht das Streitjahr, sondern spätere Zeiträume.
Das Gericht hat im Wege der schriftlichen Vernehmung (§ 377 Abs. 3 der Zivilprozessordnung, ZPO) der in den Schenkungsurkunden benannten Teilnehmer des Schenkkreises als Zeugen Beweis erhoben. Auf die eingegangenen Zeugenaussagen (Bl. 199 ff. GA) wird Bezug genommen.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 14.1.2010 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 9.11.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7.4.2006 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Kl. nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung, FGO).
Die seinen Einsatz übersteigenden Einnahmen des Kl. aus der Teilnahme am Schenkkreis in Höhe von insgesamt 195.000,– EUR stellen im Streitjahr 2002 steuerpflichtige Einkünfte aus Leistungen im Sinne von § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG dar. Die Einnahmen sind Entgelte für das Anwerben neuer Teilnehmer für den Schenkkreis.
Eine Leistung in diesem Sinne ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und eine Gegenleistung auslöst (BFH-Urteil vom 28.11.2007 IX R 39/06, BStBl. II 2008, 469). Entscheidend ist, dass die Gegenleistung durch das Verhalten des Steuerpflichtigen veranlasst ist Es ist nicht erforderlich, dass der Leistende bereits beim Erbringen seiner Leistung eine Gegenleistung erwartet. Das Verhalten selbst kann zunächst steuerlich indifferent sein. Ausreichend ist vielmehr, dass er eine im wirtschaftlichen Zusammenhang mit seinem Tun, Dulden oder Unterlassen gewährte Gegenleistung als solche annimmt (BFH-Urteil vom 21.9.2004 IX R 13/02, BStBl. II 2005, 44). Leistungsempfänger und Zahlender müssen nicht identisch sein (BFH-Urteile vom 12.11.1985 IX R 183/84, BStBl. II 1986, 890 und vom 21.9.2004 IX R 13/02, BStBl. II 2005, 44).
Einnahmen aus einem reinen Glücksspiel sind nicht steuerbar, weil sie kein Entgelt für eine Leistung des Spielers sind. Dieser setzt nur einen Geldbetrag ein und erhält dadurch eine Gewinnchance, die keine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellt (BFH-Beschluss vom 28.6.1996 X B 15/96, BFH/NV 1996, 743). Wird dagegen ein Entgelt für die Anwerbung neuer Interessenten zur Teilnahme an Informationsveranstaltungen gezahlt, liegt kein reines Glücksspiel, sondern eine steuerpflichtige Leistung vor (BFH-Beschlüsse vom 28.6.1996 X B 15/96, BFH/NV 1996, 743 und vom 14.5.1997 XI B 145/96, BFH/NV 1997, 658).
Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kl. neue Interessenten für die Teilnahme am Schenkkreis angeworben hat. Nach der Aussage des Zeugen G (Bl. 202 Rückseite) hat der Kl. nicht nur ihn auf die Tafelrunde aufmerksam gemacht und ihn mehrfach angesprochen, sondern auch andere Personen, die dem Zeugen von der Anwerbung durch den Kl. berichtet haben. Diese Aussage wird durch die Aussage des Zeugen T (Bl. 213) bestätigt, wonach der Kl. „sehr aktiv” war und viele Personen angesprochen hat. Auch der Zeuge H bestätigt diese Aussagen (Bl. 291).
Für den Senat sind keine Gründe erkennbar, an der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen zu zweifeln. Auch die Aussagen der übrigen Zeugen stehen nicht im Widerspruch zu den Aussagen dieser drei Zeugen. Die Aussagen sind für die Frage, ob der Kl. potentielle Teilnehmer angeworben hat, unergiebig. Die Zeugen AA, BA, CA, DA, EA, FA, GA, HA, IA, JA, KA, LA, MA, NA, OA und PA geben an, den Kl. gar nicht zu kennen. Die übrigen Zeugen, die angeben, den Kl. zu kennen oder ihm zumindest einmal begegnet zu sein, bestätigen zwar nicht, dass der Kl. potentielle Teilnehmer angeworben hat. Diese Aussagen sind jedoch nicht geeignet, die Aussagen der Zeugen G, T und H zu widerlegen. Die Aussagen widersprechen sich nicht, da die Zeugen lediglich angeben, dass ihnen derartige Aktivitäten des Kl. nicht bekannt seien.
Der Senat hält es nicht für erforderlich, einzelne Zeugen zu laden (§ 377 Abs. 3 Satz 3 ZPO). Eine persönliche Vernehmung ist zur weiteren Klärung der Beweisfrage nicht notwendig, da sich weder seitens der Beteiligten noch seitens des Gerichts weitere Nachfragen an die Zeugen ergeben haben und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Zeugen falsche Angaben gemacht haben.
Durch das Anwerben neuer Teilnehmer hat der Kl. Leistungen an diese neuen Teilnehmer erbracht, da er ihnen die Möglichkeit eröffnet hat, an der Tafelrunde teilzunehmen. Zugleich hat er Leistungen an andere Mitglieder der Tafel erbracht, da sich durch die Teilnahme neuer Knappen deren Chancen auf den Erhalt von „Geschenken” erhöht hat. Die von ihm vereinnahmten Geldbeträge stellen Gegenleistungen dar, da sie in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Anwerbungsleistungen des Kl. stehen (vgl. auch FG Münster, Urteil vom 22.4.2009 12 K 3308/07 E, EFG 2009, 1190).
Dabei ist es unerheblich, ob der Kl. die Zahlungen unmittelbar von den von ihm angeworbenen Teilnehmern oder von Dritten erhalten hat. Ebenso unbeachtlich ist, dass der Kl. zum Zeitpunkt der Erbringung seiner Leistungen keinen konkreten Anspruch auf den Erhalt von Zahlungen erworben hat. Da bereits der wirtschaftliche Zusammenhang ausreicht, braucht die zwischen den Beteiligten streitige Frage der zivilrechtlichen Auslegung der „Schenkungsurkunden” nicht entschieden zu werden. Die ebenfalls streitige Frage, ob im Streitjahr bereits der Ehrenkodex galt, nach dem eine Obliegenheit zur Anwerbung mindestens zweier neuer Teilnehmer bestand, kann offen bleiben. Da bereits feststeht, dass der Kl. Leistungen im Sinne von § 22 Nr. 3 EStG ausgeführt hat, kommt es nicht darauf an, ob er dazu aufgrund eines Ehrenkodexes verpflichtet war oder ob er dies freiwillig tat. Einer Beweisaufnahme bedurfte es insoweit nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.