02.11.2010
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 12.02.2010 – 4 K 387/07
Ein Karton im Sinne des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 765/2002 meint ein Behältnis, in dem mehrere Fleischstücke verpackt sind; ein einzelnes Fleischstück, das in einem Jumbokarton verpackt ist, ist mit einem Probekarton im Sinne des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 765/2002 nicht gleichzusetzen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Ausfuhrerstattung und wendet sich gegen die Festsetzung einer Sanktion.
Mit Ausfuhranmeldung vom 03.03.2003 meldete die Klägerin beim Hauptzollamt A 42 Kartons (sog. big packs) „Fleisch von Rindern, gefroren, ohne Knochen, anderes, einschließlich Hackfleisch, 78 GHT oder mehr Gehalt an magerem Rindfleisch außer Fett” der Marktordnungs-Warenlistennummer 0202 3090 9200 zur Ausfuhr in die Russische Föderation an. Die abfertigende Zollstelle entnahm ausweislich der Ausfuhranmeldung (Bl. 7 RS der Sachakte) sowie der Niederschrift über die Entnahme und Behandlung von Proben (Ziffer 9, Bl. 9 der Sachakte) aus „3 verschiedenen Kartons” jeweils einen Fleischblock und übersandte diese jeweils in Kartons einzeln verpackt an die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt bei der Oberfinanzdirektion Hamburg.
Die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt kam in ihrem Untersuchungszeugnis und Gutachten vom 03.04.2003 zu dem Ergebnis, dass die Ware nicht der angemeldeten Marktordnungs-Warenlistennummer entspreche, da das 1. bzw. 2. Fleischstück einen Gehalt an magerem Rindfleisch von 62,8 % bzw. 87,2 % aufweise, was einen durchschnittlichen Gehalt an magerem Rindfleisch von lediglich 75,5 % ergebe; eine Untersuchung des 3. Fleischstückes fand nicht statt.
Das beklagte Hauptzollamt lehnte daraufhin mit Bescheid vom 10.11.2003 die von der Klägerin begehrte Ausfuhrerstattung unter Hinweis auf die Feststellungen der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt ab und setzte zugleich eine Sanktion in Höhe von € 4.205,32 fest.
In ihrem gegen den Bescheid vom 10.11.2003 gerichteten Einspruch rügte die Klägerin den Umfang der gezogenen Probe und wandte insoweit ein: Die von ihr ausgeführte Ware sei in sog. Jumbo-Kartons mit einem Gewicht von 437 bis 492 kg je Karton verpackt worden. In jedem Karton hätten sich zu gleichen Teilen Fleischstücke von der Schulter, dem Nacken und des Bauchlappens befunden. Da der Rindfleischgehalt dieser Fleischarten unterschiedlich sei, hätte aus den drei Teilstückarten eine Durchschnittsprobe gezogen werden müssen. Tatsächlich habe die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt lediglich zwei Teilstückarten untersucht, nämlich zum einen den fetten Bauchlappen und zum anderen die Schulter. Bei ordnungsgemäßer Probenziehung und -untersuchung wäre mit Sicherheit ein Gehalt an magerem Rindfleisch von mehr als 78 % festgestellt worden.
Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 31.10.2007 zurück. Zur Begründung verwies es u.a. darauf, dass nach der im Streitfall einschlägigen Verordnung (EG) Nr. 765/2002 die Probe für die Warenkontrolle lediglich aus zwei ganzen Kartons bestehe. Dieser Vorgabe habe die abfertigende Zollstelle bei der Probenziehung entsprochen, wobei mit Blick auf die von der Klägerin angemeldeten big packs die in diesen enthaltenen einzelnen Fleischblöcken als Kartons im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 765/2002 anzusehen seien. Einen Anspruch auf Untersuchung eines dritten Kartons als Probe habe die Klägerin nicht. Den natürlichen Schwankungen des unterschiedlichen Rindfleischgehaltes werde durch das in der Verordnung (EG) Nr. 765/2002 geregelte Verfahren Rechnung getragen.
Mit ihrer am 30.11.2007 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. Sie betont erneut, dass die streitgegenständliche Ausfuhrware aus drei unterschiedlichen Teilstückarten - scil. Schulter, Nacken und Bauchlappen - bestanden habe, die in sog. Jumbokartons verpackt gewesen seien, wobei jeder Karton zu einem Drittel mit den drei Teilstückarten befüllt gewesen sei. Laut Niederschrift über die Entnahme und Behandlung von Proben seien zwar Proben aus drei verschiedenen Kartons entnommen worden. Tatsächlich sei die Probe indes aus einem Jumbokarton gezogen worden, wobei die drei unterschiedlichen Teilstückarten anschließend in getrennte Kartons gelegt worden seien. Eine Rückstellprobe sei nicht gezogen worden. Das beklagte Hauptzollamt sei nicht berechtigt, dass Ergebnis der Probenziehung und -untersuchung gemäß Art. 70 Abs. 1 Zollkodex auf alle in der Anmeldung bezeichneten Waren zu übertragen. Eine Anwendung des Art. 70 Abs. 1 Zollkodex setze nämlich voraus, dass zum einen der durchgeführten Teilbeschau auch eine repräsentative Warenprobe der angemeldeten Ware zugrunde gelegen habe und dass zum anderen auch die repräsentative Warenprobe untersucht worden sei, woran es im Streitfall gerade fehle. Denn das beklagte Hauptzollamt bzw. die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt habe gerade nicht eine repräsentative Durchschnittsprobe der angemeldeten Ware bestehend aus jeweils einem Teilstück Schulter, Lappen und Bauchlappen untersucht, sondern sich darauf beschränkt, lediglich einen Karton als Probe und einen zweiten Karton als Rückstellprobe zu begutachten. Fehle es aber an einer ordnungsgemäßen Probenuntersuchung, scheide eine Anwendung der Vorschrift des Art. 70 Abs. 1 Zollkodex aus und gemäß Art. 71 Abs. 2 Zollkodex sei von den Angaben in der Ausfuhranmeldung auszugehen.
Die Klägerin beantragt,
das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung des Bescheides vom 10.11.2003 und der Einspruchsentscheidung vom 31.10.2007 - soweit diese entgegenstehen - zu verpflichten, ihr auf ihren Antrag vom 03.03.2003 Ausfuhrerstattung zu gewähren;
den Bescheid vom 10.11.2003 und die Einspruchsentscheidung vom 31.10.2007 hinsichtlich der festgesetzten Sanktion aufzuheben.
Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es verteidigt die angegriffenen Bescheide mit den Gründen der Einspruchsentscheidung und hebt hervor, dass entgegen dem Vortrag der Klägerin die drei Proben aus unterschiedlichen Jumbokartons entnommen worden seien. Diese Probenziehung und die anschließende Untersuchung von zwei lediglich Proben entspreche den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 765/2002. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt insbesondere auch den Karton mit dem Bauchlappenfleisch untersucht habe. Denn die Zollbehörden dürften im Rahmen ihres Ermessens gezielt einen Karton als Probe auswählen, bei dem das Risiko einer von der angemeldeten Warenart abweichenden Beschaffenheit besonders hoch sei.
Zwei Hefter Sachakten haben vorgelegen.
Gründe
Die Klage hat Erfolg. Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen:
Die mit dem Antrag zu 1) erhobene Verpflichtungsklage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die Gewährung von Ausfuhrerstattung für 18.284 kg Rindfleisch der Marktordnungs-Warenlistennummer 0202 3090 9200; der angegriffene Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung des beklagten Hauptzollamtes sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).
a) In Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1254/1999 des Rates vom 17.05.1999 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABl. Nr. L 160/21, im Folgenden: VO Nr. 1254/99) ist bestimmt, dass - u.a. - für gefrorenes Fleisch von Rindern Ausfuhrerstattung gewährt werden kann. Auf die vorliegend streitgegenständliche Ausfuhr vom März 2003 findet die Verordnung (EG) Nr. 2345/2001 der Kommission vom 30.11.2001 zur Festsetzung der Ausfuhrerstattungen im Rindfleischsektor und zur Änderung der KN-Codes für bestimmte, in Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 1245/1999 des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch aufgeführte Erzeugnisse (ABl. Nr. L 315/29, im Folgenden: VO Nr. 2345/2001) Anwendung, die - u.a. - die Gewährung von Ausfuhrerstattung für die Ausfuhr von gefrorenem Rindfleisch des von der Klägerin angemeldeten Erzeugniscodes 0202 3090 9200 vorsieht (vgl. Anhang zur Verordnung Nr. 2345/2001).
Ausweislich der vorliegend anzuwendenden Verordnung (EG) Nr. 2319/2002 der Kommission vom 13.12.2002 zur Ersetzung der Anhänge der Verordnung (EWG) Nr. 3846/87 zur Erstellung einer Nomenklatur der landwirtschaftlichen Erzeugnisse für Ausfuhrerstattungen (ABl. Nr. L 354/1, im Folgenden: VO Nr. 2319/2002) umfasst der KN-Code 0202 3090 9200 „Fleisch von Rindern, gefroren, andere Teile als ganze oder halbe Tierkörper, ohne Knochen, anderes, einschließlich Hackfleisch/Faschiertes, mit einem durchschnittlichen Gehalt an magerem Rindfleisch außer Fett von 78 Gewichtshundertteilen oder mehr(6)”. In Fußnote 6 hat der Gemeinschaftsgesetzgeber zum einen vorgegeben, dass der „Gehalt an magerem Rindfleisch außer Fett ... anhand des Analyseverfahrens im Anhang der Verordnung (EWG) Nr. 2429/86 der Kommission (ABl. Nr. L 210 vom 01.08.1986, S. 39) bestimmt” wird, und zum anderen klargestellt, dass der „Begriff „durchschnittlicher Gehalt” ... sich auf die Menge der Probe gemäß der Begriffsbestimmung des Artikels 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2457/97 (ABl. Nr. L 340 vom 11.12.1997, S. 29)” bezieht. Außerdem hat der Gemeinschaftsgesetzgeber angeordnet, dass die „Probe ... aus dem Teil der betreffenden Partie entnommen (wird), in der das Risiko am höchsten ist.”
b) Im Streitfall hat das Hauptzollamt A eine Beschaffenheitsbeschau durchgeführt und aus der von der Klägerin angemeldeten Ausfuhrsendung, die aus 42 sog. Jumbokartons bestand, insgesamt 3 Fleischblöcke als Probe entnommen und der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt bei der Oberfinanzdirektion Hamburg zur Begutachtung zugeleitet. Die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt ist in ihrem Untersuchungszeugnis und Gutachten vom 3.4.2003 zu dem Ergebnis gelangt, dass die beiden von ihr untersuchten Rindfleischstücke einen durchschnittlichen Gehalt an magerem Rindfleisch von 75,5 % aufweisen; eine Untersuchung des dritten Fleischstückes erfolgt nicht. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Ergebnisse der vom Hauptzollamt A veranlassten Beschaffenheitsbeschau Rückschlüsse auf die Beschaffenheit der streitigen Ausfuhrsendung zulassen und ob im Hinblick auf die Feststellungen der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt bei der Oberfinanzdirektion Hamburg in ihrem Untersuchungszeugnis und Gutachten vom 3.4.2003 die Klägerin keine Ausfuhrerstattung beanspruchen kann. Im Hinblick auf diese Fragestellungen merkt der Senat Folgendes an:
aa) Das Ausfuhrverfahren ist, wie der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 07.09.2006 (C-353/04, Rz. 45) klargestellt hat, ein Zollverfahren (vgl. Art. 4 Nr. 16 Zollkodex). Folglich finden insbesondere die Normierungen der Art. 70 und 71 des Zollkodex (Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 12.10.1992, im Folgenden: ZK) Anwendung. Nach Art. 70 Abs. 1 Unterabsatz 1 ZK gelten, wird ein Teil der angemeldeten Waren beschaut, die Ergebnisse dieser Teilbeschau für alle in der Anmeldung bezeichneten Waren. Die Vorschrift des Art. 70 Abs. 1 Satz 1 ZK durchbricht damit den Grundsatz des Art. 71 Abs. 2 ZK, wonach die in der Anmeldung enthaltenen Angaben der Zollbehandlung zugrunde gelegt werden, wenn eine Überprüfung der Anmeldung nicht erfolgt ist. Die Beschaffenheitsfiktion des Art. 70 Abs. 1 Unterabsatz 1 ZK, die nicht nur für die aufgrund von Zollvorschriften durchgeführte Beschauen, sondern auch für Kontrollen gilt, die gemäß den Vorschriften über die Regelung der Ausfuhrerstattung durchgeführt werden, tritt freilich, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 07.09.2006 (C-353/04, Rz. 56) ebenfalls betont hat, nur ein, wenn die Bedingungen und der Ablauf der Beschau den in diesen Regelungen festgelegten Kriterien genügen. Ist etwa der Umfang der der Ausfuhrsendung entnommenen Probe nicht ausreichend, so gilt die Beschaffenheitsfiktion nicht; die Ergebnisse der Beschau dieser Probe können dann nicht - fiktiv - auf die gesamte angemeldete Ausfuhrsendung übertragen werden (vgl. EuGH, Urteil vom 7.9.2006 (C-353/04, Rz. 58).
Im Streitfall sind als marktordnungsrechtliche Vorschriften, die spezielle Anforderungen und Konkretisierungen hinsichtlich der Beschaffenheitsbeschau enthalten, insbesondere die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 765/2002 der Kommission vom 03.05.2002 über die Probenahme und die Festlegung bestimmter Modalitäten für die Warenkontrolle von entbeinten Teilstücken von Rindfleisch, für die eine Ausfuhrerstattung gewährt werden soll (ABl. Nr. L 117/6, im Folgenden: VO Nr. 765/2002), die die Verordnung (EG) Nr. 2457/97 der Kommission vom 10.12.1997 über die Probenahme für die Warenkontrolle von entbeinten Teilstücken von Rindfleisch (ABl. Nr. L 340/29) ersetzt, von Bedeutung. In Art. 2 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 765/2002 hat der Gemeinschaftsgesetzgeber insoweit geregelt, dass die Probe für die Warenkontrolle in Bezug auf die Einhaltung des durchschnittlichen Mindestgehalts an magerem Rindfleisch bei Teilstücken des Produktcodes 0202 3090 9200 (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. c) VO Nr. 765/2002) aus zwei ganzen Kartons besteht, die an zwei unterschiedlichen Stellen der Partie entnommen werden, wobei als Partie die Erzeugnismenge gilt, für die die Ausfuhranmeldung gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 800/1999 angenommen wurde (Art. 2 Abs. 2 lit. a) VO Nr. 765/2002). Der erste Karton ist für die mit der Kontrolle befasste Behörde bestimmt, der zweite Karton wird als Rückstellprobe den Zollbehörden unterstellt (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 VO Nr. 765/2002). Art. 5 VO Nr. 765/2002 bestimmt sodann, dass die Einhaltung der Vorschriften gemäß Art. 1 Abs. 1 lit. c) VO Nr. 765/2002 - scil. die Einhaltung des durchschnittlichen Mindestgehalts an magerem Rindfleisch von 78 Gewichtshundertteilen oder mehr des Produktcodes 0202 3900 9200 - kontrolliert wird, indem der gesamte Inhalt des ersten Kartons der Probe nach Art. 2 VO Nr. 765/2002 zerkleinert und zu einer homogenen Masse vermischt und auf seinen Gehalt an magerem Rindfleisch überprüft wird (Satz 1). Weist diese Probe nicht den vorgeschriebenen Mindestgehalt an magerem Rindfleisch auf, so ist der Inhalt des zweiten Kartons auf die gleiche Weise zu untersuchen (Satz 2). Liegt der durchschnittliche Gehalt der beiden Kartons unter dem vorgeschriebenen Mindestgehalt an magerem Rindfleisch, so wird für die betreffende Partie keine Erstattung gewährt (Satz 3).
bb) Unter Berücksichtigung der vorstehenden gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben kann der Klägerin für die in Rede stehende Ausfuhrsendung Ausfuhrerstattung nicht versagt werden. Die Untersuchung der der Partie entnommenen zwei Fleischblöcke löst die Beschaffenheitsfiktion des Art. 70 Abs. 1 Unterabsatz 1 ZK nicht aus, weil die entnommene Probe im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 765/2002 keinen ausreichenden Umfang hatte (hierzu unter (1)). Vor diesem Hintergrund ist die Klägerin mit Blick auf die Anwendung des Art. 71 Abs. 2 ZK - wonach die in der Ausfuhranmeldung enthaltenen Angaben bei der Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet worden sind, zugrunde zu legen sind - so zu behandeln, als hätte eine Überprüfung ihrer Anmeldung nicht stattgefunden (hierzu unter (2)).
(1) Die Untersuchung der der Partie entnommenen zwei Fleischblöcke löst die Beschaffenheitsfiktion des Art. 70 Abs. 1 Unterabsatz 1 ZK i.V.m. Art. 5 Satz 3 VO Nr. 765/2002 nicht aus, weil die Normierung des Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 765/2002 über den Umfang der zu entnehmenden Probe missachtet wurde.
Der Gemeinschaftsgesetzgeber schreibt hinsichtlich des Umfangs der Warenprobe gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 765/2002 vor, dass die Probe aus zwei ganzen Kartons der Partie besteht. Dass im Streitfall die zollabfertigende Stelle keine zwei vollständigen Kartons der von der Klägerin angemeldeten Ausfuhrware als Probe gezogen und der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt zur Untersuchung auf den durchschnittlichen Gehalt an magerem Rindfleisch zugeleitet hat, steht zwischen den Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits außer Streit. Das beklagte Hauptzollamt steht in diesem Zusammenhang aber auf dem Standpunkt, dass unter Berücksichtigung der Größe der von der Klägerin angemeldeten sog. Jumbo-Kartons, die ein Füllgewicht zwischen 437 bis 492 kg aufwiesen, sich die Vorgabe des Gemeinschaftsgesetzgebers hinsichtlich des Probenumfangs auf die in diesen Kartons befindlichen einzelnen Fleischblöcke bezieht. Dieser Sichtweise vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen:
Die Regelung des Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 765/2002, wonach die Probe für die Warenkontrolle aus zwei ganzen Kartons der Partie besteht, stellt eine Konkretisierung der auch für eine Beschaffenheitsbeschau unabdingbaren repräsentativen Warenprobe dar. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat zwar den Begriff „Karton” in Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 765/2002 für den Anwendungsbereich dieser Verordnung nicht definiert. Aus dem Normengefüge der Verordnung Nr. 765/2002 lässt sich indes zuverlässig ableiten, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber unter einem Karton im Sinne des Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 765/2002 ein Behältnis versteht, in dem mehrere Teilstücke Fleisch verpackt sind. So hat der Gemeinschaftsgesetzgeber etwa den Zollbehörden zur Kontrolle der Einhaltung der Bedingungen gemäß Art. 1 Abs. 1 lit. a) VO Nr. 765/2002 - scil. die Verpflichtung zur getrennten Verpackung jedes entbeinten Teilstücks - in Art. 3 Unterabsatz 1 VO Nr. 765/2002 zu prüfen aufgegeben, ob jedes Teilstück im ersten Karton der Probe nach Art. 2 VO Nr. 765/2002 einzeln verpackt ist und ob jede Verpackung nur ein Teilstück enthält. Auch die Regelung des Art. 3 Unterabsatz 2 VO Nr. 765/2002 enthält insoweit eine klare Sprache. Es heißt dort: Wird in beiden Kartons zusammen nur ein nicht einzeln verpacktes Teilstück oder nur eine Verpackung mit mehr als einem Teilstück vorgefunden, so gilt dies nicht als Unregelmäßigkeit.
Entsprechend verhält es sich im Hinblick auf die Bestimmung des Art. 4 VO Nr. 765/2002. Die Einhaltung der Vorschriften über die Herkunft nach Art. 1 Abs. 1 lit. b) VO Nr. 765/2002 wird anhand einer Analyseprobe kontrolliert, die aus einem oder zwei nach dem Zufallsprinzip aus dem ersten Karton der Probe gemäß Art. 2 VO Nr. 765/2002 entnommenen Teilstücken besteht. Die Vorschrift des Art. 4 VO Nr. 765/2002 zeigt mithin ebenfalls anschaulich, dass nach dem Begriffsverständnis des Gemeinschaftsgesetzgebers ein Probenkarton im Sinne des Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 765/2002 mehrere Fleischstücke beinhaltet.
Auch die Vorschrift des Art. 5 VO Nr. 765/2002, die die Modalitäten der Kontrolle bezüglich der Einhaltung der Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 lit. c) VO Nr. 765/2002 vorgibt, legt zur Überzeugung des erkennenden Senats ein Verständnis der Regelung des Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 765/2002 nahe, wonach der die Warenprobe bildende Karton der Ausfuhrware mehrere Stücke Fleisch enthalten muss. Eine Formulierung des Gesetzgebers, wonach der „gesamte Inhalt des ersten Kartons der Probe ... auf seinen Gehalt an magerem Rindfleisch” (Art. 5 Satz 1 VO Nr. 765/2002) zu prüfen ist, verträgt sich nicht mit einer Leseart und Auslegung der Vorschrift, dass in Bezug auf sog. Jumbo-Kartons das einzelne Fleischstück mit einem Probekarton im Sinne des Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 765/2002 gleichzusetzen ist. Die vom beklagten Hauptzollamt in diesem Kontext präferierte Interpretation des Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 765/2002 führt in der Praxis überdies zu nicht tolerablen Umsetzungsschwierigkeiten, da völlig offen ist, bei welcher Kartongröße der zu untersuchende Inhalt des Kartons sich auf ein einzelnes Fleischstück reduziert. In diesem Zusammenhang anzunehmen, das beklagten Hauptzollamt könne im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens entscheiden, ob im konkreten Einzelfall angesichts der Kartongröße der gesamte Inhalt oder aber nur ein einzelnes Fleischstück den Probenumfang bildet, missachtet die das Ermessen der Zollbehörde gerade bindende Vorgabe des Gemeinschaftsgesetzgebers, dass der gesamte Inhalt des Kartons die zu untersuchende Probe darstellt. Dass sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Zollbehörden im Rahmen des ihr bei der Probenziehung eingeräumten Ermessens auf die Entnahme einer Stichprobe beschränken können, wenn die Erzeugnisse in der Ausfuhranmeldung als einheitlich beschaffen beschrieben sind (vgl. BFH, Urteil vom 21.08.2007, VII R 34/04), ist dem beklagten Hauptzollamt im Streitfall ebenfalls nicht behilflich, denn der Gemeinschaftsgesetzgeber hat in Bezug auf die Beschau von Fleisch des - u.a. - Erzeugniscodes 0202 3090 9200 durch die Verordnung Nr. 765/2002 gerade verbindlich vorgegeben, dass eine Stichprobe keinen repräsentativen Probenumfang darstellt.
Ein weiterer Gesichtspunkt kommt im vorliegenden Kontext schließlich hinzu: Die Verordnung Nr. 765/2002 regelt die Modalitäten der Warenkontrolle bei der Ausfuhr bestimmter landwirtschaftlicher Erzeugnisse in Bezug auf die - u.a. - Einhaltung des durchschnittlichen Mindestgehalts an magerem Rindfleisch (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. c) VO Nr. 765/2002). Vor dem Hintergrund, dass Fleisch als Naturprodukt hinsichtlich seiner Beschaffenheit Schwankungen unterliegt, schreibt der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Verordnung Nr. 765/2002 vor, dass die Überprüfung der Warenbeschaffenheit nicht mittels einer Stichprobe, sondern anhand einer Durchschnittsprobe, scil. durch Bestimmung des durchschnittlichen Mindestgehalts des gesamten Inhalts des ersten Kartons der Probe zu erfolgen hat (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. c) i.V.m. Art. 5 Satz 1 VO Nr. 765/2002). Der Begriff „Durchschnitt” bzw. „durchschnittlich” beschreibt aber stets die Bildung eines Mittelwertes, was erhellt, dass bereits die Untersuchungsprobe im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Satz 2 1. HS VO Nr. 765/2002 mehrere Fleischstücke umfassen muss.
(2) Die Klägerin ist im Streitfall so zu behandeln, als hätte eine Überprüfung ihrer Anmeldung nicht stattgefunden.
Nach Art. 71 Abs. 2 ZK sind, wenn keine Überprüfung der Anmeldung stattgefunden hat, die in der Anmeldung enthaltenen Angaben bei der Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet worden sind, zugrunde zu legen. Im Streitfall hat zwar eine Überprüfung der Anmeldung der Klägerin stattgefunden, scil. durch die vorstehend erörterte Warenkontrolle und die Untersuchung der bei der Warenkontrolle entnommenen Proben. Diese Überprüfung der Anmeldung erfolgte allerdings - wie vorstehend ebenfalls dargelegt - unter Missachtung der vom Gemeinschaftsgesetzgeber in der Verordnung Nr. 765/2002 für die Warenkontrolle von Erzeugnissen des Produktcodes 0202 3090 9200 vorgeschriebenen Modalitäten. In einem solchen Fall ist der Ausführer im Hinblick auf die Anwendung des Art. 71 Abs. 2 ZK so zu behandeln, als hätte eine Überprüfung seiner Anmeldung überhaupt nicht stattgefunden (vgl. BFH, Urteil vom 16.01.2007, VII R 19/03, juris).
Allerdings entspricht es der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und auch des Bundesfinanzhofs, dass dem Ausführer und nicht der Zollbehörde die Feststellungslast für die erstattungsfähige Beschaffenheit der Ausfuhrware obliegt und dass dieser ungeachtet seiner Ausfuhranmeldung seine Angaben im Ausfuhrverfahren zu beweisen hat und im Falle der Nichterweislichkeit die Feststellungslast trägt, sofern die Zollbehörde Anhaltspunkte dafür hat, dass sie unzutreffend sein könnten (vgl. EuGH, Urteil vom 07.09.2006, C-353/04, Rz. 65 ff; BFH, Urteil vom 16.01.2007, VII R 19/03, juris). Freilich löst eine solche Nachweispflicht nicht jeder Umstand aus, der in irgendeiner Weise einen Anhalt dafür bietet, dass die Angaben des Ausführers nicht zutreffend sein könnten. Dies gilt umso mehr, wenn es - wie hier - um Merkmale der Ware geht, die nachzuweisen dem Ausführer nicht (mehr) ohne weiteres möglich ist, bei denen also das nachträgliche Bestreiten der Zollbehörde diesen in eine Beweisnot bringt, welche die Zollbehörde durch eine ordnungsgemäße, den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprechende Probenziehung hätte vermeiden können. Darüber hinaus hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem Urteil vom 07.09.2006 (C-353/04) betont, ergibt die Feststellung des Sachverhalts nicht zweifelsfrei, ob ein Anspruch auf Erstattung besteht, hat das nationale Gericht das Verhalten des Ausführers und dasjenige der Zollbehörden in der Weise zu würdigen, dass es feststellt, inwieweit sie jeweils ihre Rechte ausgeübt und ihre Verpflichtungen erfüllt haben, und die angemessenen Konsequenzen hinsichtlich des Anspruchs auf die Ausfuhrerstattung zu ziehen (Rz. 68).
Gemessen an diesen Grundsätzen sind im Streitfall keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich, welche die Richtigkeit der in der Ausfuhranmeldung enthaltenen Angabe ernstlich erschüttern, die angemeldeten Waren wiesen nicht einen Mindestgehalt an magerem Rindfleisch von 78 Gewichtshundertteilen oder mehr auf. Insoweit ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihre Pflichten im Zusammenhang mit der Ausfuhrabfertigung der streitgegenständlichen Ausfuhrsendung in vollem Umfang erfüllt hat. Es ist nicht ihr anzulasten, dass das Zollamt den gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Probenumfang missachtet hat. Auch kann der Klägerin nicht vorgehalten werden, die Zollbehörden nicht auf das zutreffende Verständnis der einschlägigen Verordnung Nr. 765/2002 hingewiesen zu haben; denn eine solche Rechtspflicht ist weder im nationalen noch im Gemeinschaftsrecht verankert. Zum anderen hat sich der Senat von der Erwägung leiten lassen, dass die Zollbehörden das einschlägige Gemeinschaftsrecht nicht nur kennen müssen, sondern auch von Amts wegen zutreffend anzuwenden haben. Vor diesem Hintergrund hat das beklagte Hauptzollamt bzw. die Abfertigungsstelle die ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten für den Nachweis, dass die von der Klägerin ausgeführten Waren nicht einen Mindestgehalt an magerem Rindfleisch von 78 Gewichtshundertteilen oder mehr aufweisen, ungenutzt gelassen. Dem beklagten Hauptzollamt bleibt in diesem Zusammenhang zwar zuzugeben, dass die aus der Beschau und der Untersuchung der Waren gewonnenen Ergebnisse nicht schlechthin unverwertbar sind. Allerdings reduziert sich der Erkenntniswert, dass von den beiden untersuchten Probestücken ein Fleischstück einen Mindestgehalt an magerem Rindfleisch von weniger als 78 % aufwies, unter Berücksichtigung der vorstehenden Erörterungen auf die Feststellung eines Zufallsbefundes, zumal es auch keine gesicherten Erkenntnisse des Inhalts gibt, dass der Gehalt an magerem Rindfleisch bei Bauchlappen generell oder überwiegend unter 78 % liegt.
Auch die mit dem Antrag zu 2) erhobene Anfechtungsklage führt zum Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind im Hinblick auf die festgesetzte Sanktion rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Angesichts der vorstehenden Erörterungen hat die Klägerin keine höhere als die ihr zustehende Erstattung beantragt; die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Festsetzung einer Sanktion gestützt auf die Vorschrift des Art. 51 Abs. 1 VO Nr. 800/1999 sind im Streitfall nicht erfüllt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.