02.11.2010
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 16.12.2008 – 5 K 1214/05
1. Eine umsatzsteuerliche Organschaft endet mit der Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters bei der Organgesellschaft, da mit diesem Zeitpunkt die organisatorische Eingliederung entfallen ist.
2. Die Organschaft endet auch dann, wenn die Verwaltungs- und Verwertungsbefugnis hinsichtlich der letzten beiden verbliebenen Bauvorhaben einer als Bauträger tätigen Organgesellschaft auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen wird und die Gesellschaft darüber hinaus keine Bautätigkeiten mehr abzuwickeln hat. Da das operative Geschäft damit allein dem vorläufigen Insolvenzverwalter obliegt, entspricht seine Stellung derjenigen eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 5. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. Dezember 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, die Richterin am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht …, sowie die ehrenamtlichen Richter Herr … und Herr …
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand:
Unternehmensgegenstand der X-GmbH war der Erwerb und die Veräußerung von Grundstücken, die Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben sowie die Baubetreuung. Mit der A-GbR war zum 1.2.2003 eine umsatzsteuerliche Organschaft begründet worden, deren Organgesellschaft die X-GMBH war. Im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der X-GMBH ist der Kläger mit Beschluss des Amtsgerichts M vom 13.5.2003 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden. Es wurde angeordnet, dass Verfügungen der Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des Klägers wirksam waren. Mit ergänzendem Beschluss vom 20.5.2003 wurde der Kläger ermächtigt, zu Lasten der späteren Insolvenzmasse Masseverbindlichkeiten zu begründen und zu erfüllen, die für die Fertigstellung der Baustellen „N” und „O” notwendig waren. Im Umfang dieser Rechtsgeschäfte wurde die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Kläger übertragen und der X-GMBH untersagt, Verbindlichkeiten zu begründen und zu erfüllen. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannten Beschlüsse verwiesen. Am 1.6.2003 wurde alsdann das Insolvenzverfahren eröffnet.
Im Zuge einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der X-GMBH gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass mit der durch Beschluss des Amtsgerichts vom 20.5.2003 erfolgten Übertragung der partiellen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Kläger die Organschaft geendet habe, da weitere Bauvorhaben nicht bestanden hätten und der Kläger somit zum sogenannten starken Insolvenzverwalter geworden sei. Auf Textziffer 12 des Prüfungsberichts vom 3.3.2004 wird verwiesen. Der Beklagte erließ am 14.6.2004 eine entsprechend geänderte Berechnung über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Mai 2003 und meldete die Forderung zur Insolvenztabelle an. Nachdem der Kläger die Forderung bestritten hatte, stellte der Beklagte diese durch Bescheid vom 21.9.2004, geändert durch Bescheid vom 29.4.2005, fest. Der hiergegen eingelegte Einspruch des Klägers, den er unter Verweis auf seine am 27.12.2004 eingereichte Umsatzsteuerjahreserklärung 2003 begründete, wurde zurückgewiesen.
Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger geltend, die Organschaft habe entgegen der Auffassung des Beklagten erst durch Insolvenzeröffnung per 1.6.2003 geendet. Durch den Beschluss vom 20.5.2003 sei die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis lediglich in Bezug auf die dort konkret bezeichneten Rechtsgeschäfte auf ihn als Insolvenzverwalter übertragen worden. Im Übrigen sei die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht übergegangen. Ein allgemeines Verfügungsverbot sei nicht ausgesprochen worden. Er – der Kläger – sei zudem gegenüber dem Geschäftsführer Engler und der Belegschaft nicht als sogenannter starker Insolvenzverwalter aufgetreten. Die komplette Organisation der Baustelle sowie die arbeitsrechtlichen Befugnisse und Erklärungen seien nach wie vor durch den Geschäftsführer und die Bauleiter ausgeübt worden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 21.9.2004, geändert durch Bescheid vom 29.4.2005 und die Einspruchsentscheidung vom 30.6.2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, der Kläger sei durch den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 20.5.2003 partiell starker Insolvenzverwalter geworden mit der Folge, dass die Organschaft zu diesem Zeitpunkt endete. Da der Kläger faktisch die Unternehmensleitung übernommen habe, sei er auch als schwacher Insolvenzverwalter in der Lage gewesen, seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen.
Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Gerichtsakte ein Band Betriebsprüfungsakten und eine Heftung „Rechtsbehelfsverfahren” vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Feststellungsbescheid ist rechtmäßig.
Das unstreitig zum 1.2.2003 begründete Organschaftsverhältnis ist durch die mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 20.5.2003 angeordnete Übertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beendet worden, da mit diesem Zeitpunkt die organisatorische Eingliederung entfallen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH –, der sich der Senat anschließt, endet eine Organschaft mit der Bestellung eines sogenannten starken vorläufigen Insolvenzverwalters. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er infolge eines allgemeinen Verfügungsverbots die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners ausübt. Seine Rechtsstellung – so der BFH weiter – unterscheide sich deutlich von der des sogenannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners nicht übergegangen ist. Dementsprechend bleibe die Organschaft, bei der der Organträger weiterhin als Geschäftsführer der von der Insolvenz bedrohten Organgesellschaft tätig sei, regelmäßig bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhalten. Dies gelte auch dann, wenn das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Fall InsO anordne, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien. In diesem Fall seien zwar Verfügungen des Schuldners ohne die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters grundsätzlich unwirksam; andererseits könne aber auch der vorläufige Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht (allein) über das Vermögen des Schuldners zu verfügen; Schuldner und vorläufiger Insolvenzverwalter hätten eine vergleichbar starke Stellung, der vorläufige Insolvenzverwalters sei als „Berater” des Schuldners anzusehen (vgl. BFH, Urteil vom 1.4.2004 V R 24/03, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2004, 905; Beschluss vom 13.6.2007 XV B 47/06, BFH/NV 2007, 1936; Urteil vom 28.2.2008 V R 44/06, BStBl II 2008, 586).
Die Beteiligten gehen übereinstimmend davor aus, dass von den Bauvorhaben der X-GMBH lediglich die verbliebenen Baustellen „N” und „O” fertigzustellen waren, darüber hinaus aber keine weiteren Bautätigkeiten der Organgesellschaft abzuwickeln waren. Der Beschluss vom 20.5.2003 hatte daher zur Folge, dass das operative Geschäft insoweit allein dem vorläufigen Insolvenzverwalter oblag, er einer Zustimmung des Organträgers also nicht bedurfte. Damit nahm er in diesem Umfang ab diesem Zeitpunkt die Stellung eines sogenannten starken vorläufigen Insolvenzverwalters im Sinne der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein.
Diese Stellung hatte – wegen der Beschränkung auf die genannten Bauvorhaben – zwar nicht zur Folge, dass der Organträger vollumfänglich von der Geschäftsführung ausgeschlossen wurde. Die eingeschränkten Befugnisse des Organträgers in Bezug auf das Betreiben des eigentlichen unternehmerischen Geschäfts, d. h. der Fertigstellung der verbliebenen Bauvorhaben, führten jedoch dazu, dass er seinen Willen in der Organgesellschaft nicht mehr durchsetzen konnte. Die Voraussetzung der Organschaft, die darin besteht, dass der Wille des Organträgers auch und gerade in der laufenden Geschäftsführung durchgesetzt werden kann (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist UStG § 2 Rz. 696), war bei dieser Konstellation folglich nicht (mehr) gegeben.
Diese Beurteilung steht auch nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des BFH vom 1.4.2004 (V R 24/03). Dort war dem vorläufigen Insolvenzverwalter in dringenden Fällen gestattet worden, mit rechtlicher Wirkung für die Schuldnerin zu handeln. Diese Ermächtigung machte den vorläufigen Insolvenzverwalter nach Auffassung des BFH nicht zu einem starken Verwalter. Die im Streitfall erteilte generelle Befugnis geht über eine derartige Ausnahmeermächtigung jedoch deutlich hinaus.
Schließlich hat der BFH im Beschluss vom 13.6.2007 (XV B 47/06) festgestellt, dass es für die Frage, ob ein schwacher oder starker Insolvenzverwalter eingesetzt worden ist, nicht auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt. Aus diesem Grunde brauchte das Gericht dem Vorbringen des Klägers, dass er sich tatsächlich nicht wie ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter verhalten habe, nicht nachzugehen. Nicht entscheidend ist ferner, ob der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, selbst nicht über die erforderlichen baufachlichen Kenntnisse verfügte, zumal diese sich bei Insolvenzeröffnung am 1.6.2003 nicht anders darstellten als am 20.5.2003. Nach Ansicht des BFH, die der Senat teilt, ist allein auf die rechtliche Befugnis abzustellen und nicht auf deren faktische Ausübung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Entscheidung auf der Würdigung des konkreten Sachverhalts beruht und die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.