02.11.2010
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 24.11.2009 – 2 K 694/2007
Das Erbbaurecht als grundstücksgleiches Recht erfüllt den Gegenstandsbegriff des § 74 AO.
Die in § 74 AO konzipierte Ausfallhaftung greift bereits dann ein, wenn eine wesentlich an einem Unternehmen beteiligte Person durch eine von ihrem Willen getragene Gebrauchsüberlassung eines Gegenstandes bei der Unternehmensführung mitwirkt, auch wenn der Gegenstand zu einem Gesamthandvermögen gehört.
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt zu Recht den Kläger als Eigentümer im Sinne von § 74 AO für Umsatzsteuerschulden der Firma X GmbH & Co. KG in Anspruch genommen hat.
Der Kläger war mit einem Gesellschaftsanteil von 37,5 % als Kommanditist an der Firma X GmbH & Co. KG beteiligt. Geschäftsführender Komplementär war die Firma A GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer B , C , D , E und F , jeweils mit Einzelvertretungsbefugnis. Der Kläger war nicht Geschäftsführer.
Die Firma X GmbH & Co. KG betrieb einen Autohandel auf dem Grundstück G in H . Dieses Grundstück steht seit 02.07.2002 im Eigentum der Firma von I GmbH & Co. KG J . Vorherige Eigentümerin war K in L . Das Grundstück ist mit einem Erbbaurecht mit Veräußerungsbeschränkung durch Zustimmung des Grundstückseigentümers zugunsten der Firma M GmbH H belastet, die mit notarieller Vereinbarung vom 24.08.1999 durch Formwechsel in die Firma N GmbH & Co. KG umgewandelt wurde. Der Formwechsel wurde am 03.01.2000 in das Handelsregister eingetragen. Komplementär der Firma N GmbH & Co. KG ohne Kapitalanteil ist die Firma O GmbH P , an der der Kläger, ebenso wie B , zu 50 % beteiligt ist. Zudem ist der Kläger, ebenso wie B , als Kommanditist zu 50 % an der Firma N GmbH & Co. KG mit einer Hafteinlage von 1.250.000 € beteiligt. Die Firma N GmbH & Co. KG überließ das Grundstück G in H mit Gebäuden pachtweise der Firma X GmbH & Co. KG zum Betrieb des Autohandels.
Die Firma X GmbH & Co. KG wurde im Oktober 2001 zahlungsunfähig. Am 16.10.2001 wurde aufgrund des eigenen Antrages ihrer Geschäftsführer zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechtsanwalt Q H zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Vom Insolvenzgericht wurde angeordnet, dass Verfügungen der Firma X GmbH & Co. KG nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (§ 21 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. InsO).
Über das Vermögen der Firma X GmbH & Co. KG wurde durch Beschluss des Amtsgerichts H vom 01.01.2002 um 12.00 Uhr das Insolvenzverfahren eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt stand die Umsatzsteuer für 2000 noch i.H.v. 2.170,35 € offen. Aufgrund der Feststellungen einer Umsatzsteuersonderprüfung im Februar 2002 ergaben sich infolge von Vorsteuerberichtigungen wegen der Zahlungsunfähigkeit Umsatzsteuernachforderungen für Dezember 2001 i.H.v. 1.725.886,10 €. Nach einer weiteren Umsatzsteuerprüfung (Bericht vom 03.06.2003) wurde für das Jahr 2001 eine Umsatzsteuer von 1.192.828,11 € festgestellt. Die noch offene Umsatzsteuerschuld für 2001 in Höhe von 640.767,91 € meldete das Finanzamt zur Insolvenztabelle an.
Nach erfolgter Anhörung erließ das Finanzamt gegenüber dem Kläger am 24.05.2004 einen Haftungsbescheid wegen rückständiger Umsatzsteuer für 2000 der Firma X GmbH & Co. KG i.H.v. 2.170 € gem. § 74 AO und beschränkte die Haftung gegenständlich auf das Erbbaurecht am Grundstück G in H . Zugleich in dem Haftungsbescheid erließ es die Zahlungsaufforderung nach § 219 AO zur Zahlung der Haftungsschuld.
Weiter erließ es am 24.05.2004 gegenüber dem Kläger einen Haftungsbescheid wegen Umsatzsteuer für Dezember 2001 der Firma X GmbH & Co. KG i.H.v. insgesamt 602.155 € gem. § 74 AO und beschränkte die Haftung gegenständlich auf das Erbbaurecht am Grundstück G in H . Zugleich in dem Haftungsbescheid erließ es die Zahlungsaufforderung nach § 219 AO zur Zahlung einer Haftungsschuld von nur 2.170 €.
Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einsprüche ein. Den Einspruch gegen den Haftungsbescheid wegen Umsatzsteuer 2000 mit Zahlungsaufforderung wies das Finanzamt mit der Entscheidung vom 26.03.2007 als unbegründet zurück.
Gegen den Haftungsbescheid für Umsatzsteuer 2000 mit Zahlungsaufforderung in Gestalt der Einspruchsentscheidung hat der Kläger Klage erhoben, gegen den Haftungsbescheid wegen Umsatzsteuer für 2001 mit Zahlungsaufforderung hat er Untätigkeitsklage erhoben. Am 11.10.2007 erging die Einspruchsentscheidung wegen Haftungsbescheid für Umsatzsteuer 2001 mit der das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurückwies. Die Zahlungsaufforderung vom 24.05.2004 hinsichtlich der Haftungsschuld wegen Umsatzsteuer 2001 nahm das Finanzamt in der mündlichen Verhandlung zurück.
Der Kläger beantragt zuletzt, den Haftungsbescheid für Steuerschulden der Firma X GmbH & Co. KG wegen Umsatzsteuer für 2000 vom 24.05.2004 und die hierzu ergangene Zahlungsaufforderung in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.03.2007 aufzuheben.
Weiter beantragt er, den Haftungsbescheid für Steuerschulden der Firma X GmbH & Co. KG wegen Umsatzsteuer für 2001 vom 24.05.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.10.2007 aufzuheben.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen Folgendes vor:
Es lägen bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 74 AO nicht vor. Die Vorschrift sei restriktiv auszulegen. Immaterielle Wirtschaftsgüter seien nicht Gegenstände im Sinne des § 74 AO. Er sei weder Eigentümer noch Erbbauberechtigter des überlassenen Grundstücks. Erbbauberechtigter an dem Grundstück sei die Firma N KG als eigenständiger Rechtsträger. Seine Beteiligung an der N KG beschränke sich auf eine Kommanditbeteiligung, so dass die Vollstreckung in das Gesamthandsvermögen der Firma N KG nicht möglich sei. Der Haftungsbescheid gegenüber ihm als Kommanditisten sei rechtswidrig, da ihm keine Mitberechtigung an einzelnen Vermögensgegenständen der KG zustehe.
Zudem sei der Haftungsbescheid unklar und zu unbestimmt und damit rechtswidrig. Er beinhalte neben der Zahlungsaufforderung auch eine Duldung der Zwangsvollstreckung in das Erbbaurecht am Grundstück. Eine Begründung für die Duldungsanordnung sei im Haftungsbescheid aber nicht enthalten. Er könne nicht gleichzeitig Adressat eines Haftungsbescheides und eines Duldungsbescheides sein. Zudem beziehe sich der Haftungsanspruch auf einen Gegenstand, der so nicht bestehe.
Ihm sei auch ein haftungsbegründendes Verhalten nicht vorzuwerfen. Nach der Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters habe er keine Möglichkeit mehr gehabt, die Nutzung des Grundstücks zu verhindern oder die Erfüllung der Steuerverbindlichkeiten sicherzustellen. Für die im Dezember 2001 und nach Insolvenzeröffnung fällig gewordenen Steuerforderungen könne er daher nicht zur Haftung herangezogen werden.
Zudem sei eine Ermessensabwägung nicht vorgenommen worden. Die Ermessensentscheidung reduziere sich auf allgemeine Ausführungen. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass ihm keinerlei Handlungsalternativen zur Verfügung gestanden hätten.
Wegen des Vortrags im Einzelnen wird auf die Klageschriften vom 27.04.2007 und vom 08.06.2007, auf die Dupliken vom 10.09.2007 und vom 12.11.2007 und auf die Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf die Ausführungen in den Einspruchsentscheidungen und trägt ergänzend Folgendes vor:
Aufgrund der Beteiligungsverhältnisse an der Firma N GmbH & Co. KG stehe das Grundstück letztlich nur dem Kläger und dem ebenfalls in Haftung genommenen B zu; diese seien somit Eigentümer im Sinne von § 74 AO. Jedenfalls werde ein Erbbaurecht als grundstücksgleiches Recht von § 74 AO erfasst. Als alleinige Gesellschafter der Komplementärgesellschaft sei ihr Wille in der Firma N GmbH & Co. KG durchsetzbar gewesen. Damit läge die erforderliche Interessenparallelität zur Firma X GmbH & Co. KG vor. Auf ein Verschulden des Klägers komme es im Rahmen der Haftung gemäß § 74 AO nicht an.
Der Haftungsbescheid habe mit einer auf eine Geldsumme gerichteten Zahlungsaufforderung verbunden werden können. Bei Nichtzahlung habe der Kläger die Vollstreckung zu dulden.
Wegen der Begründungen im Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze und auf den Vortrag in der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg, weil das Finanzamt den Kläger zu Recht als Haftenden in Anspruch genommen hat.
Rechtsgrundlage der Inanspruchnahme des Klägers für rückständige Umsatzsteuern der Firma X GmbH & Co. KG ist § 74 AO.
a) Gehören danach Gegenstände, die einem Unternehmen dienen, nicht dem Unternehmer, sondern einer an dem Unternehmen wesentlich beteiligten Person, so haftet der Eigentümer der Gegenstände mit diesen für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet. Die Haftung erstreckt sich jedoch nur auf die Steuern, die während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sind (§ 74 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO).
Hinsichtlich der Stellung als wesentlich Beteiligter bestimmt § 74 Abs. 2 AO, dass eine Person an dem Unternehmen wesentlich beteiligt ist, wenn sie unmittelbar oder mittelbar zu mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital oder am Vermögen des Unternehmens beteiligt ist. Als wesentlich beteiligt gilt auch, wer auf das Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausübt und durch sein Verhalten dazu beiträgt, dass fällige Steuern i.S.d. Abs. 1 Satz 1 nicht entrichtet werden.
b) Den eigentlichen Grund für die Haftung bildet nicht die Beteiligung am Unternehmen, sondern der objektive Beitrag, der etwa durch die Bereitstellung von Gegenständen, die dem Unternehmen dienen, für die Weiterführung des Gewerbebetriebs geleistet wird (vgl. BFH-Urteil vom 10.11.1983 V R 18/79, BStBl. II 1984, 127). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen, was durch die Vorschrift des § 74 Abs. 2 Satz 2 AO deutlich wird, Herrschaftsverhältnisse erfasst werden, die ohne entsprechende Vermögensbeteiligung zustande kommen, aber gleichwohl geeignet sind, dem hierdurch Begünstigten an Stelle des Unternehmers den entscheidenden Einfluss auf das Unternehmen einzuräumen. Dabei muss die Herrschaft tatsächlich in einer Weise ausgeübt werden, die dazu beiträgt, dass fällige Betriebssteuern nicht entrichtet werden (BT-Drucks. VI/1982, 121; vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler (HHSp), AO/FGO-Kommentar, § 74 AO Tz. 32). Zweck des § 74 AO ist es also zu verhindern, dass Betriebssteuerschulden eines Unternehmens nicht vollstreckt werden können, weil die dem Betrieb dienenden Gegenstände einem anderen als dem Unternehmer gehören und der Unternehmer selbst mit gepachteten Betriebsmitteln wirtschaftet. § 74 AO ermöglicht die Vollstreckung in die im Eigentum des wesentlich Beteiligten stehenden, dem Betrieb dienenden Gegenstände (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO-Kommentar, § 74 AO Tz. 1, 2 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
In zeitlicher Hinsicht ist der Haftungsumfang in doppelter Weise begrenzt: es wird nämlich nur für die Steueransprüche und Erstattungsansprüche gehaftet, die während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sind (§ 74 Abs. 1 Satz 2 AO) und es müssen während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung die Gegenstände auch dem Betrieb des Unternehmens gedient haben (Tipke/Kruse, a.a.O., § 74 AO, Tz. 16).
c) Die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners erfolgt mit Haftungsbescheid. Dieser muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein; insbesondere muss die gegenständliche Beschränkung der Haftung im Haftungsbescheid ausgesprochen werden. Dabei richtet sich die Inanspruchnahme des Eigentümers nach § 191 AO. Das Finanzamt hat gegenüber dem Eigentümer einen Haftungsbescheid zu erlassen, in dem u.a. der Haftungsschuldner (Eigentümer der Gegenstände), der Haftungsbetrag sowie die Gegenstände, auf die sich die Haftung beschränkt, angegeben werden. Eine Bezugnahme auf eine dem Haftungsbescheid beigefügte Aufstellung der Gegenstände reicht aus. Es kann auch der Hinweis auf die gegenständliche Beschränkung der Haftung bis zum Abschluss des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nachgeholt werden (Boeker in HHSp, a.a.O., § 74 AO Rz. 49). Die Anforderungen an die Bestimmtheit der gegenständlichen Haftungsbeschränkung i.S.d. § 74 Abs. 1 Satz 1 AO sind dabei im Wege der Auslegung zu ermitteln. Vor dem Hintergrund, dass der Haftungsbescheid Grundlage der Vollstreckung ist, folgt, dass die der Haftung nach § 74 AO unterliegenden Gegenstände so genau bezeichnet werden müssen, dass der Vollziehungsbeamte des Finanzamts ohne weitere Feststellungen und rechtliche Prüfungen in diese Gegenstände vollstrecken kann (FG Münster, Urteil vom 08.10.1992, VII K 5455/90 U, EFG 1993, 423).
Diese Rechtsgrundsätze zu § 74 AO auf den Sachverhalt bezogen, erweisen sich die angefochtenen Haftungsbescheide als rechtmäßig.
a) Zutreffend hat das Finanzamt angenommen, dass ein Erbbaurecht als grundstücksgleiches Recht (vgl. §§ 11 ff ErbbauRG) den Gegenstandsbegriff des § 74 AO erfüllt. Denn Gegenstände im Sinne dieser Vorschrift sind nicht nur körperliche Gegenstände, also Sachen, sondern auch Rechte und Forderungen (vgl. Intemann in Pahlke/Koenig, AO-Kommentar, 2. Auf. 2009, § 74 Rz. 4; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO-Kommentar, § 74 Tz. 3, 5; Schwarz, AO-Kommentar § 74 Rz. 4; a.A. wohl Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO-Kommentar, § 74 AO Rz. 7 und Boeker in HHS, a.a.O., §74 AO Rz. 20). Der entscheidende Senat ist der Auffassung, dass jedenfalls das Erbbaurecht als Gegenstand im Sinne von § 74 AO zu verstehen ist, weil es gleich einem Grundstück (vgl. § 11 ErbbauRG) den Regeln der Zwangsvollstreckung unterliegt (vgl. Stöber in Zöller, ZPO-Kommentar, 27. Aufl. 2009, § 864 Rz. 2).
Das Erbbaurecht auf dem Grundstück G in H gehörte nicht dem Unternehmen der Firma X GmbH & Co. KG, diente ihm aber im Sinne von § 74 Abs. 1 Satz 1 AO als Betriebsgrundstück für den Autohandel. Auch war der in Haftung genommene Kläger mit 37,5 % als Kommanditist am Gesamthandsvermögen der Firma X GmbH & Co. KG beteiligt, somit zu mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital, und war damit wesentlicher Beteiligter im Sinne von § 74 Abs. 2 Satz 1 AO. Unerheblich ist, dass der Kläger nicht Geschäftsführer der Firma X GmbH & Co. KG war.
Die Haftungsvoraussetzungen nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO lagen somit vor.
b) Zu Recht hat das Finanzamt den Kläger als Haftenden in Anspruch genommen, obgleich ihm nicht selbst und unmittelbar das Erbbaurecht zustand.
Erbbauberechtigt und damit Eigentümer im Sinne von § 74 Abs. 1 AO war nicht der Kläger selbst, sondern die Firma N GmbH & Co. KG; nur dieser war und ist grundbuchrechtlich das Erbbaurecht zugewiesen. An der KG waren als natürliche Personen aber ausschließlich der Kläger und der ebenfalls in Haftung genommene B beteiligt; diese allein waren auch die Gesellschafter der Komplementär-GmbH.
Jedoch richtet sich in einer solchen Konstellation nach dem Regelungszweck des § 74 AO die Haftungsfolge bereits gegen den Gesellschafter unmittelbar, auch wenn er selbst nicht Eigentümer des haftungsbefangenen Gegenstandes ist. Denn die in § 74 AO konzipierte Ausfallhaftung greift bereits dann, wenn eine wesentlich an einem Unternehmen beteiligte Person durch eine von ihrem Willen getragene Gebrauchsüberlassung von Gegenständen dabei mitwirkt, dass das Unternehmen geführt und fortgeführt wird, und die beteiligte Person auf diese Weise zur Entstehung von Steueransprüchen beiträgt (vgl. Jatzke in Beermann/Gosch, a.a.O., § 74 AO Rz. 2).
So liegt es im Streitfall, weil der Kläger zusammen mit B die einzigen natürlichen Personen waren, die an der N KG beteiligt waren und sie gemeinsam in der N KG den Willen zur Verwendung des Erbbaurechts als alleinigem Vermögen der N KG bestimmen konnten. Die für § 74 AO erforderliche Interessenparallelität zwischen dem steuerschuldenden Unternehmen und dem Eigentümer des überlassenen Gegenstandes ist im Streitfall daher gegeben (vgl. BFH-Urteil vom 10.11.1983 V R 18/79, a.a.O.) Auch in der Kommentarliteratur findet dieses Ergebnis Zustimmung (vgl. Intemann in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 74 Rz. 13, Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 74 Rz. 4; Schwarz, a.a.O., § 74 Rz. 3a). Entgegen der vom Kläger zitierten Kommentarstelle bei HHS § 74 AO Rz. 13 dürfte auch für Sachverhalte wie im Streitfall für Boeker die Haftung in Betracht kommen (vgl. Boeker in HHS, a.a.O., § 74 AO Rz. 14), weil das Gesamthandsvermögen der KG nur aus dem Erbbaurecht besteht.
c) Das Finanzamt hat auch zutreffend die Haftung auf das Erbbaurecht und auf die während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstandenen Umsatzsteuern als Betriebssteuern beschränkt (§ 74 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO).
Nach den Haftungsbescheiden vom 24.05.2004 wird der Kläger für Umsatzsteuern aus dem Besteuerungszeitraum 2000 in Höhe von 2.170 € und für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2001 in Höhe von 602.155 € in Anspruch genommen, also auf Betriebssteuern der Firma X GmbH & Co. KG, die diese Steuern schuldig geblieben ist. Entscheidend kommt es dabei auf das Entstehen der Steuern an, nicht auf die Fälligkeit (vgl. Intemann in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 74 Rz. 19).
Die haftungsrelevanten Steueransprüche sind vor der Insolvenzeröffnung am 01.01.2002 entstanden. Denn die Umsatzsteuer für 2000 entstand mit Ablauf des 31.12.2000 (§ 38 AO, §§ 13, 18 Abs. 3 UStG) und auch die Umsatzsteuerschuld, die wegen der erforderlichen Vorsteuerberichtigung aufgrund der Zahlungsunfähigkeit der Firma X GmbH & Co. KG zu erheben war, ist bereits im Oktober 2001 im Hinblick auf den Insolvenzantrag, spätestens aber mit Ablauf des 31.12.2001 entstanden (§ 38 AO, §§ 13, 18 Abs. 1 UStG), also vor der Insolvenzeröffnung. Da der vorläufige Insolvenzverwalter ein sogenannter „schwacher” war (vgl. § 21 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. InsO), waren die in 2001 entstandenen Umsatzsteuern nicht Masseverbindlichkeiten (vgl. § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO), sondern wurden als Insolvenzforderungen vom Finanzamt zu Recht zur Tabelle angemeldet.
Schließlich hat das Finanzamt die Haftung gegenständlich zutreffend auf das Erbbaurecht auf dem Grundstück G in H beschränkt. Die Beschränkung kommt in den angefochtenen Haftungsbescheiden sowohl im Regelungsausspruch als auch in der Begründung eindeutig zum Ausdruck (vgl. Intemann in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 74 Rz. 14).
d) Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung in § 74 AO und der zu beachtenden Regelungsfolgen sieht das Gericht von einer weiteren Begründung ab und verweist auf die zutreffenden Ausführungen in den Einspruchsentscheidungen vom 26.03.2007 und vom 11.10.2007 (vgl. § 105 Abs. 5 FGO).
Bei der Inanspruchnahme eines nach § 74 AO Haftenden handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (§§ 5, 191 Abs. 1 AO), die nach § 102 FGO vom Gericht darauf zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (vgl. Gräber/von Groll, FGO-Kommentar, 6. Auflage 2006, § 102 Rz. 2 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung setzt voraus, dass die Finanzbehörde ihre Ermessensentscheidung aufgrund einer richtigen und umfassenden Sachverhaltsermittlung getroffen und die wesentlichen Erwägungen des Für und Wider der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners spätestens im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung erkennbar dargestellt hat (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 102 Rz. 13, 15 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Nach diesen Grundsätzen sind die Ermessensentscheidungen des Finanzamtes, den Kläger als Haftenden in Anspruch zu nehmen (Entschließungs- und Auswahlermessen), nicht zu beanstanden. Das Finanzamt hat seine Ermessenserwägungen bereits in den Haftungsbescheiden vom 24.05.2004 ausführlich dargelegt und in den Einspruchsentscheidungen noch einmal erläutert. Die Erwägungen geben den zu beurteilenden Sachverhalt zutreffend wieder und sind nicht von sachfremden Überlegungen getragen.
Schließlich ist auch die Zahlungsaufforderung über 2.170 €, die mit dem Haftungsbescheid vom 24.05.2004 für Umsatzsteuern 2000 verbunden war, rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Nach § 219 Satz 1 AO darf, wenn nichts anderes bestimmt ist, ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Aussichtslos erscheint eine Betreibung beim Steuerschuldner, wenn über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (vgl. Jatzke in Beermann/Gosch, a.a.O., § 219 AO Rz. 10).
b) Danach war die Zahlungsaufforderung, die eine eigenständige Verwaltungsentscheidung im Sinne von § 118 AO darstellt, zu Recht ergangen. Das Finanzamt konnte sie zulässigerweise mit dem Haftungsbescheid verbinden, weil im Zeitpunkt seines Ergehens die Voraussetzungen des § 219 AO bereits vorlagen (vgl. Intemann in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 219 Rz. 40). Einen unnützen Aufwand brauchte das Finanzamt nicht zu betreiben (vgl. Jatzke in Beermann/Gosch, a.a.O., § 219 AO Rz. 10).
Entgegen der Auffassung des Klägers liegt kein „Duldungsbescheid” vor, sondern in dem verbundenen Verwaltungsakt wird zutreffend darauf hingewiesen, dass bei Nichtzahlung eine Vollstreckung einzuleiten ist, die der Kläger zu „dulden” hat. Einer besonderen Begründung bedurfte die Zahlungsaufforderungen unter den Umständen des Streitfalles nicht (vgl. Intemann in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 219 Rz. 22).
Danach konnte die Klage unter keinem Gesichtspunkt erfolgreich sein.
Als der unterliegende Beteiligte hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 FGO).
Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtssache nach Auffassung des erkennenden Senats grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).