02.11.2010
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 07.10.2009 – 4 K 3240/06
- Bei Betrieben gewerblicher Art öffentlich-rechtlicher Körperschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit ist der Besteuerungstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG mit der Erzielung des Gewinns des Betriebs zum Ablauf des Wirtschaftsjahres erfüllt, soweit der Gewinn nicht in die Rücklage eingestellt wird. Auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Abführung des Gewinns kommt es nicht ein.
- Vorabausschüttungen auf den Gewinn eines Betriebs gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit an die Trägerkörperschaft lösen keine Kapitalertragsteuerpflicht aus.
- Als in die Rücklage eingestellt im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG gelten alle die Gewinne, die im Eigenkapital des Betriebs gewerblicher Art ausgewiesenen werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Mittel bei Eintritt einer bestimmten Bedingungen auf Abruf der Trägerkörperschaft zur Verfügung stehen.
- In 2001 erzielte Gewinne von Betrieben gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit führen nicht so Einkünften im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erhebung von Kapitalertragsteuer.
Der Schwalm-Eder-Kreis als Körperschaft öffentlichen Rechts unterhält mit dem Eigenbetrieb Jugend- und Freizeiteinrichtungen seit 1991 einen Betrieb gewerblicher Art (BgA) im Sinne von §§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 4 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG). Der Eigenbetrieb unterliegt den Vorschriften des Hessischen Eigenbetriebsgesetzes (EigBGes) und umfasst das Jugendhaus Schönau, das Haus Schwalm-Eder auf Sylt, das Jugendhaus Knüll, das Zeltlager Dahme sowie das Zeltlager Wildpark Knüll. Dem BgA zugeordnet sind außerdem als gewillkürtes Betriebsvermögen Aktien der Energie Aktiengesellschaft Mitteldeutschland (EAM). 50 % dieser Anteile wurden im Jahr 2002 veräußert. Daraus erzielte der Kläger einen Veräußerungserlös in Höhe von 53.691.673,96 EUR, der nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei vereinnahmt wurde. Der Vertrag über die Aktienverkäufe der als gewillkürtes Betriebsvermögen erfassten EAM-Anteile datiert auf den 27.05.2002. Aus dem am 03.06.2002 überwiesenen Kaufpreis realisierte der Kläger einen außerordentlichen Ertrag in Höhe von 41.423.000 EUR.
Mit Kreistagsbeschluss vom 23.09.2002 beschloss der Kreistag des Schwalm-Eder-Kreises folgende Ausschüttung des BgA an den Schwalm-Eder-Kreis:
1. Allgemeine Rücklage | 16.068.652,18 EUR |
2. Bilanzgewinn bis einschließlich 2000: | 3.616.329,10 EUR |
3. Bilanzgewinn 2001 | 6.904.734,05 EUR |
4. Vorabausschüttung Jahresgewinn 2002 | 7.649.001,74 EUR |
5. Herabsetzung Stammkapital auf 0 EUR | 2.761.282,93 EUR |
Summe | 37.000.000,00 EUR |
Im Jahr 2002 erwirtschaftete der Kläger ausweislich der Bilanz einen Jahresgewinn von 40.212.574,54 EUR. Mit Beschluss des Kreistages vom 24.02.2003 wurde das Stammkapital des Klägers auf 2.000.000 EUR neu festgesetzt und aus Eigenmitteln (Gewinnen) finanziert. In einem weiteren Beschluss des Kreistages vom 24.02.2003 wurde in Ergänzung des Beschlusses vom 23.09.2002 zur Abdeckung des höchstmöglichen Kapitalertragssteuerrisikos auf die vorgenommene Rückzahlung des Eigenkapitals des Eigenbetriebs beschlossen, dem Kreis darüber hinaus einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 4.363.890,44 EUR einzuräumen, so dass der Brutto-Auschüttungsbetrag insgesamt 41.363.890,44 EUR betrug.
Nachdem der Kläger für die Vorabausschüttung 2002 zum 28.10.2002 eine Kapitalertragsteueranmeldung vorgelegt hatte, meldete er mit geänderter Kapitalertragsteueranmeldung vom 20.12.2002 1.627.024,60 EUR Kapitalertragsteuer zuzüglich 89.486,35 EUR Solidaritätszuschlag zur Kapitalertragsteuer an. Die Herabsetzung des Stammkapitals in Höhe von 2.761.282,93 EUR wurde dabei nicht in die Bemessungsgrundlage für die Kapitalertragsteuer einbezogen. Da das Finanzamt der Ansicht ist, dass Kapitalertragsteuer auch für die Rückzahlung des Stammkapitals gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 44 Abs. 6 EStG anfällt, setzte es mit Nachforderungsbescheid vom 24.02.2006 Kapitalertragsteuer in Höhe von 1.935.700 EUR sowie Solidaritätszuschlag in Höhe von 106.464 EUR fest und änderte damit die bisherigen Kapitalertragsteueranmeldungen. Dagegen wandte sich der Kläger mit dem Einspruch, mit dem er die Freistellung der Kapitalherabsetzung von der Kapitalertragsteuer begehrt. Das Finanzamt wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 04.10.2006 zurück. Es ist der Ansicht, für die Rückzahlung des Eigenkapitals falle nach § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG Kapitalertragsteuer an.
Insoweit werde die hälftige Besteuerung auf der Ebene natürlicher Personen durch die Fiktion der Ausschüttung verwendbarer Gewinne nach dieser Vorschrift und die Kapitalertragsteuerpflicht bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts ersetzt. Der Kläger habe durch die Herabsetzung des Stammkapitals, die nicht auf wirtschaftlichen Gründen, sondern ausschließlich auf steuerrechtlichen Gründen beruhte, die Steuerpflicht des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO umgegangen. Mit der Herabsetzung des Stammkapitals habe der Schwalm-Eder-Kreis nicht die Haushaltslage konsolidieren wollen, sondern es sollten die steuerlichen Folgen einer Ausschüttung an die juristische Person des öffentlichen Rechts vermieden werden. Einem wirtschaftlich vernünftigen Vorgehen hätte es entsprochen, die erzielten Gewinne aus dem Verkauf der EAM-Beteiligung bis auf das erforderliche Stammkapital dem Haushalt des Kreises zuzuführen. Als Rechtsfolge des § 42 AO sei die Kapitalertragsteuer so zu erheben, als habe keine Herabsetzung des Stammkapitals stattgefunden und als sei stattdessen eine weitere Vorabschüttung auf den Jahresgewinn 2002 erfolgt.
Dagegen richtet sich die vorliegende Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, die Norm des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG sei bereits wegen deren zeitlichen Anwendungsbereichs nicht anwendbar. Darüber hinaus lägen weder die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG noch die Voraussetzungen des § 42 AO vor.
Gemäß § 52 Abs. 37a Satz 2 EStG sei § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG erstmals auf Gewinne auszuwenden, die nach Ablauf des ersten Wirtschaftsjahres des BgA ohne eigenen Rechtspersönlichkeit oder des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs erzielt würden, für das das Körperschaftsteuergesetz in der Fassung des Artikel 3 des Gesetzes vom 23.10.2000 (Bundesgesetzblatt – BGBl – I Seite 1433) erstmals anzuwenden sei. Da Artikel 3 Nr. 20 2a) des Steuersenkungsgesetzes erstmals für das Jahr 2001 anzuwenden sei, könnten bei wörtlicher Auslegung des § 52 Abs. 37a Satz 2 EStG erstmals Zahlungen eines BgA, die auf Gewinnen beruhten, die erst nach Ablauf des Wirtschaftsjahres 2001 entstünden, der Kapitalertragsteuer unterworfen werden. Dabei komme es ausgehend vom Wortlaut nicht darauf an, ob die erzielten Gewinne zunächst thesauriert und hiernach ausgeschüttet würden oder nicht. Ausschlaggebend sei allein der Umstand, zu welchem Zeitpunkt ein Gewinn erzielt worden sei. Dies ergebe sich auch aus der Entscheidung des BFH in seinem Urteil vom 11.7.2007. Mangels Anwendbarkeit der Vorschrift des§ 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG auf den Gewinn 2001 wäre eine Rücklagenbildung im Sinne dieser Vorschrift nicht möglich, so dass ein im Jahr 2001 entstehender Gewinn in jedem Fall im steuerlichen Einlagenkonto als laufende Einlage des Jahres 2001 (§ 27 Abs. 1 Satz 2 KStG) erfasst werden müsste.
Selbst wenn der zeitliche Anwendungsbereich der Norm gegeben wäre, lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG nicht vor. Da es sich bei dem BgA um eine unselbständige nur mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattete Einrichtung des Kreises als juristische Person des öffentlichen Rechts handele, die Teil des Vermögens der Trägerkörperschaft bleibe, liege ein Gewinn im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG nur vor, soweit die juristische Person des öffentlichen Rechts Gelder für Zwecke außerhalb des BgA verwende. Auf dieser Grundlage führe die Rückzahlung des Stammkapitals nicht zu einem Vorgang, der der Kapitalertragsteuerpflicht unterliege. Nach der gesetzlichen Systematik sei eine Herabsetzung des Stammkapitals gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 KStG zunächst dem steuerlichen Einlagekonto gutzuschreiben, soweit die Einlage in das Nennkapital geleistet sei, was bei dem Stammkapital der Kläger der Fall wäre. Die Rückzahlung des Nennkapitals gelte nur dann als Gewinnausschüttung, die beim Anteilseigner zu Bezügen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG führe, soweit der Sonderausweis, d.h. der Bestand des steuerlichen Einlagekontos, der aus „Gesellschaftsmitteln in Form von Gewinnen des BgA stamme, zu mindern sei. Ein übersteigender Betrag aus der Rückzahlung des Nennkapitals sei vom Bestand des steuerlichen Einlagekontos abzuziehen (§ 28 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz KStG) und führe dementsprechend gemäß §§ 20 Abs. 1 Nr. 10b Satz 5, 20 Abs. 1 Satz 3 EStG i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 2, § 28 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz KStG nicht zu Einnahmen, die der Kapitalertragsteuer unterlägen.
Selbst wenn die Vorschrift des § 28 KStG bei Rückzahlung des Nennkapitals unberücksichtigt bliebe, käme es auch unter Zugrundelegung des § 27 KStG bei der Vorabausschüttung für 2002 durch den Kläger zu keiner Kapitalertragsteuerbelastung. Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10b Satz 5 EStG gelte § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG entsprechend, wonach Bezüge nicht zu den Einnahmen gehörten, soweit sie aus Ausschüttungen einer Körperschaft stammten, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto im Sinne des § 27 KStG als verwendet gelten. Nach dieser Vorschrift minderten Leistungen der Kapitalgesellschaft mit Ausnahme der Rückzahlung von Nennkapital im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 2 KStG das steuerliche Einlagekonto nur, soweit die Summe der im Wirtschaftsjahr erbrachten Leistungen den nach dem Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteige. Als ausschüttbarer Gewinn gelte gemäß § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG das um das gezeichnete Kapital geminderte in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestandes des steuerlichen Einlagekontos. Vorliegend ergebe sich demnach im Jahr 2002 ein ausschüttbarer Gewinn auf Basis des Eigenkapitals des BgA zum 31.12.2001 im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG von 6.904.734,04 EUR. Da somit der tatsächliche Jahresgewinn 2001 auch der maximal ausschüttbare Gewinn im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG gewesen sei, hätte die Vorabausschüttung in Höhe von 12.012.995,18 EUR erst im Jahr 2003 der Kapitalerstragbesteuerung unterworfen werden dürfen. Eine Versteuerung der Rückzahlung des Stammkapitals (2.761.282,93 EUR) sei ebenfalls unzulässig.
Darüber hinaus sei – selbst wenn angenommen würde, dass das Stammkapital auch der Kapitalertragsbesteuerung zu unterwerfen wäre – der Nachforderungsbescheid insoweit unzulässig, als er von einem Bruttostammkapital in Höhe von 3.086.956,89 EUR ausgehe, da lediglich ein Stammkapital 2.761.282,93 EUR zur Verfügung gestanden habe, so dass der übersteigende Betrag in Höhe von 325.673,96 EUR wiederum nur als Vorabausschüttung für den Gewinn 2003 hätte behandelt werden dürfen. Da eine Vorabausschüttung in 2002 auf den Gewinn 2003 nach der Berechnungssystematik des § 27 KStG jedoch nicht zu einer Kapitalertragsbesteuerung führe, hätte diese erst in 2003 der Besteuerung unterworfen werden können.
Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 AO liege ebenfalls nicht vor. Eine unangemessene Gestaltung im Sinne der Norm sei nur gegeben, wenn die gewählte Gestaltung ausschließlich der Steuerminderung diene und durch wirtschaftliche oder sonstige beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen sei, also jeglicher vernünftige wirtschaftliche Grund für die Gestaltung fehle. Eine solche Gestaltung liege im vorliegenden Fall nicht vor. Vielmehr sei durch die defizitäre Entwicklung des Kreishaushaltes ein kumuliertes Altdefizit in Höhe von rund 9 Mio. EUR aufgebaut worden. Aufgrund der Vorgaben des Regierungspräsidenten habe der Abbau der bestehenden Altdefizite für den Kreis oberste Priorität gehabt. Darüber hinaus habe der Kreis zur Zukunftssicherung der Krankenhausversorgung im Kreisgebiet der Schwalm-Eder-Kliniken GmbH noch im Jahr 2002 Finanzierungsmittel von mindestens 20 Mio. EUR bereitstellen müssen, um den Krankenhausbetrieb verlustfrei führen zu können. Der restliche Teil der Mittelabführung sei haushaltsstützend zur Finanzierung geplanter Darlehensaufnahmen eingesetzt worden. Demzufolge sei der Kreis gezwungen gewesen, unverzüglich auf die Mittel des Eigenbetriebes zurückzugreifen, da ein Zuwarten mit Rücksicht auf die Vorgaben der Aufsichtsbehörde nicht möglich gewesen sei. Diese wirtschaftliche Situation des Schwalm-Eder-Kreises und die damit einhergehenden weiteren Einschränkungen seitens der Aufsichtsbehörde hätten die Handlungsfähigkeit des Kreises immer weiter eingeschränkt und zum sofortigen Handeln gezwungen, so dass die Rückzahlung des Stammkapitals nicht primär aus steuerlichen Gründen, sondern aufgrund der ungünstigen wirtschaftlichen Situation des Kreises erforderlich gewesen sei. Soweit das Finanzamt diese Gründe als außerbetriebliche Gründe ansehe, da sie sich nicht direkt aus dem Eigenbetrieb des Klägers ergäben und diese im Rahmen des § 42 AO nicht als wirtschaftliche Gründe berücksichtige, verkenne es, dass die sich aus der Hessischen Landkreisordnung ergebenden Grundsätzen einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung nicht nur der allgemeine Kreishaushalt, sondern alle Sonderhaushalte des Kreises, mithin auch die der Eigenbetriebe verpflichtet seien. Demzufolge sei der Kläger bereits aus gesetzlichen Gründen verpflichtet gewesen, das Stammkapital herabzusetzen und an den Kreishaushalt zurückzuzahlen. Da es sich dabei um eine rechtlich zulässige Gestaltung handele, müsse es dem Landkreis freistehen, die Gestaltungsmöglichkeit zu wählen, die mit den geringsten steuerlichen Folgen behaftet sei. Ein Steuerpflichtiger könne sein wirtschaftliches Verhalten im Rahmen der Rechtsordnung frei wählen und gestalten. Das Steuerrecht schränke die wirtschaftliche Freiheit nicht ein, es respektiere sie und knüpfe an sie an. Insbesondere hätte der Kreis nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, dem der Landkreis verpflichtet sei, gar nicht anders handeln können und dürfen, als das Stammkapital zurückzuführen statt auf eine Vorabausschüttung zurückzugreifen. Die rechtliche Situation eines Eigenbetriebs als BgA mit seiner Trägerkörperschaft sei nicht vergleichbar mit dem Verhältnis eines Gesellschafters zu einer Kapitalgesellschaft, da bei letzterem weder eine Pflicht zur angemessenen Eigenkapitalsverzinsung (§ 11 Abs. 2 EigBGes) noch eine Verlustausgleichsverpflichtung durch die Anteilseigner (§ 11 Abs. 6 EigBGes) bestehe. Zwar bestimme § 10 Abs. 2 EigBGes, dass der Eigenbetrieb mit einem angemessenen Stammkapital auszustatten sei, ein fester Mindestbetrag des Stammkapitals bestehe jedoch anders als bei Kapitalgesellschaften nicht. Dies beruhe im Wesentlichen darauf, dass dem Eigenbetrieb keine eigene Rechtspersönlichkeit innewohne und der Kreis stets Schuldner aller Verbindlichkeiten sei, so dass es aus Gläubigergesichtspunkten keines Stammkapitals bedürfe. Allerdings müsse das Eigenkapital, zu dem auch ein vorhandenes Stammkapital und vorhandene Rücklagen zählten, gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 EigBGes auf einer angemessenen Höhe gehalten werden. § 11 Abs. 4 EigBGes schränke die Rückzahlung von Eigenkapital an die Trägerschaft ausschließlich im Interesse der Erhaltung des Sondervermögens des Eigenbetriebes ein. Soweit – wie im Streitfall – ein angemessenes Eigenkapital vorhanden sei, könne nach Stellungnahme von Betriebsleitung und Betriebskommission (§ 11 Abs. 4 EigBGes) durch Beschluss des Kreistages eine Herabsetzung des Stammkapitals erfolgen. Eine allgemein gültige Aussage zur absoluten Höhe eines angemessenen Stammkapitals hänge vom jeweiligen Eigenkapital ab, zumindest sei eine Stammkapitalherabsetzung dann nicht unangemessen, wenn zugleich ein Gesamteigenkapital in weit mehr als angemessener Höhe vorhanden sei. Im Streitfall sei durch den Verkauf der Anteile an der EAM AG ausreichend Kapital vorhanden gewesen, so dass eine Herabsetzung des Stammkapitals auf 0 EUR durchaus als angemessen anzusehen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei bei einem BgA eine Kapitalherabsetzung des Widmungskapitals zulässig, solange zwischen dem Widmungskapital und den offenen Rücklagen als Eigenkapital einerseits und der Aktivseite der Bilanz andererseits ein angemessenes Verhältnis bestehe, das wenigstens 40 % der Aktivseite der Bilanz betrage. Dies sei im Streitfall gewährleistet, die Kapitalausstattung erfülle auch noch nach Herabsetzung des Stammkapitals mit 77,6 % der Aktiva diese Grundsätze. Entgegen der Darstellung des Finanzamts könne auch dem BMF-Schreiben vom 08.08.2005Bundessteuerblatt – BStBl – I 2005, 831, nicht entnommen werden, dass in der Herabsetzung des Stammkapitals und seiner anschließenden Neubildung ein Beweisanzeichen für die Unzulässigkeit der vorübergehenden Umqualifizierung des angemessenen Stammkapitals zu sehen sei.
Selbst wenn das Gericht entgegen der vertretenen Auffassung zu dem Ergebnis komme, dass noch ein angemessenes Stammkapital erforderlich sei, sei es konsequent, hierfür mangels anderweitiger Festlegung im Gesetz, sich an den gesetzlichen Mindestforderungen für Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu orientieren und die Angemessenheit des Stammkapitals mit 25.000 EUR (§ 5 Abs. 1 GmbHG) zu beziffern.
Anders als bei Regiebetrieben könne auch kein automatischer Zufluss von Gewinnen bei der Trägerkörperschaft angenommen werden, da die Einnahmen der Eigenbetriebe nicht unmittelbar in den Haushalt der Trägerkörperschaft flössen und Ausgaben nicht unmittelbar aus deren Haushalt bestritten würden. Vielmehr seien die Eigenbetriebe nach dem Eigenbetriebsgesetz (EigBG) Sondervermögen, mit der Folge, dass die Vermögenssphären der Trägerkörperschaft und des BgA gegeneinander abzugrenzen seien – entsprechend den Grundsätzen, die im Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zu ihrem Alleingesellschafter gälten. Hinsichtlich der Egesetzlichen Trennung der Vermögenssphären ließen sich jedoch Folgerungen hinsichtlich des Zeitpunktes der Einkünfteerzielung ziehen, die die Ausschüttungsfiktion des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG außer Kraft setzten. Solange keine Rückzahlung von Eigenkapital erfolge (§ 5 Nr. 8 i.V.m. § 11 Abs. 4 EigBG) oder die Verwendung von Jahresgewinn (§ 5 Nr. 11 i.V.m. § 27 Abs. 3 EigBG) vorliege, liege Sondervermögen des BgA vor, so dass eine organisationsformimmanente gesetzliche Rücklagenfunktion des Eigenbetriebs gelte. Solange Gewinne stehen gelassen würden und im Sondervermögen des BaA als Eigenkapital verblieben, handele es sich um Rücklagen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG, unabhängig davon, ob sie als solche bezeichnet würden. Ein automatischer und zeitgleicher Mittelabfluss wie bei Regiebetrieben mit der Folge einer Kapitalertragsbesteuerung des Gewinns eines Veranlagungsjahres könne daher nicht angenommen werden.
Die Kläger führt weiter aus, dass zu den kapitalertragssteuerpflichtigen Gewinnanteilen nach § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG Gewinne jedenfalls nicht die Gewinn zählten, soweit sie einer Rücklage zugeführt würden. Dabei seien alle im Eigenbetrieb verbliebenen Gewinne, unabhängig davon, wie sie bezeichnet würden, ob ausdrücklich als Rücklage oder als Gewinnvortrag stets als Zuführung zu den Rücklagen anzusehen. Dies gelte auch für den Ausschüttungsbetrag von 4.363.890,44 € der zur Absicherung der höchstmöglich anfallenden Kapitalertragsteuerschuld diente und der nach dem Kreistagsbeschluss vom 24.2.2003 dem Eigenbetrieb zu belassen sei, soweit er nicht an das Finanzamt abgeführt werden müsse. Da von dem diesem Ausschüttungsbetrag in Höhe von 2.647.380,10 € tatsächlich keine Tilgung von Steuerverbindlichkeiten erfolgt und der Betrag bis auf Weiteres im Eigenbetrieb zurückbehalten worden sei, liege insoweit keine kapitalertragssteuerpflichtige Gewinnausschüttung vor. Aufgrund der Beschlussbegründung vom 24.2.2009 bestehe ein Leistungsverweigerungsrecht des Eigenbetriebs gegenüber dem Landkreis, so dass es
an einem Zufluss der Mittel fehle. Die Ausschüttungsfiktion des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG beziehe sich daher nur auf den verwendeten Teil des Gewinns 2002 von insgesamt 7.649.001,74 €.
Der Kläger beantragt,
den Nachforderungsbescheid über Kapitalertragsteuer vom 24.02.2006
in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 04.10.2006 dahingehend abzuändern, dass die im Nachforderungsbescheid festgesetzte Kapitalertragsteuer auf 855.114 EUR herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, die Ausschüttungsfiktion des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG sei nur auf Regiebetriebe, nicht jedoch auf Eigenbetriebe anwendbar, da wegen der unterschiedlichen Vermögenssphären von Trägerkörperschaft und Eigenbetrieb kein sofortiger Zufluss der vom Eigenbetrieb eingenommenen Mittel in den Haushalt der Trägerkörperschaft vorliege. Ein die Kapitalertragsteuerpflicht auslösender Zufluss bei der Trägerkörperschaft liege erst vor, wenn der Eigenbetrieb eine Ausschüttung beschließe.
Dabei unterliege auch der im Kalenderjahr 2001 erzielte Gewinn der Kapitalertragssteuer, soweit er zunächst in die Rückstellung eingestellt und anschließend ausgeschüttet worden sei. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 10b Satz 2 EStG. Eine andere Würdigung des Besteuerungsbestandes und dessen Zwecks, nämlich der steuerlichen Gleichbehandlung von Anteilseigner (natürliche Person/Besteuerung im Halbeinkünfteverfahren) und der Trägerkörperschaft eines BgA (Kapitalsteuerbelastung mit 10 %) würde dem Zweck der Vorschrift, nämlich der steuerlichen Gleichbehandlung nicht gerecht.
Die von dem Kläger vorgenommene Stammkapitalherabsetzung sei unzulässig. Die Herabsetzung des Stammkapitals sei an die im Eigenbetriebsgesetz festgelegten Bedingungen geknüpft. Danach sei gemäß § 11 Abs. 4 EigBGes eine Rückzahlung von Eigenkapital nur ausnahmsweise zulässig, wenn dadurch die Erfüllung der Auflagen und die zukünftige Entwicklung des Eigenbetriebes gewährleistet würden. Wegen der nur ausnahmsweisen Zulässigkeit dürfe eine Rückzahlung von Stammkapital nicht zur Deckung eines vorübergehenden Geldbedarfs der Trägerkörperschaft erfolgen. Die von dem Kläger vorgebrachten außersteuerlichen Gründe für die Herabsetzung des Stammkapitals überzeugten nicht. Selbst wenn ein Bedarf an finanziellen Mitteln für den Haushalt des Kreises unbestritten sei, hätte es angesichts der vorhandenen Rücklagen aus Vorjahren und den zum Zeitpunkt des Beschlusses bereits seit vier Monaten feststehenden außerordentlichen Erträgen aus dem Verkauf der EAM Anteile und der Möglichkeit einer Vorabausschüttung keines Rückgriffs auf das Stammkapital bedurft. Zudem sei der organisatorische und verwaltungstechnische Aufwand aus den Beschlüssen zur Kapitalherabsetzung (und anschließenden –heraufsetzung) wesentlich höher als ein Gewinnausschüttungsbeschluss in Form einer zulässigen Vorabausschüttung.
Ausgehend von der Unzulässigkeit des Kapitalherabsetzungsbeschlusses sei eine Forderung in Höhe des ursprünglichen Stammkapitals an die Trägerkörperschaft in die Bilanz des Klägers einzustellen, mit der Folge, dass in Höhe der Auskehrung des Stammkapitals eine kapitalertragsteuerpflichtige Vorabausschüttung auf den Gewinn 2002 vorliege.
Die hier vorgenommene Gestaltung in Form der Herabsetzung des Stammkapitals stelle des Weiteren einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 AO dar, der zur gleichen Rechtsfolge führe. Der aus Sicht des Kreises erforderliche schnellstmögliche Zugriff auf die verfügbaren Mittel des Klägers sei gerade durch einen Beschluss zur Vorabausschüttung organisatorisch am einfachsten zu erreichen gewesen. Die Herabsetzung und spätere Wiederzuführung des Stammkapitals sei nur erfolgt, um die entsprechende Kapitalertragsteuerbelastung zu vermeiden. Eine Doppelerfassung bzw. –belastung mit Kapitalertragsteuer bei Kapitalaufstockung und anschließender nochmaliger Auskehrung würde nicht eintreten.
Was den Zeitpunkt der Kapitalertragsteuerbelastung auf die Vorabausschüttung betreffe, so entstehe die Kapitalertragsteuer – auch bei Vorabausschüttungen – nach § 44 Abs. 6 Satz 5 i.V.m. § 43 Abs. 1 Nr. 7c und § 44 Abs. 2 EStG am Tag nach der Beschlussfassung über die Gewinnverwendung und somit bereits in 2002 und nicht erst in 2003. Sie sei am 10. des Folgemonats anzumelden, was im Streitfall durch den Kläger auch (spätestens mit der berichtigten Kapitalertragsteueranmeldung am 30.12.2002) in 2002 geschehen sei. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 05.09.2001, BFH/NV 2002, 222) gälten diese Bestimmungen über die Entstehung der Kapitalertragsteuer sogar für den Fall, in dem die Vorabausschüttung den später festgestellten Bilanzgewinn bei weitem übersteige. Die Auffassung des Klägers, dass für den Zeitpunkt der Kapitalertragsteuerbelastung der sich maximal ergebende ausschüttbare Gewinn zugrunde zu legen sei, der sich auf Basis des § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG in Höhe von brutto 6.904.734 EUR ergebe, sei unzutreffend.
Bei der Ermittlung der Höhe der zutreffenden Kapitalertragsteuer sei zu berücksichtigen, dass der Schuldner der Kapitalertragssteuer den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge vorzunehmen habe. Da die geleistete Nettozahlung durch die Beschlüsse mit 37 Mio. EUR festgelegt gewesen sei, ermittelten sich die dazu benötigten Eigenkapitalteile durch Umrechnung von Nennkapital (89,45 %) auf einen Bruttobetrag. Da die Altrücklagen und der Gewinn bis 2000 nicht kapitalertragsteuerpflichtig seien, ergebe sich eine zutreffende Kapitalertragsteuerbelastung von 728.449,44 EUR auf den Gewinn 2001 sowie von 1.313.735,55 EUR auf die Vorabschüttung 2002, so dass sich entsprechend dem Nachforderungsbescheid vom 24.02.2006 insgesamt ein Betrag von 2.042.184,99 EUR ergebe.
Dem Gericht haben die Verwaltungsakten zur Steuernummer: 026 226 4608 5 vorgelegen, sie waren Gegenstand des Verfahrens.
Gründe
I. Die Klage ist nur zum Teil begründet.
1. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c EStG wird von Kapitalerträgen im Sinne des § 20 Abs. 2 Nr. 10b EStG die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag erhoben. Als Gläubiger der Kapitalerträge und damit als Schuldner der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 EStG) gilt in diesen Fällen gemäß § 44 Abs. 6 EStG die juristische Person des öffentlichen Rechts als Trägerkörperschaft. Die Kapitalertragsteuer ist gemäß § 44 Abs. 6 i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG von der die Kapitalerträge auszahlenden Stelle einzubehalten, hier von dem Kläger als Eigenbetrieb des Kreises.
a. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen bei nicht von der Körperschaftsteuer befreiten Betrieben gewerblicher Art im Sinne des § 4 KStG ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermitteln, der nicht den Rücklagen zugeführte Gewinn und verdeckte Gewinnsausschüttungen. Die Auflösung der Rücklagen zu Zwecken außerhalb des BgA führt zu einem Gewinn im Sinne des Satzes 1.
Im Streitfall handelt es sich bei dem Kläger um einen Eigenbetrieb als organisatorisch und haushaltsmäßig verselbständigte Einrichtung des Kreises als juristische Person des öffentlichen Rechts mit eigener Verfassung und eigenem Rechnungswesen, der als wirtschaftlicher Unternehmer auftritt. Er ist finanzwirtschaftlich als Sondervermögen der juristischen Person des öffentlichen Rechts ohne eigene Rechtspersönlichkeit zu verwalten. Die Vermögenssphären der Trägerkörperschaft und des Eigenbetriebs sind gegeneinander abzugrenzen. Im Gegensatz zu Regiebetrieben fließen Einnahmen der Eigenbetriebe nicht unmittelbar in den Haushalt der Trägerkörperschaft und Ausgaben werden nicht unmittelbar aus deren Haushalt bestritten. Nur das vom Eigenbetrieb erwirtschaftete Ergebnis ist im Haushaltsplan der Trägerkörperschaft – hier des Kreises – auszuweisen. Rechtsgrundlage für die Gründung eines Eigenbetriebs sind die §§ 82 ff. Hessische Gemeindeordnung. Weitere Regelungen insbesondere hinsichtlich der finanzwirtschaftlichen Ausgestaltung enthält die Eigenbetriebsverordnung.
Als rechtlich unselbständiger Betrieb erzielt der Kläger Einkünfte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG. Dabei handelt es sich um eine Ausschüttungsfiktion, denn – anders als bei Betrieben gewerblicher Art mit eigener Rechtspersönlichkeit z.B.: rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts, Zweckverbände usw., die selbständige Personen des öffentlichen Rechts sind (§ 4 Abs. 2 KStG) und bei denen es zur Erzielung von Einkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 10a EStG auf den tatsächlichen Zufluss oder die Verwendung des Gewinns ankommt – kann aufgrund der fehlenden rechtlichen Selbständigkeit eine tatsächliche Gewinnausschüttung an die Trägerkörperschaft nicht erfolgen (vgl. Bundestags-Drucksache – BT-Drs. – 14/2683, Seite 114, 115). Gleichwohl soll nach dem Zweck der Vorschrift die juristische Person des öffentlichen Rechts mit ihrer wirtschaftlichen Betätigung am rechtlich unselbständigen BgA im Ergebnis derselben Steuerbelastung zu unterziehen sein wie andere Steuersubjekte
(BT-Drs 14/2683, Seite 114).
(1) Aufgrund der Ausschüttungsfiktion des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG erfüllt nur der nicht den Rücklagen zugeführte Gewinn des BgA den Besteuerungstatbestand (BFH-Urteil vom 11.07.2007 I R 105/05, BStBl II 2007, 841). Auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Überführung des Gewinns in den Hoheitsbereich der Trägerkörperschaft kommt es nicht an. Demzufolge unterliegt der Kapitalertragsteuer nicht der tatsächlich an die Trägerkörperschaft abgeführte Gewinn, sondern grundsätzlich der gesamte Gewinn des BgA. Dabei handelt es sich um den Jahresüberschuss gem. § 275 HGB. Für das Jahr 2002, auf das sich der angefochtene Bescheid bezieht, beläuft sich der Gewinn des Klägers ausweislich der Bilanz zum 31.12.2002 auf 40.212.574,54 EUR. Davon wurden 28.199.682,35 EUR der Rücklage zugeführt, so dass sich die der Kapitalertragsteuerpflicht unterliegenden Einkünfte in 2002 auf 12.012.892,19 EUR belaufen. Der Kläger weist insoweit zutreffend darauf hin, dass stehengelassene Gewinne, unabhängig davon, ob sie ausdrücklich als Rücklagen ausgewiesen, als Gewinnvortrag bezeichnet oder unter einer anderen Position des Eigenkapitals geführt werden, stets als Zuführung zu den Rücklagen anzusehen sind. Maßgebend ist, dass die Mittel als Eigenkapital im Sondervermögen des BgA verbleiben und nicht dem Haushalt der Trägerkörperschaft zugeführt werden. Diese Behandlung von stehengelassenen Gewinnen als Rücklage ergibt sich insbesondere auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung, nur Gewinne, die der Trägerkörperschaft unter Geltung des Halbeinkünfteverfahrens tatsächlich zur Verwendung in ihrem hoheitlichen Bereich zur Verfügung stehen, aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit mit Kapitalertragsteuer zu belasten (Bundestagsdrucksache 14/2683, S. 114). Solange die erzielten Gewinne im BgA verbleiben, kann die Trägerkörperschaft nicht über die Gelder verfügen. Durch die Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 10b Satz 2 EStG, wonach die Auflösung der Rücklagen zu Zwecken außerhalb des BgA zu einem Gewinn i.S. des Satzes 1 führt, ist eine lückenlose Erfassung der erzielten Gewinne hinreichend gewährleistet.
Eine Zuführung zur Rücklage liegt entgegen der Ansicht des Klägers jedoch nicht vor, soweit Mittel, deren Ausschüttung beschlossen wurde, tatsächlich noch im BgA verblieben und noch nicht an den Kläger abgeführt worden sind. Durch den Ausschüttungsbeschluss hat der BgA seine Verfügungsbefugnis über die Mittel verloren. Ob die Mittel andererseits beim Kläger tatsächlich zugeflossen sind, darauf kommt es zur Beurteilung, ob eine Einstellung in die Rücklage vorliegt, nicht an.
(2) Was den Zufluss des Gewinns betrifft, werden, da BgA und Trägerkörperschaft rechtlich identisch sind, der Gewinn des BgA und der der Trägerkörperschaft zeitgleich bezogen (BFH-Urteil vom 11.07.2007, a.a.O.). Ob der Gesetzgeber den Begriff „Gewinn” in § 52 Abs. 37a Satz 2 EStG aus Sicht des BgA oder der Trägerkörperschaft definiert, kann dahingestellt bleiben. Eine abweichende Beurteilung wäre nur dann möglich, wenn entweder § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG oder eine andere Vorschrift eine hiervon abweichende Zuflussfiktion enthielten. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Da die Trägerkörperschaft mangels abweichender Regelung des Zuflusszeitpunktes die Einkünfte aus Kapitalvermögen zeitgleich mit den Einkünften aus Gewerbebetrieb des BgA bezieht, gilt der Gewinn des Klägers aus 2002 zum 31.12.2002 bezogen. Zwar steht die Höhe des Gewinns des BgA erst mit Ablauf des Wirtschaftsjahres fest, so dass erst danach entschieden werden kann, in welcher Höhe der Gewinn in eine Rücklage gestellt wird. Dies geschieht regelmäßig zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung (-feststellung). Daraus folgt jedoch nicht, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen erst zu diesem Zeitpunkt als bezogen gelten. Insoweit ist die Situation vergleichbar mit Bilanzwahlrechten, die rückwirkend die Höhe des Gewinns des abgelaufenen Wirtschaftsjahres ändern, ohne die zeitliche Zuordnung des Gewinns zu beeinflussen. Demzufolge ist im Streitfall der um die Rücklagen korrigierte Gewinn Kapitalertragsteuermäßig im Kapitalertragssteuerbescheid 2002 zu erfassen.
b. Die tatsächliche Auszahlung von Beträgen an die Trägerkörperschaft im Rahmen einer Vorabausschüttung führt dagegen noch nicht zur Kapitalertragsteuerpflicht. Anders als bei den Gewinnen eines BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit, bei denen die Vorabausschüttungen bereits im Zeitpunkt des tatsächlichen Abflusses die Kapitalertragsteuerpflicht ausgelöst wird, findet § 11 Abs. 1 EStG bei rechtlich unselbständigen BgA im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG keine Anwendung. Denn die Qualifizierung als Kapitaleinkünfte knüpft bei diesen Betrieben tatbestandlich an einen fiktiven Vermögenstransfer zur Trägerkörperschaft an. Steuerrelevante Vorabausschüttungen in o.a. Sinne sind daher nicht möglich (vgl. Finanzgericht Münster, Urteil vom 19.10.2005 10 K 6992/03, EFG 2006, 190).
Sofern die entsprechenden Beträge dem BgA zum Zeitpunkt der Gewinnfeststellung wieder zur Verfügung stehen, handelt es sich lediglich um kurzfristige Liquiditätsverschiebungen. Insoweit stellt sich jedoch grundsätzlich die Frage, ob diese unterjährigen Mittelverwendungen als verdeckte Gewinnausschüttung an die Trägerkörperschaft zu behandeln sind (Kessler, Fritz, Gastl, Auswirkungen des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes auf die ertragssteuerliche Behandlung von Betrieben gewerblicher Art, Betriebsberater -BB- 2002, 1512). Das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung ist im Streitfall jedoch bereits deshalb zu verneinen, weil es sich hier um Kapitalrückzahlungen oder um eine Vorabausschüttung auf den erzielten Gewinn aufgrund eines Gewinnausschüttungsbeschlusses handelt, womit eine offene Ausschüttung vorläge.
Da weder die Rückzahlung von Nennkapital noch – wie oben ausgeführt – eine Vorabausschüttung auf den Gewinn kapitalertragssteuerpflichtig ist, führt die Ausschüttung des Klägers aufgrund des Kreistagsbeschlusses vom 23.09.2002, demzufolge unabhängig von der Streitfrage, ob die Stammkapitalherabsetzung von 2.761.282,93 EUR als Vorabausschüttung zu qualifizieren ist, nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG, die nach § 43 Abs. 1 Nr. 7c EStG dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegen.
c. Nicht zu den kapitalertragsteuerpflichtigen Einkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG gehören darüber hinaus, Altrücklagen (allgemeine Rücklagen) des Eigenbetriebs (hier: 16.068.652,18 EUR) sowie ausgezahlte Altgewinne aus den Jahren vor 2002 (hier: 10.521.063,15 EUR) (BFH-Urteil vom 11.07.2007, I R 105/05, BStBl II 2007, 841; ebenso BMF-Schreiben vom 11.09.2002, Auslegungsfragen zu § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG, BStBl I 2002, 935, Rn. 8, 13). Diese Altrücklagen und Altgewinne sind nach § 36 Abs. 7 i.V.m. § 39 KStG in das steuerliche Einlagekonto einzustellen. § 27 KStG, der über § 27 Abs. 7 KStG sinngemäß für andere Körperschaften gilt, die Leistungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 9, 10 EStG gewähren können, gilt somit auch für BgA mit und ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Er regelt im Anschluss daran die Einführung des steuerlichen Einlagekontos. Auskehrungen aus dem Einlagekonto bleiben auch bei ihnen steuerfrei und unterliegen nicht der Kapitalertragsteuer nach § 20 Abs. 1 Nr. 10b Satz 5 EStG.
(1) § 27 KStG soll im System des Halbeinkünfteverfahrens sicherstellen, dass sich die steuerliche Behandlung der Rückgewähr von Einlagen gegenüber derselben unter Anwendung des Anrechnungsverfahrens nicht ändert. Dort führt die Rückgewähr von Einlagen grundsätzlich nicht zu steuerpflichtigen Beteiligungserträgen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG mindern Leistungen der Kapitalgesellschaft mit Ausnahme der Rückzahlung von Nennkapital im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 KStG das steuerliche Einlagekonto nur, soweit die Summe der im Wirtschaftsjahr erbrachten Leistungen den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigt. Als ausschüttbarer Gewinn gilt das um das gezeichnete Kapital geminderte in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestandes des steuerlichen Einlagekontos (§ 28 Abs. 2 Satz 4 KStG).
(2) Die Auszahlung des Gewinns aus dem Jahre 2001 ist deshalb kapitalertragsteuerlich nicht zu berücksichtigen, da er nicht unter den zeitlichen Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 10 b EStG fällt. Nach § 52 Abs. 37a Satz 2 EStG ist § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG nämlich erstmals auf Gewinne anzuwenden, die nach Ablauf des ersten Wirtschaftsjahres des BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit erzielt werden, für das das Körperschaftsteuergesetz in der Fassung des Art. 3 des Steuersenkungsgesetzes erstmals anzuwenden ist. Hieraus folgt, dass Gewinne eines BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die im ersten Wirtschaftsjahr der Anwendung des neuen Körperschaftsteuerrechts erzielt wurden, nicht zu den Einkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG führen. Das neue Körperschaftsteuerrecht gilt in den Fällen, in denen –wie hier das Wirtschaftsjahr mit dem Kalenderjahr übereinstimmt – erstmals für den Veranlagungszeitraum 2001, so dass § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG demnach noch nicht auf Gewinne anzuwenden ist, die im Jahr 2001 erzielt wurden.
Entgegen der Ansicht des Beklagten gilt dies auch für die Gewinne aus 2001, die zunächst in die Rücklage eingestellt werden. Die Norm des § 52 Abs. 37a Satz 2 EStG regelt nach ihrem Wortlaut den zeitlichen Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG. Sie differenziert nicht nach der Art der Gewinnverwendung.
Im Ergebnis folgt daraus, dass der Bilanzgewinn 2002 nur insoweit zu den kapitalertragsteuerpflichtigen Einkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG fällt, als er nicht in die Rücklage eingestellt wurde. Dieser Gewinn gilt in 2002 als zugeflossen. Darüber hinaus vorgenommene Ausschüttungen in Form von Vermögensabfluss an die Trägerkörperschaft, führen gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG zu einer nicht kapitalertragsteuerpflichtigen Minderung des Einlagekontos.
Davon ausgehend ergibt sich im Streitfall ein kapitalertragsteuerpflichtiger Ertrag in Form eines nicht in die Rücklagen eingestellten Gewinns in Höhe von 12.012.892,19 EUR. Die einzubehaltende Kapitalertragsteuer beträgt gemäß § 43a Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7b EStG 10 % des auf den Bilanzgewinn 2002 ausgezahlten Betrages, mithin 1.201.289 EUR. Sie entsteht zum 31.12.2002. Fällig ist die Kapitalertragsteuer im Zeitpunkt der Bilanzerstellung (§ 44 Abs. 6 Satz 2 EStG), mithin zum 01.04.2003.
2. Die für 2002 festzusetzende Kapitalertragsteuer führt damit zu einem von der angemeldeten Kapitalertragsteuer (1.627.024 EUR) abweichenden Betrag, so dass es gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 155 Abs. 1 AO einer geänderten Kapitalertragsteuerfestsetzung bedarf. Die mit Nachforderungsbescheid vom 24.02.2006 festgesetzte Kapitalertragsteuer 2002 ist dabei auf 1.201.289 EUR zu vermindern, was im Ergebnis unter Anrechnung der angemeldeten und abgeführten Kapitalertragsteuer zu einer Steuererstattung führt. Soweit das Finanzamt zur Berechnung der festgesetzten Kapitalertragsteuer 2002 in dem Bescheid aus dem Gewinn 2002 lediglich eine Vorabausschüttung und ansonsten den Gewinnvortrag aus 2001 berücksichtigt hat, handelt es sich dabei lediglich um Berechnungsgrundlagen im Rahmen der Begründung, was einer Änderung des festgesetzten Betrages nicht entgegen steht. Maßgebend ist, dass der durch das Finanzamt festgesetzte Steuerbetrag für 2002 durch die gerichtliche Änderung nicht überschritten wird.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
III. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 711 ZPO.
IV. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
V. Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorfahren erging gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.