02.11.2010
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 30.03.2010 – 6 K 93/08
Eine ohne qualifizierte elektronische Signatur als E-Mail übersandte Klageschrift erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 52 a FGO i.V.m. der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Hamburg vom 28.01.2008; auf das allgemeine Schriftformerfordernis des § 64 Abs. 1 FGO kann insoweit nicht zurückgegriffen werden. Zur Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und zur Reichweite der Fürsorgepflicht des Gerichts im elektronischen Rechtsverkehr.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit einer Haftungsinanspruchnahme und über die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Der Kläger ist Steuerfachgehilfe. Seine Mutter ist Steuerberaterin. Nachdem die Mutter im Jahr 1993 einen Schlaganfall erlitten hatte, erteilte sie ihrem Sohn, dem Kläger, am 08.07.1999 eine notariell beurkundete Generalvollmacht (Bl. 5 der Haftungsakte). Ob bzw. in welchem Umfang der Kläger von dieser Vollmacht Gebrauch gemacht hat, ist zwischen den Beteiligten streitig. Allerdings liegt dem Beklagten die Kopie einer auf den Kläger ausgestellt Bankvollmacht vom 23.11.2000 für ein Konto der Mutter bei der Bank 1 vor. Die Vollmacht hat der Kläger sowohl für seine Mutter - als Kontoinhaberin - als auch für sich selbst - als Bevollmächtigter - unterschrieben. Die erste Unterschrift (für die Mutter) trägt den Zusatz „gem. Generalvollmacht”.
Mit Schreiben vom 25.08.2003 widerrief die Mutter des Klägers die diesem erteilte Generalvollmacht.
Mit Schreiben vom 11.11.2003 kündigte der Beklagte gegenüber dem Kläger an, dass er beabsichtige, ihn wegen rückständiger Abgaben seiner Mutter als Bevollmächtigten und Verfügungsberechtigten gemäß § 34 Abs. 1 i.V.m. § 35 der Abgabenordnung (AO) in Haftung zu nehmen. Gegenstand der Haftung waren sowohl persönliche Steuerschulden der Mutter als auch solche, die durch den Betrieb ihres Steuerberatungsbüros verursacht worden waren. Der Kläger äußerte sich hierzu nicht. Der Beklagte erließ daraufhin am 14.01.2004 einen Haftungsbescheid über einen Betrag von insgesamt 54.538,13 €. Der Kläger machte dagegen mit Schreiben vom 22.01.2004 geltend, dass er das Anhörungsschreiben des Beklagten nicht erhalten habe. Der Beklagte hob daraufhin den Haftungsbescheid mit Bescheid vom 03.02.2004 wieder auf.
Nach Anhörung des Klägers erließ der Beklagte am 19.05.2004 erneut einen Haftungsbescheid über 54.538,13 €.
Mit Schreiben vom 20.09.2006 teilte der Bevollmächtigte des Klägers dem Beklagten mit, dass gegen seinen Mandanten Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt worden seien, die sich auf einen Haftungsbescheid vom 19.04.2006 stützten. Von diesem Bescheid wisse der Kläger jedoch nichts.
Nachdem der Beklagte dem Bevollmächtigten des Klägers den Bescheid vom 19.05.2004 per Fax am 22.09.2006 übersandt hatte, legte dieser dagegen Einspruch ein.
Mit Einspruchsentscheidung vom 15.04.2008 reduzierte der Beklagte die Haftungssumme auf 45.509,68 € und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass der Kläger für Säumniszuschläge nur bis zum Widerruf der Generalvollmacht hafte und für betriebliche Steuern der Mutter nur bis zum Zeitpunkt der Rückgabe ihrer Bestellung zur Steuerberaterin bzw. bis zur Auflösung des Büros im August 2002. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen (Bl. 192 ff. der Rechtsbehelfsakten). Die Entscheidung wurde dem Kläger gemäß Postzustellungsurkunde (Bl. 226 der Rechtsbehelfsakte) am 17.04.2008 durch Einlegung in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten zugestellt.
Am 17.05.2008 ist um 23.10 Uhr bei der elektronischen Poststelle des Gerichts eine nicht signierte Klage eingegangen. Diese Klage ist mit dem Datum „17. April 2008” überschrieben. Sie bezeichnet als Klagegegenstand den Haftungsbescheid vom 15.04.2008 und weist als Absender den Kläger aus.
Der Eingang dieser Klage ist bei Gericht erst am 05.06.2008 festgestellt worden.
Die Möglichkeit, Klagen auf elektronischem Wege einzureichen, besteht bei dem Finanzgericht Hamburg seit dem 01.05.2002. Auf der Homepage des Finanzgerichts werden und wurden zum Zeitpunkt der Klageerhebung (s. Bl. 17 der FG-Akte) unter dem Menüpunkt „Elektronischer Rechtsverkehr” in einer „Kurzinfo” die Voraussetzungen des elektronischen Rechtsverkehrs erläutert. Dort wird unter anderem auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur” zu versehen ist.
Das Gericht hat den Kläger mit Schreiben vom 06.06.2008 darauf hingewiesen, dass die von ihm erhobene Klage nicht mit einer Signatur versehen und wegen dieses Formmangels nicht wirksam erhoben worden ist.
Der Kläger hat dem Gericht am 24.06.2008 eine schriftliche und unterschriebene Klage übersandt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Bevollmächtigte des Klägers hat zunächst vorgetragen, dass der Kläger schuldlos keine Kenntnis von den Anforderungen an eine elektronische Klageeinreichung gehabt habe. Insbesondere werde auf der Webseite des Gerichts eine Email-Adresse ausdrücklich für Zwecke des elektronischen Gerichtsverkehrs angegeben, ohne dass zugleich auf das Erfordernis einer elektronischen Signatur hingewiesen werde. Durch diese Webseite habe der Kläger die Email-Adresse des Gerichts bekommen und von der Möglichkeit der Klageerhebung per Email erfahren. Als juristischer Laie sei ihm hinsichtlich des Versäumnisses der gesetzlichen Anforderungen an eine elektronische Klageerhebung kein Vorwurf zu machen. Zudem hätte das Gericht die Möglichkeit gehabt, den Kläger auf die mangelnde Form der Klageerhebung noch vor Ablauf der Klagefrist hinzuweisen. Die Mitteilung über die Fristversäumung sei dem Kläger nicht vor dem 10.06.2008 zugegangen, so dass die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist gewahrt sei. In Bezug auf die Generalvollmacht trägt der Kläger vor, dass er diese nur auf Anweisung seiner Mutter habe verwenden dürfen. Da sich seine Mutter bis zum freiwilligen Verzicht auf ihre Zulassung als Steuerberater selbst um ihre Angelegenheiten gekümmert habe, sei die ihm erteilte Vollmacht in dem streitigen Haftungszeitraum im Innenverhältnis nicht wirksam geworden. Er sei somit nicht befugt gewesen, von der erteilten Vollmacht Gebrauch zu machen; dementsprechend sei er auch nicht nach § 69 AO verpflichtet gewesen, die steuerlichen Pflichten seiner Mutter zu erfüllen.
Im Rahmen eines Erörterungstermins hat der Kläger vorgetragen, dass er kurz vor Ablauf der Klagefrist noch Klage habe erheben wollen, aber über kein Fax-Gerät verfügt habe. Da er „in EDV nicht unbewandt” sei, sei er auf die Idee gekommen, die Klage elektronisch zu erheben. Das sei allerdings im Hinblick auf die erforderliche elektronische Signatur eine komplexe Angelegenheit, da man sich in mehreren Schritten identifizieren müsse. Was damals genau abgelaufen sei, wisse er nicht mehr; aber irgendwie müsse etwas abhanden gekommen sein.
Nunmehr macht der Bevollmächtigte des Klägers geltend, dass die am 17.05.2008 bei Gericht als Email eingegangene Klage ordnungsgemäß erhoben worden sei; dass die Klage keine qualifizierte elektronische Signatur enthalte, sei unbeachtlich. § 2 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Hamburg fordere eine solche Signatur nur für den Fall, dass für die Einreichung einer Klage die elektronische Form vorgeschrieben sei. Für die Erhebung der Klage zum Finanzgericht sei jedoch eine Einreichung in elektronischer Form keinesfalls zwingend, wie §§ 64 und 52a FGO belegten, so dass die Formvorschrift des § 2 Abs. 3 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Hamburg für diesen Fall nicht greife.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen des Klägers sowie auf die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 02.09.2009 (Bl. 73 ff. der FG-Akte) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und den Haftungsbescheid vom 19.05.2005 sowie die Einspruchsentscheidung vom 15.04.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte macht geltend, dass die Klage unzulässig sei. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Die Willkommensseite des Gerichts im Internet gebe zwar unter dem Hinweis „E-Mail elektronischer Rechtsverkehr” eine E-Mailadresse an, enthalte dort aber keinen Hinweis auf die Möglichkeit einer elektronischen Klageerhebung. Auch in der Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidung fänden sich hierzu keine Angaben. Erst über den Link „Elektronischer Rechtsverkehr” gelange man zu einer Übersicht, über die eine Kurzinfo abrufbar sei, die sowohl auf die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung als auch auf das Erfordernis einer elektronischen Signatur hinweise. Im Übrigen seien die Voraussetzungen der Haftungsinanspruchnahme erfüllt. Der Beklagte verweist insoweit im Wesentlichen auf die Einspruchsbegründung.
Dem Gericht haben folgende Akten vorgelegen: 1 Band „Haftungsakte”; 1 Band Rechtsbehelfsakten; 1 Band Arbeitgeberakten; 1 Band „Einkommensteuerakten Frau A” mit drei eingelegten Heftern und 1 Band „Umsatzsteuerakten Frau A” mit drei eingelegten Heftern. Das Gericht hat zudem die Verfahrensakten VI 88/01, VI 89/01, VI 282/99, VI 10/00, VI 258/01 und VI 259/01 zu Verfahren beigezogen.
Gründe
Die Klage ist unzulässig, da sie verfristet ist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist im Streitfall nicht zu gewähren.
Die Klage ist verfristet.
a) Die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 47 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Wird die Entscheidung durch die Post übermittelt, gilt sie grundsätzlich am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 122 Abs. 2 der Abgabenordnung --AO--). Im Falle der Zustellung kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die Zustellung bewirkt worden ist (§ 122 Abs. 5 AO i.V.m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes).
Die Frist endigt mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist (§§ 188 Abs. 1, 187 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 54 Abs. 2 FGO, 222 Abs. 1 ZPO). Das ist im Falle des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO der Tag, der seiner Datumszahl nach dem Tag der Bekanntgabe entspricht (vgl. § 188 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 54 Abs. 2 FGO, 222 Abs. 1 ZPO). Handelt es sich bei diesem Tag um einen Samstag oder einen Sonntag, so verlängert sich die Drei-Tage-Frist bis zum nächstfolgenden Werktag (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO).
b) Im Streitfall lief die Klagefrist am 19.05.2008 ab. Der Beklagte hat den Einspruch des Klägers mit Entscheidung vom 15.04.2008 als unbegründet zurückgewiesen. Nach der vorliegenden Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid dem Kläger am 17.04.2008, einem Donnerstag, zugestellt. Da der 17.05.2008 ein Samstag war, endete die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages, also des 19.05.2008.
c) Mit der elektronischen Übermittlung einer nicht signierten E-Mail am 17.05.2008 hat der Kläger keine wirksame Klage erhoben.
aa) Klagen sind gemäß § 64 FGO bei dem Gericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Die Rechtsprechung verlangt grundsätzlich die eigenhändige (handschriftliche) Unterschrift unter das entsprechende Schriftstück. Zum einen soll es dem Gericht möglich sein, den Aussteller unzweifelhaft zu identifizieren. Zum andern soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern um eine verbindliche Prozesserklärung, die dem Gericht bewusst zugeleitet worden ist (vgl. etwa BFH-Urteil vom 19.02.2009 - IV R 97/06, BStBl. II 09, 542, mit weiterem Nachweis).
Ergänzend zu § 64 FGO bestimmt § 52a Abs. 1 Satz 1 FGO, dass die Beteiligten dem Gericht elektronische Dokumente übermitteln können, soweit dies für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich durch Rechtsverordnung der Bundesregierung oder der Landesregierungen zugelassen worden ist. Gemäß § 52a Abs. 1 Satz 2 FGO bestimmt die Rechtsverordnung den Zeitpunkt, von dem an Dokumente an ein Gericht elektronisch übermittelt werden können, sowie die Art und Weise, in der elektronische Dokumente einzureichen sind. Für Dokumente, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, ist gemäß § 52a Abs. 1 Satz 3 FGO eine qualifizierte elektronische Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes vorzuschreiben. Die Funktion dieser Signatur für elektronisch übermittelte Dokumente entspricht der Funktion der eigenhändigen Unterschrift bei schriftlich eingereichten Dokumenten (vgl. BFH-Urteil vom 19.02.2009 - IV R 97/06, BStBl. II 09, 542, auch zu den Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur). Die elektronische Signatur gewährleistet die Integrität und die Authentizität des übermittelten Dokuments (vgl. Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO § 52a Rz. 81). Gemäß § 52a Abs. 2 Satz 1 FGO ist ein elektronisches Dokument dem Gericht zugegangen, wenn es in der nach § 52a Abs. 1 Satz 1 FGO bestimmten Weise übermittelt worden ist und wenn die für den Empfang bestimmte Einrichtung es aufgezeichnet hat. Genügt das elektronische Dokument nicht den gesetzlichen Anforderungen, ist dies dem Absender gemäß § 52a Abs. 2 Satz 3 FGO unter Angabe der für das Gericht geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen.
Gemäß § 1 der auf § 52a Abs. 1 Satz 1 FGO gestützten Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Hamburg vom 28.01.2008 (ERVV HH 2008) in Verbindung mit der Anlage zu dieser Verordnung können bei dem Finanzgericht Hamburg ab dem 01.02.2008 für alle Verfahrensbereiche elektronische Dokumente eingereicht werden. Danach steht eine elektronisch übermittelte Klage i.S.d. § 52a Abs. 1 Satz 3 FGO einer schriftlich erhobenen Klage grundsätzlich gleich. Entsprechend der an den Verordnungsgeber gerichteten Vorgabe des § 52a Abs. 1 Satz 3 FGO bestimmt § 2 Abs. 3 Satz 1 ERVV HH 2008, dass, „sofern für Einreichungen die elektronische Form vorgeschrieben ist, (...) die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 2 Nummer 3 des Signaturgesetzes (...) zu versehen” sind.
bb) Die am 16.08.2006 übermittelte E-Mail des Klägers enthielt unstreitig keine elektronische Signatur.
Dem Bevollmächtigten des Klägers ist allerdings zuzugeben, dass die Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 ERVV HH 2008 mit ihrem Einleitungssatz „sofern für Einreichungen die elektronische Form vorgeschrieben ist”, auf den ersten Blick unglücklich formuliert sein mag; denn weder die Finanzgerichtsordnung noch die genannte Verordnung selbst enthalten eine Regelung, die ausdrücklich vorschreibt, dass Klagen in elektronischer Form einzureichen sind.
Doch ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang der §§ 52a und 64 FGO in Verbindung mit der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Hamburg vom 28.01.2008, dass Klagen nur auf dreierlei Art und Weise erhoben werden können: schriftlich, zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder aber elektronisch. Demnach ist für die Erhebung einer Klage im finanzgerichtlichen Verfahren die elektronische Form - als eine von drei Möglichkeiten - i.S.d. § 2 Abs. 3 Satz 1 ERVV HH 2008 „vorgeschrieben”. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Streitfall von denjenigen Fällen, die zu dem seinerzeit geltenden § 77a FGO bzw. zu Rechtsverordnungen ohne eine dem § 2 Abs. 3 Satz 1 ERVV HH 2008 entsprechende zwingende Regelung ergangen sind (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 30.03.2009 - II B 168/08, BStBl. II 2009, 670; Urteil des FG Düsseldorf vom 09.07.2009 - 16 K 572/09 E, EFG 2009, 1769).
cc) Vor dem Hintergrund der ausdrücklichen Regelung in § 52a FGO i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 ERVV HH 2008 kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine per E-Mail erhobene Klage, die den in der Rechtsverordnung genannten Anforderungen nicht gerecht wird, dem allgemeinen Schriftformerfordernis des § 64 FGO entspricht (so auch Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO § 52a Rz. 82 mit Fn. 65; a.A. wohl FG Düsseldorf, a.a.O., allerdings vor dem Hintergrund einer abweichenden Verordnungsregelung). Denn § 52a FGO ermöglicht den Beteiligten nicht generell die Möglichkeit der Übermittlung elektronischer Dokumente, sondern ausdrücklich nur insoweit, als dies durch eine entsprechende Rechtsverordnung vorgesehen ist und auch dann nur beschränkt durch die mit der Rechtsverordnung bestimmte Art und Weise. § 52a FGO geht damit aber als speziellere Regelung für die Übermittlung elektronischer Dokumente dem allgemeinen Schriftformerfordernis des § 64 FGO vor.
Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen im Streitfall nicht vor.
a) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag muss binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 FGO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
aa) Schuldhaft ist eine Frist versäumt, wenn der Steuerpflichtige sie vorsätzlich oder fahrlässig versäumt hat. Grundsätzlich kann auch ein Rechtsirrtum über Verfahrensfragen bei einem rechtsunkundigen Steuerpflichtigen unverschuldet sein und eine Wiedereinsetzung rechtfertigen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Steuerpflichtige gegebenenfalls Zweifel, die bei ihm aufgekommen sind oder hätten aufkommen müssen, rechtzeitig klärt (vgl. BFH-Urteil vom 20.02.2001, IX R 48/98, BFH/NV 2001, 1010; BFH-Beschluss vom 23. Juli 1992 VIII R 73/91, BFH/NV 1993, 40; ferner Gräber/Stapperfend § 56 FGO Rz. 20 „Rechtsirrtum über Verfahrensfragen”).
Des Weiteren darf der Steuerpflichtige grundsätzlich Rechtsmittelfristen bis zum letzten Tag der Frist ausschöpfen, ohne sich insoweit rechtfertigen zu müssen. Allerdings trifft ihn in diesem Fall eine erhöhte Sorgfaltspflicht; insbesondere muss er im Falle eines kurz bevorstehenden Fristablaufs alle erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, damit seine Klage noch rechtzeitig bei Gericht eingeht (vgl. BFH-Urteil vom 07.05.1995 - VIII R 60/95, BFH/NV 1997, 34; s. auch Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 AO Rz. 214, mit weiteren Nachweisen).
bb) Grundsätzlich führt jedes mitursächliche (schuldhafte) Verhalten des Steuerpflichtigen zur Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, und zwar auch dann, wenn weitere, vom Steuerpflichtigen nicht zu verantwortende Umstände hinzutreten. Die Ursächlichkeit seines Verschuldens wird insbesondere nicht dadurch aufgehoben, dass Dritte (Privatpersonen, Behörden oder das Gericht) die von dem Steuerpflichtigen schuldhaft verursachte Fristversäumnis hätten verhindern können (vgl. BFH-Beschluss vom 11.08.2005 - VIII B 291/04, BFH/NV 2006, 80; BFH-Beschluss vom 17.11.1987 - VIII R 346/83, BStBl. II 1988, 287, 289). Zwar obliegen dem Gericht gewisse Fürsorgepflichten gegenüber dem Steuerpflichtigen. Das Gericht muss beispielsweise fehlgeleitete Schriftsätze an das zuständige Gericht weiterleiten. Doch gilt dies nur im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs. Weder ist das Gericht verpflichtet, eingegangene Schriftsätze einer sofortigen Prüfung hinsichtlich ihrer formalen Ordnungsgemäßheit zu unterziehen, noch muss es den Steuerpflichtigen gegebenenfalls vorab per Fax, Telefon oder auf ähnliche Art und Weise auf etwaige Mängel seiner Schriftsätze hinweisen (s. BFH-Beschlüsse vom 27.10.2004 - XI B 130/02, BFH/NV 2005, 563, m.w.N.; vom 11.08.2005 - VIII B 291/04, BFH/NV 2006, 80; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 17.01.2006 - 1 BvR 2338/05, NJW 2006, 1579).
b) Im vorliegenden Streitfall hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, dass ihn kein Verschulden an der Versäumung der Klagefrist trifft.
aa) Nach den dargelegten Grundsätzen durfte der Kläger sich zwar bis zum Ende der Klagefrist Zeit lassen. Er wäre jedoch verpflichtet gewesen, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um sicherzustellen, dass die Klage das Gericht rechtzeitig in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erreicht - dies umso mehr, als der Kläger den eigenen Angaben zufolge keine Möglichkeit hatte, die Klage per Fax einzureichen. Dass der Kläger entsprechende Vorkehrungen getroffen hätte, hat er nicht dargelegt. Insbesondere ist auch nicht ersichtlich, warum der Kläger die Klageschrift nicht persönlich in den Postbriefkasten des Gerichts geworfen hat. Zwar ging der Kläger irrtümlich davon aus, dass die Klagefrist bereits am 17.05.2008 endete. Doch hätte er gleichwohl an diesem Tag noch selbst zum Gericht fahren können, um die Klage rechtzeitig zu erheben.
In Bezug auf die per Email übermittelte Klageschrift ist der Vortrag des Klägers in sich widersprüchlich. Zutreffend hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass weder die Willkommensseite des Gerichts im Internet noch die Rechtsbehelfsbelehrung der angefochtenen Einspruchsentscheidung einen Hinweis auf die Möglichkeit einer elektronischen Klageerhebung enthalten. Der Kläger muss daher seine Kenntnis von dieser Form der Klageerhebung auf andere Weise erlangt haben. Während des Erörterungstermins hat der Kläger denn auch zugegeben, dass ihm die Anforderungen an eine elektronische Klageerhebung bekannt waren, insbesondere dass er sich bewusst war, dass es sich bei der elektronischen Signatur um „eine komplexe Angelegenheit” handle. Warum er aber seine Klage dann ohne elektronische Signatur abgeschickt hat, hat der Kläger nicht erklärt. Er hat lediglich angegeben, dass „da was abhanden gekommen sein” müsse. Dies genügt zur Glaubhaftmachung eines mangelnden Verschuldens nicht. Auch kann aus der Angabe einer Email-Adresse auf der Willkommensseite des Gerichts nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass eine Klageerhebung in elektronischer Form an keine weiteren Voraussetzungen gebunden ist. Andernfalls müsste man auch annehmen, dass die schlichte Angabe der postalischen Anschrift des Gerichts eine schriftliche Klageerhebung in jedweder Form, also ungeachtet der Vorgaben des § 64 FGO, rechtfertigen würde.
bb) Dass das Gericht den Kläger nicht sofort am nächsten Werktag, am 19.05.2008, auf die in unzulässiger Form erhobene Klage hingewiesen hat, ist nach den dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung unschädlich. Zum einen wird dadurch das Verschulden des Klägers im Hinblick auf die von ihm unwirksam erhobene Klage nicht aufgehoben. Zum andern wäre das Gericht selbst bei Kenntnisnahme der Klage am 19.05.2008 und auch im Falle einer (nicht gebotenen) sofortigen Prüfung der formellen Voraussetzungen der Klageerhebung in elektronischer Form nicht verpflichtet gewesen, den Kläger außerhalb des üblichen Geschäftsgangs, also etwa über die von ihm angegebene Email-Adresse, vorab zu informieren. Eine entsprechende, über die Grundsätze der unter 2. a) bb) aufgeführten Rechtsprechung hinausgehende Fürsorgepflicht ergibt sich auch nicht aus § 52a Abs. 2 Satz 3 FGO; denn „unverzüglich” im Sinne dieser Vorschrift bedeutet lediglich ohne Verzug im üblichen Geschäftsgang.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 115 Abs. 2 FGO. Die Revision war zuzulassen, weil der Rechtssache im Hinblick auf die Voraussetzungen der elektronischen Übermittlung von Dokumenten im finanzgerichtlichen Verfahren grundsätzliche Bedeutung zukommt.