02.11.2010
Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 29.04.2010 – 1 K 234/06
Ein während des Verlaufs einer Außenprüfung ergehender, eine Teilauswertung der Prüfungsfeststellungen vornehmender Steueränderungsbescheid führt nicht gemäß § 171 Abs. 4 AO zum Ende der Ablaufhemmung. Dies gilt auch dann, wenn der Vorbehalt der Nachprüfung zwar aufgehoben wird, die Außenprüfung betreffend den jeweiligen Steueranspruch aber noch nicht abgeschlossen ist.
Aufgrund einer Außenprüfung ergangen im Sinne des § 171 Abs. 4 AO kann auch ein solcher Steuerbescheid sein, der einen aufgrund einer Außenprüfung ergangenen Steuerbescheid ändert.
Ein aufgrund einer Außenprüfung ergangener Änderungsbescheid kann bis zum endgültigen Abschluss der Prüfung betreffend den jeweiligen Steueranspruch gemäß § 129 AO berichtigt werden.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Befugnis zur Änderung eines Steuerbescheids aufgrund offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 129 der Abgabenordnung (AO). Die Klägerin rügt Festsetzungsverjährung im Zeitpunkt der Änderung des Bescheids. Der Beklagte - das Finanzamt (FA) - macht eine zu diesem Zeitpunkt noch andauernde Hemmung des Laufs der Verjährung gemäß § 171 Abs. 4 AO aufgrund einer noch nicht vollständig abgeschlossenen Außenprüfung geltend.
Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin der X, welche im Streitjahr 1995 ein …unternehmen betrieb. Ihre Gewerbesteuererklärung reichte die Rechtsvorgängerin im Dezember 1996 beim FA ein. Am 6. Dezember 1999 begann das FA mit einer Außenprüfung betreffend u.a. die Gewerbesteuer der Jahre 1994 - 1997. Am 24. April 2001 erteilte das FA einen „Teilbericht” (Bl. 44 ff. der GA), welcher im Feld „Weitere Bemerkungen” wie folgt näher beschrieben wurde:
„Bei diesem Bericht handelt es sich um einen Teilbericht; die Betriebsprüfung ist noch nicht abgeschlossen. Dieser Bericht enthält ausschließlich die Prüfungsfeststellungen gemäß den von den Prüfern A, B und C erstellten Prüfungsanmerkungen. Hinsichtlich des durch den Prüfer D bearbeiteten Prüfungsbereichs (Sachverhalte/Rechtsbeziehungen im Zusammenhang mit der …) wird die Betriebsprüfung fortgesetzt. Bei den aufgrund dieses Berichts zu ändernden Steuerfestsetzungen bleibt daher der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 AO bestehen.”
Aufgrund des Teilberichts erging am 4. Oktober 2001 ein geänderter, jedoch weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender Gewerbesteuermessbescheid (GewStMB) für 1995. Hiergegen erhob die Klägerin am 17. Oktober 2001 Einspruch. Auf den Einspruch erteilte das FA am 5. November 2003 einen Änderungsbescheid, in welchem es zugleich den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob. Bei der Erteilung des vorgenannten Änderungsbescheids unterlief dem Bearbeiter ein Versehen: Er brachte den Einheitswert des Betriebsvermögens anstelle zutreffender 145.300.000 DM fehlerhaft mit 14.530.000 DM in Ansatz.
Am 17. März 2006 erteilte das FA den abschließenden Bericht über die Außenprüfung, welche am 31. Januar 2006 beendet wurde. Unter Tz. 83 des Berichts kündigte das FA eine Änderung des GewStMB 1995 gemäß § 129 AO unter dem Gesichtspunkt eines Übertragungsfehlers an. Der entsprechende Änderungsbescheid mit dem Ansatz eines Einheitswerts des Betriebsvermögens in Höhe von 145.300.000 DM erging am 20. Juni 2006. Hiergegen erhob die Klägerin am 11. Juli 2006 Einspruch, welchen das FA mit Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2006 zurückwies: Die Änderungsbefugnis ergebe sich aus § 129 AO. Der GewStMB 1995 sei zu unverjährter Zeit korrigiert worden. Durch die Anordnung der Außenprüfung sei der Ablauf der Verjährungsfrist hinsichtlich sämtlicher der Prüfung unterzogenen Steueransprüche gehemmt gewesen. Die Festsetzungsfrist sei deshalb gemäß § 171 Abs. 4 AO nicht vor Erlass der aufgrund der Prüfung zu erlassenden Steuerbescheide abgelaufen. Dies gelte hinsichtlich sämtlicher in der Prüfungsanordnung bezeichneter Steuern. Durch den Zwischenbericht sei die Außenprüfung nicht beendet worden. Dies sei im Bericht ausdrücklich klargestellt worden. Die 2003 erfolgte Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in Sachen GewStMB 1995 enge zwar den sachlichen Änderungsspielraum des FA ein, ändere aber nichts an der Änderungsbefugnis wegen offenbarer Unrichtigkeit, da eine solche jederzeit bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung zulässig sei.
Mit der am 25. August 2006 erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:
Das FA habe durch seine Ausführungen im „Teilbericht” vom 24. April 2001 deutlich gemacht, dass es die Prüfung u.a. in Sachen Gewerbesteuer 1995 als abgeschlossen betrachtet habe. Vor diesem Hintergrund sei wegen der Gewerbesteuer 1995 mit der Unanfechtbarkeit des letzten auf die Prüfung ergangenen Steuerbescheides Festsetzungsverjährung eingetreten. Der letzte aufgrund der Erkenntnisse der Prüfung ergangene Änderungsbescheid sei hier der geänderte GewStMB 1995 vom 5. November 2003. Dieser sei einen Monat nach Zugang und damit bereits im Dezember 2003 in Bestandskraft gewachsen. Dass das FA mit diesem Bescheid seinen Steueranspruch betreffend die Gewerbesteuer 1995 habe endgültig erledigen wollen, komme denn auch darin zum Ausdruck, dass es den Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben habe. Bei dieser Sachlage stehe der Klägerin zumindest Vertrauensschutz vor einer weiteren Änderung des Bescheids zu. Das gemäß § 129 AO bestehende Änderungsermessen sei insoweit beschränkt.
Die Klägerin beantragt,
den Änderungsbescheid zum GewStMB 1995 vom 20. Juni 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2006 dahin zu ändern, dass der Steuermessbetrag nach dem Gewerbekapital auf 112.262 DM herabgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Gründe der Einspruchsentscheidung seien durch das Klagevorbringen nicht entkräftet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2010 verwiesen.
Die steuerlichen Vorgänge sind beigezogen worden.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Änderungsbescheid verletzt die Klägerin nicht in ihren steuerlichen Rechten. Der Erlass des streitigen Änderungsbescheids lässt gemessen am Maßstab des § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) keine Rechtsfehler erkennen. Die Änderungsbefugnis des FA folgt aus § 129 AO. Nach dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung jederzeit berichtigen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
Der geänderte GewStMB 1995 vom 5. November 2003 wies eine offenbare Unrichtigkeit in Gestalt eines Tipp- bzw. Eingabefehlers auf. Der zuständige Sachbearbeiter vergaß bei Eingabe des Einheitswertes des Betriebsvermögens eine Null, so dass dieser anstelle zutreffender 145.300.000 DM fehlerhaft mit 14.530.000 DM in Ansatz gebracht ist. Es handelt sich insoweit ersichtlich um einen schlichten Flüchtigkeitsfehler, welcher unstreitig nicht durch Rechtsüberlegungen beeinflusst war.
§ 173 Abs. 2 AO steht der Änderung des Bescheides nicht entgegen, denn die vorgenannte Änderungssperre verbietet nur eine Aufhebung bzw. Änderung wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel. Die Möglichkeit einer Änderung gemäß § 129 AO bleibt hiervon unberührt. Der Bestandsschutz von Außenprüfungen beschränkt sich auf den regelmäßigen Prüfungsgegenstand und gilt nicht für offenbare Unrichtigkeiten (vgl. BFH, Urteil vom 10. September 1987 V R 69/84, BStBl II 1987, 834).
Der streitige Änderungsbescheid erging auch vor Ablauf der Festsetzungsfrist. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt nach § 169 Abs. 1 Satz 2 AO auch für eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 129 AO. Nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist für die Gewerbesteuer vier Jahre. Sie beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Ist - wie hier - für die Steuer eine Steuererklärung einzureichen, so beginnt die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wurde, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Jahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
Die Klägerin reichte die Gewerbesteuererklärung für 1995 im Dezember 1996 beim FA ein, so dass die Festsetzungsfrist grundsätzlich mit Ablauf des 31. Dezember 2000 endete. Am 6. Dezember 1999 begann das FA jedoch mit einer Außenprüfung, welche sich nach dem Inhalt der erlassenen Prüfungsanordnung u.a. auf die Gewerbesteuer der Jahre 1994 - 1997 erstreckte. Hierdurch wurde der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt. Nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO läuft „die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt” nicht ab, „bevor die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Bescheide unanfechtbar geworden sind”.
Die vorgenannte Voraussetzung war im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Steuerbescheides vom 20. Juni 2006 noch nicht eingetreten. Allerdings enthält das Gesetz keine näheren Maßgaben darüber, wann ein Bescheid „aufgrund einer Außenprüfung ergangen ist”. Es mangelt insbesondere an einer ausdrücklichen Regelung für die hier einschlägige Fallgruppe des Erlasses von Steuerbescheiden im Anschluss an einen „Teilprüfungsbericht”, welcher vor dem endgültigen Abschluss der Außenprüfung ergangen ist.
Zur Beurteilung der Rechtslage ist deshalb neben dem Gesetzeswortlaut auch auf die Gesetzessystematik und den Zweck der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 4 AO abzustellen.
Die Verwendung des umfassenden Begriffs „Steuern” spricht dafür, dass sich die Hemmung nicht allein auf den geprüften Sachverhalt, sondern auf den Steueranspruch insgesamt erstreckt. Diese Auslegung findet Bestätigung im systematischen Verhältnis zu § 171 Abs. 5 AO. Anders als im Fall des § 171 Abs. 4 AO umfasst die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 AO nicht den gesamten Steueranspruch; sie tritt lediglich in dem Umfang ein, in dem sich die Ergebnisse der Ermittlungen auf die Höhe der festzusetzenden Steuer auswirken (vgl. BFH, Urteil vom 8. Juli 2009, XI R 41/08, BFH/NV 2010, 1). Ist aber der in der Prüfungsanordnung aufgeführte Steueranspruch insgesamt gehemmt, dann haben eine „Teilprüfung” hinsichtlich einzelner näher definierter Sachverhalte und der Erlass entsprechender Änderungsbescheide keine hemmungsbeendende Wirkung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Prüfung des betreffenden Steueranspruchs noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Eine solche Auslegung entspricht auch dem Gesetzeszweck. Die Finanzbehörde soll durch die Ablaufhemmung in die Lage versetzt werden, den Steueranspruch entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag (§§ 88, 194 AO) insgesamt und nicht lediglich hinsichtlich einzelner Besteuerungsgrundlagen zu prüfen und hieraus bis zum endgültigen Abschluss der Prüfung die steuerlichen Konsequenzen ziehen können. Demzufolge ist aufgrund der Außenprüfung ergangen im Sinne des § 171 Abs. 4 AO auch ein solcher Steuerbescheid, der einen aufgrund der Außenprüfung ergangenen Steuerbescheid ändert, solange nicht die Außenprüfung betreffend den jeweiligen Steueranspruch insgesamt beendet ist (vgl. BFH, Urteil vom 27. März 1996 I R 182/94, BStBl II 1997, 449; Hess. FG, Urteil vom 10. Dezember 2002 4 K 2214/99, EFG 2003, 747). Der die Außenprüfung (endgültig) abschließende Prüfungsbericht erging hier erst am 17. März 2006, so dass auch der streitige Änderungsbescheid vom 20. Juni 2006 „auf Grund der Außenprüfung” und damit vor Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen ist.
Die von der Klägerin hilfsweise geltend gemachten Verwirkungs- und Vertrauensschutzgesichtspunkte sind unbegründet. Für eine Berichtigung gemäß § 129 AO gibt es innerhalb der Festsetzungsfrist grundsätzlich keinen Vertrauensschutz (Klein/Brockmeyer, AO, 10. Aufl. § 129 Rn. 15). Dies schon deshalb nicht, weil der Steuerpflichtige im Falle einer offenbaren Unrichtigkeit regelmäßig kein schutzwürdiges Vertrauen bilden kann. Die Klägerin muss sich das Wissen ihrer Rechtsvorgängerin zurechnen lassen. Eine andere Beurteilung ist hier auch nicht aufgrund des Inhalts des Teilprüfungsberichts und der späteren Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gerechtfertigt. Zwischen den Erkenntnissen der „Teilprüfung” und dem späteren Eingabefehler besteht kein sachlicher Zusammenhang. Der Teilprüfungsbericht kann daher schon deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen für die hier in Rede stehende Änderung begründen. Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung schützt lediglich vor der Änderung eines Steuerbescheids aufgrund anderweitiger rechtlicher Beurteilung des bekannten Sachverhalts, nicht aber vor einer Änderung gemäß § 129 AO. Das FA konnte sich deshalb ermessensfehlerfrei zur Korrektur der offenbaren Unrichtigkeit entschließen. Die gemäß § 129 AO angestrengten Ermessenserwägungen bedürfen regelmäßig keiner besonderen Begründung (Klein/Brockmeyer, AO, 10. Aufl. § 129 Rn. 16).
Nach allem ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.