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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 27.04.2010 – 1 K 3389/07

    1) Gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG steht demjenigen Steuerpflichtigen ein Anspruch auf Anrechnung von Vorauszahlungen auf die Einkommensteuerschuld zu, auf dessen Rechnung die Vorauszahlung bewirkt wurde. Entscheidend ist damit auch bei Ehegatten, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie der im Zeitpunkt der Zahlung dem Finanzamt erkennbar ist, getilgt werden sollte (gegen FG Baden-Württemberg, Urt. v. 11.06.2008 2 K 73/06, EFG 2008, 1511).

    2) Eheleuten steht eine Erstattung überschüssiger Vorauszahlungen je zur Hälfte zu, wenn die Vorauszahlungen während des Zusammenlebens ohne weitere Bestimmungen geleistet wurden.


    für Recht erkannt:

    Tatbestand

    Der Kläger erzielt als Tierarzt Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Er lebte im Streitjahr 2001 mit seiner damaligen Ehefrau, die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit erzielte, zusammen. Laut Feststellungen des Familiengerichts, das später die Scheidung aussprach, dauerte dieses Zusammenleben bis Ende 2001 oder Anfang 2002 an. Der Kläger leistete für die Einkommensteuer des Jahres 2001 Vorauszahlungen i.H.v. insgesamt 23.298,00 EUR, die das beklagte Finanzamt aufgrund einer Einzugsermächtigung von seinem Konto abbuchte. Mit ihrer Einkommensteuererklärung vom 9. Mai 2003 beantragte die Ex-Ehefrau des Klägers getrennte Veranlagung für das Jahr 2001. In der Folge kam es zu einem Briefwechsel zwischen Kläger und Beklagtem über die Anrechnung der Vorauszahlungen: Das beklagte Finanzamt bot an, die Vorauszahlungen bis September 2001 dem Kläger zu ½, danach ganz zuzurechnen. Der Kläger wandte ein, er habe die Vorauszahlungen im Vertrauen auf den Fortbestand der Ehe geleistet und habe deshalb Anspruch auf vollständige Anrechnung, zumindest aber auf Anrechnung im Verhältnis der Einkünfte der Eheleute, also zu ca. 77 %.

    Am 4. September 2003 erging gegen den Kläger der Einkommensteuerbescheid für 2001. Er enthielt keine Anrechnung der Vorauszahlungen und setzte eine Zahllast i.H.v. 15.090,63 EUR fest. Der Betrag wurde durch Abbuchung beglichen. Im Dezember 2004 erhielt der Kläger eine Erstattung in Höhe des vollen Betrages der Vorauszahlungen, nämlich i.H.v. 23.298,00 EUR, teils durch Anrechnung auf geschuldete Umsatzsteuer, teils durch Überweisung auf sein Konto.

    Mit dem hier streitigen Bescheid vom 22. November 2006 forderte der Beklagte die Hälfte des Betrages zurück und bestätigte diese Forderung mit Einspruchsentscheidung vom 2. August 2007: Die Erstattung an den Kläger sei nur zur Hälfte gerechtfertigt gewesen. Vorauszahlungen eines Ehepartners würden bei zusammenlebenden Eheleuten als auf beider Einkommensteuerschuld geleistet gelten, wenn keine gegenteilige Absicht bekundet würde. Da dies nicht geschehen sei, habe der Kläger nur Anspruch auf Anrechnung der Hälfte der Vorauszahlungen. In Höhe der anderen Hälfte der Vorauszahlungen sei bei der Ehefrau ein entsprechender Erstattungsanspruch entstanden und zwischenzeitlich auch beglichen worden.

    Hiergegen wendet sich die Klage vom 4. September 2007: Der Kläger habe Anspruch auf Vertrauensschutz, da er aufgrund der Erstattungsankündigungen davon habe ausgehen dürfen, dass die Erstattung vom Dezember 2004 mit seiner Ex-Ehefrau abgestimmt worden sei. Jedenfalls sei es sinnwidrig, die Steuerschuld des Klägers nicht durch seine Vorauszahlungen als beglichen anzusehen und stattdessen einen durch nichts gerechtfertigten Erstattungsanspruchs seiner Ex-Ehefrau anzusetzen. Allenfalls könne der nach Abgeltung aller Steuerschulden noch verbleibende Erstattungsbetrag nach Köpfen auf die Ex-Ehegatten verteilt werden. Nachdem er mit der Klageschrift zunächst die Aufhebung des Rückforderungsbescheids begehrt hatte, beantragt er in der mündlichen Verhandlung mit Rücksicht auf die letztgenannten Erwägungen,

    den angegriffenen Rückforderungsbescheid insoweit aufzuheben, als die Rückforderungssumme den Betrag von 3.740,22 EUR übersteigt.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Er beruft sich zur Stützung seiner in der Einspruchsentscheidung vertretenen Auffassung auf die Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 26.06.2007 VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742) und das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 11.06.2008 2 K 73/06, EFG 2008, 1511.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist im beantragten Umfang begründet.

    Der Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 22.11.2006 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als der Rückforderungsbetrag die Summe von 3.740,22 EUR übersteigt. Nach § 37 Abs. 2 AO hat derjenige, auf dessen Rechnung eine Steuer ohne rechtlichen Grund zurückgezahlt wurde, einen Anspruch auf Erstattung des zurückgezahlten Betrags. Die auf Rechnung des Beklagten bewirkte Steuerrückzahlung an den Kläger i.H.v. 23.298,00 EUR erfolgte i.H.v. 19.497,78 EUR mit rechtlichem Grund.

    1. In Höhe von 15.090,63 EUR beruht der rechtliche Grund für die Rückzahlung seitens des Beklagten auf § 37 Abs. 2 AO i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG. Der Kläger hatte insoweit gem. § 37 Abs. 2 AO einen Anspruch auf Erstattung der von ihm beglichenen Zahllast i.H.v. EUR 15.090,63, die mit Einkommensteuerbescheid des Beklagten für 2001 vom 4. September 2003 zu Unrecht festgesetzt worden war. Die Festsetzung war deswegen rechtswidrig, weil die Zahllast nicht bestand; denn der Kläger hatte gem. § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG Anspruch darauf, dass die von ihm geleisteten Vorauszahlungen für 2001 i.H.v. 23.298,00 EUR auf seine Einkommensteuerschuld im Jahre 2001 angerechnet wurden, so dass keine verbleibende Zahllast entstand.

    Der Senat schließt sich bei dieser Beurteilung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), s. Urteil vom 26.06.2007, VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742,

    an. Danach ist anrechnungsberechtigt derjenige, auf dessen Rechnung die Vorauszahlung bewirkt wurde. Dabei kommt es darauf an, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem Finanzamt erkennbar ist, getilgt werden sollte. Der dem Finanzamt im Zeitpunkt der Zahlung erkennbare Wille des zahlenden Klägers, wie überhaupt jedes Vorauszahlungen Leistenden, wenn er nicht ausdrücklich anderes bekundet, ist nach Auffassung des erkennenden Senates in erster Linie – und noch vor möglichen weiteren Differenzierungen – darauf gerichtet, möglichst umfassend die zu erwartenden Steuerschulden, gleichgültig ob es, wie bei zusammenlebenden Eheleuten in der Regel zu erwarten, eine gemeinsame Steuerschuld oder bei anderweitigen Entschlüssen, auf die der Vorauszahlungen Leistende möglicherweise keinen Einfluss hat, getrennte Steuerschulden sein werden. Dies folgt einmal aus der erkennbaren Interessenlage des Vorauszahlung Leistenden. Er zahlt nämlich offenbar in erster Linie, um eine spätere Zahllast sowohl aus eigener als auch ggfls. aus der Steuerschuld des Ehepartners zu vermeiden. Ein Interesse, möglicherweise mit eigener Zahllast belastet zu bleiben und Erstattungsguthaben für den Ehepartner „anzusparen”, ist demgegenüber nicht zu vermuten. Einen dahingehenden Willen – ohne ausdrückliche Erklärung – erkennen zu wollen, erscheint dem Senat abwegig. Zum zweiten ergibt sich die genannte Zielrichtung des Vorauszahlungen Leistenden auch unmittelbar aus dem Gesetz. In § 37 Abs. 1 Satz 1 EStG heißt es nämlich: „Der Steuerpflichtige hat … Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer zu entrichten, die er für den laufenden Veranlagungszeitraum voraussichtlich schulden wird.” Sinn und Zweck dieser Regelung ist, die Zahlungen auf die Steuerschuld so zu „kanalisieren”, dass zum einen der Steuerpflichtige nicht auf einmal mit hohen, von ihm möglicherweise so nicht erwarteten Zahllasten konfrontiert wird und dass zum anderen für den Fiskus ein gleichmäßiger und regelmäßiger Steuerfluss bewirkt wird und die ihm zustehenden Steuerforderungen gesichert werden, dass also mögliche spätere Illiquidität des Steuerschuldners nicht zu Lasten des Fiskus gehen. Beide Zwecke werden verfehlt, wenn man die Zielrichtung der Vorauszahlungen nicht im Zweifel in erster Linie als auf die Vorabbegleichung der zukünftigen Steuerschuld gerichtet ansieht, gleichgültig wie sie sich später unter den Eheleuten differenzieren mag. Darüber hinaus wäre nach Auffassung des Senats eine ausdrückliche Bestimmung dahingehend, dass die Anrechnung der Vorauszahlungen auf beide Ehepartner je zur Hälfte erfolgen solle, im Falle ungleicher zu erwartender Steuerlasten sogar unzulässig, da sie die Regelung des § 37 Abs. 1 Satz 1 EStG verletzen würde. Die Vorauszahlungen würden dann nämlich nicht vollständig auf die zu erwartenden Steuerlasten erfolgen, sondern sie würden zum Teil dazu dienen, bei einem der Partner ein Erstattungsguthaben „anzusparen”.

    Die gegenteilige Auffassung, wie sie das Finanzgericht Baden-Württemberg,

    s. Urteil vom 11.06.2008 2 K 73/06, EFG 2008, 1511,

    vertritt, verkennt die dargestellte primäre Zielrichtung von Vorauszahlungsleistungen. Sie führt aufgrund dessen zu Ergebnissen, die nach Auffassung des Senats Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorauszahlungsregelung diametral zuwider laufen. Ein Ehepartner, der allein oder überwiegend steuerpflichtige Einkünfte erzielt und die entsprechenden Vorauszahlungen geleistet hat, könnte nach dieser Auffassung durch den freien Entschluss des anderen Ehepartners, auf den er keinen Einfluss hat, mit erheblichen von ihm nicht erwarteten Nachzahlungen belastet werden. Darüberhinaus würde der Zweck, dem Fiskus durch die Vorauszahlungen Sicherheit zu verschaffen, in erheblichem Umfang verfehlt: Hätte beispielsweise ein Gewerbetreibender, dessen Ehepartner keine steuerpflichtigen Einkünfte hat, Vorauszahlungen geleistet und fiele in Illiquidität, bevor der betreffende Einkommensteuerbescheid Bestandskraft erlangt hätte, so läge es in seiner oder in des Ehepartners Hand, dem Fiskus die Hälfte der durch die Vorauszahlungen erlangten Sicherheit wieder zu entziehen. Diese Gestaltung wäre den Eheleuten dann sogar regelmäßig zu empfehlen mit der Folge, dass der Sicherungszweck der gesetzlichen Vorauszahlungsregelung systematisch verfehlt würde.

    2. War somit die Steuerschuld des Klägers durch Anrechnung der von ihm geleisteten Vorauszahlungen getilgt, so dass er Anspruch auf Erstattung des zu Unrecht nochmals gezahlten Betrags von EUR 15.090,63 hatte, so folgt sein Anspruch auf Erstattung eines weiteren Betrags i.H.v. EUR 3.740,22 aus § 37 Abs. 2 AO unter dem Gesichtspunkt überschüssiger Vorauszahlung. Die Vorauszahlungsleistungen des Klägers überschritten die Summe der endgültig festgesetzten und nicht durch Lohnsteuerabzug gedeckten Steuerschulden der beiden Ehegatten um 7.480,44 EUR. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des BFH,

    s. Urteil vom 15.11.2005 VII R 16/05, s. auch Schmidt EStG Kommentar, 29. Aufl. Rn. 18 zu § 26 mit den Nachweisen der ständigen Rechtsprechung,

    an, wonach der Erstattungsanspruch in der Gesamthöhe von 7.480,44 EUR auf die Ehepartner je zur Hälfte aufzuteilen ist, wenn – wie vorliegend – die Vorauszahlungen während des Zusammenlebens der Eheleute ohne weitere Bestimmung geleistet wurden. Zwar lassen sich auch hiergegen zugunsten des tatsächlich Zahlenden beachtliche Argumente anführen,

    s. Urteil des FG Berlin-Brandenburg v. 31. März 2005 5 K 5064/08.

    Jedoch braucht diesen Argumenten vorliegend nicht weiter nachgegangen zu werden, da der Kläger seinen Antrag in der mündlichen Verhandlung mit Rücksicht auf die ständige Rechtsprechung des BFH insoweit eingeschränkt hat.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FGO: Soweit der Kläger die Klage durch Einschränkung seines Antrags teilweise zurückgenommen hat, trägt er die Kosten anteilig, im Übrigen trägt sie der Beklagte.

    Die Revision ist aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

    VorschriftenAO § 37 Abs 2, EStG § 36 Abs 2 Nr 1