02.11.2010
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 16.06.2010 – 5 K 687/2009
Die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG bezweckt die objektive Richtigkeit der Bilanz, die der Steuerveranlagung zu Grunde gelegt wird; gleich ob im Rahmen einer Erstveranlagung oder bei einer Bescheidänderung.
Hiernach sind die Prüferbilanzen, die den Änderungsbescheiden zu Grunde gelegt werden insoweit unrichtig, als von den erhöhten Gewinnen nicht die hierdurch kraft Gesetzes entstehenden Mehr-Betriebssteuern abgesetzt werden; jedenfalls dann, wenn hierüber geänderte Steuerbescheide für Umsatzsteuer und Gewerbesteuer vorliegen.
Tatbestand
Streitig ist, in welchem Zeitpunkt aufgrund einer Außenprüfung festgesetzte Mehrsteuern als Verbindlichkeit berücksichtigt werden können.
Die Kläger sind Ehegatten. Der Kläger betreibt seit 1996 eine Pizzeria als Einzelunternehmen.
Das beklagte Finanzamt ordnete am 24.03.2005 eine Außenprüfung an, die sich auf Einkommensteuer (ESt), Gewerbesteuer (GewSt) und Umsatzsteuer (USt) für 2001 bis 2003 erstrecken sollte. Nachdem der Betriebsprüfer festgestellt hatte, dass die erklärten Rohaufschlagsätze unterhalb denen der Richtsatzsammlung lagen, die Nachkalkulation für 2002 Differenzen und eine vereinfachte Geldverkehrsrechnung Fehlbeträge ergaben, schaltete er die Steuerfahndungsstelle ein. Diese leitete am 02.05.2005 ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von ESt, USt, GewSt für die Jahre 2001 bis 2003 ein, das später hinsichtlich der Jahre 2004 und 2005 erweitert wurde.
Die Fahndungsprüfung wurde mit einer Vereinbarung über eine tatsächliche Verständigung vom 13.12.2007 abgeschlossen (vgl. Bl. 100, 101 FG-Akte), die die Zurechnung von Betriebseinnahmen zuzüglich Umsatzsteuer umfasste.
Die Zahlen entsprachen den vom Prüfer in der Ermittlungsakte zur Höhe der hinterzogenen Steuern angesetzten Beträgen. Dabei wurden die durch die Gewinnerhöhungen ausgelösten Betriebssteuern in den Streitjahren als Rückstellungen für GewSt und USt gewinnmindernd berücksichtigt.
2001 | 2003 | |
DM | € | |
USt-Rückstellung | 6.903 | 7.962 |
GewSt-Rückstellung | 3.540 | 5.900 |
Das Finanzamt änderte mit Bescheiden vom 26.02.2008 gem. § 164 Abs. 2 AO für die Jahre 2001 bis 2005 die ESt-Bescheide und GewSt-Messbescheide entsprechend und setzte die USt auf 20.284,48 € für 2001 und 20.273,63 € für 2003 fest.
Mit Bescheid vom 11.04.2008 setzte die Stadt X die GewSt auf 2.539,02 € für 2001 und auf 9.007.05 € für 2003 fest.
Mit getrennten Einspruchsentscheidungen vom 03.04.2009 wies das beklagte FA die Einsprüche wegen ESt bzw. GewSt-Messbetrag zurück.
Hiergegen haben die Kläger Klage erhoben und durch ihren Prozessbevollmächtigten im Wesentlichen vorgetragen:
Der Betriebsprüfer habe die Buchführung verworfen und die Umsätze geschätzt. Erst kurz vor Beendigung der Betriebsprüfung habe er diese abgebrochen und den Fall an die Steuerfahndungsstelle weitergegeben. Mit der Steuerfahndung sei dann eine tatsächliche Verständigung über die hinzu geschätzten Betriebseinnahmen getroffen worden, bei der man von den Zahlen im Ermittlungsbericht ausgegangen sei, die die Mehrsteuern jeweils in den Streitjahren als Betriebsausgabe berücksichtigten.
Streitig sei danach allein, ob die erhöhten Betriebssteuern in den einzelnen Veranlagungszeiträumen, in denen sie in Folge der Gewinnerhöhungen entstanden seien, oder aber erst in Gänze im Veranlagungszeitraum 2005 als Betriebsausgabe zu berücksichtigen seien. Da im Streitfall der Steuerfahndung eine Betriebsprüfung vorangegangen sei, die gemäß der Kalkulation des Betriebsprüfers zu denselben Ergebnissen gekommen sei, müsse es bei dem Grundsatz verbleiben, dass die Steuern in den Zeiträumen zu berücksichtigen seien, zu denen sie wirtschaftlich gehörten (Hinweis auf BFH-Urteil vom 27.11.2001 VIII R 36/00, BStBl II 2002, 731).
Aus der Änderung der Einkommensteuerrichtlinien (EStR 2008 H 4.9) sei keine Änderung der bisherigen Rechtsauffassung abzuleiten, wonach Rückstellungen für Mehrsteuern in dem Jahr zu bilden seien, zu dem sie wirtschaftlich gehörten. Die Änderung folge der ab 2008 geltenden Unternehmenssteuerreform, die die Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer beseitigt habe.
Eine Bindungswirkung seitens des Finanzamts sei auch durch die Anhörung vom 07.02.2008 eingetreten, der wiederum die um die Mehrsteuern geminderten Beträge zu Grunde lagen (vgl. Bl.96-99 FG-Akte).
Die Kläger haben beantragt,
die Einkommensteuer für 2001 aus einem zu versteuernden Einkommen von 92.494 DM und für 2003 auf 13.053 € herabzusetzen;
der Kläger hat beantragt,
den Gewerbesteuermessbetrag für 2001 auf 792 DM und für 2003 auf 1.320 € herabzusetzen;
hilfsweise Zulassung der Revision.
Das Finanzamt hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise Zulassung der Revision.
Es hat unter Verweisung auf die Einspruchsentscheidung und auf eine Verfügung des Landesamts für Steuern im Wesentlichen vorgetragen:
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten seien zu passivieren, wenn die Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen wahrscheinlich sei. Dies sei nach der Rechtsprechung hinsichtlich der Nachzahlung hinterzogener Steuern erst mit dem Beginn konkreter Maßnahmen wahrscheinlich (§§ 249 Abs. 1 Satz 1, 253 Abs. 1 Satz 2 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1 EStG).
Entscheidend seien nicht die subjektiven Erwartungen des Steuerpflichtigen, sondern die am Bilanzstichtag vorliegenden und objektiv erkennbaren Tatsachen. Eine allgemeine Erfahrung, dass bei einer Betriebsprüfung auch mit Steuernachforderungen zu rechnen sei, rechtfertige die Rückstellung noch nicht. Hierzu sei die Beanstandung einer bestimmten Sachbehandlung durch den Prüfer notwendig (sog. aufdeckungsorientierte Maßnahme). Hiernach sei erst im Jahre 2005 eine Rückstellung wegen Mehrsteuern zu bilden.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Akten des Finanzamts und des Finanzgerichts und die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Bezug genommen. In dem vom Finanzamt B beantragten Strafbefehl wurden - entgegen dem Ermittlungsbericht - Rückstellungen für Mehr-Steuern im Jahre 2005 gebildet; hierdurch entfiel der Steuerhinterziehungsvorwurf für 2005.
Mit Verfügung vom 23.09.2009 hat das Finanzamt AdV gewährt.
Gründe
Die Klage hat Erfolg.
Das FA hat zu Unrecht die Mehrsteuern aufgrund der Außenprüfung nicht in den Streitjahren berücksichtigt (§ 4 Abs. 2 EStG).
Der Steuerpflichtige darf die Vermögensübersicht (Bilanz) auch nach ihrer Einreichung beim Finanzamt ändern, soweit sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Befolgung der Vorschriften dieses Gesetzes nicht entspricht; diese Änderung ist nicht zulässig, wenn die Vermögensübersicht (Bilanz) einer Steuerfestsetzung zugrunde liegt, die nicht mehr aufgehoben oder geändert werden kann.
Darüber hinaus ist eine Änderung der Vermögensübersicht (Bilanz) nur zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Änderung nach Satz 1 steht und soweit die Auswirkung der Änderung nach Satz 1 auf den Gewinn reicht (§ 4 Abs. 2 EStG). Ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht jedenfalls dann, wenn sich beide Vorgänge auf dieselbe Bilanz beziehen und die Änderung der Bilanz unverzüglich nach der Bilanzberichtigung begehrt wird (BFH-Urteil vom 17.07.2008 I R 85/07, BStBl II 2008, 924 im Anschluss an BFH-Urteil vom 31. Mai 2007 IV R 54/05, BStBl II 2008, 665 mit Hinweisen zur zeitlichen Anwendung).
Eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung kann umfassend geändert werden (§ 164 Abs. 2 AO).
a) Eine Bilanzberichtigung liegt auch vor, wenn sich die Gewinnänderung auf die Nicht- oder fehlerhafte Verbuchung von Entnahmen und Einlagen bezieht, weil hierdurch das Eigenkapital in der Bilanz verändert wird (BFH-Urteil vom 31.05.2007 IV R 54/05, BStBl II 2008, 665, 668 l.Sp. und nachfolgend Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 13.08.2008, BStBl I 2008, 845).
Ein Veranlagungsbeamter muss im Zuge der Bearbeitung der Steuererklärung vor Erlass eines Steuerbescheids Umstände, die eine Erhöhung des erklärten Bilanzgewinns nach sich ziehen, eine daraus folgende Erhöhung der Gewerbesteuer berücksichtigen (BFH Urteil vom 03.12.1969 I R 107/ 69, BStBl II 1970, 229). Der BFH sah in dem Unterlassen einen Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GOB), die auch das Finanzamt und das Finanzgericht beachten müssen.
Abziehbare Steuern sind grundsätzlich dem Jahr zu belasten, zu dem sie wirtschaftlich gehören, dies gilt auch für die Berücksichtigung von Mehrsteuern infolge von Außenprüfungen (vgl. bis 2001 EStR R 20, unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 19.12.1961,BStBl III 1962, 64 und zur Rückstellung für künftige Steuernachforderungen BFH-Urteil vom 13. 01.1966,BStBl III 1966, 189; vgl. auch BFH-Urteile vom 10.8.1961 IV 117/58 U, BStBl III 1961, 534, 18.07.1973 I R 11/73, BStBl II 1973, 86 und vom 17.07.2008 I R 85/07, BStBl II 2008, 924).
Ab 2002 wurden die EStR zu H 20 wie folgt ergänzt: „Eine Rückstellung für Mehrsteuern aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung ist frühestens mit der Beanstandung einer bestimmten Sachverhaltsbehandlung durch den Prüfer zu bilden (BFH-Urteil vom 27.11.2001,BStBl II 2002, 731)”.
In den EStR 2003 zu H 20 wurde ergänzt: „Abzugsfähige Steuern sind grundsätzlich dem Jahr zu belasten, zu dem sie wirtschaftlich gehören. Daher ist bei einer Erhöhung des sich aus einer vorgelegten Bilanz ergebenden Gewinns die sich daraus folgende Erhöhung der Gewerbesteuer durch Bildung einer Gewerbesteuerrückstellung zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 03.12.1969, BStBl II 1970, 229).”
Zur Frage, ob die Bilanz richtig oder unrichtig ist, hat die Rechtsprechung meist auf den - subjektiven - Erkenntnisstand bei Aufstellung der Bilanz abgestellt. Der Steuerpflichtige hat danach die Mehrsteuern in dem Jahr des Entstehens zu passivieren, wenn er bei Aufstellung der Bilanz unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns mit der Entstehung der Mehrsteuern rechnen musste.
Die allgemeine Erfahrung, dass bei einer Betriebsprüfung mit Steuernachforderungen zu rechnen sei, rechtfertigt aber keine Rückstellung. War dem Kaufmann aber bei Aufstellung der Bilanz bekannt, dass er einen bestimmten Sachverhalt steuerrechtlich falsch behandelt hatte, so besteht objektiv die Pflicht, die Mehr-Betriebssteuern als Verbindlichkeit oder - wenn die Höhe ungewiss ist - als Rückstellung anzusetzen (BFH-Urteil vom 18.07.1973 I R 11/73, BStBl II 1973, 86).
Zum subjektiven Fehlerbegriff wird auf den BFH-Vorlagebeschluss zum Großen Senat vom 07.04.2010 I R 77/08, DStR 2010, 1015 verwiesen.
b) Im Nichtannahmebeschluss vom 13.02.2008 (I B 175/07, juris, nv) stellte der BFH fest, es sei nicht weiter klärungsbedürftig, dass eine Bilanz, die keine Rückstellungen für hinterzogene Steuern ausweise, nicht fehlerhaft sei, wenn die Steuerhinterziehung zum Zeitpunkt des Bilanzstichtages noch nicht aufgedeckt und auch noch nicht mit Ermittlungen begonnen worden sei. Eine Bilanzberichtigung komme daher nicht in Betracht. Eine Rückstellung zum Bilanzstichtag werde auch nicht nach Aufdeckung der Tat möglich. Denn die nach dem Bilanzstichtag gewonnene Kenntnis des Finanzamts sei nicht als wertaufhellender Umstand zu werten, der auf den Bilanzstichtag zurückwirke. Vielmehr seien die Kenntnis des FA und die hierdurch entstandene Gefahr einer Inanspruchnahme erst in der Bilanz desjenigen Jahres zu berücksichtigen, in dem die Tat entdeckt werde.
Der Beschluss verweist allein auf das BFH-Urteil vom 27.11.2001(VIII R 36/00, BStBl II 2002, 731), das die Entstehung eines Gewinns nach § 17 Abs. 4 EStG bei konkursfreier Liquidation einer Kapitalgesellschaft betrifft; streitig war insbesondere der Zeitpunkt, zu dem die Kapitalgesellschaft zur Bildung einer Rückstellung für hinterzogene Steuern verpflichtet gewesen war.
In dieser Entscheidung zitiert der BFH drei frühere Urteile mit folgenden Leitsätzen:
aa) Die allgemeine Erfahrung, dass bei einer Betriebsprüfung mit Steuernachforderungen zu rechnen ist, rechtfertigt eine solche Rückstellung noch nicht (BFH-Urteil vom 13.01.1966 IV 51/62, BStBl III 1966, 189, ständige Rechtsprechung).
bb) Rückstellungen für die öffentlich rechtliche Verpflichtung zur Beseitigung von Umweltschäden (hier: Altlastensanierung) sind erst zu bilden, wenn die verpflichtungsbegründenden Tatsachen den Fachbehörden bekannt seien bzw. deren Aufdeckung unmittelbar bevorstehe (BFH-Urteil vom 19.10.1993 VIII R 14/92, BStBl II 1993, 891).
cc) Hinterzogene Lohnsteuer ist vom Arbeitgeber in dem Zeitpunkt zurückzustellen, in dem er mit seiner Haftungsinanspruchnahme ernsthaft rechnen muss. Das ist frühestens mit der Beanstandung einer bestimmten Sachbehandlung durch den Prüfer anzunehmen (sog. aufdeckungsorientierte Maßnahme, vgl. BFH-Urteil vom 16.02.1996 I R 73/95, BStBl II 1996, 592).
Der BFH führte dazu aus, es sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das FG der überwiegenden Literaturmeinung folgend die Nachzahlung hinterzogener Steuern erst mit Beginn aufdeckungsorientierter Maßnahmen für wahrscheinlich hält (Hinweis auf: Lambrecht in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 5 D 307 u.a.).
Er sehe insoweit keinen Widerspruch zur o.g. Entscheidung vom 18. Juli 1973 (I R 11/73), als dort ausdrücklich ausgeführt werde, „dass der Steuerpflichtige die Mehrsteuern in dem Jahr des Entstehens zu passivieren hat, wenn er bei Aufstellung der Bilanz unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns mit der Entstehung der Mehrsteuern rechnen muss”.
In der Sache verneinte der BFH - im Streitjahr 1991- eine sog. aufdeckungsorientierte Maßnahme durch die Steuerfahndungsprüfung, die 1990 begonnen und erst 1995 abgeschlossen wurde und deren Ergebnisse auch erst nach mehreren Besprechungen im Jahre 1996 zu einer Steuerfestsetzung führten.
In einer neuen Entscheidung vom 03.02.2010 hat der BFH ausdrücklich auf sein Urteil vom 18. Juli 1973 I R 11/73 Bezug genommen und wiederholt, dass der Steuerpflichtige Mehrsteuern zu passivieren habe, wenn er bei Aufstellung der Bilanz unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns konkret mit der Entstehung der Mehrsteuern rechnen müsse. Im entschiedenen Fall folgte daraus, dass die von der Klägerin gebildeten Gewerbesteuer-Rückstellungen dem Grunde und der Höhe nach bei der steuerlichen Einkünfteermittlung beizubehalten waren, „auch soweit sie tatsächlich die einkünfteerhöhenden Umstände der Änderungsbescheide vorweggenommen haben sollten” (BFH-Urteil vom 03.02.2010 I R 21/06, BFH/NV 2010, 1184).
Im Streitfall ist nach der Rechtsauffassung des Senats der Kläger berechtigt, seine Bilanz durch den Ausweis von Verbindlichkeiten für USt und GewSt zu berichtigen, weil die Prüferbilanzen unrichtig sind.
a) Der Senat ist der Auffassung, dass § 4 Abs. 2 S. 1 EStG die objektive Richtigkeit der Bilanz bezweckt, die der Steuerveranlagung zu Grunde gelegt wird; gleich ob im Rahmen einer Erstveranlagung oder bei einer Bescheidänderung.
Hiernach sind die Prüferbilanzen, die den Änderungsbescheiden zu Grunde gelegt werden insoweit unrichtig, als von den erhöhten Gewinnen nicht die hierdurch kraft Gesetzes entstehenden Mehr-Betriebssteuern abgesetzt werden; jedenfalls dann, wenn hierüber geänderte Steuerbescheide für Umsatzsteuer und Gewerbesteuer vorliegen.
aa) Die o.g. Verweisung des BFH (in I B 175/07) auf die bei Bilanzerstellung angebliche subjektive Richtigkeit erscheint formalistisch. Geht man davon aus, dass der Kläger bei Bilanzerstellung mit Hinterziehungsabsicht gehandelt hat, ist die Bilanz gleichwohl unrichtig, und zwar auch hinsichtlich der zu gering berechneten Steuerrückstellungen. Die Behauptung, eine Wertaufhellung könne einem Steuerhinterzieher nicht zugute kommen, unterlegt § 4 Abs. 2 EStG einen Strafcharakter, der dem Gesetz nicht zu entnehmen ist (vgl. Weber-Grellet in Kirchhof /Söhn /Mellinghoff Kommentar zum EStG § 4 C 227)
bb) Der Senat kann keine Kriterien für eine unterschiedliche Behandlung von Mehrsteuern in Folge von Steuerhinterziehungen gegenüber den „üblichen” Mehrsteuern infolge von Betriebsprüfungen erkennen. Er hält sie dogmatisch nicht für gerechtfertigt und in der Praxis für nicht praktikabel.
Wegen der allgemein üblichen Verrechnung von Mehrsteuern im Jahr der Gewinnerhöhung durch die Betriebsprüfung wird auf die o.g. EStR R 20 bzw. R 4.9 und den Tatbestand des BFH-Urteils vom 17.07.2008 (I R 85/07, BStBl II 2008, 924 vgl. unstreitiger Sachverhalt S. 925 li. Sp. o.) verwiesen, in dem - ohne weitere Begründung - eine teilweise Neutralisierung der Mehrgewinne durch Steuerrückstellungen stattgefunden hat; streitig war nur noch die völlige Kompensation der Mehrgewinne, die teilweise durch Steuerhinterziehungen ausgelöst worden waren.
cc) Aus den im BFH-Beschluss vom 27.11.2001 (VIII R 36/00, BStBl II 2002, 731) zitierten Entscheidungen kann der Senat hingegen keine ständige Rechtsprechung erkennen, die die Problematik der Passivierung hinterzogener Betriebssteuern in berichtigten Bilanzen behandelt. Es ist vielmehr die Erste, die sich mit der Frage der Rückstellung von Mehrsteuern infolge von Fahndungsmaßnahmen befasst, was dann zur Änderung der EStR 2002 (R 20) führte.
dd) Im Streitfall geht es weder um Rückstellungen für theoretisch mögliche Mehrsteuern bei der Aufstellung der Bilanz, noch um die Problematik der zeitlichen Zuordnung von Altlastenrückstellungen oder die mögliche Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für Lohnsteuern.
Insbesondere liegen im Streitfall bereits Steuerbescheide hinsichtlich der Mehrsteuern vor.
Wie sich aus den Tatbeständen der oben genannten Urteile ergibt, ist die zeitliche Bestimmung der „aufdeckungsorientierten Maßnahme” durch einen Fahndungsprüfer problematisch, wenn die Fahndungsprüfung keine klaren und eindeutigen Feststellungen ergeben hat.
Nach der Erfahrung des Senats erfolgt nicht selten - wie im Streitfall – zur Abkürzung der Verfahrensdauer eine Einigung zwischen den Beteiligten durch eine Hinzuschätzung von Umsätzen, welche dann auch dem folgenden Strafbefehlsverfahren zugrundegelegt werden. Wenn schon an der Eindeutigkeit der Feststellungen der Fahndungsprüfung Zweifel bestehen, so ist eine zeitliche Zuordnung bei mehrjähriger Prüfungsdauer nicht mehr möglich. Hierdurch wird auch ein effektiver Rechtsschutz für den Steuerpflichtigen erschwert, weil er nicht erkennen kann, in welchem Jahr - abhängig von dem Verlauf der Fahndungsprüfung - die Mehrsteuern passiviert werden müssen.
Dies unterstreicht der Vortrag des Klägervertreters, die Steuerfahndungsprüfung habe keine über die vorhergehende Betriebsprüfung hinausgehenden Erkenntnisse erbracht; es sei vielmehr zuletzt die gleiche Schätzung - wie vom Betriebsprüfer ermittelt - der abschließenden Einigung zu Grunde gelegt worden. Bereits in der Prüfungsanordnung war durch die Gegenüberstellung von Umsatz und Gewinn der Anlass und Grund für die Zuschätzung sichtbar. In solchen Fällen, erweist sich das Abgrenzungskriterium der „aufdeckungsorientierten Maßnahme” als ungeeignet.
Aufgrund der genannten Rechtsprechung des BFH kann das Finanzgericht nicht erkennen, welche Feststellungen es hinsichtlich des subjektiven und objektiven Tatbestands der Steuerhinterziehung treffen muss oder wie es den Grad der Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung der Steuerhinterziehung beurteilen soll, um den Zeitpunkt der Rückstellung für Mehrsteuern zu bestimmen.
Der Streitfall zeigt auch die in der Praxis auftretenden Manipulationsversuche in verschiedener Richtung.
So hat der Ermittlungsbericht zunächst die Mehrsteuern an Umsatzsteuer und Gewerbesteuer in den Streitjahren gewinnmindernd berücksichtigt, weil dies für die Strafzumessung von Bedeutung ist. Im Bericht über die Steuerfahndungsprüfung erfasste der Prüfer dann die gesamten Mehrergebnisse im letzten Prüfungszeitraum 2005. Zuletzt im Strafbefehlsentwurf wurde dann entgegen dem Ermittlungsbericht an dieser steuerlichen Zuordnung festgehalten, weil hiermit die Einkommensteuer auf null reduziert wurde (ESt-Bescheid vom 22.02.2008), was den Schuldvorwurf der Steuerhinterziehung für 2005 beseitigte.
Diese Unklarheiten werden durch die Auffassung des Senats vermieden.
b) Die Klage ist aber auch unter der Annahme der Richtigkeit der Prüferbilanz i.S. des o.g. BFH-Beschlusses vom 13.02.2008 begründet. Denn der Kläger wäre berechtigt, auch eine richtige Bilanz nach § 4 Abs. 2 S. 2 EStG zu ändern (BFH-Urteil vom 16.12.2009 I R 43/08, BFH/NV 2010, 552).
Im Streitfall bestand ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit der Berichtigung der Bilanz durch das FA und die Änderung der Bilanz wurde unverzüglich nach der Bilanzberichtigung begehrt (BFH-Urteile vom 17.07.2008 I R 85/07, BStBl II 2008, 924 und vom 31. Mai 2007 IV R 54/05, BStBl II 2008, 665).
Der Zusammenhang einer Bilanzänderung mit einer Bilanzberichtigung liegt auch dann vor, wenn sich die Gewinnänderung im Rahmen der Bilanzberichtigung aus der Nicht- oder der fehlerhaften Verbuchung von Entnahmen und Einlagen ergibt (BFH-Urteil vom 31.05.2007 IV R 54/05, BStBl II 2008, 665 entgegen Schreiben des BMF vom 18. Mai 2000,BStBl I 2000, 587).
Mit Schreiben vom 13.08.2008 (BStBl I 2008, 845) folgte das BMF dieser Auffassung, nachdem es in einer Stellungnahme zu dem Verfahren noch ausgeführt hatte (vgl. BStBl II 2008, 666 rechte Spalte).
„Im Streitfall hätten die Gewinnerhöhungen nach der Betriebsprüfung nur auf einer Erhöhung der Privatentnahmen und der Minderung der Einlagen des Klägers beruht. Die Bilanz sei daher richtig. Für eine Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG sei mithin kein Raum. Die Gegenmeinung missachte den Zweck der Bilanzberichtigung, der ausschließlich darin bestehe, eine Korrektur falscher Bilanzansätze zu ermöglichen und damit sicherzustellen, dass die der Besteuerung zugrunde gelegte Bilanz richtig sei. Demgegenüber solle dem Steuerpflichtigen kein Spielraum für Bilanzänderungen eingeräumt werden, um Steuernachzahlungen infolge von Betriebsprüfungen zu vermeiden.”
Dem ist der BFH nicht gefolgt.
c) Im Streitfall wurden die Steuerfestsetzungen nach § 164 Abs. 2 AO geändert und stehen damit Bilanzänderungen nicht entgegen (§4 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. EStG).
Die angefochtenen Bescheide werden gem. § 100 Abs. 2 FGO geändert:
a) Gewerbesteuer-Messbeträge | 2001 | 2003 |
Lt. Änderungsbescheiden vom 26.2.2008 | DM | Euro |
Gewinn aus Gewerbebetrieb | 108.900 | 88.800 |
Freibetrag § 11 | - 48.000 | -24.500 |
Kürzung lt. Urteil Abzug für Mehrsteuern: USt | - 6.903 | 7.962 |
GewSt | - 3.540 | - 5.900 |
Verbleibt lt. Urteil | 50.400 | 51.200 |
Steuermessbetrag | 404,94 € | 1.320 |
b) Einkommensteuer | ||
zu verst. Einkommen lt. Änderungsbescheiden vom 26.02.2008 | 102.937 | 74.340 |
Gewinnminderung lt. Urteil | - 10.443 | - 13.862 |
Zu versteuerndes Einkommen lt. Urteil | 92.494 | 60.478 |
ESt lt. Splittingtarif § 32a Abs. 5 EStG t. Urteil | 16.960 | 12.984 |
./. Ermäßigung nach § 35 Abs. Nr. 1 EStG: 1,8x GewStMB | - 1.426 | - 2.376 |
Erhöhung Kindergeld 2 x 1.848 € | --- | 3.696 |
festzusetzende Einkommensteuer lt. Urteil | 7.942,41 € | 14.304 |
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen (§115 Nr. 1 FGO).
Die Kosten hat das - ganz überwiegend - unterlegene FA zu tragen (§135 Abs. 1, 136 Abs. 1 S. 3 FGO).