02.11.2010
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 08.12.2009 – 5 K 3308/05 B
Dulden die tatsächlich berechtigten Schwestern über einen Zeitraum von mehreren Jahren, dass der nichtberechtigte Bruder über das von den Eltern vorgeblich geschenkte Kapitalvermögen wie ein Eigentümer verfügt (hier: Anlage auf eigenen Konten oder Konten der Eltern mit unbeschränkter Vollmacht, Einbringung des Gesamtvermögens in liechtensteinische Stiftungen, Verteidigung gegen das Herausgabeverlangen der Schwestern im zivilrechtlichen Verfahren mit dem Einwand der Schenkung), ist von einem Eigenbesitz i. S. wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 AO auszugehen (hier: nach Rückzahlung der Eigenheimzulage und Zurechnung von Kapitaleinkünften Einwand eines Treuhandverhältnisses im steuerlichen Verfahren, welches im Widerspruch zur Schenkungseinrede im zivilrechtlichen Verfahren steht).
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 5. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 8. Dezember 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, die Richterin am Finanzgericht …, den Richter am Verwaltungsgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter Frau … und Herr …
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Eltern des Klägers verfügten über ein größtenteils unversteuertes Kapitalvermögen, das auf Konten in der Schweiz angelegt war. Im Juli 1993 übertrugen die Eltern des Klägers die ihnen gemeinsam zustehenden Konten zunächst auf Frau A, geb. …, die Schwester des Klägers. Im Dezember 1993 wurden die Konten infolge familiärer Zwistigkeiten teilweise auf die Mutter des Klägers zurückübertragen, die dem Kläger unbeschränkte Vollmachten einräumte, im Übrigen wurde das Vermögen auf Konten übertragen, die auf den Kläger lauteten. Ausweislich einer notariell beurkundeten Vereinbarung zwischen dem Kläger und seiner Mutter vom 19.02.2001 geschah dies alles im Wege einer Schenkung. Der Kläger ging davon aus, dass das gesamte elterliche Vermögen endgültig auf ihn habe übergehen sollen. In den von ihm für die Streitjahre eingereichten Einkommensteuererklärungen gab er lediglich geringfügige Einkünfte aus Kapitalvermögen an.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 23.5.1996 (Bl. 1 ff. der Eigenheimzulageakte) erwarb der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau eine Eigentumswohnung in dem Anwesen M-Straße zu einem Kaufpreis von 250.000 DM, der zum 30. Juni 1996 fällig wurde. Auf den Antrag des Klägers und seiner Ehefrau hin setzte der Beklagte mit Bescheid vom 23.2.1998 die Eigenheimzulage für die Jahre 1996 bis 2003 auf jährlich 5.500 DM fest.
Nachdem der Vater des Klägers am 3.12.1998 verstorben war, brachte der Kläger im Jahr 1999 das gesamte auf den Schweizer Konten angelegte Vermögen in mehrere liechtensteinische Stiftungen (T-Stiftung, U-Stiftung, V-Stiftung, W-Stiftung sowie X-Stiftung (ein.
In der Folge entstand zwischen dem Kläger und seinen Schwestern, Frau A und Frau B, Streit darüber, ob das schweizerische Vermögen in das Erbe nach dem Vater nach falle oder nicht. Mit gemeinschaftlichem Erbschein vom 12.1.2000 stellte das Amtsgericht O fest, dass der Nachlass nach dem Verstorbenen zur Hälfte der Mutter des Klägers und zu je einem Sechstel dem Kläger und seinen Schwestern zustehe. Nachdem der Kläger sich geweigert hatte, die gegen ihn gerichteten Zahlungsansprüche seiner Schwestern zu befriedigen, erhoben diese vor dem Landgericht N Klage, mit der sie die Offenlegung des Nachlasses durch den Kläger verlangten. In diesem Verfahren verteidigte sich der Kläger mit dem Vorbringen, das Vermögen sei ihm schenkweise übertragen worden.
Bereits am 6.6.2000 hatte das Finanzamt P ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung der Erbschaftssteuer eingeleitet. Nach Auswertung der verfügbaren Kontobelege stellte das Finanzamt P zusammenfassend u.a. fest, dass dem Kläger in den Jahren 1995 und 1996 folgende – nicht erklärten – Einnahmen aus Kapitalvermögen zugeflossen waren:
1995 | 550.656 DM |
1996 | 595.135 DM |
Mit Bescheid vom 24.5.2002 hob der Beklagte die Festsetzung der Eigenheimzulage ab 1996 auf (Bl. 45 der Eigenheimzulagenakte). Zur Begründung führte er aus, dass die Festsetzung aufzuheben gewesen sei, weil der Gesamtbetrag der Einkünfte im Jahr der Antragstellung sowie des Vorjahres die maßgebliche Einkunftsgrenze nach § 5 Eigenheimzulagengesetz – EigZulG – überstiegen habe.
Seinen hiergegen gerichteten Einspruch vom 3.6.2002 begründete der Kläger damit, dass der Beklagte von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Entscheidung vom 31.10.2005 als unbegründet zurück. Nach § 11 EigZulG sei die Festsetzung der Eigenheimzulage aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt werde, dass der Gesamtbetrag der Einkünfte in den nach § 5 EigZulG maßgebenden Jahren insgesamt die Einkunftsgrenzen über- oder unterschritten habe. Dies sei hier, wie sich aus den geänderten Einkommensteuerbescheiden für 1995 und 1996 ergebe, der Fall.
Mit seiner am 29.11.2005 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er macht im Wesentlichen geltend, dass ihm die auf die Schweizer Konten entfallenden Kapitaleinkünfte nicht zugerechnet werden könnten, da die bisher mit der Sache befassten Gerichte ganz überwiegend zu der Auffassung gelangt seien, dass eine Schenkung nicht erfolgt sei. Zudem sei das ursprüngliche Vermögen untergegangen oder stehe nicht mehr in seiner Verfügungsgewalt. Entgegen der Wertung des Beklagten sei davon auszugehen, dass er, der Kläger, das Vermögen treuhänderisch verwaltet habe. Infolgedessen seien die Einkünfte aus dem in der Schweiz angelegten Vermögen seinen Eltern als Treugebern zuzurechnen. Ein unerlaubter Eigenbesitz solle nur dann zu wirtschaftlichem Eigentum führen, wenn dem nach Maßgabe des Privatrechts Berechtigten ein Herausgabeanspruch nicht zustehe. Im Ergebnis sei es seiner Mutter und seinen Schwestern gelungen, Herausgabeansprüche durchzusetzen. Auch die Erbschaftsteuerstelle des Finanzamtes Q gehe davon aus, dass das fragliche Vermögen dem Vater des Klägers bis zu seinem Ableben anteilig zugestanden habe. Mittlerweile habe das Finanzamt Q die Schenkungsteuer auf null ermäßigt. Dem Beklagten könne nicht darin gefolgt werden, dass er, der Kläger, das Vermögen veruntreut habe. Die Übertragung des Vermögens durch die Eltern auf seine Konten sei mit deren Wissen und Wollen erfolgt. Im Sinne der Einheit der Rechtsordnung müsse der Beklagte wie die Zivilgerichte davon ausgehen, dass er Treuhänder gewesen sei. Es könne nicht angehen, dass er zwar zivilrechtlich nicht als Inhaber des Vermögens angesehen werde, aber gleichwohl die Erträge versteuern solle, obwohl ihm das dazugehörige Vermögen nicht zur Verfügung stehe. Neben ihm, dem Kläger, hätten im Übrigen auch weitere Personen Verfügungsbefugnis gehabt. Zudem seien auch die Lebensunterhaltungskosten seiner Eltern ganz überwiegend aus dem Auslandsvermögen bestritten worden. Aus den Erklärungen der Schweizer Bankangestellten könne entnommen werden, dass seine Mutter bei allen Anlagegeschäften die maßgebende Person gewesen sei. Von daher gehe der Beklagte zu Unrecht davon aus, dass er, der Kläger, stets von einer Schenkung ausgegangen sei.
Der Kläger beantragt,
den Aufhebungsbescheid vom 24.5.2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.10.2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, der Kläger verkenne, dass es unerheblich sei, ob er das Vermögen durch Schenkung oder durch Erbschaft erlangt habe. Maßgebend sei nur die tatsächliche Verfügungsmacht. Die erbschaftsteuerrechtliche Beurteilung sei für die einkommensteuerrechtliche Bewertung unbeachtlich, da sie an zivilrechtliche Grundsätze anknüpfe.
Dem Gericht haben neben der Verfahrensakte sowie der Gerichtsakte zum Verfahren 5 K 3307/05 B ein Band Eigenheimzulageakten, zwei Bände Einkommensteuerakten (Bd. IV und Bd. V) des Beklagten sowie die Handakte des Finanzamts P (blattiert bis Bl. 277) vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheide ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Zu Recht hat der Beklagte den Bescheid über Eigenheimzulage ab 1996 vom 23.2.1998 aufgehoben. Nach § 11 Abs. 4 EigZulG ist die Festsetzung der Eigenheimzulage aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass der Gesamtbetrag der Einkünfte in den nach § 5 EigZulG maßgebenden Jahren insgesamt die Einkunftsgrenzen überschritten hat. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Der Kläger hat 1995 und 1996 von ihm nicht erklärte Einnahmen aus Kapitalvermögen nach § 8 Abs. 1 i.V.m. § 20 Einkommensteuergesetz – EStG – in Höhe von 550.656 DM (1995) und 595.135 DM (1996) erzielt und damit jedenfalls die Einkunftsgrenze von 480.000 DM überschritten. Denn das Guthaben, das sich seit Dezember 1993 auf den in dem Aktenvermerk der Steuerfahndungsstelle vom 11.1.2002 (Bl. 160 ff. der Handakte des Finanzamts P) aufgeführten und auf den Kläger sowie die Mutter des Klägers lautenden Konten befand, ist dem Kläger zuzurechnen, da dieser insoweit wirtschaftliches Eigentum im Sinne von § 39 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) 1977 inne hatte.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann ihm das genannte Vermögen nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO 1977 als Eigenbesitzer zugerechnet werden. Eigenbesitz i.S. von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO 1977 setzt neben der objektiven Herrschaftsmacht als subjektives Merkmal den Herrschaftswillen voraus, das Wirtschaftsgut wie ein Eigentümer zu besitzen (BFH, Urteil vom 26. Juli 2001 – VI R 122/98, BFHE 196, 165, BStBl II 2001, 844). Der in § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO 1977 erwähnte, aus § 11 Nr. 4 des Steueranpassungsgesetzes – StAnpG – übernommene Zurechnungstatbestand des Eigenbesitzes ist Ausdruck des Rechtsgedankens, dass ein anderer als der rechtliche Eigentümer wirtschaftlicher Eigentümer ist, wenn er die wirtschaftliche Herrschaft ausübt, deren gewöhnlicher Ausdruck das Eigentum ist (BFH, Urteil vom 12.04.2000 – X R 20/99, BFH/NV 2001, 9; Fischer in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 39 AO 1977 Rz. 225 ff.).
An der objektiven Sachherrschaft des Klägers bestehen keine Zweifel. Die fraglichen Konten lauteten entweder auf seinen Namen oder es war ihm, soweit dies nicht der Fall war, von der Berechtigten eine unbeschränkte Vollmacht eingeräumt. Gestützt wird die Annahme der Sachherrschaft ferner dadurch, dass der Kläger im Jahre 1999 alle auf den Konten vorhandenen Vermögenswerte in liechtensteinische Stiftungen einbrachte.
Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger in den Streitjahren auch einen entsprechenden Herrschaftswillen hatte. Insoweit hat er in seiner Klageschrift selbst ausgeführt, dass er das Anlagevermögen als ihm geschenkt angesehen habe. Darüber hinaus hat der Kläger sich in den von seinen Schwestern gegen ihn geführten zivilgerichtlichen Verfahren stets mit dem Einwand verteidigt, das Vermögen sei ihm schenkweise übertragen worden. Dem entspricht es, dass der Kläger eine notariell beurkundete Vereinbarung zwischen ihm und seiner Mutter aus dem Jahre 2001 vorgelegt hat, die ihn als Begünstigten einer entsprechenden Schenkung seiner Eltern ausweist.
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung durch seinen Bevollmächtigten erstmalig hat ausführen lassen, er sei keineswegs davon ausgegangen, dass ihm das Vermögen zugestanden habe, erweist sich dies mit Blick auf das gegenteilige Vorbringen in der Klageschrift als Schutzbehauptung. Entgegen der Ansicht des Klägers findet sein geändertes Vorbringen auch keine Stütze in den Einlassungen der Bankangestellten C, D und E, die diese im Zuge der Ermittlungen der schweizerischen Bezirksanwaltschaft K abgegeben haben. Abgesehen davon, dass diese in einem erheblichen zeitlichen Abstand zu den hier in Rede stehenden Zeiträumen gemacht worden sind und ihnen von daher nur begrenzte Aussagekraft zukommen dürfte, lässt sich ihnen gerade nicht entnehmen, dass der Kläger die seinerzeit auf den Konten der Bank Y angelegten Gelder nicht als eigene betrachtet hat. Die Behauptung, dass die Mutter des Klägers stets die maßgeblichen Entscheidungen über die Anlagestrategie getroffen habe, wird durch die Aussageprotokolle der Bezirksanwaltschaft K nicht gestützt. So hat Herr D, der das Depot Nr. 1xxx betreute, zwar ausgesagt, dass zwar eher die Mutter gesagt habe, was zu geschehen habe, dabei sei aber der Kläger stets mit einbezogen worden. Mit Blick darauf, dass der Kläger ausweislich der Feststellungen der Steuerfahndung seit dem 17.12.1993 als Inhaber des Kontos geführt wurde, kann folglich dessen Herrschaftswille nicht zweifelhaft sein. Herr E hat zwar angegeben, dass in der Regel lediglich die Eltern zu ihm nach K gekommen seien und der Kläger sie lediglich einige Male begleitet habe. Dem kommt aber entscheidendes Gewicht schon deshalb nicht zu, weil sich diese Angaben im Wesentlichen nur auf den Zeitraum von 1985 bis 1994 beziehen, als Herr E die Filiale der Bank Y in K leitete. Sie stehen im Übrigen auch im Widerspruch zu der Aussage des in der Zeit vom 1.8.1995 bis zum 1.12.1998 am Hauptsitz der Bank Y in K tätigen Herrn C, der erklärt hat, dass in erster Linie der Kläger dort vorstellig geworden sei und die Entscheidungen über die Verwendung des Geldes getroffen habe. Hinzu kommt, dass aus dem bloßen Umstand, dass der Kläger nicht immer mit nach K gereist ist, nicht geschlossen werden kann, dass er keinen Herrschaftswillen hatte. Dies gilt auch für das weitere Vorbringen, dass der Kläger die Vermögenserträge nur zu einem geringen Teil von den Konten abgehoben habe und diese seinen Eltern habe zukommen lassen. Abgesehen davon, dass der Kläger einen Nachweis für diese Behauptung nicht vorgelegt hat, spricht alles für die Annahme, dass er einen Teil des ihm nach seinen Angaben geschenkten Vermögens aus Dankbarkeit seinen Eltern schenkweise zugewandt hat.
Soweit der Kläger schließlich unter Hinweis auf die zivilgerichtlichen Urteile vorträgt, er sei in Wirklichkeit nur Treuhänder gewesen, steht dies ebenfalls im Widerspruch zu seinem früheren Vorbringen, er sei von einer Schenkung ausgegangen. Zudem hat der Kläger einen Nachweis für das Vorliegen eines Treuhandverhältnisses nicht erbracht. Dies geht nach den Regeln der Darlegungslast zu seinen Lasten.
Die Behauptung des Klägers, die Gelder seien ihm erst im Dezember 1993 zugeflossen, ist unbeachtlich. Der Kläger hat weder behauptet noch ist sonst ersichtlich, dass seine Eltern oder seine Schwester die im Jahr 1993 erzielten Kapitalerträge schon vor Übertragung des Vermögens auf seine Konten Nr. 1xxx und Nr. 2xxx abgehoben hätten. Von daher ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte dem Kläger die entsprechenden Kapitaleinkünfte für das gesamte Jahr zugerechnet hat.
Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, dass ein unerlaubter Eigenbesitz nur dann zu wirtschaftlichem Eigentum führe, wenn dem nach Maßgabe des Privatrechts Berechtigten ein Herausgabeanspruch nicht zustehe. Zwar hat der BFH in seinen Urteilen vom 14.6.2004 (III R 50/01, BStBl 2005, 80) und vom 29.4.2008 (VIII R 98/04, BStBl. 2008, 749) ausgeführt, dass das Tatbestandsmerkmal des Eigenbesitzes praktisch nur von Bedeutung sei bei durch Diebstahl oder Unterschlagung „unwiederbringlich” erlangten Wirtschaftsgütern. Insoweit handelt es sich indessen schon nicht um eine die Entscheidungen des BFH tragende Erwägung, weil diese die Frage betrafen, ob das Innehaben eines Wirtschaftsgutes aufgrund eines bloßen Nutzungsrechts als Eigenbesitz anzusehen ist. Darüber hinaus vermag die Annahme eines solchen einschränkenden Erfordernisses den Senat auch nicht zu überzeugen. Der BFH hat seine obiter dicta allein mit einem Hinweis auf die Kommentierung von Fischer (a.a.O., § 39 AO 1977 Rz. 230 ff.) begründet, der seinerseits nur auf eine ältere Entscheidung des Reichsfinanzhofs (Urteil vom 11.3.1923 – III A 475/22, StUW 1923 Nr. 346) sowie eine diese Entscheidung wiedergebende Kommentierung zur Reichsabgabenordnung (Becker, RAO, 7. Aufl. 1930, § 80 Anm. 1) verweist. Der Entscheidung des RFH, in der ein Eigenbesitz im Falle einer voraussichtlich vorübergehenden Besetzung eines Gutes durch polnische Soldaten verneint worden ist, lässt sich aber, soweit sie in der genannten Fundstelle abgedruckt ist, eine Begründung ebenso wenig entnehmen. Gegen das Erfordernis einer „unwiederbringlichen” Erlangung spricht auch die Rechtsprechung des BFH zu § 11 Ziffer 4 StAnpG. Danach ist von einem Eigenbesitz auch dann auszugehen, wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb lediglich vorübergehend von einem Nichtberechtigten in dem gutem Glauben ausgeübt wird, dass dieser ihm als Eigentümer zustehe (Urteil vom 17.10.1958 – IV 188/57 U, BStBl III 1959,63). So aber liegt es nach dem oben Gesagten auch im Falle des Klägers. Ein durchschlagender Grund dafür, warum für die Annahme von Eigenbesitz der tatsächliche Eigentümer dauerhaft aus seiner Stellung verdrängt sein muss, ist im Übrigen nicht ersichtlich (so im Ergebnis auch Tipke/Kruse, AO, § 39 Rn 53; ebenso Becker/Riewald/Koch, RAO, Kommentar, 9. Aufl. § 11 StAnpG Anm. 3 c). Ein solches Verständnis führt vielmehr zu dem schwerlich tragbaren Ergebnis, dass die Besteuerung unter dem Vorbehalt stünde, ob der tatsächlich berechtigte Eigentümer den Vermögensgegenstand zurückfordert oder nicht. Von daher ist jedenfalls dann, wenn die tatsächlich Berechtigten es – wie hier – über einen Zeitraum von mehreren Jahren geduldet haben, dass ein Nichtberechtigter über ein Wirtschaftsgut wie ein Eigentümer verfügt, von einem Eigenbesitz im Sinne von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO 1977 auszugehen.
Es ist im Übrigen unerheblich, ob der Kläger gutgläubig davon ausging, Eigentümer zu sein, oder ob er das Vermögen veruntreut hat, weil auch der unredliche Besitzer unter den oben genannten Voraussetzungen wirtschaftlicher Eigentümer ist (zum Eigenbesitz des Diebes s. etwa BFH, Urteil vom 08.02.1957 – III 257/56 U, BStBl. 1957, 126).
Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Fall FGO wegen der möglichen Divergenz von den Urteilen des BFH vom 14.6.2004 und vom 29.4.2008 zugelassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 135 Abs.1, 151 Abs.1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung – ZPO –.