02.11.2010
Finanzgericht Münster: Urteil vom 28.04.2010 – 7 K 4114/09 Kg
Für Kinder, die auch nur für einzelne Monate im Kalenderjahr einen der Tatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllen, besteht ein Anspruch auf Kindergeld, sofern die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes in diesen Monaten den anteiligen Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht überschreiten. Einkünfte des Kindes in anderen Monaten, in denen das Kind keinen Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt, sind insoweit auch dann unbeachtlich, wenn die Gesamteinkünfte des Kindes im Kalenderjahr den Grenzbetrag übersteigen.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 7. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Ehrenamtlicher Richter … Ehrenamtlicher Richter … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 28.04.2010 für Recht erkannt:
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht Kindergeldfestsetzungen für die Monate Juli bis Dezember 2009 abgelehnt hat.
Die am xx.10.1986 geborene Tochter der Klägerin befand sich vom 01.09.2005 bis zum 31.08.2008 in einer Berufsausbildung zur xxx Nach Beendigung ihrer Ausbildung erhielt sie einen befristeten Arbeitsvertrag in der Werbeabteilung ihres Ausbildungsunternehmens. Während dieser Zeit bewarb sie sich für ein weiterführendes Studium an der Akademie X., von der sie Anfang Dezember 2008 die Bestätigung erhielt, dort ab dem 01.10.2009 studieren zu können. Im Kalenderjahr 2009 erzielte sie in der Zeit vom 01.01. bis zum 30.06.2009 einen Arbeitslohn in Höhe von 16.104,00 EUR, danach erhielt sie für 3 Monate ein Arbeitslosengeld in Höhe von 3.060,00 EUR.
Ab dem 01.10.2009 begann sie ihr Studium. Die Beklagte ermittelte die Einkünfte und Bezüge der Tochter für 2009 mit insgesamt rd. 13.500,00 EUR und lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Kindergeld ab. Mit dem dagegen eingelegten Einspruch beantragte die Klägerin für 2009 nur noch Kindergeld für die Monate Oktober bis Dezember. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.
Die Klägerin ist nunmehr der Meinung, dass ihr Kindergeld für ihre Tochter für die Zeit vom 01.07.2009 bis zum 31.12.2009 zu gewähren sei. So sei die Tochter für den Zeitraum der vollen Erwerbstätigkeit nicht als Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c EStG zu berücksichtigen. Für die Monate Juli bis Dezember 2009 habe sie, die Klägerin, dagegen Anspruch auf Kindergeld, da ihre Tochter in dieser Zeit keinem Vollzeiterwerb nachgegangen sei. Dabei habe sie in der Zeit vom 01. Juli 2009 bis zum 30. September 2009 eine Ausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen können. In der Zeit vom 01. Oktober 2009 bis zum 31.12.2009 habe sich ihre Tochter dann in der Berufsausbildung befunden.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 17.09.2009 und der Einspruchsentscheidung vom 15.10.2009 die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für die Tochter C. für den Zeitraum Juli 2009 bis Dezember 2009 festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Gründe ihrer Einspruchsentscheidung und ist der Auffassung, dass für die Prüfung, ob die Einkunftsgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten sei, auf die Gesamtbezüge des Kindes im Kalenderjahr 2009 abzustellen sei. Nach den Grundsätzen der Entscheidung des BFH vom 16.11.2006, III R 15/06, BStBl. II 2008, 56 habe die Tochter während des gesamten Kalenderjahres die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG erfüllt. Durch das Urteil sei klargestellt worden, dass entgegen der früheren Auffassung die Monate der Vollzeiterwerbstätigkeit nicht als Kürzungsmonate zu berücksichtigen seien. Der Gesamtbetrag der im Kalenderjahr erzielten Einkünfte und Bezüge ermittele sich mit rd. 12.300,00 EUR. Der Grenzbetrag von 7.680,00 EUR werde somit deutlich überschritten. Aus diesem Grunde bestehe entgegen der Auffassung der Klägerin kein Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter.
Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO)).
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zum Teil begründet.
Die Beklagte hat der Klägerin für die Monate Oktober bis Dezember 2009 zu Unrecht kein Kindergeld für ihre am xx.10.1986 geborene Tochter gewährt.
Nach § 63 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG wird ein Kind, welches das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, u. a. beim Kindergeldberechtigten berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird (Buchst. a), sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befindet (Buchst. b), eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (Buchst. c) oder bestimmte freiwillige Dienste leistet (Buchst. d) und wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhaltes oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind von nicht mehr als 7.680,00 EUR im Kalenderjahr hat (§ 32 Abs. 4 S. 2 EStG). Für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG an keinem Tag vorliegen, ermäßigt sich der Grenzbetrag um 1/12 (§ 32 Abs. 4 S. 7 EStG). Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf diese Kalendermonate entfallen, bleiben außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 S. 8 EStG).
Im Streitfall wurde die Tochter der Klägerin in den Monaten Januar bis September 2009 nicht für einen Beruf ausgebildet. Ihre Ausbildung zur xxx endete im August 2008. Ihr Studium begann sie erst im Oktober 2009.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Tochter nicht in den Monaten Januar bis Juni 2009 und entgegen der Auffassung der Beklagten und der Klägerin auch nicht für die Monate Juli bis September 2009 als Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen.
Die Regelungen in § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a, b, c und d EStG erfassen solche Zeiträume, während derer die Eltern typischerweise mit Unterhaltsaufwendungen für das Kind belastet sind. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG sind im Verhältnis zur Regelung über den Jahresgrenzbetrag in S. 2 in einem Regel-Ausnahmeverhältnis ausgestaltet. Wie der Gesetzesaufbau belegt, geht der Gesetzgeber davon aus, dass Kinder, die einen der Tatbestände des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG erfüllen, regelmäßig berücksichtigungsfähig sind; es sei denn, die Einkünfte und Bezüge des Kindes überschreiten den (ggf. anteiligen) Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG.
Soweit der BFH mit Urteil vom 16.11.2006 (Az. III R 15/06, BFHE 216, 74, BStBl. II 2008, 56), entschieden hat, ein Kind sei trotz einer Vollzeiterwerbstätigkeit zu berücksichtigen, erstreckt sich diese Entscheidung lediglich auf die Fälle, in denen in der angeführten Situation trotz der Vollzeiterwerbstätigkeit bedingt durch die Höhe der Einkünfte weiterhin eine Unterhaltssituation vorliegt und der Jahresgrenzbetrag im Sinne von § 32 Abs. 4 S. 2 EStG insgesamt nicht überschritten wird (vgl. Schmidt/ Loschelder EStG § 32 Rz 23 m.w.N.).
Der Gesetzgeber hat in § 32 Abs. 4 S. 6 und S. 7 EStG hinsichtlich der die Kindergeldberechtigung einschränkenden eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes und der sich daraus ergebenden Unterhaltsverpflichtung des Berechtigten ein striktes Monatsprinzip statuiert.
Die Tochter der Klägerin, die in der Zeit vom 01.01. bis zum 30.09.2009 eine Berufsausbildung mangels Studienplatzes nicht beginnen bzw. fortsetzen konnte, hatte in allen Monaten dieses Zeitraums Einkünfte und Bezüge über dem anteiligen Grenzbetrag von monatlich 640,00 EUR (1/12 von 7.680,00 EUR). Sie war daher in diesen Monaten nicht als Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen.
Nach dem Beginn ihres Studiums erfüllte die Tochter dagegen die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2 a EStG. Mangels ausreichender eigener Einkünfte und Bezüge der Tochter stand der Klägerin damit für die Zeit ab Oktober 2009 Kindergeld zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 S. 1 FGO.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).