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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 19.05.2009 – 2 K 863/07

    1. Der Erlass eine Rückforderungsbescheides nach § 37 Abs. 2 AO wegen zu Unrecht ausgezahlter Vorsteuerüberschüsse erfordert, dass nach materieller Rechtslage als auch aufgrund der ergangenen Steuerbescheide feststeht, dass das Umsatzsteuerguthaben für den jeweiligen Besteuerungszeitraum nicht bestanden hat, der Empfänger die Zahlungen also ohne Rechtsgrund erhalten hat.

    2. Sind die Umsatzsteueraufhebungsbescheide einer GmbH nicht wirksam bekannt gegeben (hier: Bestreiten des Zugangs, kein Empfangsnachweis, keine Anhaltspunkte für Zugang des Schriftstücks), besteht kein Rückforderungsanspruch des FA gegenüber der GmbH aus zu Unrecht erstatteter Umsatzsteuer gem. § 37 Abs. 2 AO.

    3. Damit scheidet auch eine Haftung des Geschäftsführers der GmbH für den Rückforderungsanspruch gem. § 69 AO i. V. m. § 34 AO aus.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 2. Senat unter Mitwirkung von Vizepräsidentin des Finanzgerichts …, Richter am Finanzgericht … und Richterin am Finanzgericht … sowie den ehrenamtlichen Richtern … und … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 19. Mai 2009 für Recht erkannt:

    1. Der Haftungsbescheid vom 11. Oktober 2006, zuletzt geändert am 28. März 2007, sowie die Einspruchsentscheidung vom 28. März 2007 werden aufgehoben.

    2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe vor der Vollstreckung leistet.

    Tatbestand

    Der Kläger ist seit dem 10. Juli 2003 Geschäftsführer der … GmbH (im Folgenden nur GmbH), die mit Gesellschaftsvertrag vom 1. Juni 2003 gegründet wurde. Gegenstand der Gesellschaft ist die Vermietung von Baugerüsten sowie der Alleinvertrieb von … Baugerüsten in ….

    Der Beklagte erließ am 18. Juni 2004 Bescheide über die Umsatzsteuervorauszahlung für die Monate Juli bis Oktober 2003 an die GmbH. Am 31. Mai 2005 erging der Umsatzsteuerbescheid 2003, die Umsatzsteuer 2003 setzte der Beklagte auf ./. EUR 4.200 fest. Nachdem der Beklagte bereits Vorsteuern in Höhe von EUR 9.639,11 ausbezahlt hatte, ergab sich ein Zahlungsanspruch der GmbH in Höhe von EUR 5.439,11. Gegen den Bescheid legte der Bevollmächtigte Dr. K., … Str. 9 in X am Einspruch ein. Mit Bescheiden vom 26. Mai 2006 hob der Beklagte die Umsatzsteuervoranmeldungen der GmbH für die Monate Juni bis Dezember 2003 auf. Diese wurden an Dr. K., … Str. 9 in X gesendet. Die Bescheide waren nicht zustellbar, daher gab sie der Beklagte am 8. Juni 2006 öffentlich bekannt. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2006 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer 2003 auf EUR 0 fest. Am 11. Dezember 2006 erließ der Beklagte einen Abrechnungs- und Zinsbescheid zur Umsatzsteuer 2003, den er an Dr. K bekanntgab. Dieser legte im Namen der GmbH Einspruch ein, wobei seine Kanzleianschrift nunmehr …str. 46 in Y lautete. Die Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2004 hob der Beklagte mit Bescheid vom 12. September 2005 auf und erteilte Abrechnungsbescheide über überzahlte Umsatzsteuer. Diese Bescheide gab er an Dr. K in X, … Str. 9 bekannt. Am 22. Juli 2005 hob der Beklagte den Bescheid über die Umsatzsteuervorauszahlung für das I. Quartal 2005 auf, die Bekanntgabe erfolgte an Dr. K. Dieser legte am 12. Juli 2005 dagegen Einspruch ein, wobei seine Anschrift Absender … Str. 9 in X lautet.

    Der Beklagte nahm den Kläger mit Haftungsbescheid vom 11. Oktober 2006 für Umsatzsteuerschulden der GmbH für die Voranmeldungszeiträume Juni 2003, Oktober bis Dezember 2003, Februar, April, Juni bis September und Dezember 2004 sowie die Umsatzsteuer 2003 mit insgesamt EUR 10.463,55 in Anspruch. Ferner zog er den Kläger für Säumniszuschläge heran, sodass die Haftungssumme insgesamt EUR 11.501,98 betrug. Als Begründung führte der Beklagte an, dass der Kläger als Geschäftsführer der GmbH die Steuern der GmbH nicht abgeführt habe. Die Tilgungsquote betrage 100%. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 28. März 2007 nahm der Beklagte den Haftungsbescheid teilweise zurück und setzte die Haftungssumme auf EUR 922,37 fest. Dabei verneinte er die Haftung hinsichtlich der Umsatzsteuer Juni und Oktober bis Dezember 2003 sowie für das Jahr 2003, da die entsprechenden Abrechnungen der GmbH nicht bekanntgegeben worden seien. Die Aufhebungsbescheide für die Voranmeldungszeiträume des Jahres 2003 seien am 26. Mai 2006 zur Post gegeben worden, diese seien nicht zustellbar gewesen. Im Übrigen wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück, da für 2004 eine Bekanntgabe wirksam erfolgt sei.

    Der Kläger trägt vor, dass etwaige Umsatzsteuerbescheide für 2004 mangels Zustellung nicht wirksam geworden seien. Der Beklagte habe private Zustelleinrichtungen benutzt, die die Zustellungen auf dem Grundstück … str. 88a in Z., Ortsteil A. nicht in den dort vorhandenen Briefkasten eingeworfen bzw. dort übergeben hätten. In X habe der Klägervertreter im Jahr 2005 keinen Kanzleisitz oder Wohnort gehabt.

    Die an die GmbH erstattete Vorsteuer sei nicht zurückzuverlangen, da bei einer Umsatzsteuersonderprüfung im Jahr 2007 festgestellt worden sei, dass die der Umsatzsteuer zugrundeliegenden Anschaffungsgeschäfte für betriebliche Gegenstände erfolgt seien, sodass die Vorsteuerabzugsberechtigung der GmbH bestanden habe. Unerheblich sei, dass diese Gegenstände zeitweise in Griechenland eingesetzt worden seien, dort sei jedenfalls Einfuhrumsatzsteuer abgeführt worden. Die GmbH habe in Deutschland umsatzsteuerpflichtige Geschäfte durchgeführt, die die Inanspruchnahme von Vorsteuer rechtfertigten. Die angeschafften Gegenstände seien nach Griechenland verbracht worden, da die GmbH seit Ende 2003 ihr operatives Geschäft von dort aus tätige. Wären die Gegenstände in Deutschland verblieben, hätte der Beklagte die Vorsteuer nicht zurückgefordert. Umsatzsteuer wäre vom Beklagten nicht vereinnahmt worden, wenn die angeschafften Güter unmittelbar vom Veräußerer nach Griechenland gelangt wären.

    Der Kläger beantragt,

    den Haftungsbescheid vom 11. Oktober 2006, zuletzt geändert am 28. März 2007, sowie die Einspruchsentscheidung vom 28. März 2007 aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Bescheide über die Aufhebung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Januar bis Dezember 2004 am 12. September 2005 zur Post gegeben worden. seien. Sie seien an die dem Beklagten bekannt gewesene Anschrift … Str. 9 in X versendet worden. Ein Postrücklauf sei nicht erfolgt. Die Bescheide für 2004 seien nicht öffentlich zugestellt worden.

    Die Haftungsquote sei zutreffend ermittelt, da der Kläger seiner Pflicht zur Mitwirkung nicht nachgekommen sei.

    Als weitere Pflichtverletzung käme die unterlassene Korrektur der Umsatzsteuervoranmeldungen für 2004 in Betracht. Dem Kläger sei mit Bekanntgabe des Prüfungsberichts zur Umsatzsteuersonderprüfung am 17. Mai 2005 bekannt gewesen, dass die GmbH nicht vorsteuerabzugsberechtigt gewesen sei. Unerheblich sei, ob der Aufhebungsbescheid vom 12. September 2005 der GmbH bekanntgegeben worden sei, da es einer Aufhebung der Umsatzsteuervoranmeldungen nicht bedurft hätte. Der Klägervertreter habe dem Beklagten mehrfach mitgeteilt, dass das gesamte operative Geschäft von Griechenland aus getätigt würde und dass in Z lediglich eine Verwaltungsstelle ohne eigenes operatives Geschäft vorhanden sei. Daher sei die GmbH nicht als Unternehmerin im Inland anzusehen. Die GmbH sei über die bevorstehende Aufhebung der Umsatzsteuervoranmeldung informiert worden.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Rechtsbehelfsakte sowie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19. Mai 2009 verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist begründet. Der Haftungsbescheid vom 11. Oktober 2006, zuletzt geändert am 28. März 2007, sowie die Einspruchsentscheidung vom 28. März 2007 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 FGO.

    I.

    Der Kläger haftet als Geschäftsführer der GmbH nur dann, wenn Umsatzsteueransprüche und Ansprüche auf Zahlung von Säumniszuschlägen gegenüber der Steuerschuldnerin infolge zumindest grob fahrlässiger Verletzung ihm gesetzlich auferlegter steuerlicher Pflichten nicht erfüllt wurden (§ 69 AO i.V.m. §§ 34, 35 AO). Im Streitfall ergeben sich die Steuerschulden der GmbH jedoch daraus, dass sie im Jahr 2004 Vorsteuern angemeldet hat. Diese Anmeldungen hat der Beklagte mit Bescheid vom 12. September 2005 aufgehoben, weil die GmbH im Inland nicht unternehmerisch tätig wurde. Jedenfalls für das Jahr 2004 steht fest, dass die GmbH im Inland nicht mehr tätig war, da nach dem klägerischen Vortrag die GmbH im Jahr 2003 ihr operatives Geschäft nach Griechenland verlegte. Sonach hat die GmbH im Jahr 2004 keinen Vorsteuererstattungsanspruch mehr. Die vom Beklagten bereits gezahlten Beträge sind daher als Rückforderungsanspruch gegen die GmbH nach § 37 Abs. 2 AO zu qualifizieren.

    Soll aber ein Umsatzsteuerrückforderungsanspruch gegenüber dem Empfänger wegen zu Unrecht ausgezahlter Vorsteuerüberschüsse (negative Umsatzsteuer) bejaht werden, muss – entgegen der Auffassung des Beklagten – aufgrund der formellen Bescheidlage zweifelsfrei feststehen, dass der abgetretene Umsatzsteuererstattungs- bzw. Vergütungsanspruch materiell-rechtlich nicht bestanden hat, der Leistungsempfänger also die Zahlungen des Beklagten ohne rechtlichen Grund erlangt hatte. Der für das Kalenderjahr bzw. den einzelnen Voranmeldungszeitraum zunächst zu Unrecht festgesetzte und ausgezahlte Vorsteuerüberschuss muss eine formelle Änderung dadurch erfahren haben, dass die jeweiligen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide bzw. der als Erstattungsgrundlage dienende Jahressteuerbescheid entweder selbst aufgehoben (geändert) worden ist oder – nach vorausgehender Festsetzung negativer Umsatzsteuer für einen Voranmeldungszeitraum – die Jahressteuer deshalb auf 0 EUR festgesetzt worden ist, weil keine Unternehmereigenschaft bzw. keine Vorsteuerabzugsberechtigung bestanden hat. Nur dann steht bei Erlass des Rückforderungsbescheides sowohl nach der materiellen Rechtslage als auch aufgrund der ergangenen Steuerbescheide fest, dass die abgetretenen Umsatzsteuerguthaben für den jeweiligen Besteuerungszeitraum (Voranmeldungszeitraum bzw. Kalenderjahr) nicht bestanden haben, der Empfänger die Zahlungen also ohne Rechtsgrund erhalten hat (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 24. Januar 1995 – VII R 144/92, BStBl II 1995, 862 für den Fall der Abtretung eines solchen Erstattungsanspruchs). Daraus folgt, dass die Haftungsschuld gegen den Kläger nur begründet ist, wenn die Steuerschuld überhaupt besteht, hier also ein Rückforderungsanspruch des Beklagten gegenüber der GmbH aus zu Unrecht erstatteter Umsatzsteuer für das Jahr 2004. Dies ist nach § 124 Abs. 1 AO dann der Fall, wenn die Aufhebungsbescheide an die GmbH wirksam bekannt gegeben wurden. Der Aufhebungsbescheid vom 12. September 2005 ist an den damaligen steuerlichen Vertreter der GmbH, Herrn Rechtsanwalt Dr. K, mit einfachem Brief bekannt gegeben worden. Ein Empfangsnachweis liegt nicht vor. Der Kläger hat den Zugang dieses Bescheides bestritten. Anhaltspunkte aus dem anderweitigen Schriftverkehr für den Erhalt des Schreibens durch den damaligen Vertreter des Klägers sind nicht ersichtlich. Eine weitere Substantiierung eines Sachverhaltes, nach dem das Schriftstück tatsächlich nicht zugegangen ist, braucht der Kläger nicht vornehmen (Klein, AO-Kommentar, 9. Aufl., § 122 Rn. 55). Die Beweislast für den Zugang trägt der Beklagte. Folglich ist nicht von einer wirksamen Aufhebung der festgesetzten Vorsteuerbeträge auszugehen, sodass ein Rückforderungsanspruch aus § 37 Abs. 2 AO nicht besteht. Sonach kommt auch ein Haftungsanspruch gegen den Kläger aus diesem Sachverhalt nicht in Betracht.

    II.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenAO § 69, AO § 34, AO § 37 Abs. 2, AO § 124, AO § 122 Abs. 2, AO § 191 Abs. 1, UStG § 18, AO § 168