28.09.2009
Finanzgericht Brandenburg: Urteil vom 04.11.2008 – 15 K 15099/08
Eine auf eine bestimmte Zeit beschränkte Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist Leibrente i. S. v. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG, die bei Rentenbeginn vor 2005 mit einem Besteuerungsanteil von 50 % der Einkommensteuer unterliegt. Eine Besteuerung mit dem in der nachrangigen Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG in Verbindung mit § 55 Abs. 2 EStDV geregelten Ertragsanteil kommt nicht in Betracht.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht A-Stadt-Brandenburg – 15. Senat – aufgrund mündlicher Verhand lung vom 4. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht …, den Richter am Verwaltungsgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter …
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.
Tatbestand:
Die Klägerin erhält seit 1994 von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Auf den Antrag der Klägerin vom 11. September 2007 wurde die zuvor bis zum 31. Januar 2008 befristete Erwerbsunfähigkeitsrente mit Bescheid vom 18. September 2007 bis zum Ablauf des Monats Januar 2011 verlängert; auf den Inhalt des Bescheids wird im Übrigen Bezug genommen.
Auf der Grundlage der entsprechenden Steuererklärungen besteuerte der Beklagte die Zahlungen aus der Erwerbsunfähigkeitsrente gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Satz 4 Einkommensteuergesetz – zukünftig: EStG a.F. – in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Einkommensteuerdurchführungsverordnung in der jeweils bis zum Veranlagungszeitraum 2004 geltenden Fassung mit einem Ertragsanteil in Höhe von neun vom Hundert.
In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2005 und 2006 begehrte die Klägerin weiterhin die Besteuerung der Erwerbsunfähigkeitsrente mit dem Ertragsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) Satz 5 EStG in Verbindung mit § 55 Abs. 2 EStDV in der in den Streitjahren geltenden Fassung – zukünftig: EStG bzw. EStDV. Der Beklagte folgte den Steuererklärungen nicht und besteuerte die Erwerbsunfähigkeitsrente nach § 22 Nr. 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG mit einem Besteuerungsanteil in Höhe von 50 vom Hundert. Gegen die entsprechenden Steuerbescheide erhoben die Kläger Einspruch, den der Beklagte hinsichtlich der Besteuerung der Erwerbsunfähigkeitsrente als unbegründet zurück wies.
Mit ihrer Klage machen die Kläger geltend, sie, die Klägerin, erhalte eine abgekürzte Leibrente, die nach § 55 Abs.2 EStDV mit ihrem Ertragsanteil von neun vom Hundert zu versteuern sei. Die Erwerbsunfähigkeitsrente gehöre nicht zu den Leibrenten im Sinne § 22 Nr.1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG. Die Rentenbescheide seien insoweit Grundlagenbescheide und müssten im Veranlagungsverfahren beachtet werden. Die Vorschrift des § 55 Abs. 2 EStDV sei jedenfalls analog anzuwenden. Der Gesetzgeber habe in Bezug auf die Erwerbsunfähigkeitsrenten den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen, nicht umgesetzt, weil ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs die neu geschaffene Regelung des § 22 Nr.1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG der Vereinfachung und nicht der sachgerechten Besteuerung diene. Auch verstoße die Regelung, soweit sie abgekürzte Leibrenten erfasse, gegen Art. 3 GG, denn es sei kein einleuchtender Grund ersichtlich, weshalb abgekürzte Leibrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung steuerlich anders als sonstige Leibrenten im Sinne des § 22 Nr.1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) EStG behandelt würden.
Der Bevollmächtigte der Kläger weist weiter darauf hin, dass er im Rahmen der Akteneinsicht festgestellt habe, dass der Beklagte am 21. April 2008 einen weiteren Bescheid für 2006 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag erlassen habe. Dieser sei durch die Akteneinsicht bekannt gegeben worden und dementsprechend Gegenstand des Verfahrens.
Die Kläger beantragen,
1) den Bescheid für 2005 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag des Finanzamtes … vom 8. Oktober 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. April 2008 zur Steuernummer … dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte der Ehefrau aus ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente, die sie von der Deutschen Rentenanstalt Bund bezogen hat, mit ihrem Ertragsanteil im Sinne von § 55 Abs. 2 EStDV in Höhe von 9% zu besteuern sind,
2) den Bescheid für 2006 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag des Finanzamtes … vom 21. April 2008 zur Steuernummer … dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte der Ehefrau aus ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente, die sie von der Deutschen Rentenanstalt Bund bezogen hat, mit ihrem Ertragsanteil im Sinne von § 55 Abs. 2 EStDV in Höhe von 9% zu besteuern sind,
3) hilfsweise für den Antrag zu 2) den Bescheid für 2006 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag des Finanzamtes … vom 8. Oktober 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. April 2008 zur Einkommensteuer … dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte der Ehefrau aus ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente, die sie von der Deutschen Rentenanstalt Bund bezogen hat, mit ihrem Ertragsanteil im Sinne von § 55 Abs. 2 EStDV in Höhe von 9% zu besteuern sind,
4) die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären,
5) hilfsweise gegen die abweisende Entscheidung des Finanzgerichts die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, eine gesetzliche Erwerbsunfähigkeitsrente werde von der Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) EStG nicht erfasst. Daher sei die Rente mit dem Besteuerungsanteil nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG zu versteuern. Ein Bescheid mit Datum vom 21.4.2008 sei nicht erlassen worden. Mit der Aktenausfertigung sei lediglich der bereits in der Einspruchsentscheidung berücksichtigte Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten maschinell verarbeitet worden. Es fehle insoweit bereits an einem Bekanntgabewillen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat die Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin zutreffend nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) Satz 3 EStG mit einem Ertragsanteil in Höhe 50 vom Hundert besteuert.
Nach § 22 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG sind Leibrenten und andere Leistungen, die aus den gesetzlichen Rentenversicherungen erbracht werden, mit dem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) Satz 3 EStG zu versteuern. Der der Besteuerung unterliegende Anteil beträgt danach bei Renten, deren Beginn vor dem Jahr 2005 lag, 50 vom Hundert.
Bei der Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin handelt es sich um eine Leibrente im Sinne des § 22 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) EStG. Der BFH hat zu § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) EStG a.F. in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass Sozialversicherungsrenten Leibrente seien und hat sie auch dann unter den Begriff der Leibrente in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) EStG a.F. subsumiert, wenn sie auf eine bestimmte Zeit beschränkt waren (BFH, Urteil vom 10.07.2002 X R 46/01, BStBl II 2003, 391). Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber dem Begriff der Leibrente in § 22 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) EStG einen andere Bedeutung beimessen wollte, bestehen nicht. Da es sich hiernach um eine Leibrente handelt und die Leibrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wird, richtet sich deren steuerliche Behandlung nach § 22 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG.
Entgegen der Auffassung der Kläger ist die Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin, die unstreitig eine abgekürzte Leibrente darstellt, nicht nach § 22 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) Satz 5 EStG in Verbindung mit § 55 Abs. 2 EStDV mit dem dort geregeltem Ertragsanteil zu versteuern. Die Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) EStG gilt nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur für Leibrenten und andere Leistungen, die nicht solche im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG sind. Aus rechtssystematischer Sicht ist daher die Regelung in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG für Renten aus gesetzlichen Rentenversicherungen lex specialis. Dementsprechend hat die Vorschrift des § 22 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) Satz 5 EStG in Verbindung mit § 55 Abs. 2 EStDV nur für abgekürzte Leibrenten Bedeutung, die nicht von einer gesetzlichen Rentenversicherung erbracht werden (so auch Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 30. Januar 2008 – IV C 8 – S 2222/07/0003, Bundessteuerblatt I 2008, 390, Randnummer 109).
Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber ohne Rücksicht auf die Rentenquelle sämtliche abgekürzte Leibrenten nach Maßgabe des § 55 Abs. 2 EStDV besteuern wollte, ergeben sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte. Vielmehr wird in der Begründung des Gesetzesentwurfs (BT-Drucks. 15/2150, 40) ausgeführt, dass „auch Renten wegen verminderter Erwerbsunfähigkeit, die bisher als abgekürzte Leibrenten nach der Ertragsanteilstabelle nach § 55 Abs. 2 EStDV besteuert wurden”, nunmehr unter die Regelung des 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG fallen. Demzufolge war im Entwurf des damaligen Satzes 4 des § 22 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) EStG-E ausdrücklich die Beschränkung auf Leibrenten, „die nicht solche im Sinne des Buchstaben a Doppelbuchstabe aa sind”, enthalten (BT-Drucksache 15/2150, 10). Der Umstand, dass in der geltenden Fassung des Satzes 5 dieser Zusatz fehlt, ist nicht etwa auf eine vom Gesetzgeber intendierte Erweiterung des Anwendungsbereichs zurückzuführen, sondern ist Ergebnis einer redaktionellen Überarbeitung (BT-Drucks. 15/3004, 20).
Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf das Urteil des Finanzgerichts München vom 29. Juni 2006 – 6 K 1586/04, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1881, berufen. Denn dieser Entscheidung, die zudem nicht die Besteuerung von abgekürzten Leibrenten in den Jahren ab 2005 betrifft, ist nicht zu entnehmen, dass abgekürzte Leibrenten, die von einer gesetzlichen Rentenversicherung erbracht werden, mit dem Ertragsanteil des § 22 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) Satz 5 EStG in Verbindung mit § 55 Abs. 2 EStDV zu besteuern sind. Aus der Entscheidung, die die Streitjahre 1997 bis 2001 betrifft, ergibt sich lediglich, dass hinsichtlich des Zeitpunkts des Beginns der Erwerbunfähigkeitsrente und hinsichtlich der zeitlichen Dauer der Rente der Rentenbescheid als Grundlagenbescheid im Rahmen des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG a.F. verbindlich ist.
Anhaltspunkte dafür, dass im Streitfall die Voraussetzungen des § 22 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) Satz 2 EStG vorliegen und aus diesem Grunde eine Besteuerung nach dem Ertragsanteil in Höhe von 9 vom Hundert zu erfolgen hat, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Soweit die Kläger rügen, die Regelung in § 22 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG sei verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber zur Vereinfachung der Besteuerung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht umgesetzt habe, verkennen sie, dass der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung es nicht gebietet, alle Verästelungen möglicher Lebenssachverhalte in einem gesetzlichen Tatbestand abzubilden. Vielmehr sind dem Gesetzgeber Pauschalierungen und Typisierungen im Interesse der Gesetzesvollziehbarkeit erlaubt (BVerfG, Beschluss vom 10. April 1997, 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1). Das BVerfG hat dementsprechend in dem von den Klägern zitierten Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „auch für die Abwägung zwischen den Erfordernissen folgerichtiger Ausrichtung der Einkommensbesteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen und den Notwendigkeiten einfacher, praktikabler und gesamtwirtschaftlich tragfähiger Lösungen ein weiter gesetzgeberischer Entscheidungsraum eröffnet” sei (BVerfG, Urteil vom 6.3.2002, 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 unter D.II.). Ein Verstoß gegen den Auftrag einer verfassungskonformen Neuregelung könnte hiernach allenfalls dann angenommen werden, wenn die Pauschalierung zu einer Mehrfachbesteuerung führen würde. Anhaltspunkte für eine verfassungswidrige Mehrfachbesteuerung sind jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich.
Schließlich rügen die Kläger ohne Erfolg die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Leibrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und anderen Leibrenten im Sinne § 22 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) EStG. Diese Differenzierung ist gerechtfertigt, weil die sonstigen Rentenbezüge in der Regel anders als die Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus versteuerten Beiträgen und einem noch nicht versteuertem Ertragsanteil finanziert werden.
Der hilfsweise gestellte Antrag zu 3) hat ebenfalls keinen Erfolg. Die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob am 21.4.2008 ein weiterer Bescheid für 2006 ergangen ist, ist, da die Klage aus den vorgenannten Gründen insgesamt abzuweisen war, nicht entscheidungserheblich.
Der Senat hält die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO – aus den dargelegten Gründen nicht für gegeben und hat deshalb die Revision nicht zugelassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.