25.09.2025 · IWW-Abrufnummer 250341
Bundesfinanzhof: Urteil vom 07.05.2025 – II R 26/23
1. Werden die Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft aufgrund eines nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) steuerbaren Rechtsgeschäfts in der Hand eines Erwerbers vereinigt und sinkt dessen Beteiligung zu einem späteren Zeitpunkt unter die nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erforderliche Beteiligungsquote ab, unterliegt ein Anteilserwerb, der zu einer erneuten Anteilsvereinigung in der Hand des Erwerbers führt, wieder nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer.
2. Der Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auf eine nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerbare Anteilsvereinigung steht nicht entgegen, dass der vorausgegangene Erwerb der Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft nicht steuerbar war.
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Finanzgerichts München vom 17.07.2023 - 4 K 1269/22 und der Grunderwerbsteuerbescheid vom 27.05.2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 04.01.2019 und der Einspruchsentscheidung vom 31.05.2022 aufgehoben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Gründe
I.
1
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Ihr Geschäftsgegenstand ist ...
2
Die Klägerin hielt 94,9 % der Anteile an der grundbesitzenden R-AG mit Sitz in X (Inland). Weitere Gesellschafterin der R-AG war die M-GmbH mit 5,1 % der Anteile.
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Mit Aktienkauf- und -abtretungsvertrag vom 20.12.2011 erwarb die Klägerin von der M-GmbH deren Anteile an der R-AG gegen Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von ... €. Den Erwerbsvorgang zeigte sie am 31.01.2012 beim zuständigen Finanzamt an.
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Mit Aktienrückkauf- und -abtretungsvertrag vom 10.10.2012 machten die Klägerin und die M-GmbH den Aktienkauf- und -abtretungsvertrag vom 20.12.2011 wieder rückgängig und vereinbarten den Rückverkauf und die Rückabtretung von 5,1 % der Anteile an der R-AG von der Klägerin an die M-GmbH zu demselben Kaufpreis wie im Vertrag vom 20.12.2011 vereinbart. Beide Vertragsparteien behielten sich das Recht vor, innerhalb von zwei Jahren nach dem Vertragsschluss die Rückabwicklung des Vertrags zu verlangen.
5
Für den Erwerb vom 20.12.2011 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --FA--) mit Bescheid vom 08.04.2013 gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes in der zum 08.04.2014 geltenden Fassung (GrEStG) Grunderwerbsteuer in Höhe von ... € gegenüber der Klägerin fest.
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Den Antrag der Klägerin, die Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG aufgrund der Rückgängigmachung des Aktienkauf- und -abtretungsvertrags vom 20.12.2011 aufzuheben, lehnte das FA gemäß § 16 Abs. 5 GrEStG wegen Nichteinhaltung der Anzeigefrist ab.
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Mit Vertrag vom 08.04.2014 machten die Klägerin und die M-GmbH daraufhin den Aktienrückkauf- und -abtretungsvertrag vom 10.10.2012 wieder rückgängig. Sie vereinbarten, die Vertragsparteien seien so zu stellen, als sei der Aktienrückkauf- und -abtretungsvertrag vom 10.10.2012 nie geschlossen worden. Im Ergebnis wurde die Klägerin damit erneut Inhaberin sämtlicher Anteile an der R-AG. Der Abschluss des Vertrags vom 08.04.2014 wurde mit Schreiben vom 14.04.2014 beim FA angezeigt.
8
Aufgrund des Vertrags vom 08.04.2014 setzte das FA mit Bescheid vom 27.05.2016 gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erneut Grunderwerbsteuer in Höhe von ... € gegenüber der Klägerin fest, da mit der Rückgängigmachung des Vertrags vom 10.10.2012 abermals mindestens 95 % der Anteile an der R-AG in der Hand der Klägerin vereinigt worden seien.
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Gegen den Bescheid vom 27.05.2016 legte die Klägerin Einspruch ein, mit dem sie begehrte, die Festsetzung der Grunderwerbsteuer für den Erwerbsvorgang vom 08.04.2014 gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG aufzuheben.
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Nachdem der Grundbesitzwert der Grundstücke der R-AG mit Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung auf den 08.04.2014 in Höhe von ... € festgestellt worden war, erließ das FA am 04.01.2019 nach vorherigem Verböserungshinweis einen Änderungsbescheid, mit dem es die Grunderwerbsteuer auf ... € heraufsetzte.
11
Den Einspruch der Klägerin wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 31.05.2022 als unbegründet zurück.
12
Die von der Klägerin erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) München mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2024, 64 veröffentlichtem Urteil ab.
13
Das FG war der Auffassung, die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG seien im Streitfall nicht erfüllt. Der Erwerb von 5,1 % der Anteile an der R-AG durch die M-GmbH mit Vertrag vom 10.10.2012 stelle keinen vorausgegangenen Erwerbsvorgang im Sinne des § 16 Abs. 2 GrEStG dar, sondern die Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs vom 20.12.2011 und damit einen Rückerwerb im Sinne der Vorschrift. Dementsprechend handele es sich bei dem Vertrag vom 08.04.2014 über die Rückgängigmachung des Vertrags vom 10.10.2012, die zu der erneuten Vereinigung von 100 % der Anteile an der R-AG in der Hand der Klägerin geführt habe, um einen (erneuten) Erwerbsvorgang. Folgte man der Auffassung der Klägerin, so wäre --bei unterstellter fristgerechter Anzeige des Erwerbs vom 20.12.2011-- der gesamte Vorgang nicht mit Grunderwerbsteuer belastet, obwohl im Ergebnis eine gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerpflichtige Anteilsvereinigung stattgefunden habe.
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Gegen das FG-Urteil wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
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Sie ist der Auffassung, das FG habe § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG unzutreffend ausgelegt. Insbesondere sei der Anteilserwerb aufgrund des Vertrags vom 10.10.2012 entgegen der Auffassung des FG als vorausgegangener Erwerbsvorgang im Sinne der Vorschrift zu qualifizieren. Ebenfalls unzutreffend sei die Auslegung des Vertrags vom 08.04.2014 als (erneuter) Erwerbsvorgang. Die Beteiligten hätten im Vertrag vom 08.04.2014 ausdrücklich vereinbart, den Vertrag vom 10.10.2012 vollständig rückabzuwickeln. Bei dem Anteilserwerb aufgrund des Vertrags vom 08.04.2014 handele es sich nach dem erklärten Willen der Vertragsparteien um einen Rückerwerb in der Form der Rückabwicklung des Vertrags vom 10.10.2012.
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Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung und den Grunderwerbsteuerbescheid vom 27.05.2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 04.01.2019 und der Einspruchsentscheidung vom 31.05.2022 aufzuheben.
17
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Das FA hält an seiner Auffassung fest, dass der Anteilserwerb aufgrund des Vertrags vom 10.10.2012 nicht als vorausgegangener Erwerbsvorgang im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG angesehen werden könne, weil er auf eine Rückgängigmachung des Vertrags vom 20.12.2011 gerichtet gewesen sei. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG sei im Übrigen auch deswegen nicht anwendbar, weil die Vorschrift die Steuerbarkeit des vorausgegangenen Erwerbsvorgangs voraussetze. Der Anteilserwerb aufgrund des Vertrags vom 10.10.2012 erfülle keinen steuerbaren Tatbestand im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG und unterliege daher nicht der Grunderwerbsteuer.
II.
19
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Aufhebung der angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung ( § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zwar zutreffend entschieden, dass mit dem Abschluss des Vertrags vom 08.04.2014 der Tatbestand der Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erfüllt ist (hierzu unter 1.). Jedoch hat es zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Aufhebung der hierfür festgesetzten Grunderwerbsteuer nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG verneint (hierzu unter 2.).
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1. Zutreffend hat das FG entschieden, dass die Vereinigung der Anteile an der R-AG in der Hand der Klägerin aufgrund der Rückgängigmachung des Aktienrückkauf- und -abtretungsvertrags vom 10.10.2012 durch den Vertrag vom 08.04.2014 gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegt.
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a) Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unterliegt, soweit eine Besteuerung nach Absatz 2a nicht in Betracht kommt, ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft begründet, der Grunderwerbsteuer, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden. Mit dem Anteilserwerb wird derjenige, in dessen Hand sich die Anteile vereinigen, so behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich in seiner Hand vereinigen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12.02.2014 - II R 46/12 , BFHE 244, 455, BStBl II 2014, 536, Rz 14, 17, m.w.N.). Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass demjenigen, der mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft in seiner Hand vereinigt, eine dem zivilrechtlichen Eigentum an einem Grundstück vergleichbare Rechtszuständigkeit an dem Gesellschaftsgrundstück zuwächst (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20.01.2015 - II R 8/13 , BFHE 248, 252, BStBl II 2015, 553, Rz 19, und vom 25.11.2015 - II R 35/14 , BFHE 251, 498, BStBl II 2016, 234, Rz 14, m.w.N.).
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b) Danach erfüllte der Vertrag vom 08.04.2014 den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG . Aufgrund der Rückgängigmachung des Aktienrückkauf- und -abtretungsvertrags vom 10.10.2012 erwarb die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt mit 94,9 % der Anteile an der R-AG beteiligt war, weitere 5,1 % der Anteile an der R-AG von der M-GmbH hinzu, so dass sich insgesamt 100 % der Anteile an der R-AG in ihrer Hand vereinigten.
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c) Einer Besteuerung der durch den Vertrag vom 08.04.2014 bewirkten Anteilsvereinigung in der Hand der Klägerin im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steht nicht entgegen, dass die Klägerin bereits nach Abschluss des Aktienkauf- und -abtretungsvertrags vom 20.12.2011 bis zu dessen Rückgängigmachung durch den Vertrag vom 10.10.2012 zivilrechtliche Eigentümerin von mehr als 95 % der Anteile an der R-AG war.
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Sind die Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft bereits aufgrund eines vorausgegangenen Rechtsgeschäfts in einer Hand vereinigt, weil die nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erforderliche Anteilsquote von mindestens 95 % erfüllt ist, unterliegt der Erwerb weiterer Anteile zwar nicht zusätzlich der Besteuerung, weil dieser Vorgang lediglich zu einer Verstärkung der bereits bestehenden Anteilsvereinigung führt (vgl. BFH-Urteile vom 12.02.2014 - II R 46/12 , BFHE 244, 455, BStBl II 2014, 536, Rz 22, und vom 27.05.2020 - II R 45/17 , BFHE 270, 247, BStBl II 2021, 315, Rz 13; vgl. auch Meßbacher-Hönsch in Viskorf, Grunderwerbsteuergesetz, 21. Aufl., § 1 Rz 1116; Schnitter inWilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 1 GrEStG Rz 317.3, Stand 04/2024, m.w.N.).
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Etwas anderes gilt aber, wenn die Beteiligung zu einem späteren Zeitpunkt --wie hier aufgrund des Aktienrückkauf- und -abtretungsvertrags vom 10.10.2012-- wieder unter die 95 %-Grenze absinkt. Mit dem Absinken der Beteiligung unter 95 % wird der Grundbesitz grunderwerbsteuerrechtlich nicht mehr dem Anteilseigner, der vormals mindestens 95 % der Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft gehalten hat, zugerechnet. Die erneute Überschreitung der 95 %-Grenze hat daher zur Folge, dass gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG ein Erwerb des Grundstücks von der Gesellschaft, hier der R-AG, fingiert wird. Nach einer Unterschreitung der 95 %-Grenze unterliegt deshalb die spätere Überschreitung der 95 %-Schwelle wieder der Grunderwerbsteuer. Der Umstand, dass es bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu einer Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG gekommen ist, "immunisiert" nach einem Absinken der Beteiligung unter 95 % nicht gegen die Steuerbarkeit einer erneuten Überschreitung der 95 %-Grenze (Pahlke/Joisten, Grunderwerbsteuergesetz, 7. Aufl., § 1 Rz 406; vgl. auch FG Münster, Urteil vom 10.03.2022 - 8 K 1945/19 GrE , EFG 2022, 869, nachgehend BFH-Urteil vom 23.07.2024 - II R 11/22 , BFH/NV 2025, 213; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.04.2023 - 5 K 1503/22 , EFG 2024, 60, Revision eingelegt, Aktenzeichen des BFH II R 13/23).
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2. Die Annahme des FG, § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG sei auf den Vertrag vom 08.04.2014 über die Rückgängigmachung des Aktienrückkauf- und -abtretungsvertrags vom 10.10.2012 nicht anzuwenden, erweist sich jedoch als rechtsfehlerhaft.
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a) Erwirbt der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück, so wird nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn der Rückerwerb innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfindet. Die Vorschrift betrifft über ihren Wortlaut hinaus auch den Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG . Dies folgt aus § 16 Abs. 5 GrEStG , wonach § 16 Abs. 1 bis 4 GrEStG nicht gilt, wenn einer der in § 1 Abs. 2 , 2a , 3 und 3a GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge rückgängig gemacht wird, der nicht ordnungsmäßig angezeigt war. Diese Regelung setzt die grundsätzliche Anwendbarkeit der Begünstigungsvorschrift des § 16 GrEStG auch auf die Tatbestände des § 1 Abs. 3 GrEStG voraus ( BFH-Urteile vom 16.01.1980 - II R 83/74 , BFHE 130, 70, BStBl II 1980, 359, unter II.1.; vom 11.06.2013 - II R 52/12 , BFHE 241, 419, BStBl II 2013, 752, Rz 13; vom 25.11.2015 - II R 64/08 , BFH/NV 2016, 420, Rz 17 f., und Loose in Viskorf, Grunderwerbsteuergesetz, 21. Aufl., § 16 Rz 17 i.V.m. 251; Pahlke/Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, 7. Aufl., § 16 Rz 105).
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b) Im Streitfall hat das FG die Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, dass es sich bei dem Erwerb von 5,1 % der Anteile an der R-AG durch die Klägerin mit Vertrag vom 08.04.2014 nicht um einen Rückerwerb des Erwerbs vom 10.10.2012, sondern um einen Ersterwerb im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG handele. Denn bei dem Erwerb von 5,1 % der Anteile an der R-AG durch die M-GmbH mit Vertrag vom 10.10.2012 handelt es sich trotz der Rückgängigmachung des Erwerbs vom 20.12.2011 in Bezug auf den Erwerb vom 08.04.2014 um einen Ersterwerb im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG .
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aa) Die Sichtweise des FG lässt unberücksichtigt, dass bei einer Aufeinanderfolge mehrerer Erwerbsvorgänge das Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG für jeden Vorgang getrennt, das heißt auf jeder Vertragsstufe selbständig zu prüfen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 16.10.2009 - II B 37/09 , BFH/NV 2010, 240; BFH-Urteile vom 14.07.1999 - II R 1/97 , BFHE 189, 188, BStBl II 1999, 737, unter II.2., und vom 20.10.1982 - II R 6/81 , BFHE 137, 92, BStBl II 1983, 140). Für die Frage, ob der Vertrag vom 08.04.2014, mit dem die Vertragsparteien den Aktienrückkauf- und -abtretungsvertrag vom 10.10.2012 rückgängig gemacht haben, in den Anwendungsbereich des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG fällt, kommt es daher entgegen der Auffassung des FG nicht darauf an, dass der Vertrag vom 10.10.2012 seinerseits auf die Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs vom 20.12.2011 und damit auf einen Rückerwerb von 5,1 % der Anteile an der R-AG durch die M-GmbH gerichtet war. Denn der Umstand, dass sich der Vertrag vom 10.10.2012 aus der Perspektive des ersten Erwerbsvorgangs vom 20.12.2011 als Rückerwerb im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG darstellt, schließt es nicht aus, dass er auf einer anderen Vertragsstufe, hier aus der Perspektive des Vertrags vom 08.04.2014, als vorausgegangener Erwerbsvorgang im Sinne der Vorschrift zu qualifizieren ist.
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bb) Das FG hat zudem nicht beachtet, dass der Vertrag vom 08.04.2014 die Anforderungen an einen Rückerwerb im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG erfüllt. Erforderlich ist hierfür, dass im Zeitpunkt des vorausgegangenen Erwerbsvorgangs, auf den sich die Rückgängigmachung bezieht, die veräußernde Gesellschaft bereits grundbesitzend war, das betreffende Grundstück sich also bereits in deren grunderwerbsteuerrechtlichen Zurechnungsbereich befand, da nur in diesem Fall die veräußernde Gesellschaft den Grundbesitz aufgrund der späteren Anteilsvereinigung "zurückerlangt" (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 20.02.2019 - II R 27/16 , BFHE 264, 352, BStBl II 2019, 559, Rz 35). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Da die Klägerin aufgrund des Aktienkauf- und -abtretungsvertrags vom 20.12.2011 die weiteren 5,1 % der Anteile an der R-AG erworben hatte und somit sämtliche Anteile in ihrer Hand vereinigte, war ihr der Grundbesitz der R-AG im Zeitpunkt des Erwerbsvorgangs vom 10.10.2012 grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen. Mit der Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs vom 10.10.2012 durch den Vertrag vom 08.04.2014 erlangte sie daher die grunderwerbsteuerrechtliche Rechtsposition zurück, die sie nach Abschluss des Vertrags vom 20.12.2011 erlangt hatte.
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cc) Schließlich vermag auch die weitere Begründung des FG nicht zu überzeugen, wonach die Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG im Streitfall auch deswegen entfällt, weil anderenfalls --bei fristgerechter Anzeige des ersten Erwerbsvorgangs vom 20.12.2011-- sämtliche Erwerbsvorgänge nicht mit Grunderwerbsteuer belastet wären, obwohl im Ergebnis eine nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerbare Vereinigung von Anteilen an der R-AG in der Hand der Klägerin stattgefunden hätte. Denn bei fristgerechter Anzeige wäre die Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auf den Erwerbsvorgang vom 20.12.2011 nachträglich zu korrigieren gewesen, da die Voraussetzung für die Gewährung der Steuerbefreiung aufgrund der Rückgängigmachung des Vertrags vom 10.10.2012 durch den Vertrag vom 08.04.2014 rückwirkend wieder entfallen wäre (vgl. § 175 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 der Abgabenordnung ).
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c) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. In Bezug auf den Erwerbsvorgang vom 08.04.2014 liegen die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG vor, so dass die Festsetzung der Grunderwerbsteuer für die dadurch begründete (erneute) Anteilsvereinigung aufzuheben ist.
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aa) Mit dem Vertrag vom 08.04.2014 wurde der Aktienrückkauf- und -abtretungsvertrag vom 10.10.2012 vor Ablauf von zwei Jahren seit Vertragsschluss rückgängig gemacht, so dass es hinsichtlich der 5,1 % der Anteile an der R-AG zu einer vollständigen Rückübertragung von der M-GmbH auf die Klägerin gekommen ist.
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bb) Der Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG steht nicht entgegen, dass zwar der Rückerwerb der 5,1 % der Anteile an der R-AG durch die Klägerin aufgrund des Vertrags vom 08.04.2014 nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerbar ist, der vorausgegangene Erwerb dieser Anteile durch die M-GmbH aufgrund des Vertrags vom 10.10.2012 hingegen nicht steuerbar war, weil er nur eine Abschwächung der bis dahin vorliegenden Vereinigung aller Anteile an der R-AG in der Hand der Klägerin bewirkte.
35
Für die Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ist es ohne Bedeutung, ob auch der rückgängig gemachte Rechtsvorgang der Grunderwerbsteuer unterlag. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG sieht nach seinem Wortlaut zwar vor, dass sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang die Steuer nicht festgesetzt wird. Auch setzt die Regelung tatbestandlich voraus, dass der Rückerwerb innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfindet. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG erfasst jedoch nach seinem Regelungsgehalt in erster Linie den Erst- und Rückerwerb des Eigentums an einem Grundstück, also Erwerbsvorgänge, die jeweils für sich betrachtet nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegen. Aus der Formulierung des Gesetzes lässt sich nicht schließen, dass § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auch in den Fällen der Rückgängigmachung eines in § 1 Abs. 2 , 2a , 3 und 3a GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgangs die Rechtsfolge der Steuerbefreiung davon abhängig macht, dass dem Rückerwerb ein steuerbarer Erwerbsvorgang vorausgegangen sein muss. Vielmehr macht die Regelung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG deutlich, dass für den Erwerb und den Rückerwerb insgesamt keine Steuer festgesetzt werden soll. Nach ihrem Sinn und Zweck will die Vorschrift die Wiederherstellung des früheren Zustands grunderwerbsteuerrechtlich begünstigen, indem weder die Herbeiführung des nur vorübergehend bestehenden Zustands noch die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands eine Belastung mit Grunderwerbsteuer auslösen soll. Dieser Zielsetzung widerspräche es, wenn für den Rückerwerb die Steuer nur dann nicht festgesetzt würde, wenn der Ersterwerb steuerbar war (vgl. BFH-Urteile vom 17.02.1954 - II 14/53 U , BFHE 58, 491, BStBl III 1954, 99; vom 16.01.1980 - II R 83/74 , BFHE 130, 70, BStBl II 1980, 359, und vom 09.02.1983 - II R 26/81, juris; BFH-Beschluss vom 22.01.2019 - II B 98/17 , BFH/NV 2019, 412 [BFH 05.12.2018 - I E 9/18] , Rz 16; zuletzt offen gelassen im BFH-Urteil vom 20.02.2019 - II R 27/16 , BFHE 264, 352, BStBl II 2019, 559, Rz 35; vgl. auch Loose in Viskorf, Grunderwerbsteuergesetz, 21. Aufl., § 16 Rz 17; Pahlke/Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, 7. Aufl., § 16 Rz 11; Koppermann in Behrens/Wachter, Grunderwerbsteuergesetz, 2. Aufl., § 16 Rz 40 und 98).
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cc) Ebenfalls unerheblich für die Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ist, ob die Anteilsübertragung aufgrund des Vertrags vom 10.10.2012 rechtzeitig nach § 16 Abs. 5 GrEStG beim FA angezeigt wurde. Da dieser Erwerbsvorgang nicht der Grunderwerbsteuer unterlag, war eine Anzeige nicht erforderlich.
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dd) Ob eine nicht fristgerechte Anzeige eines steuerbaren Rückerwerbs den Anspruch auf Nichtfestsetzung gemäß § 16 Abs. 1 oder Abs. 2 GrEStG nach § 16 Abs. 5 GrEStG ausschließt (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 07.05.2025 - II R 16/23, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt), bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da die Anteilsübertragung aufgrund des Vertrags vom 08.04.2014 rechtzeitig angezeigt wurde.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO .