17.07.2025 · IWW-Abrufnummer 249148
Bundesfinanzhof: Vorlagebeschluss vom 22.05.2025 – V R 22/23
Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden folgende Fragen zur Auslegung von Art. 107 und Art. 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (AEUV) in Bezug auf gemeinnützigkeitsrechtliche Steuervergünstigungen im nationalen Recht ( §§ 51 bis 68 der Abgabenordnung ) vorgelegt:
1. Ist Art. 107 Abs. 1 AEUV dahingehend auszulegen, dass eine unter diese Vorschrift fallende staatliche Beihilfe vorliegt, wenn einer Körperschaft nach einer nationalen Regelung für eine wirtschaftliche Tätigkeit die Steuerbegünstigung eines Zweckbetriebs auch dann zusteht, wenn sie ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke nicht unmittelbar selbst zu verwirklichen hat, sondern diese Zwecke satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft verfolgen kann, so dass sie als Servicekörperschaft an diese andere Körperschaft steuerbegünstigt Leistungen jeglicher Art im Wettbewerb zu nicht steuerbegünstigten Leistungsanbietern erbringen kann?2. Steht es dem hierfür erforderlichen selektiven Vorteil entgegen, dass die Servicekörperschaft gemeinnützigkeitsrechtlichen Beschränkungen insbesondere im Hinblick auf Mittelverwendung und Vermögensbindung unterliegt?
3. Bei Bejahung der Beihilfe: Ist Art. 108 Abs. 3 AEUV dahingehend auszulegen, dass eine dieser Vorschrift unterliegende Umgestaltung einer Beihilfe vorliegt, wenn das nationale Recht zwar bereits vor dem 01.01.1958 eine Steuerbegünstigung für wirtschaftliche Tätigkeiten als Zweckbetrieb vorsah, der Anwendungsbereich dieser Steuerbegünstigung aber danach in der Weise erweitert wurde, dass eine Servicekörperschaft an andere steuerbegünstige Körperschaften steuerbegünstigt Leistungen jeglicher Art im Wettbewerb zu nicht steuerbegünstigten Leistungsanbietern erbringen kann?
Tenor: I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden folgende Fragen zur Auslegung von Art. 107 und Art. 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (AEUV) in Bezug auf gemeinnützigkeitsrechtliche Steuervergünstigungen im nationalen Recht ( §§ 51 bis 68 der Abgabenordnung ) vorgelegt: 1. Ist Art. 107 Abs. 1 AEUV dahingehend auszulegen, dass eine unter diese Vorschrift fallende staatliche Beihilfe vorliegt, wenn einer Körperschaft nach einer nationalen Regelung für eine wirtschaftliche Tätigkeit die Steuerbegünstigung eines Zweckbetriebs auch dann zusteht, wenn sie ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke nicht unmittelbar selbst zu verwirklichen hat, sondern diese Zwecke satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft verfolgen kann, so dass sie als Servicekörperschaft an diese andere Körperschaft steuerbegünstigt Leistungen jeglicher Art im Wettbewerb zu nicht steuerbegünstigten Leistungsanbietern erbringen kann? 2. Steht es dem hierfür erforderlichen selektiven Vorteil entgegen, dass die Servicekörperschaft gemeinnützigkeitsrechtlichen Beschränkungen insbesondere im Hinblick auf Mittelverwendung und Vermögensbindung unterliegt? 3. Bei Bejahung der Beihilfe: Ist Art. 108 Abs. 3 AEUV dahingehend auszulegen, dass eine dieser Vorschrift unterliegende Umgestaltung einer Beihilfe vorliegt, wenn das nationale Recht zwar bereits vor dem 01.01.1958 eine Steuerbegünstigung für wirtschaftliche Tätigkeiten als Zweckbetrieb vorsah, der Anwendungsbereich dieser Steuerbegünstigung aber danach in der Weise erweitert wurde, dass eine Servicekörperschaft an andere steuerbegünstige Körperschaften steuerbegünstigt Leistungen jeglicher Art im Wettbewerb zu nicht steuerbegünstigten Leistungsanbietern erbringen kann? II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wurde im Februar 2022 als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) in der Rechtsform einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft mit dem Zweck gegründet, Dienstleistungen im Bereich der Finanzbuchhaltung und des Rechnungswesens gegenüber der I-Stiftung (Stiftung) gegen Vergütung zu erbringen. Diese Leistungen hatte die Stiftung zuvor von einem Dritten bezogen. Die Klägerin übernahm bei ihrer Gründung keinerlei Vermögenswerte der Stiftung.
2
Ausweislich ihres Gesellschaftsvertrags verfolgt die Klägerin ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke durch die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und der öffentlichen Gesundheitspflege, sowie durch die Unterstützung hilfsbedürftiger Personen, weiter durch die Förderung der Wissenschaft und Forschung, wie auch durch die Förderung der Bildung und schließlich durch die Förderung von Kunst und Kultur. Diese Zwecke werden laut Gesellschaftsvertrag der Klägerin durch planmäßiges Zusammenwirken mit der Stiftung in Form der Erbringung der oben genannten Dienstleistungen verwirklicht.
3
Die Stiftung verfolgt ausschließlich und unmittelbar dieselben steuerbegünstigten Zwecke wie die Klägerin und ist als steuerbegünstigt anerkannt. In der Satzung der Stiftung wird das planmäßige Zusammenwirken (Kooperation) mit der Klägerin nicht erwähnt.
4
Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) stellte zunächst mit Bescheid vom 17.03.2022 nach § 60a Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) gesondert fest, dass der Gesellschaftsvertrag der Klägerin die Anforderungen an die formelle Satzungsmäßigkeit im Sinne des Gemeinnützigkeitsrechts erfülle. Nachfolgend hob das FA diesen Bescheid allerdings mit Wirkung ab dem 17.03.2022 auf, da die durch das Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) vom 21.12.2020 (Bundesgesetzblatt --BGBl-- I 2020, 3096) mit Wirkung vom 29.12.2020 neu eingeführte Vorschrift des § 57 Abs. 3 AO in Verbindung mit (i.V.m.) einer das FA bindenden Verwaltungsanweisung erfordere, dass die Körperschaft, mit der kooperiert werde, und die Art und Weise der Kooperation in den Satzungen beider Körperschaften bezeichnet würden (sogenanntes doppeltes Satzungserfordernis), was in der Satzung der Stiftung nicht der Fall sei. Mit ihrem hiergegen gerichteten Einspruch rügte die Klägerin die Anwendung des doppelten Satzungserfordernisses, das sich ausschließlich aus einer rein internen Verwaltungsanweisung ergebe, die keine über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechtspflicht begründen könne. Das FA änderte im Einspruchsverfahren den Aufhebungsbescheid dahingehend, dass die Aufhebung mit Wirkung ab dem 01.01.2023 erfolge, und wies danach den Einspruch zurück.
5
Das Finanzgericht (FG) gab der anschließenden Klage statt. Die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit seien erfüllt. Insbesondere müsse die Kooperation nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des § 57 Abs. 3 AO nicht im Sinne eines doppelten Satzungserfordernisses in die Satzung der Stiftung aufgenommen werden. Unionsrechtlich sei die Regelung des § 57 Abs. 3 AO lediglich eine unbeachtliche Änderung einer "Altbeihilfe", die nicht dem Durchführungsverbot unterliege. Die Vorschrift erleichtere lediglich die Kooperation zwischen (bereits bisher steuerbegünstigten) Körperschaften sowie die Auslagerung von Serviceleistungen, ohne den Umfang der steuerlichen Begünstigung zu erweitern.
6
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der es eine Verletzung materiellen Rechts geltend macht.
7
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat auf Aufforderung nach § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 , § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als auskunftsverpflichtete Behörde im Revisionsverfahren gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 86 Abs. 1 FGO mitgeteilt, dass die Bundesregierung die Kommission nicht nach Art. 108 Abs. 3 Satz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung (i.d.F.) des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (AEUV) über die mit dem Jahressteuergesetz 2020 eingeführte Regelung des § 57 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO unterrichtet habe. Äußerungen der Kommission zu dieser Norm lägen der Bundesregierung nicht vor. Ergänzend teilte das BMF mit, dass weder eine Notifizierung noch ein informelles Herantreten an die Kommission erforderlich gewesen sei. Die Förderung von Unternehmen nach dem Konzept der Gemeinnützigkeit durch die Befreiung insbesondere von der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer erfolge beihilfefrei, da gemeinnützige Unternehmen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht mit anderen Unternehmen vergleichbar seien. § 57 Abs. 3 AO führe zudem zu keiner Änderung des bestehenden Gemeinnützigkeitskonzepts. Der Gedanke des planmäßigen Zusammenwirkens sei bereits vor Einführung des § 57 Abs. 3 AO bekannt und rechtlich möglich gewesen. Insofern handele es sich bei § 57 Abs. 3 AO allenfalls um eine Konkretisierung einer bestehenden Beihilfe.
II.
8
Der Senat legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die in der Entscheidungsformel bezeichneten Rechtsfragen zur Auslegung von Art. 107 Abs. 1 und Art. 108 Abs. 3 AEUV zur Vorabentscheidung vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.
9
1. Rechtlicher Rahmen
10
a) Unionsrecht
11
Zum Beihilferecht enthält das Unionsrecht insbesondere folgende Regelungen:
12
Art. 107 Abs. 1 AEUV :
13
Art. 108 Abs. 3 AEUV :
Art. 1 Buchst. b Ziff. i und Art. 1 Buchst. c der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13.07.2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ( Verordnung (EU) 2015/1589 ), die die Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22.03.1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 93 des EG-Vertrags aufgehoben hat:
Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission vom 21.04.2004 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/1589 ( Verordnung (EG) Nr. 794/2004 ), zuletzt geändert durch die Durchführungsverordnung (EU) 2025/905 der Kommission vom 12.05.2025 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 (Durchführungsverordnung (EU) 2025/905):
14
In Bezug auf die Mehrwertsteuer ist folgende Regelung von Bedeutung:
Art. 98 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuersystemrichtlinie --MwStSystRL--):
15
Anhang III Nr. 15 MwStSystRL - Verzeichnis der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Steuersätze und die Steuerbefreiung mit Recht auf Vorsteuerabzug gemäß Art. 98 angewandt werden können:
16
b) Geltendes nationales Recht
17
aa) Allgemeine Vorschriften zum Gemeinnützigkeitsrecht
18
Das im Streitfall anzuwendende nationale Recht enthält zur Gemeinnützigkeit folgende Regelungen:
19
§ 14 Satz 1 und 2 AO :
20
§ 51 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO :
21
§ 55 Abs. 1 AO :
22
§ 57 Abs. 1 und 3 AO :
23
§ 58 Nr. 1 AO :
24
§ 59 AO :
25
§ 60 Abs. 1 Satz 1 AO :
26
§ 60a Abs. 1 AO :
27
§ 61 Abs. 1 AO :
28
§ 63 Abs. 1 AO :
29
§ 64 Abs. 1 AO :
30
§ 65 AO :
31
bb) Steuerbegünstigungen gemeinnütziger Körperschaften nach Einzelsteuergesetzen
32
Das nationale Recht enthält folgende Steuerbegünstigungen:
33
§ 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 und 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) :
34
§ 3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) :
35
§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der durch das Wachstumschancengesetz vom 27.03.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 108) geänderten Fassung:
36
c) Nationales Recht vor Inkrafttreten des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
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Das nationale Recht enthielt beim Inkrafttreten des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Gemeinnützigkeit insbesondere folgende Regelungen:
38
§ 5 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung der §§ 17 bis 19 des Steueranpassungsgesetzes vom 24.12.1953 (Gemeinnützigkeitsverordnung --GemV--):
39
§ 6 Abs. 1 und 2 GemV:
40
§ 7 Abs. 1 GemV:
41
§ 11 Abs. 1 und 2 GemV:
42
2. Ausgangslage nach nationalem Recht
43
a) Steuerbegünstigung für Zweckbetriebe
44
Die Steuerbegünstigungen für Körperschaften nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG , § 3 Nr. 6 GewStG und § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG setzen eine steuerbegünstigte Zweckverfolgung gemäß §§ 51 bis 68 AO voraus. Grundlegende Voraussetzung für die Steuerbegünstigungen ist nach diesen Vorschriften, dass eine Körperschaft ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke (steuerbegünstigte Zwecke) verfolgt. Körperschaften sind die Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes ( § 51 Abs. 1 Satz 2 AO ).
45
Zwar besteht zugunsten der steuerbegünstigten Körperschaften keine Steuerbegünstigung, soweit diese wirtschaftliche Geschäftsbetriebe ( § 14 AO ) unterhalten. Indes werden die Steuerbefreiungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG und § 3 Nr. 6 GewStG sowie die Besteuerung von Leistungen mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG gemäß § 64 Abs. 1 AO doch gewährt, wenn es sich bei dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb um einen Zweckbetrieb nach den §§ 65 bis 68 AO handelt.
46
b) Änderung durch das Jahressteuergesetz 2020
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aa) Bisherige Regelung zur Unmittelbarkeit
48
Die vorstehenden Steuerbegünstigungen für den Zweckbetrieb kann eine Körperschaft nur in Anspruch nehmen, wenn sie ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke unmittelbar verfolgt.
49
Dies setzt gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 AO voraus, dass die Körperschaft diese Zwecke selbst verwirklicht. Dabei kann sie sich auch einer Hilfsperson bedienen ( § 57 Abs. 1 Satz 2 AO ), die aber ihrerseits die Steuerbegünstigung für beispielsweise gemeinnützige Zwecke nur in Anspruch nehmen kann, wenn sie selbst die Voraussetzungen der §§ 51 ff. AO erfüllt. Unterstützt die Hilfsperson mit ihrer Tätigkeit lediglich die steuerbegünstigte Tätigkeit einer anderen Körperschaft, ohne selbst eigene steuerbegünstigte Ziele zu verfolgen, reicht dies für eine Steuerbegünstigung der Hilfsperson nicht aus, da die Hilfsperson dann nur mittelbar steuerbefreite Zwecke verfolgt (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 06.02.2013 - I R 59/11 , BFHE 241, 101, BStBl II 2013, 603, Rz 20).
50
Diese Regelung führte bislang dazu, dass etwa ein gemeinnütziger Krankenhausträger im Rahmen seines Zweckbetriebs "Krankenhaus" ( § 67 AO ) auch eine Wäscherei selbst steuerbegünstigt betreiben konnte. Sofern er die Leistungen eines gewerblichen Wäschereibetreibers als Dienstleister in Anspruch nahm, musste der Wäschereibetreiber seine Einkünfte dagegen --anders als eine steuerbegünstigte Körperschaft-- nach dem Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuergesetz versteuern; seine Leistungen unterlagen dem Regelsteuersatz der Umsatzsteuer. Es war auch nicht möglich, dass der steuerbegünstigte Krankenhausbetreiber die Wäscherei auf eine andere Körperschaft ausgliederte, die sodann ihrerseits die Steuerbegünstigung für Gemeinnützigkeit in Anspruch nehmen konnte, da die andere Körperschaft die steuerbegünstigten Zwecke der ausgliedernden Körperschaft nur mittelbar und nicht unmittelbar förderte (Drucksachen des Deutschen Bundestages --BTDrucks-- 19/25160, S. 202; siehe auch --s.a.-- Jachmann-Michel/Liebl, Der Betriebs-Berater 2022, 535, 541).
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bb) Geänderte Regelung zur Unmittelbarkeit
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(1) Das Unmittelbarkeitserfordernis des § 57 Abs. 1 AO ist durch die Einfügung des § 57 Abs. 3 AO durch Art. 27 Nr. 11 JStG 2020 dahingehend verändert worden, dass es unter erleichterten Bedingungen erfüllt werden kann.
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Nunmehr verfolgt eine Körperschaft ihre steuerbegünstigten Zwecke nach § 57 Abs. 3 Satz 1 AO auch dann unmittelbar, wenn sie satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit mindestens einer weiteren Körperschaft, die im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 51 bis 68 AO erfüllt, einen steuerbegünstigten Zweck verwirklicht. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war es, Körperschaften zu ermöglichen, steuerbegünstigt arbeitsteilig vorzugehen, um gemeinsam einen steuerbegünstigten Zweck zu verwirklichen (BTDrucks 19/25160, S. 202). Durch den --neu eingefügten-- § 57 Abs. 3 Satz 2 AO sollten zudem Leistungen, die in Verwirklichung des gemeinsamen Zwecks im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs erfolgen, innerhalb eines steuerbegünstigten Zweckbetriebs erbracht werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 65 ff. AO erfüllt sind (BTDrucks 19/25160, S. 202). Für die Prüfung, ob ein steuerbegünstigter Zweckbetrieb vorliegt, ist danach auf die ausgeübten Tätigkeiten der beteiligten Körperschaften in ihrer Gesamtheit abzustellen. Tätigkeiten werden damit auch dann noch in Verwirklichung des gemeinsamen steuerbegünstigten Zwecks und damit im Rahmen eines Zweckbetriebs erbracht, wenn sie, sofern sie alle von einer Körperschaft ausgeübt worden wären, dem steuerbegünstigten Bereich (Zweckbetrieb oder ideelle Tätigkeit) zugeordnet werden können (vergleiche --vgl.-- allgemein Exner, Zeitschrift für das Recht der Non Profit Organisationen --npoR-- 2021, 63, 67 f.).
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(2) Der Begriff des "planmäßigen Zusammenwirkens" setzt keine gesellschaftsrechtliche Verbindung zwischen den Körperschaften voraus (vgl. Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 6. Aufl., Rz 4.74; Jachmann-Michel, juris - Die Monatszeitschrift --jM-- 2021, 388, 390). Der Normzweck --die Erleichterung von Kooperationen im gemeinnützigen Sektor durch die Verhinderung oder Ermäßigung der Besteuerung bei der Ausgliederung von Serviceleistungen-- kann jegliche Art von Leistungen und damit auch reine Verwaltungstätigkeiten umfassen (wie zum Beispiel --z.B.-- Service- und Dienstleistungen im Bereich der Finanzbuchhaltung und des Rechnungswesens, vgl. Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 6. Aufl., Rz 4.74; Strahl,Kölner Steuerdialog 2021, 22314, 22320; Kirchhain, npoR 2021, 235, 237; Exner, npoR 2021, 63, 67; Jachmann-Michel, jM 2021, 388, 390; Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 57 Abs. 3 Nr. 11).
55
(3) Der Servicekörperschaft (zum Begriff vgl. Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 6. Aufl., Rz 4.71) wird unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 3 AO die unmittelbar auf die Verfolgung eines steuerbegünstigten Zwecks gerichtete Tätigkeit einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft zugerechnet (vgl. Jachmann-Michel, jM 2021, 388, 389), obwohl sie mit dem Erbringen ihrer "marktgängigen" Leistungen in Wettbewerb zu anderen Dienstleistern tritt. Im Ergebnis ermöglicht § 57 Abs. 3 AO , dass rechtlich selbständige Servicekörperschaften, die "marktgängige" Leistungen erbringen, die typischerweise auch von privatwirtschaftlichen, nicht begünstigten Unternehmen angeboten werden und selbst keine eigenen operativen Beiträge zur Verwirklichung satzungsmäßiger steuerbegünstigter Zwecke leisten, diese "marktgängigen" Leistungen im Rahmen eines steuerbegünstigten Zweckbetriebs erbringen können (vgl. Unger inGosch, AO § 57 Rz 48und50). Da diese Leistungen beliebiger Art sein können, kann auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angesprochene Stromlieferung im planmäßigen Zusammenwirken mit einer steuerbegünstigten Körperschaft den Steuerbegünstigungen unterliegen. Dies kann bei der Umsatzsteuer im Fall des Stromeinkaufs und -verkaufs ebenso wie bei anderen Einkaufs- und Verkaufstätigkeiten sogar zu dauerhaften Steuererstattungen führen.
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Auf dieser Grundlage kann nunmehr auch ein Wäschereibetrieb an ein Krankenhaus Wäschereileistungen im Gegensatz zur früheren Rechtslage steuerbegünstigt erbringen (BTDrucks 19/25160, S. 202 zum Fall der Ausgliederung). Die Steuerbegünstigung des Zweckbetriebs entfällt nach den oben unter II.2.b bb (2) ausgeführten Maßstäben selbst dann nicht, wenn eine Wäscherei-GmbH mit allen Krankenhäusern einer Region planmäßig im Sinne des § 57 Abs. 3 AO zusammenwirkt, obwohl eine solche "Groß-Wäscherei-GmbH" möglicherweise marktverdrängend in den Wettbewerb eingreift.
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(4) Der Streitfall verdeutlicht dies. Die Klägerin beabsichtigt, Dienstleistungen im Bereich der Finanzbuchhaltung und des Rechnungswesens gegenüber der gemeinnützigen Stiftung gegen Vergütung zu erbringen. Bis zur Neuregelung durch das Jahressteuergesetz 2020 konnte die Klägerin für diese Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs erbracht werden, die Steuerbegünstigung für Zweckbetriebe nicht in Anspruch nehmen. Denn dies hätte erfordert, dass die Klägerin ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke unmittelbar verfolgt, wofür sie gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 AO diese Zwecke selbst zu verwirklichen hat. Dies war nach der alten Rechtslage zu verneinen, da die Klägerin keine eigenen steuerbegünstigte Zwecke, sondern nur die der Stiftung verfolgt. Daher unterlagen nach der alten Rechtslage die Einkünfte der Klägerin aus ihrer Tätigkeit für die Stiftung der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer und ihre Umsätze bei der Umsatzsteuer dem Regelsteuersatz.
58
Aufgrund der Anwendung von § 57 Abs. 3 AO reicht es demgegenüber aus, dass die Klägerin ihre steuerbegünstigten Zwecke satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit der gemeinnützigen Stiftung verwirklicht. Unterhält die Stiftung einen Zweckbetrieb nach den §§ 66 bis 68 AO , wird dieser Zweckbetriebstatbestand auch auf die Tätigkeit der Klägerin angewendet. Unterhält die Stiftung entsprechend den Feststellungen des FG keinen Zweckbetrieb nach den §§ 66 bis 68 AO , ist die Tätigkeit der Klägerin nach der gesetzgeberischen Konzeption der Neuregelung als Zweckbetrieb nach § 65 AO anzusehen (vgl. zur entgeltlichen Erbringung von Serviceleistungen für die ideelle Sphäre der Empfängerkörperschaft Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 6. Aufl., Rz 4.78). Unabhängig davon, nach welcher Vorschrift ein Zweckbetrieb der Klägerin vorliegt, sind ihre Einkünfte nunmehr von der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer befreit und ist sie nunmehr --im Grundsatz-- berechtigt, auf ihre Umsätze den ermäßigten Steuersatz anzuwenden.
59
3. Beihilferechtliche Beurteilung
60
a) Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV
61
§ 57 Abs. 3 AO ist am Maßstab des Beihilferechts zu messen.
62
aa) Begünstigtes Unternehmen
63
Der Begriff des (begünstigten) Unternehmens im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV umfasst jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung (vgl. z.B. EuGH-Urteil Cassa di Risparmio di Firenze vom 10.01.2006 - C-222/04 ,EU:C:2006:8). Die Einstufung einer bestimmten Einheit als Unternehmen hängt damit vollständig von der Art ihrer Tätigkeiten ab. Daher ist die Anwendung der Beihilfevorschriften nicht davon abhängig, ob die Einheit zur Erzielung von Gewinnen gegründet wurde.
64
bb) EuGH-Rechtsprechung
65
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verlangt die Einstufung einer nationalen Maßnahme als "staatliche Beihilfe" im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV weiterhin, dass weitere Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (EuGH-Urteile Prezydent Miasta Mielca vom 29.04.2025 - C-453/23 ,EU:C:2025:285, Rz 36; A-Brauerei vom 19.12.2018 - C-374/17 ,EU:C:2018:1024, Rz 19 und Kommission/World Duty Free Group u.a. vom 21.12.2016 - C-20/15 P und C-21/15 P,EU:C:2016:981, Rz 53).
66
b) Beurteilung im Streitfall
67
Bei der vom nationalen Gericht vorzunehmenden Prüfung, ob eine nationale Regelung als Beihilfe anzusehen ist (EuGH-Urteile Transalpine Ölleitung in Österreich vom 05.10.2006 - C-368/04 ,EU:C:2006:644, Rz 39; Lucchini vom 18.07.2007 - C-119/05 ,EU:C:2007:434, Rz 50 und Cassa di Risparmio di Firenze vom 10.01.2006 - C-222/04 ,EU:C:2006:8, Rz 140), sieht der Senat in Bezug auf § 57 Abs. 3 AO die Begünstigung eines Unternehmens und zudem --mit Ausnahme des Kriteriums der Selektivität-- drei der vier vom EuGH für die Annahme einer Beihilfe aufgestellten Voraussetzungen als gegeben an.
68
aa) Begünstigung für Unternehmen
69
Die Steuerbegünstigung für Zweckbetriebe begünstigt Unternehmen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV , da sie sich auf wirtschaftliche Tätigkeiten bezieht. Auch Einheiten, die keinen Erwerbszweck verfolgen, wie es bei Servicekörperschaften, die mit steuerbegünstigten Körperschaften kooperieren, typischerweise der Fall sein dürfte, können Waren und Dienstleistungen auf einem Markt anbieten. Ihr Angebot konkurriert mit dem von Wirtschaftsteilnehmern, die einen Erwerbszweck verfolgen (vgl. EuGH-Urteile Cassa di Risparmio di Firenze vom 10.01.2006 - C-222/04 ,EU:C:2006:8, Rz 122 f. und MOTOE vom 01.07.2008 - C-49/07,EU:C:2008:376, Rz 27).
70
bb) Vorteilsgewährung durch staatliche Maßnahme
71
Die im nationalen Gemeinnützigkeitsrecht gewährten Steuerbegünstigungen für einen Zweckbetrieb sind staatliche Maßnahmen, durch die ein Vorteil gewährt wird.
72
(1) Zu den staatlichen Maßnahmen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV gehören Abgabenbefreiungen und Steuerermäßigungen, die eine staatliche Stelle gewährt, auch wenn sie nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden sind, aber Belastungen vermindern, die ein Unternehmen regelmäßig zu tragen hat (so zur Abgabenbefreiung EuGH-Urteile Banco Exterior de España vom 15.03.1994 - C-387/92 ,EU:C:1994:100, Rz 14 und A-Brauerei vom 19.12.2018 - C-374/17 ,EU:C:2018:1024, Rz 21 und zur Steuersenkung EuGH-Urteil Italien/Kommission vom 15.12.2005 - C-66/02 ,EU:C:2005:768, Rz 78).
73
(2) Die Erweiterung der Steuerbegünstigung für Zweckbetriebe durch § 57 Abs. 3 AO ist vom nationalen Gesetzgeber gewährt worden. Sie entlastet Zweckbetriebe von den Steuern, die Unternehmer und andere wirtschaftlich Tätige im Inland üblicherweise zu tragen haben (siehe --s.-- oben II.2.a).
74
Eine nationale staatliche Maßnahme liegt auch in Bezug auf § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG vor. Zwar fehlt es an einer Beihilfe, wenn eine Vergünstigung nicht einem bestimmten Staat zuzurechnen ist, was bei Maßnahmen, die auf der Mehrwertsteuersystemrichtlinie beruhen, grundsätzlich der Fall sein kann, da diese Richtlinie von allen Mitgliedstaaten einheitlich umzusetzen ist (vgl. EuGH-Urteile Frankreich/Kommission vom 16.05.2002 - C-482/99 ,EU:C:2002:294, Rz 24 und Puffer vom 23.04.2009 - C-460/07,EU:C:2009:254, Rz 70). Indes ist es nicht ausgeschlossen, eine Maßnahme einem bestimmten Staat zuzurechnen, soweit der nationale Gesetzgeber durch das Unionsrecht eingeräumte Entscheidungsspielräume ausübt (vgl. EuGH-Urteil Kommission/Irland u.a. vom 10.12.2013 - C-272/12 P,EU:C:2013:812, Rz 47 ff.). So ist es hier, da das Unionsrecht in Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III MwStSystRL nur zur Schaffung einer Steuersatzermäßigung ermächtigt, ohne diese vorzuschreiben. Zudem bezieht sich diese Ermächtigung im Anhang III Nr. 15 MwStSystRL auf die "Lieferung von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen, die sich für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit wie von den Mitgliedstaaten definiert einsetzen und die von den Mitgliedstaaten als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt werden, soweit sie nicht (...) von der Steuer befreit sind". Danach kommt es auch auf eine Anerkennungsentscheidung durch den jeweiligen Mitgliedstaat an, die der nationale Gesetzgeber in Ausübung des ihm zustehenden Ermessens vorliegend durch die hier in Rede stehende Vorschrift des § 57 Abs. 3 AO getroffen hat.
75
Darüber hinaus hat der nationale Gesetzgeber das ihm durch die Richtlinie in Bezug auf die Anerkennung der Einrichtungen mit sozialem Charakter eingeräumte Regelungsermessen mit der Anerkennung von Servicekörperschaften, deren Tätigkeit sich bei einer hierauf bezogenen Prüfung nicht von der anderer Wettbewerber unterscheidet, überschritten. Dies folgt zum einen daraus, dass eine Körperschaft nicht bereits aufgrund der Leistungserbringung an eine Einrichtung, der sozialer Charakter zukommt, selbst als Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen ist, wenn sich ihre Leistungen --wie zum Beispiel die der Klägerin im Bereich der Finanzbuchhaltung und des Rechnungswesens-nicht von denen anderer Wettbewerber, wie etwa denen von Buchhaltern und Steuerberatern, unterscheidet. Zum anderen ermöglicht § 57 Abs. 3 AO nicht nur eine Leistungserbringung an Einrichtungen mit sozialem Charakter, sondern an alle steuerbegünstigten Körperschaften, selbst wenn sie aufgrund einer begünstigten Zweckverfolgung wie etwa in den Bereichen Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, Denkmalschutz und Denkmalpflege, Naturschutz und Landschaftspflege, internationale Gesinnung, Tierschutz oder Tierzucht ( § 52 Abs. 2 Nr. 1, 5, 6, 8, 13, 14, 23 AO ), nicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anzusehen sind. Auch dies wird durch den Streitfall verdeutlicht, in dem die steuerbegünstigte Stiftung als Empfängerin der von der Klägerin zu erbringenden Leistungen auch in den Bereichen Wissenschaft und Forschung, Bildung sowie Kunst und Kultur steuerbegünstigte Zwecke verfolgt.
76
cc) Handel und Wettbewerb
77
Die Erweiterung der Steuerbegünstigungen für Zweckbetriebe durch § 57 Abs. 3 AO kann außerdem den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen und den Wettbewerb verfälschen.
78
(1) Art. 107 Abs. 1 AEUV verbietet Beihilfen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen oder zu verfälschen drohen. Dazu ist es nicht erforderlich, dass eine Beihilfemaßnahme eine tatsächliche Auswirkung auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten hat oder zu einer tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung führt (vgl. EuGH-Urteile Fallimento Esperia und GSE vom 07.03.2024 - C-558/22 ,EU:C:2024:209, Rz 64; Cassa di Risparmio di Firenze vom 10.01.2006 - C-222/04 ,EU:C:2006:8, Rz 140; s.a. Urteil des Gerichts der Europäischen Union --EuG-- Alzetta u.a./Kommission vom 15.06.2000 - T-298/97 ,EU:T:2000:151, Rz 80). Ausreichend ist vielmehr, wenn auf dem betreffenden Markt beim Inkrafttreten einer Beihilfemaßnahme wirksamer Wettbewerb herrscht, so dass eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann und den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteil DOBELES HES vom 12.01.2023 - C-702/20 und C-17/21,EU:C:2023:1, Rz 51), ohne dass die begünstigten Unternehmen selbst am Handel zwischen Mitgliedstaaten teilzunehmen brauchen (vgl. EuGH-Urteile Cassa di Risparmio di Firenze vom 10.01.2006 - C-222/04 ,EU:C:2006:8, Rz 143 und Cividale und Flag u.a. vom 13.03.2025 - C-746/23 ,EU:C:2025:171, Rz 35). Schließlich gibt es keine Schwelle und keinen Prozentsatz, bis zu der oder dem davon ausgegangen werden könnte, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt ist. Weder der verhältnismäßig geringe Umfang einer Beihilfe noch die verhältnismäßig geringe Größe des begünstigten Unternehmens schließt von vornherein die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten aus (EuGH-Urteile Eventech vom 14.01.2015 - C-518/13,EU:C:2015:9, Rz 68 und Cividale und Flag u.a. vom 13.03.2025 - C-746/23 ,EU:C:2025:171, Rz 36).
79
(2) Danach ist die Erweiterung der Steuerbegünstigung für Zweckbetriebe durch § 57 Abs. 3 AO geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen. Die begünstigten Servicekörperschaften können "marktgängige" Leistungen an steuerbegünstigte Körperschaften als Leistungsempfänger anbieten und treten damit in Bezug auf diesen Kundenkreis in Wettbewerb zu nicht begünstigten Leistungsanbietern, die der allgemeinen Steuerregelung --ohne Steuerbefreiung und ohne Steuersatzermäßigung-- unterliegen. Dies gilt auch und gerade bezüglich der hier vorliegenden Dienstleistungen im Bereich der Finanzbuchhaltung und des Rechnungswesens, die ortsungebunden und auch im Hinblick auf zu beachtende stiftungsrechtliche Besonderheiten in diesem Bereich von nicht im Inland ansässigen Unternehmen erbracht werden können.
80
Im Übrigen ist nicht ausgeschlossen, dass steuerbegünstigte Leistungsempfänger ihre steuerbegünstigten Zwecke im Ausland verwirklichen und auch deshalb der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden kann, wenn sie Dienstleistungen von Leistungserbringern in Anspruch nehmen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob die Leistungserbringer selbst steuerbegünstigt sind. Die Steuervergünstigung setzt insoweit nur voraus, dass natürliche Personen, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich der Abgabenordnung haben, gefördert werden oder die Tätigkeit der Körperschaft neben der Verwirklichung der steuerbegünstigten Zwecke auch zum Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland beitragen kann ( § 51 Abs. 2 AO ).
81
(3) Vorliegend handelt es sich auch nicht um eine "De-minimis"-Beihilfe, die unter die Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18.12.2013 über die Anwendung der Art. 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen ( Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 ), ersetzt durch die Verordnung (EU) 2023/2831 der Kommission vom 13.12.2023 über die Anwendung der Art. 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen ( Verordnung (EU) 2023/2831 ), fällt. Danach stellen Finanzhilfen, die einen Gesamtbetrag von 200.000 € oder ab 01.01.2024 300.000 € innerhalb von drei Jahren nicht überschreiten, keine staatlichen Beihilfemaßnahmen dar, die die Kriterien des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen, da davon ausgegangen wird, dass die einzelne unter diese Verordnung fallende Maßnahme weder Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten hat noch den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht ( Art. 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 und Art. 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) 2023/2831 ).
82
Ungeachtet der Frage, ob der maßgebliche Betrag im Streitfall überschritten wird, fallen nationale Regelungen, die --wie die Steuerbegünstigungen für gemeinnützige Körperschaften-- nicht gewährleisten, dass der einschlägige Höchstbetrag nicht überschritten werden wird und die eine Kumulierung mit anderen staatlichen Beihilfen nicht ausschließen, bereits nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 und der Verordnung (EU) 2023/2831 (vgl. EuGH-Urteile Deutschland/Kommission vom 19.09.2000 - C-156/98 ,EU:C:2000:467, Rz 40; Heiser vom 03.03.2005 - C-172/03 ,EU:C:2005:130, Rz 34; BFH-Beschluss vom 13.03.2019 - I R 18/19 , BFHE 265, 23, Rz 67; s. hierzu auch Weitemeyer,Finanz-Rundschau 2009, 1; Englisch in Schaumburg/Englisch/Dobratz, Europäisches Steuerrecht, 3. Aufl., Rz 9.46).
83
Weder kann in solchen Fällen --wie jedoch nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 und Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2023/2831 erforderlich-- ein Bruttosubventionsäquivalent im Voraus genau berechnet werden noch ist eine Obergrenze im Sinne des Art. 4 Abs. 7 der Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 und Art. 4 Abs. 8 der Verordnung (EU) 2023/2831 vorgesehen.
84
(4) Entgegen der Auffassung der Klägerin in ihrem zuletzt eingereichten Schriftsatz wird eine mögliche Beeinträchtigung des Handels und eine Verfälschung des Wettbewerbs schließlich nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Klägerin ihren Tätigkeitsbereich nach ihrem Gesellschaftsvertrag auf Leistungen an eine bestimmte steuerbegünstigte Körperschaft mit einem Stiftungsvermögen von ... € beschränkt hat. Denn im vorliegenden Fall ist keine Einzelbeihilfe durch eine staatliche Maßnahme an die Klägerin zu überprüfen. Es geht vielmehr darum, ob § 57 Abs. 3 AO eine Beihilferegelung darstellt, die --mangels Notifizierung-- ein vom entscheidenden Gericht zu beachtendes Durchführungsverbot auslöst ( Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV ). Ein Bruttosubventionsäquivalent lässt sich, auch wenn auf den konkreten Fall abzustellen wäre, nicht berechnen, zumal der im vorliegenden Fall angefochtene Feststellungsbescheid für die Zukunft wirkt, so dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids auch nicht feststeht, ob und inwieweit sich die Verhältnisse der Dienstleistungserbringung der Klägerin gegenüber der Stiftung ändern.
85
4. Zur ersten Vorlagefrage
86
Der BFH ist bislang davon ausgegangen, dass die Steuerbegünstigung für Zweckbetriebe jedenfalls insoweit als Altbeihilfe anzusehen ist, als diese Steuerbegünstigung bereits vor dem Inkrafttreten des Vertrags über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft am 01.01.1958 bestand ( BFH-Urteil vom 31.07.2013 - I R 82/12 , BFHE 243, 180, BStBl II 2015, 123, Rz 35 zum Zweckbetrieb für Krankenhäuser nach § 67 AO ).
87
Davon zu trennen ist die im vorliegenden Fall zu beantwortende Frage, ob die mit dem Jahressteuergesetz 2020 erfolgte Erweiterung der Steuerbegünstigung für Zweckbetriebe auf Servicekörperschaften durch § 57 Abs. 3 AO zu einem gesonderten selektiven Vorteil führt, da diese Regelung einer Servicekörperschaft die Steuerbegünstigung eines Zweckbetriebs für eine wirtschaftliche Tätigkeit ermöglicht, obgleich sie durch das satzungsgemäße planmäßige Zusammenwirken mit einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft ohne die Regelung des § 57 Abs. 3 AO deren steuerbegünstigten Zweck lediglich mittelbar verfolgt.
88
a) Erfordernis der Selektivität
89
Zur Feststellung der selektiven Wirkung einer nationalen steuerlichen Maßnahme ist zuerst der Bezugsrahmen und damit die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende "normale" Steuerregelung zu bestimmen und anschließend zu prüfen, ob die steuerliche Maßnahme insoweit von diesem Bezugsrahmen abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dem Bezugssystem verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Maßnahmen, die eine Unterscheidung zwischen Unternehmen, die sich im Hinblick auf das mit der in Rede stehenden rechtlichen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, einführen und damit grundsätzlich selektiv sind, fallen allerdings dann nicht unter den Begriff "staatliche Beihilfe", wenn der Mitgliedstaat in einem dritten Schritt nachweisen kann, dass diese Unterscheidung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen (vgl. EuGH-Urteile Prezydent Miasta Mielca vom 29.04.2025 - C-453/23 ,EU:C:2025:285, Rz 44; A-Brauerei vom 19.12.2018 - C-374/17 ,EU:C:2018:1024, Rz 36 und 44).
90
Im Kontext steuerlicher Maßnahmen kommt der Bestimmung des Bezugsrahmens eine besondere Bedeutung zu, da der wirtschaftliche Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV nur im Verhältnis zur "normalen" Besteuerung festgestellt werden kann. Die Bestimmung des Bezugsrahmens muss sich aus einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Zusammenhangs und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften ergeben (EuGH-Urteil Prezydent Miasta Mielca vom 29.04.2025 - C-453/23 ,EU:C:2025:285, Rz 45 und 46).
91
Außerdem ist zu beachten, dass außerhalb der unionsrechtlich harmonisierten Steuerbereiche die Mitgliedstaaten in Wahrnehmung ihrer eigenen Zuständigkeiten aufgrund ihrer dann bestehenden Steuerautonomie die grundlegenden Merkmale der Steuer bestimmen, die grundsätzlich den "normalen" Bezugsrahmen oder die "normale" Steuerregelung definieren, anhand derer die Selektivität zu prüfen ist. Diese Bestimmung der grundlegenden Merkmale der Steuer umfasst ihre Bemessungsgrundlage, ihren Steuertatbestand, aber auch etwaige Steuerbefreiungen (EuGH-Urteil Prezydent Miasta Mielca vom 29.04.2025 - C-453/23 ,EU:C:2025:285, Rz 48 und 49).
92
Da die grundlegenden Merkmale der Steuer grundsätzlich den Bezugsrahmen definieren, anhand dessen die Voraussetzung der Selektivität zu prüfen ist, ist eine allgemeine und abstrakte Befreiung von einer direkten Steuer normalerweise nicht als "staatliche Beihilfe" einzustufen (EuGH-Urteile Prezydent Miasta Mielca vom 29.04.2025 - C-453/23 ,EU:C:2025:285, Rz 50). Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Steuerautonomie mit der direkten Besteuerung neben einem rein fiskalischen Ziel auch ein oder mehrere andere Ziele verfolgen, die gegebenenfalls zusammen das Ziel des maßgeblichen Bezugsrahmens bilden (vgl. EuGH-Urteil Prezydent Miasta Mielca vom 29.04.2025 - C-453/23 ,EU:C:2025:285, Rz 51).
93
Schließlich kann eine allgemeine und abstrakte Befreiung von einer direkten Steuer nicht als unter die "normale" Steuerregelung fallend angesehen werden, wenn sich die in der einschlägigen Regelung festgelegten Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Befreiung rechtlich oder tatsächlich auf ein oder mehrere spezifische Merkmale beziehen, die die Kategorie von Unternehmen kennzeichnen, die als einzige in den Genuss der Befreiung kommen können, wobei diese Merkmale untrennbar mit der Art dieser Unternehmen oder ihrer Tätigkeiten verbunden sind (EuGH-Urteil Prezydent Miasta Mielca vom 29.04.2025 - C-453/23 ,EU:C:2025:285, Rz 54; ebenso EuGH-Urteil Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich vom 15.11.2011 - C-106/09 P und C-107/09 P,EU:C:2011:732, Rz 104).
94
b) Anwendung auf den Streitfall
95
aa) Abweichung vom Bezugsrahmen
96
Den maßgebenden Bezugsrahmen bilden im vorliegenden Fall die Einzelsteuergesetze, nach denen die Gewinne von im Inland ansässigen Körperschaften aus wirtschaftlicher Tätigkeit als Einkünfte aus Gewerbebetrieb behandelt werden und der Körperschaftsteuer sowie der Gewerbesteuer unterliegen. Darüber hinaus sind umsatzsteuerpflichtige Leistungen, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erbracht werden, in der Regel mit dem Regelsteuersatz zu versteuern. Diese Besteuerung erfolgt auch für den Fall, dass eine im Inland ansässige, steuerbegünstigte Körperschaft einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält.
97
Von dieser allgemeinen, abstrakt formulierten und für alle Wirtschaftsteilnehmer unterschiedslos geltenden Besteuerung macht der nationale Gesetzgeber für den Zweckbetrieb Ausnahmen (s. oben II.2.a), die aus dem "normalen" Bezugsrahmen "herausfallen". Denn in den Genuss der Steuerbegünstigung für Zweckbetriebe nach § 5 Abs 1 Nr. 9 Satz 2 KStG , § 3 Nr. 6 Satz 2 GewStG , § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 2 UStG i.V.m. § 64 Abs. 1 Halbsatz 2 AO kommen nur die Unternehmen der steuerbegünstigten Körperschaften, also nur Unternehmen, die eine bestimmte, gesetzlich festgelegte Tätigkeit ausüben und damit eine bestimmte Unternehmenskategorie darstellen (vgl. dazu EuGH-Urteil Prezydent Miasta Mielca vom 29.04.2025 - C-453/23 ,EU:C:2025:285, Rz 54). Bereits dies genügt für die Annahme eines --selektiven-- Vorteils.
98
Unabhängig davon stellt § 57 Abs. 3 AO innerhalb der für steuerbegünstigte Körperschaften geltenden Regelungen ( §§ 51 bis 68 AO ) eine Ausnahme dar. Da nach § 51 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO die jeweilige Körperschaft als "selbständiges Steuersubjekt" die Voraussetzungen der §§ 51 ff. AO selbst zu erfüllen hat (zur Versagung der Gemeinnützigkeit vgl. BFH-Urteil vom 05.09.2024 - V R 36/21 , BFHE 283, 280, BStBl II 2025, 26, Rz 18), führt es innerhalb des Rechts für steuerbegünstigte Körperschaften jedenfalls dann zu einem selektiven Vorteil, wenn aufgrund von § 57 Abs. 3 AO auf eine in der eigenen Person zu verwirklichenden Unmittelbarkeit verzichtet wird und stattdessen in der Weise auf die Gegebenheiten bei einer anderen Körperschaft abgestellt wird, dass eine Tätigkeit, die sich --für sich genommen-- nicht von der eines anderen Leistungsanbieters, wie etwa eines Buchhalters oder Steuerberaters, unterscheidet, im Hinblick auf die bloße Leistungsverwendung bei der Empfängerkörperschaft als steuerbegünstigt angesehen wird.
99
bb) Vergleichbarkeit begünstigter und nicht begünstigter Unternehmen
100
§ 57 Abs. 3 AO führt --vorbehaltlich der Einbindung dieser Vorschrift in das Gemeinnützigkeitsrecht (s. dazu die zweite Vorlagefrage)-- aus Sicht des Senats zu Unterscheidungen zwischen Unternehmen, die sich im Hinblick auf das mit dem Bezugssystem verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Ziel der Einzelsteuergesetze ist die gleichmäßige Besteuerung von Einkünften aus wirtschaftlicher Tätigkeit. Dem widerspricht die ertragsteuerrechtliche Steuerbefreiung des wirtschaftlich tätigen Zweckbetriebs und die umsatzsteuerrechtliche Steuerermäßigung der Leistungen des Zweckbetriebs. Die durch § 57 Abs. 3 , § 64 Abs. 1 Halbsatz 2 AO in Verbindung mit den Einzelsteuergesetzen begünstigten Unternehmen befinden sich im Hinblick auf ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten in einer vergleichbaren Situation wie nicht begünstigte Unternehmen, da sich die hier in Rede stehende Tätigkeit jeweils in der Erbringung von "marktgängigen", ihrer Art nach nicht "originär gemeinnützigen" Dienstleistungen erschöpft. Die Begünstigung des § 57 Abs. 3 AO erstreckt sich dabei auf "marktgängige" Leistungen beliebiger Art, so dass eine Vielzahl nicht begünstigter Unternehmen in einer vergleichbaren Situation betroffen sein könnten.
101
cc) Mögliche Rechtfertigung der Unterscheidung
102
Es ist nicht ersichtlich, dass die --vorbehaltlich der Antwort auf die zweite Frage-- durch § 57 Abs. 3 AO erfolgte selektive Besserstellung der Servicekörperschaften durch die Natur oder den inneren Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt ist (vgl. EuGH-Urteil Paint Graphos vom 08.09.2011 - C-78/08 bis C-80/08,EU:C:2011:550, Rz 75).
103
5. Zur zweiten Vorlagefrage
104
Der Annahme eines selektiven Vorteils könnte entgegenstehen, dass die Vorschrift des § 57 Abs. 3 AO dazu führt, dass die hierdurch begünstigten Servicekörperschaften den besonderen Regelungen des Gemeinnützigkeitsrechts unterliegen.
105
a) Staat oder Allgemeinheit als Begünstigter
106
aa) Verneinung einer Vorteilszuwendung an Körperschaften
107
Zweifel an der Selektivität des Vorteils könnten sich daraus ergeben, dass als Begünstigter der steuerlichen Maßnahme im Hinblick auf die gemeinnützige Tätigkeit der betroffenen Körperschaften der Staat selbst oder die Allgemeinheit anzusehen sein könnten und nicht die steuerbegünstigte Körperschaft, so dass diese keinen Vorteil erhalten haben könnte.
108
Zwar ist die Körperschaft, die einen Zweckbetrieb unterhält, Adressat der nationalen Steuerbegünstigungen und alleine ihre finanziellen Kapazitäten werden durch die Steuerbegünstigungen erweitert. Letztlich entlasten die Körperschaften durch die Verwirklichung ihrer steuerbegünstigten Zwecke jedoch den Staat von seiner eigenen Gemeinwohlverpflichtung (vgl. auch Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 6. Aufl., Rz 1.80; Hummel, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2023, 345, 350; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vorbemerkung zu §§ 51 ff. AO Rz 36; Seer in Tipke/Kruse, Vorbemerkung zu §§ 51 ff. AO Rz 4) oder ergänzen und bereichern das staatliche Leistungsangebot (vgl. auch Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 6. Aufl., Rz 1.82; Seer in Tipke/Kruse, Vorbemerkung zu §§ 51 ff. AO Rz 4), so dass der eigentliche Vorteil nicht in der Begünstigung der steuerbegünstigten Körperschaft bestehen könnte, sondern der Staat selbst oder die geförderte Allgemeinheit begünstigt sein könnten (so Hummel,UR 2023, 345, 350). Dies könnte daraus folgen, dass das Gemeinnützigkeitsrecht durch die in § 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 sowie 5 AO niedergelegten Mittelverwendungsbeschränkungen und die Vermögensbindung im Sinne der § 55 Abs. 1 Nr. 4 , § 61 AO sicherstellt, dass die gewährten Steuervorteile dem verfolgten Zweck zugutekommen. Denn die steuerbegünstigte Körperschaft darf ihre Mittel, wozu auch die in einem Zweckbetrieb erwirtschafteten Mittel gehören, nur für ihre satzungsmäßigen Zwecke einsetzen ( § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO ). Dies gilt auch bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft ( § 55 Abs. 1 Nr. 4 und § 61 Abs. 1 AO ). Sie muss den durch die Steuerbegünstigung gewährten finanziellen Vorteil somit der Allgemeinheit zuwenden (vgl. Hummel,UR 2023, 345, 350).
109
bb) Aber: Umgehung Beihilferecht
110
Gegen eine so begründete Verneinung eines Vorteils für die steuerbegünstigte Körperschaft können allerdings die vielfältigen Überschneidungen des nationalen Katalogs steuerbegünstigter und dabei insbesondere gemeinnütziger Zwecke mit den Bereichen sprechen, die von dem Unionsgesetzgeber als beihilfeprüfungsbedürftig angesehen werden.
111
(1) Überschneidungen bestehen beispielsweise mit dem Regelungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17.06.2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Art. 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ( Verordnung (EU) Nr. 651/2014 ). So gilt diese Verordnung nach ihrem Art. 1 Nr. 1 für Umweltschutzbeihilfen (Buchst. c), Beihilfen für Forschung und Entwicklung und Innovation (Buchst. d), Ausbildungsbeihilfen (Buchst. e), Einstellungs- und Beschäftigungsbeihilfen für benachteiligte Arbeitnehmer und Arbeitnehmer mit Behinderungen (Buchst. f), Beihilfen zur Bewältigung der Folgen bestimmter Naturkatastrophen (Buchst. g), Beihilfen für Kultur und die Erhaltung des kulturellen Erbes (Buchst. j) und Beihilfen für Sportinfrastrukturen und multifunktionale Freizeitinfrastrukturen (Buchst. k). Dabei handelt es sich um Bereiche, in denen steuerbegünstigte Körperschaften nach § 52 Abs. 2 AO unter dessen Nr. 8 (Umweltschutz), Nr. 1 (Forschung), Nr. 4 (Jugendhilfe), Nr. 10 (Hilfe für Behinderte, wobei sogar eigenständige Zweckbetriebsfiktionen in § 68 Nr. 3 AO bestehen), Nr. 12 (Katastrophenschutz), Nr. 5 (Kultur) und Nr. 21 (Sport) steuerbegünstigte Zweckbetriebe unterhalten können.
112
(2) Der Unionsgesetzgeber sieht diese Bereiche als grundsätzlich beihilfeprüfungsbedürftig an. Dementsprechend nimmt er eine Vereinbarkeit von Vorteilen in diesen Bereichen mit dem Binnenmarkt nur unter bestimmten, im Einzelnen zu prüfenden Voraussetzungen an, die er in den Kapiteln I und III der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 festgelegt hat ( Art. 3 der Verordnung (EU) Nr. 615/2014 ).
113
Die danach erforderliche Beihilfehilfeprüfung kann aus Sicht des Senats nicht deshalb entfallen, weil der Staat oder die Allgemeinheit anstelle einer tatsächlich unmittelbar begünstigten Körperschaft als Begünstigte anzusehen sein sollen. Wäre der Staat Begünstigter, entfiele die Beihilfeprüfung nach Art. 107 AEUV und würde damit das für nicht genehmigte Beihilfen geltende Durchführungsverbot umgangen.
114
b) Verwendungsbeschränkungen der Körperschaften
115
aa) Frage der Vergleichbarkeit
116
Die im Gemeinnützigkeitsrecht vorgesehenen Mittelverwendungsbeschränkungen und die Vermögensbindung steuerbegünstigter Körperschaften könnten auch für eine fehlende Vergleichbarkeit der begünstigten Unternehmen mit nicht begünstigten Unternehmen sprechen, und damit für eine fehlende Selektivität des Vorteils. Die steuerbegünstigten Körperschaften unterwerfen sich zum Erhalt der Steuerbegünstigung den Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts (vgl. Hummel,UR 2023, 345, 352und Non Profit Law Yearbook 2018, 145, 170). Aufgrund der Mittelverwendungsbeschränkungen können steuerbegünstigte Körperschaften nicht --wie nicht begünstigte Unternehmen-- frei über ihre Mittel verfügen und diese nicht zugunsten ihrer Gesellschafter oder Mitglieder verwenden. Die Vermögensbindung stellt sicher, dass die Körperschaften ihre Vermögenswerte ausschließlich für ihre steuerbegünstigte Zwecke einsetzen. Ihre Tätigkeit muss außerdem ausschließlich auf die Verfolgung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke gerichtet sein. Sie dürfen nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgen ( § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 AO ). Die Teilnahme von steuerbegünstigten Körperschaften am allgemeinen Wirtschaftsverkehr und damit im Ergebnis ihre Einflussnahme auf den allgemeinen Wettbewerb ist dadurch --anders als bei nicht begünstigten Unternehmen-- beschränkt. Dies zeigt sich auch daran, dass auch der Aufbau und die Erweiterung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nur unter Beachtung der zeitnahen Mittelverwendung möglich ist ( § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO ; vgl. BFH-Urteil vom 22.01.1997 - I R 156/94 , BFH/NV 1999, 145).
117
bb) Aber: Wettbewerbseingriff
118
Gegen eine so begründete Verneinung der Vergleichbarkeit von steuerbegünstigten Körperschaften mit nicht steuerbegünstigten Unternehmen kann aber der weite --und nach dem 01.01.1958 vom nationalen Gesetzgeber auch erheblich erweiterte-- Katalog steuerbegünstigter Zwecke sprechen.
119
Nach dem für die Prüfung von Altbeihilfen maßgeblichen Stichtag vor dem 01.01.1958 beschränkte sich die gemeinnützige steuerbegünstigte Zweckverfolgung gemäß § 17 Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes vom 16.10.1934 (Reichsgesetzblatt I 1934, 925) auf die Bereiche öffentliche Gesundheitspflege, Jugendpflege und Jugendfürsorge, körperliche Ertüchtigung des Volks durch Leibesübungen (Turnen, Spiel, Sport), Wissenschaft, Kunst und Religion, Erziehung, Volks- und Berufsbildung, Denkmalpflege, Heimatpflege, Heimatkunde und deutsches Volkstum im Ausland, wobei hierzu auch die Theater gehörten, die im öffentlichen Interesse von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts geführt oder unterhalten wurden.
120
Diesen Katalog hat der Gesetzgeber seit dem Stichtag zum 01.01.1958 vielfältig um steuerbegünstigte Zwecke erweitert. Zu nennen sind --bei einer formalen Betrachtung-- die Bereiche Forschung, Altenpflege, Kultur, Naturschutz, Landschaftspflege und Umweltschutz, Wohlfahrtswesen, Hilfe für Verfolgte und Behinderte, Rettung aus Lebensgefahr, Feuer-, Arbeits-, Katastrophen- und Zivilschutz, internationale Gesinnung, Tierschutz, Entwicklungszusammenarbeit, Verbraucherberatung und Verbraucherschutz, Fürsorge für Strafgefangene, Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Schutz von Ehe und Familie, Kriminalprävention, Tierzucht, Pflanzenzucht, Kleingärtnerei, traditionelles Brauchtum, demokratisches Staatswesen, bürgerschaftliches Engagement, Unterhaltung und Pflege von Friedhöfen sowie die vergünstigte Wohnraumüberlassung an bestimmte Personengruppen durch § 52 Abs. 2 Nr. 1, 4, 5, 8 bis 20 und 23 bis 27 AO .
121
Dieser weite Katalog erfasst vielfältige Bereiche des öffentlichen Lebens, so dass § 57 Abs. 3 AO Eingriffe in den von diesen steuerbegünstigten Körperschaften weitreichend gebildeten Nachfragemarkt ermöglicht. Der Senat hat hinsichtlich dieser Wettbewerbsrelevanz grundlegende Zweifel, ob die Vergleichbarkeit der steuerbegünstigten Servicekörperschaften mit nicht begünstigten Unternehmen, die marktgängige Leistungen der gleichen Art gegenüber diesem Nachfragemarkt anbieten, im Hinblick auf die Mittelverwendungsbeschränkungen und der Vermögensbindung abgelehnt werden kann.
122
6. Zur dritten Vorlagefrage
123
a) Art. 108 Abs. 3 AEUV
124
aa) EuGH-Rechtsprechung
125
Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil Eco Fox u.a. vom 28.10.2021 - C-915/19 bis C-917/19,EU:C:2021:887, Rz 36 bis 38 und 40 bis 42) unterscheidet sich das Verfahren im Rahmen des mit den Art. 107 und Art. 108 AEUV eingeführten Systems der Kontrolle staatlicher Beihilfen danach, ob es sich um bestehende oder um neue Beihilfen handelt. Während bestehende Beihilfen gemäß Art. 108 Abs. 1 AEUV regelmäßig durchgeführt werden dürfen, solange die Kommission nicht ihre Vertragswidrigkeit festgestellt hat, sieht Art. 108 Abs. 3 AEUV vor, dass der Kommission Vorhaben zur Einführung neuer Beihilfen oder zur Umgestaltung bestehender Beihilfen rechtzeitig zu melden sind und dass sie nicht durchgeführt werden dürfen, bevor das Verfahren zu einer abschließenden Entscheidung geführt hat. Die in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehene und in Art. 2 der Verordnung (EU) 2015/1589 konkretisierte Anmeldepflicht ist ein Grundbestandteil des mit dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Bereich der staatlichen Beihilfen eingerichteten Kontrollsystems. Maßnahmen sind als neue Beihilfen, die der in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Anmeldepflicht unterliegen, anzusehen, wenn sie nach dem Inkrafttreten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erlassen worden und auf die Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen gerichtet sind, wobei sich diese Umgestaltung insbesondere auf bestehende Beihilfen beziehen kann. Der Begriff "neue Beihilfen" wird in Art. 1 Buchst. c der Verordnung (EU) 2015/1589 definiert. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 i.d.F. der Durchführungsverordnung (EU) 2025/905 bestimmt insoweit: "Für den Zweck von Artikel 1 Buchstabe c der [Verordnung (EU) 2015/1589] ist die Änderung einer bestehenden Beihilfe jede Änderung, außer einer Änderung rein formaler oder verwaltungstechnischer Art, die keinen Einfluss auf die Würdigung der Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahme mit dem Gemeinsamen Markt haben kann."
126
bb) Kern der Beihilferegelung
127
Der Kreis der Begünstigten gehört zum Kern einer Beihilferegelung. Änderungen der Kriterien, nach denen die Beihilfeempfänger ermittelt werden, sind nicht auf eine Änderung rein formaler oder verwaltungstechnischer Art beschränkt (EuGH-Urteil Dilly's Wellnesshotel vom 14.11.2019 - C-585/17 ,EU:C:2019:969, Rz 60 f.). Die Änderung einer Beihilferegelung, welche die Ausdehnung einer bestehenden Beihilferegelung auf eine neue Kategorie von Begünstigten vorsieht, ist nach der Rechtsprechung des EuG jedoch eine Änderung, die sich von der ursprünglichen Regelung eindeutig abtrennen lässt, da die Anwendung der bestehenden Beihilferegelung auf die neue Kategorie von Begünstigten die Würdigung der Vereinbarkeit der ursprünglichen Regelung nicht betrifft (EuG-Urteil Telefónica de España und Telefónica Móviles España/Kommission vom 11.07.2014 - T-151/11,EU:T:2014:631, Rz 64).
128
b) Zur Beantwortung der dritten Vorlagefrage
129
Zu entscheiden ist, ob § 57 Abs. 3 AO nur eine unwesentliche formale --im Sinne einer lediglich organisatorischen-- Änderung einer vor Inkrafttreten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union bestehenden Beihilfe im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 i.d.F. der Durchführungsverordnung (EU) 2025/905 bewirkt hat und damit nicht als eine Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe anzusehen ist.
130
aa) Altbeihilfe
131
Die steuerliche Begünstigung von Zweckbetrieben, die dem Grunde nach in den --im Ausgangsverfahren einschlägigen-- § 64 Abs. 1 Halbsatz 2 , § 65 AO angelegt ist, wurde bereits vor dem Inkrafttreten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Inland eingeführt. Bereits § 7 Abs. 1 GemV vom 24.12.1953 sah --mit Wirkung für alle Einzelsteuergesetze-- unter weiteren Voraussetzungen eine Steuerbegünstigung für wirtschaftliche Tätigkeiten vor, die eine steuerbegünstigte Körperschaft im Rahmen eines Zweckbetriebs zur Verwirklichung ihrer steuerbegünstigten Zwecke ausübte. Diese Regelung wurde in § 65 AO ohne wesentliche Änderung übernommen.
132
Zweckbetriebe konnten nach damaliger Rechtslage jedoch nur von steuerbegünstigten Körperschaften, die mit dem Zweckbetrieb unmittelbar ihre steuerbegünstigten Zwecke verfolgten, unterhalten werden. Denn Körperschaften wurden nur dann als steuerbegünstigt anerkannt, wenn sie ihre steuerbegünstigten Zwecke unmittelbar selbst verwirklichten (§ 11 Abs. 2 GemV). § 11 Abs. 1 GemV sah ausdrücklich vor, dass Körperschaften die Voraussetzungen für die steuerlichen Begünstigungen nicht erfüllten, wenn sie die zu begünstigenden Zwecke nur mittelbar verwirklichten. § 57 Abs. 1 AO hat die Regelungen des § 11 Abs. 1 und 2 GemV übernommen.
133
bb) Erweiterung
134
Der Anwendungsbereich dieser Steuerbegünstigung ist durch den mit dem Jahressteuergesetz 2020 eingefügten § 57 Abs. 3 AO erweitert worden. Der Gesetzgeber hat in § 57 Abs. 3 AO einen Fall der mittelbaren Zweckverwirklichung der unmittelbaren Zweckverwirklichung gleichgestellt.
135
cc) Keine bloße Konkretisierung
136
Die eigenständig zu betrachtende Regelung des § 57 Abs. 3 AO ist --entgegen der Auffassung der Klägerin und des BMF-- nicht nur eine Konkretisierung, Ergänzung oder Vereinfachung von bereits vor Inkrafttreten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union bestehenden Kooperationsmöglichkeiten.
137
Eine Konkretisierung und Ergänzung der bestehenden Kooperationsmöglichkeiten liegt nicht im Hinblick darauf vor, dass die Servicekörperschaft auch bisher als Hilfsperson im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 2 AO der steuerbegünstigten Körperschaft tätig werden konnte. Zwar schloss bereits § 11 Abs. 2 Satz 2 GemV, den § 57 Abs. 1 Satz 2 AO fast wortwörtlich übernommen hat, die Unmittelbarkeit der Zweckverwirklichung nicht aus, wenn die Körperschaft Hilfspersonen einschaltete. Das Handeln als Hilfsperson nach § 57 Abs. 1 Satz 2 AO begründete aber grundsätzlich keine eigene steuerbegünstigte Tätigkeit der eingeschalteten Hilfsperson. Die Hilfsperson förderte nur mittelbar --fremde-- steuerbegünstigte Zwecke ihres Auftraggebers; sie verwirklichte diese Zwecke in ihrer Funktion als Hilfsperson jedoch nicht selbst. Dies galt nur dann nicht, wenn die Körperschaft mit ihrer Hilfstätigkeit nicht nur die steuerbegünstigte Tätigkeit einer anderen Körperschaft unterstützte, sondern mit ihrer Tätigkeit zugleich unmittelbar selbst eigene steuerbegünstigte Zwecke verfolgte ( BFH-Urteile vom 07.03.2007 - I R 90/04 , BFHE 217, 413, BStBl II 2007, 628, unter II.2.b bb und vom 17.02.2010 - I R 2/08 , BFHE 228, 388, BStBl II 2010, 1006, Rz 26). Die Ansicht der Klägerin, die Tätigkeit der Hilfsperson gegenüber dem Auftraggeber müsse in diesem Fall für sich betrachtet nicht steuerbegünstigt sein, widerspricht dieser BFH-Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt.
138
Soweit die Klägerin auf die nach § 58 Abs. 1 AO bestehenden Kooperationsmöglichkeiten hinweist, die lediglich ergänzt oder vereinfacht worden seien, lässt sie unberücksichtigt, dass § 5 Nr. 1 GemV, den der heutige § 58 Abs. 1 Satz 1 AO aufnahm, lediglich dann eine steuerliche Vergünstigung nicht ausschloss, wenn eine Körperschaft ihre Mittel nicht nur für ihren eigenen Zweck (Hauptzweck) verwendete, sondern auch anderen steuerbegünstigten Körperschaften zur Verwendung zu steuerbegünstigten Zwecken zuwendete. Auch die insoweit bereits vor Inkrafttreten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union mögliche Kooperation setzte somit voraus, dass eine Servicekörperschaft einen eigenen steuerbegünstigten Hauptzweck unmittelbar selbst verfolgte. Die Regelung des § 58 Nr. 1 Satz 4 AO , die die ausschließliche Förderung von steuerbegünstigten Körperschaften ermöglicht, wurde --wie die Regelung des § 57 Abs. 3 AO-- erst durch das Jahressteuergesetz 2020 eingefügt und kann damit die Annahme einer lediglich verwaltungstechnischen Umgestaltung einer Altbeihilfe nicht belegen.
139
dd) Neue Kategorie von Begünstigten
140
Für eine der Sichtweise der Klägerin entsprechende lediglich formale, beihilferechtlich nicht relevante Änderung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 i.d.F. der Durchführungsverordnung (EU) 2025/905 könnte indes sprechen, dass im Fall einer bloßen Ausgliederung der Tätigkeit die innerorganisatorischen Abläufe, Strukturen und Verbindungen unter den Beteiligten im Wesentlichen identisch bleiben, da die zuvor der ideellen Sphäre oder einem Zweckbetrieb zuzuordnende Tätigkeit lediglich auf einen anderen Rechtsträger verschoben wird (BTDrucks 19/25160, S. 202) und der andere Rechtsträger ebenfalls den gemeinnützigkeitsrechtlichen Vorgaben --insbesondere der Beschränkung der Mittelverwendung und der Vermögensbindung-- unterliegt.
141
Allerdings wird die zuvor bestehende Beihilferegelung durch § 57 Abs. 3 AO auf eine neue Kategorie von Begünstigten ausgedehnt, was deutlich wird, wenn nicht nur die Fälle einer bloßen Ausgliederung einer Tätigkeit, sondern --wie im Fall der Klägerin-- beispielsweise Neugründungen in den Blick genommen werden. Die Vorschrift ermöglicht --wie oben unter II.2.b bb (3) und (4) dargestellt-- erstmalig, dass Tätigkeiten von Servicekörperschaften als steuerbegünstigt anerkannt werden, obwohl die Servicekörperschaft im Rahmen des Zweckbetriebs "marktgängige" Leistungen erbringt und selbst keine eigenen operativen Beiträge zur Verwirklichung ihrer satzungsmäßigen steuerbegünstigten Zwecke leistet. § 57 Abs. 3 AO erlaubt danach die Gründung von großen Servicekörperschaften, die "marktgängige" Leistungen an eine Vielzahl steuerbegünstigter Körperschaften erbringen, was zu erheblichen Wettbewerbsverfälschungen bis hin zur Marktverdrängung von nicht begünstigten Unternehmen führen kann (s. zum Beispiel einer Groß-Wäscherei unter II.2.b bb (3)).
142
ee) Erhöhung Ausgangsmittel unerheblich
143
Da bereits der Kreis der Begünstigten als Kernelement der bestehenden Beihilferegelung erweitert wurde, ist im Übrigen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht entscheidend, ob eine Änderung einer bestehenden Beihilfe im Hinblick auf eine unwesentliche Erhöhung der Ausgangsmittel im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 i.d.F. der Durchführungsverordnung (EU) 2025/905 vorliegt.
144
7. Entscheidungserheblichkeit
145
a) Streitgegenstand des Klageverfahrens
146
Die Voraussetzungen der von der Klägerin erstrebten Steuerbegünstigung müssen insbesondere formell in der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung --beispielsweise dem Gesellschaftsvertrag-- genau bestimmt sein. Das Erfordernis dieser formellen Satzungsmäßigkeit ergibt sich aus § 59 Halbsatz 1 i.V.m. § 60 Abs. 1 AO .
147
Die Einhaltung der formellen Satzungsmäßigkeit wird gesondert nach § 60a Abs. 1 AO festgestellt. Diese Feststellung ist Gegenstand des Streitfalls. § 60a Abs. 1 AO ermöglicht die rechtsverbindliche Feststellung, dass die satzungsmäßigen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Körperschaft als steuerbegünstigt erfüllt sind. Dabei wird unterstellt, dass die tatsächliche Geschäftsführung der Satzung entsprechen werde. Der Feststellungsbescheid nach § 60a Abs. 1 AO ist für die Besteuerung der Körperschaft bindend ( § 60a Abs. 1 Satz 2 AO ), so dass mit Erlass dieses Feststellungsbescheids über die formellen Grundlagen der Gewährung der Steuerbegünstigung endgültig entschieden wird.
148
Die materielle Satzungsmäßigkeit und damit die Frage, ob die Körperschaft im Rahmen der tatsächlichen Geschäftsführung ihre steuerbegünstigten Zwecke verfolgt, wird --getrennt von der formellen Satzungsmäßigkeit-- im Steuerfestsetzungsverfahren geprüft und ist daher nicht Gegenstand des Streitfalls.
149
b) Bedeutung der Vorlagefragen für die Entscheidung im Streitfall
150
Das FG hat im Streitfall die Feststellung der formellen Satzungsmäßigkeit nach § 60a AO bejaht und damit begründet, dass der --bereits in diesem Verfahren zu berücksichtigende-- § 57 Abs. 3 AO zugunsten der Klägerin anzuwenden sei. Wie mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert, sind die Einwendungen der Revision des FA gegen das der Klage stattgebende Urteil des FG als nicht durchgreifend anzusehen. Damit stellt sich die Frage, ob eine Bejahung der Voraussetzungen des § 57 Abs. 3 AO und damit die Durchführung dieser Vorschrift gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV verstößt.
151
Handelt es sich bei § 57 Abs. 3 AO um die wesentliche Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe oder um eine neue Beihilfe, besteht für den --nach Auskunft des BMF-- nicht notifizierten § 57 Abs. 3 AO das Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV . Da die vorliegend streitige formelle Satzungsmäßigkeit ohne Anwendung von § 57 Abs. 3 AO zu verneinen ist, kann sich die Satzungsmäßigkeit nur aus einer Anwendung dieser Vorschrift ergeben. Unterliegt aber § 57 Abs. 3 AO einem Durchführungsverbot, wäre die Revision des FA nach dem Grundsatz der Vollrevision ( BFH-Urteil vom 14.12.2023 - V R 28/21 , BFHE 282, 526, BStBl II 2024, 425, Rz 39), in dessen Rahmen auch dem Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV Rechnung zu tragen ist (vgl. EuGH-Urteil Lucchini vom 18.07.2007 - C-119/05 ,EU:C:2007:434, Rz 50), begründet und die Klage abzuweisen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 31.07.2013 - I R 82/12 , BFHE 243, 180, BStBl II 2015, 123, Rz 33). Eine Beihilfemaßnahme, die unter Verstoß gegen die sich aus Art. 108 Abs. 3 AEUV ergebenden Verpflichtungen durchgeführt wird, ist rechtswidrig (EuGH-Urteil Residex Capital IV vom 08.12.2011 - C-275/10,EU:C:2011:814, Rz 28). Ohne dass hierüber nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand zu entscheiden ist, wäre eine Verfahrensaussetzung ( BFH-Beschluss vom 13.03.2019 - I R 18/19 , BFHE 265, 23, Rz 77) im Hinblick auf § 74 FGO allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn ein Notifizierungsverfahren bereits eingeleitet ist, woran es vorliegend nach Auskunft des BMF aber fehlt.
152
Sollte es sich bei § 57 Abs. 3 i.V.m. § 65 AO dagegen nicht um eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV handeln oder eine unwesentliche Änderung einer bestehenden Beihilfe vorliegen, erwiese sich die Entscheidung des FG als zutreffend und wäre die Revision des FA nach dem bisherigen Verfahrensstand unbegründet.
153
8. Zur Rechtsgrundlage der Vorlage
154
Die Einleitung des Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH beruht auf Art. 267 AEUV . Wenn nationale Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, hinsichtlich der Frage, ob die in Rede stehende Maßnahme eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, Zweifel haben, müssen sie gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV Fragen hierzu zur Vorabentscheidung vorlegen (EuGH-Urteil Deutsche Lufthansa vom 21.11.2013 - C-284/12,EU:C:2013:755, Rz 44). Dies gilt ebenso für die Auslegung von Art. 108 Abs. 3 AEUV .
155
9. Zur Aussetzung des Verfahrens
156
Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 FGO .
157
Die mündliche Verhandlung war trotz des danach eingereichten Schriftsatzes der Klägerin zu der Frage, ob eine Beihilfe vorliegt, nicht von Amts wegen wieder zu eröffnen (vgl. hierzu allgemein BFH-Urteil vom 07.05.2015 - VI R 44/13 , BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890, Rz 20 f.). Sofern § 93 Abs. 3 Satz 2 , § 121 FGO im vorliegenden Verfahrensabschnitt (Aussetzung des Verfahrens aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH) überhaupt anwendbar sein sollte, ist eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zur Gewährung rechtlichen Gehörs im vorliegenden Fall jedenfalls nicht geboten. Denn der Klägerin wurden das Auskunftsverlangen des Senats an das BMF wie auch die Antwort des BMF zur Kenntnis gegeben, wobei ihr zudem Gelegenheit gegeben wurde, sich hierzu noch vor der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich zu äußern. Hiervon hat die Klägerin (erst) in der mündlichen Verhandlung Gebrauch gemacht (vgl. auch allgemein BFH-Urteil vom 12.06.2008 - V R 32/06 , BFHE 221, 542, BStBl II 2008, 777, unter II.3.a), so dass keine Veranlassung besteht, diese wieder zu eröffnen.