07.08.2024 · IWW-Abrufnummer 243104
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 12.12.2023 – 1 K 1572/20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg
Urteil vom 12.12.2023
In dem Rechtsstreit
Kläger
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegen einheitlicher und gesonderter Feststellung gem. § 180 Abs. 1 AO 2010 sowie gesonderter Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010
hat der 1. Senat des Finanzgerichts Nürnberg durch
xxxohne mündliche Verhandlung am 12. Dezember 2023 für Recht erkannt:
Tenor:
- Unter Abänderung des Feststellungsbescheides für 2010 vom 09.12.2016 und der Einspruchsentscheidung vom 18.11.2020 werden die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb auf -188.178,97 € gesondert und einheitlich festgestellt. Auf die Gesellschafter I und K entfallen hiervon jeweils -85.621,43 € und auf den Mitgesellschafter J -16.936,11 €.
- Unter Abänderung des Bescheides über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010 vom 09.12.2016 und der Einspruchsentscheidung vom 18.11.2020 wird der vortragsfähige Gewerbeverlust auf den 31.12.2010 festgestellt auf 188.179 €.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Kosten des Verfahrens bis zum 19.07.2022 haben (weiterhin) die Klägerin zu 3/16 und das Finanzamt zu 13/16 zu tragen. Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzhof (Az. IV B 61/22) und den zweiten Rechtszug am Finanzgericht Nürnberg hat das Finanzamt die Kosten des Verfahrens zu tragen.
- Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
- Das Urteil ist wegen der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin im Jahr 2010 gewerbliche Einkünfte erzielt hat und - sollte dies zu bejahen sein - in welcher Höhe.
Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke in A, Gemarkung B, C Straße. In den Streitjahren befand sich darauf eine Diskothek mit Außenanlagen, die die Klägerin vermietete.
Bis einschließlich 2009 erzielte die Klägerin als vermögensverwaltende BGB-Gesellschaft Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen (Einnahmen aus Kapitalvermögen lt. Feststellungsbescheid 2008: 3.100 €); es ergingen entsprechende Feststellungsbescheide. Originär gewerbliche Einkünfte erzielte die Klägerin bis einschließlich 2009 nicht. Ab dem Streitjahr 2010 erklärte sie in vollem Umfang gewerbliche Einkünfte, da in diesem Jahr eine Photovoltaikanlage (PV-Anlage) errichtet worden war, die ab dem Folgejahr zur Stromeinspeisung genutzt wurde.
Gesellschafter der Klägerin waren lt. Gesellschaftsvertrag (Neufassung) zunächst die Brüder I, L und K zu je 1/3. Laut notariellem Vertrag schied L aufgrund seiner Kündigung aus der Gesellschaft aus. In dem Vertrag wurde die Aufnahme (lt. Notarvertrag: "mit sofortiger Wirkung") des weiteren Bruders J (*xx.xx.xxxx) vereinbart; dieser erhielt einen Gesellschaftsanteil von 9%. Somit waren ab diesem Zeitpunkt Gesellschafter die Brüder I (zu 45,5%), K (zu 45,5%) und J (zu 9%).
In der Gewinnermittlung, die die Klägerin für 2010 beim Finanzamt eingereicht hatte, wies sie im Umlaufvermögen unter dem Bilanzposten Wertpapiere das "Depot Raiffeisen-Volksbank Nr. xxxxxxxxxx" aus. Laut Steuerbescheinigungen für 2010 führte die Bank das Depot unter der Bezeichnung I, L und K.
Zum 31.12.2009 wies die Klägerin den Wert des Depots in ihrer Bilanz in Höhe von 64.407,25 € aus. Dies entsprach den historischen Anschaffungskosten der im Depot geführten Wertpapiere.
Zum 31.12.2009 hatten sich im Depot Aktien und Fondsanteile der M/N (1.000 Stück, AK: 35.080,31 €), der O (200 Stück, AK: 20.800,00 €) sowie der R (3.300 Stück, AK: 8.526,92 €) befunden.
Der Depotauszug zum 31.12.2009 vom 10.01.2010 wies den Aktienwert der M/N mit 22.000 € und den Aktienwert der O mit 19.290 € aus. In den Streitjahren fanden folgende An- und Verkäufe statt:
R (WKN A0Q7HU): Sämtliche Wertpapiere wurden am 22.02.2010 veräußert.
M/N:
Datum Stück Kurs (€ pro Aktie) AK (incl. Nebenkosten)
Depot-Auszug 31.12.2009 1.000 22,00 22.000,00 €
22.02.2010 50 35,00 1.777,95 €
07.06.2010 500 24,95 12.614,73 €
01.10.2010 4.050 11,10 45.461,81 €
27.10.2010 1.000 5,80 5.865,65 €
29.10.2010 1.000 6,20 6.271,96 €
03.11.2010 1.000 5,40 5.460,76 €
Depot-Auszug 31.12.2010 8.600 0,75 6.450,00 €
O:
Datum Stück Kurs (€ pro Aktie) AK (incl. Nebenkosten)
Depot-Auszug 31.12.2009 200 96,45 19.290,00 €
Depot-Auszug 31.12.2010 200 104,92 20.984,00 €
T:
Datum Stück Kurs (€ pro Aktie) AK (incl. Nebenkosten)
02.02.2010 2.500 1,58 3.997,45 €
22.02.2010 130 1,63 242,65 €
Depot-Auszug 31.12.2010 2.630 0,459 1.207,17 €
Zusammenfassung der Depotauszüge
per 31.12. M/N O T Summe
2010 6.450,00 € 20.984,00 € 1.207,17 € 28.641,17 €
Mit diesen Werten bewertete die Klägerin das Depotkonto auch im Jahresabschluss zum 31.12.2010 und nahm eine entsprechende Teilwertabschreibung i.H.v. 108.440,81 € gewinnwirksam vor.
Das Finanzamt erkannte diese Teilwertabschreibung nicht an und hob den Vorbehalt hinsichtlich des vor Erklärungsabgabe ergangenen Schätzbescheides auf. Es verblieb mithin bei folgenden Feststellungen:
Feststellungsbescheid vom Einkünfte aus Gewerbebetrieb
2010 09.12.2016 -100.509,23 €
Bescheid vom Vortragsfähiger Gewerbeverlust
31.12.2010 09.12.2016 100.509 €
Hiergegen legte die Klägerin fristgerecht am 13.12.2016 Einspruch ein.
Hierbei beantragte sie, die Abschreibung auf Finanzanlagen wie erklärt anzuerkennen. Das Depot sei von Anfang an ihr zuzurechnen gewesen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 18.11.2020 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Da den vorgelegten Depotauszügen zu entnehmen sei, dass weiterhin die Altgesellschafter I, L und K bei der Bank als Depotinhaber geführt worden seien, bestehe mangels Beteiligungsidentität kein Bezug der Wertpapiere zum Umlaufvermögen der Klägerin.
Hiergegen hat die Klägerin fristgerecht am 18.12.2020 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen:
1. Inhaberschaft des Depots / Betriebsvermögen
Das Depot gehöre zum Betriebsvermögen der Klägerin und sei Bestandteil ihres handelsrechtlichen Gesellschaftsvermögens (Gesamthandsvermögen). Es habe dazu gedient, Gelder, die im Geschäftsfeld der Klägerin zum Kauf von Immobilien benötigt würden oder aus dem Verkauf von Immobilien resultierten, für spätere Geschäfte gewinnbringend anzulegen bzw. zu "parken". Das Depot sei mithin dazu bestimmt gewesen, den Gesellschaftszweck zu fördern. Damit sei es von Beginn an der Klägerin zuzurechnen; entsprechend sei es bereits im Jahr 2008 bei der Klägerin bilanziell erfasst worden. Auf die Benennung der Kontoinhaber in den Bankbescheinigungen komme es nicht an, eine Falschbezeichnung sei jedenfalls unschädlich.
Da die Gesellschaft durch die Kündigung des L nicht aufgelöst, sondern gemäß § 9 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrags durch die übrigen Gesellschafter fortgesetzt worden sei, sei das Depotkonto Gesellschaftsvermögen der Klägerin geblieben.
Die Klägerin habe bereits im Jahr 2010 gewerbliche Einkünfte erzielt, da sie in diesem Jahr mit ihrem Gewerbebetrieb "Photovoltaikanlage" am Markt in Erscheinung getreten sei. Diesbezüglich legte sie ein an die Betriebsgesellschaft gerichtetes Angebot über die Herstellung einer PV-Anlage vom 17.02.2010 und den am 16.03.2010 von ihr bei der Gemeinde Y gestellten Bauantrag über die Errichtung einer Dachkonstruktion vor.
2. Teilwertabschreibungen
Die vorgenommenen Teilwertabschreibungen würden sich dem Grunde und der Höhe nach aus den vorgelegten Depotabrechnungen ergeben.
Die Klägerin hat beantragt,
den angefochtenen Bescheid für 2010 und die Einspruchsentscheidung vom 18.11.2020 dahingehend abzuändern, dass die Teilwertabschreibung auf Finanzanlagen i.H.v. 108.440,82 € gewinnmindernd berücksichtigt wird.
Das Finanzamt hat beantragt,
die Klage abzuweisen und hilfsweise die Revision zuzulassen.
Daneben hat das Finanzamt gerügt, dass das Gericht nicht Beweis erhoben hat über den Zeitpunkt der Verbuchung der Anschaffung der Aktien der M/N.
Zur Begründung des Antrags auf Klageabweisung hat es ausgeführt:
1.
Inhaberschaft des Wertpapierdepots
Zivilrechtlich sei das Eigentum an dem Depot den als Kontoinhaber benannten Herren I, L und K zuzurechnen, nicht der Klägerin. Eine "Falschbezeichnung" liege nicht vor.
Gegen eine Zuordnung des Depots zur Klägerin spreche, dass sie bei Eröffnung des Gewerbebetriebs insofern keine Einlage verbucht habe und I am 27.01.2010 gegenüber dem Kreditinstitut erklärt habe, dass das Konto XXXXX einschließlich Unterkonten dem Privatbereich zugeordnet werde.
2.
Die Darstellung in den bis zum 31.12.2009 erstellten Bilanzen sei unzutreffend und irrelevant gewesen, da die Klägerin zu diesen Zeitpunkten keinen Gewerbebetrieb unterhalten habe und somit nicht buchführungspflichtig gewesen sei. Nach dem Gesellschaftsvertrag gehöre die Verwaltung von Wertpapieren auch nicht zum Gesellschaftszweck. Weiterhin sei zu beachten, dass eine "Infektion" bei untergeordneten Einkünften nicht stattfinde.
3.
Der Erwerb der Aktien der M/N ab Oktober 2010 sei jedenfalls nicht der Klägerin zuzurechnen, da es sich tatsächlich um eine Spekulation der Gesellschafter sog. "Schrottaktien" außerhalb der betrieblichen Sphäre gehandelt habe. Der Grundsatz, dass Vermögen einer Gesamthand bei Änderung der Einkünfte Betriebsvermögen werde, finde deshalb insofern im Streitfall keine Anwendung.
4.
Im Übrigen habe die Klägerin den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass mit dem im März 2010 eingereichten Bauantrag eine - durch den Gesellschaftszweck gedeckte - Überlassung der Dachflächen an andere Mitglieder der Gesellschafter-Gruppe geplant gewesen sein könnte.
Mit Urteil vom 19.07.2022 folgte das Finanzgericht weitgehend dem Klageantrag der Klägerin.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Finanzamts hin hob der BFH mit Beschluss vom 16.03.2023 IV B 61/22 das o.g. finanzgerichtliche Urteil vom 19.07.2022, betreffend das Streitjahr 2010, auf und verwies die Sache an das Finanzgericht Nürnberg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück. Auch die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wurde auf das Finanzgericht Nürnberg übertragen.
Der BFH war dabei den Einlassungen des Finanzamts gefolgt, denen zu Folge der Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, vorgelegen habe (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Das Finanzgericht habe den Anspruch des Finanzamts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) verletzt, indem es gegen die sog. Beachtenspflicht (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) verstoßen habe.
Das Finanzamt habe im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, dass die von der Rechtsprechung entwickelte sog. Bagatellgrenze im Streitjahr 2010 nicht überschritten worden sei, und damit eine Umqualifizierung gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht in Betracht komme.
Auf diesen Vortrag, auf den es nach Maßgabe der Rechtsprechung des BFH zur sog. Bagatellgrenze im Zusammenhang mit der seitwärts abfärbenden Wirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG ankommen könne (unter Hinweis u.a. auf das BFH-Urteil vom 30.06.2022 IV R 42/19, BStBl II 2023, 118), sei das Finanzgericht in seinem Urteil nicht eingegangen. Es erwähne im Tatbestand seiner Entscheidung zwar den Hinweis des Finanzamts aus der mündlichen Verhandlung, nach dem eine "Infektion" bei untergeordneten Einkünften nicht stattfinde, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem konkreten Sachvortrag des Finanzamts zu der nach Aktenlage gegebenen Nichtüberschreitung der von der Rechtsprechung entwickelten sog. Bagatellgrenze im Streitjahr 2010 finde jedoch nicht statt. Für die Annahme, sämtliche Einkünfte der Klägerin seien (bereits im Jahr 2010) als solche aus Gewerbebetrieb anzusehen, stelle das Finanzgericht ersichtlich allein auf die Eröffnung des Gewerbebetriebs "Photovoltaik" im Jahr 2010 ab.
In der weiteren Folge dieses Verfahrensmangels fehle es an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen zur abschließenden Beantwortung der Frage nach dem Eingreifen der sog. Bagatellgrenze im Streitjahr 2010. Das FG habe weder Feststellungen zur Höhe der originär gewerblichen Nettoumsatzerlöse noch zur Höhe der Gesamtnettoumsätze der Klägerin getroffen.
Die Klägerin hat sich zu dem o.g. BFH-Beschluss dahingehend geäußert, dass aufgrund der Infektionswirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1, 1. Alt EStG daran festzuhalten sei, dass mit Eröffnung des Gewerbebetriebs "Photovoltaik" im Jahr 2010 sämtliche Einkünfte der Klägerin als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren seien.
Der Rechtsauffassung des Finanzamts, dass im Streitfall wegen der Anwendbarkeit der sog. Bagatellgrenze der Gewerbebetrieb "Photovoltaik" keine Infektionswirkung auf die im übrigen vermögensverwaltende Klägerin habe, könne nicht gefolgt werden.
1. Zweck des § 15 Abs. 3 Satz 1 EStG sei es, mehrere Einkunftsarten innerhalb einer einheitlichen Personengesellschaft zu vermeiden. Auf diese Weise solle die Besteuerung vereinfacht und das Gewerbesteueraufkommen gesichert werden.
Sofern vorher Wirtschaftsgüter zur Erzielung von Überschusseinkünften verwendet worden seien, entstehe im Falle der Umqualifizierung steuerliches Betriebsvermögen. Die Umqualifizierung führe also zu einer Steuerverhaftung und damit im Veräußerungsfall zu einer Aufdeckung der stillen Reserven.
Gerate eine vermögensverwaltende Personengesellschaft, die bisher ausschließlich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt habe, in die Gewerblichkeit, seien Gewinne aus der Veräußerung von Immobilien auch außerhalb der Spekulationsfrist steuerpflichtig.
Die Gesellschaft werde weiterhin mit den gesamten Gewinnen gewerbesteuerpflichtig. Diese Gewerbesteuer sei zwar bei den Gesellschaftern der Personengesellschaft auf die Einkommensteuer anrechenbar, allerdings - in Abhängigkeit vom Gewerbesteuerhebesatz der Gemeinde - nur bis zu einem gewissen Höchstbetrag.
2. Die mit den BFH-Urteilen vom 27.08.2014 VIII R 6/12 (BStBl II 2015, 1002) eingeführte Bagatellgrenze sei unter Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu betrachten, da es eben nicht dem Verständnis von Angemessenheit und der verfassungskonformen Auslegung entspreche, wenn Umsätze von völlig untergeordneter Bedeutung zu einer Umqualifizierung der gesamten Einkünfte in solche aus Gewerbebetrieb führen würden.
Es handle sich um eine teleologische Reduktion, welche bereits als Übergriff in die Kompetenz des untätigen Gesetzgebers zu sehen sei (vgl. Krumm in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Auflage 2021, § 15, Rz. 148).
Der BFH habe bislang nicht entschieden, ob das Überschreiten der Bagatellgrenze erst nach einem längeren Beobachtungszeitraum zur Abfärbung führe (unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 12.04.2018 IV R 5/15, Rz. 36, BStBl II 2020, 118, die Kommentierungen von Stapperfend in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 306. Ergänzungslieferung 2021, § 15, Rz. 1426 und Stenert/Gravenhorst, DStR 2020, 2508). Dementsprechend sei die umgekehrte Frage derzeit ebenso ungeklärt.
3. Tatsächlich habe die Klägerin im Streitjahr 2010 noch keinerlei Einkünfte aus der PV-Anlage erzielt, da der entsprechende Einspeisevertrag mit der XXX GmbH erst im Dezember 2010 geschlossen worden und eine entgeltliche Stromeinspeisung erstmals im Kalenderjahr 2011 erfolgt sei. Für die Beurteilung der Anwendung einer Bagatellgrenze könne schon deshalb nicht auf die Umsatzverhältnisse des Jahres 2010 abgestellt werden.
Die gegenständliche PV-Anlage sei von Beginn an darauf ausgelegt gewesen, erhebliche Einspeisevergütungen zu erwirtschaften und damit von Anfang an geeignet, der Gesellschaft ein gewerbliches Gepräge zu geben. Die PV-Anlage habe in den Folgejahren mit jährlichen Einnahmen in Höhe von ca. 20 T€ nachhaltig mit über 40% am Gesamtumsatz der Klägerin partizipiert. Selbst unter Einbeziehung des Jahres der Betriebseröffnung (2010), das im Wesentlichen von Vorbereitungshandlungen (Projektierung, Planung, Genehmigung und Bau der Anlage) geprägt gewesen sei, ergebe sich immer noch eine Quote von über 30%.
Eine Anwendung der Bagatellgrenze im Jahr 2010 entspräche mithin nicht dem Verständnis von Angemessenheit und der verfassungskonformen Auslegung mit dem Ziel der Rechtssicherheit und Vereinfachung der Besteuerung. Es würde zu sinnwidrigen Ergebnissen führen, wenn von Anfang an als erheblich geplante Umsätze im Jahr der Betriebseröffnung eine andere steuerrechtliche Einordnung erfahren würden, nur wegen des Umstandes, dass der Betrieb erst zum Jahresende betriebsbereit gewesen sei.
Die Bagatellgrenze sei im streitigen Fall mithin nicht anwendbar.
Das Finanzamt hält auch im zweiten Rechtsgang an seinem Antrag auf Klageabweisung fest.
1. Durch die Bagatellgrenze solle Rechtssicherheit erlangt werden, damit der Steuerpflichtige im Vorfeld klar erkennen könne, ab wann es zu einer Umqualifizierung der Einkünfte komme. Genau aus diesem Grunde habe die Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 27.08.2014 VIII R 6/12, BStBl II 2015, 1002) die sog. Bagatellgrenze entwickelt, wonach eine die umqualifizierende Wirkung nicht auslösende Tätigkeit von äußerst geringem Ausmaß gegeben sei, wenn die originär gewerblichen Nettoumsatzerlöse 3% der Gesamtnettoumsätze und zugleich den Höchstbetrag von 24.500 € im Feststellungszeitraum nicht übersteigen würden. Die Bagatellgrenze wirke dabei nicht nur zu Gunsten, sondern auch zu Lasten der Personengesellschaft bzw. der Gesellschafter. Die Voraussetzungen seien für jeden Veranlagungszeitraum gesondert zu prüfen, was auch von Seiten der Literatur (jedenfalls im Hinblick auf die erstmalige Abfärbung) für zutreffend erachtet werde (so Wacker in Schmidt, § 15 EStG, Rn 188).
Die Klägerin habe im Streitjahr keine Einnahmen aus der PV-Anlage erzielt. Damit könne es im Streitjahr auch zu keiner Abfärbung kommen, da die Bagatellgrenze im allein maßgeblichen Streitjahr nicht überschritten worden sei. Gerade im Streitjahr zeige sich die von der Rechtsprechung intendierte Vereinfachung bzw. Rechtssicherheit besonders deutlich: keinerlei Umsatz heiße keinerlei Abfärbung.
2. Die strittige Teilwertabschreibung könne darüber hinaus auch deshalb nicht anerkannt werden, da es sich bei dem gegenständlichen Depot nicht um ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens gehandelt habe.
Bei einer gewerblich tätigen und bilanzierenden Personengesellschaft sei ein Wirtschaftsgut, das zivilrechtlich Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft sei, grundsätzlich auch einkommensteuerrechtlich Betriebsvermögen der Personengesellschaft. Die Maßgeblichkeit der bürgerlich-rechtlichen Zuordnung für die einkommensteuerliche Beurteilung gelte aber nicht ausnahmslos. Ausnahmen würden sich vielmehr aus den Begriffen Betriebsvermögen und Betriebsausgaben ergeben. Ein Wirtschaftsgut sei trotz der privatrechtlichen Zugehörigkeit zum Gesamthandsvermögen dann nicht Betriebsvermögen im einkommensteuerlichen Sinn, wenn seine Anschaffung nicht betrieblich veranlasst gewesen sei. Eine betriebliche Veranlassung sei etwa ausgeschlossen, wenn beim Erwerb eines Wirtschaftsguts bereits erkennbar sei, dass der Erwerb dem Betrieb der Personengesellschaft keinen Nutzen, sondern nur Verluste bringen werde (vgl. BFH-Beschluss vom 08.05.2009 IV B 38/08, Rn 12, Juris). Auch wenn es für die Zugehörigkeit von Wirtschaftsgütern zum notwendigen Betriebsvermögen eines Unternehmens auf die Buchführung in aller Regel nicht ankomme, so könne doch für die Frage, ob Geschäfte dem betrieblichen Bereich der Gesellschaft oder dem privaten Bereich der Gesellschafter zuzuordnen seien, das buchmäßige Verhalten nicht außer Betracht bleiben. Das gelte vor allem für Unternehmen, an denen nur Familienangehörige beteiligt seien (BFH-Urteil vom 15.11.1978 I R 57/76, Rn 16, juris). Entscheidend für die Zuordnung könne dabei etwa sein, ob die Wertpapiergeschäfte über mehrere Jahre hin erst bei Aufstellung der Jahresabschlüsse im Wege der "Berichtigung" buchmäßig erfasst würden bzw. die Buchungen zu einem Zeitpunkt vorgenommen würden, in dem erkennbar sei, dass die Wertpapiergeschäfte keine Überschüsse, sondern nur Verluste erbracht hätten (BFH-Urteil vom 15.11.1978, a.a.O., Rn 16 a.E.).
Das Finanzamt halte deshalb an seinem Antrag fest, die Klägerin aufzufordern, die exportierte Buchhaltung 2010, die Primanota für sämtliche Buchungsstapel der Buchhaltung 2010 sowie das Aktivitätenprotokoll für sämtliche in der Buchhaltung 2010 vorgenommenen Buchungen vorzulegen. Die Anforderung und Sichtung der Buchhaltungsdaten 2010 seien zwingend erforderlich, um den strittigen Sachverhalt aufzuklären, weil sich nur aus diesen Daten die Reihenfolge, der Gesamtkontext und die tatsächlichen Zeitpunkte der einzelnen für das Streitjahr 2010 erfolgten verfahrensrelevanten Buchungen ersehen ließen.
3. Die Feststellung eines vortragsfähigen Gewerbeverlustes gemäß § 10a GewStG scheide generell aus, da die Klägerin erst mit Abschluss der Einspeiseverträge im Dezember 2010 am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilgenommen habe und in gewerbesteuerlicher Hinsicht erst ab da in Erscheinung getreten sei. Zu diesem Zeitpunkt sei der Buchverlust des Depots jedoch bereits verwirklicht gewesen, so dass er sich gewerbesteuerlich nicht mehr habe auswirken können. Es verbleibe mithin bei dem vom Finanzamt festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2010 in Höhe von 100.509,23 €.
Die Beteiligten haben im weiteren Verfahrensgang einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 90 Abs. 2 FGO zugestimmt.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Finanzgerichtakte und die dem Gericht vorliegenden Akten des Finanzamts verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise begründet.
1. Im Jahr 2010 hat die Klägerin einen Gewerbebetrieb begründet und gewerbliche Einkünfte erzielt.
Gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 2010 gilt als Gewerbebetrieb in vollem Umfang die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit [...] einer [...] Personengesellschaft, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 ausübt oder gewerbliche Einkünfte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 2 bezieht.
Mit der Einreichung des Bauantrags bei der Gemeinde Y für die bauliche Unterkonstruktion der PV-Anlage im März 2010 hat die Klägerin ihre originäre gewerbliche Tätigkeit "Stromeinspeisung mit Hilfe einer PV-Anlage" begonnen. Dieser Bauantrag stellte die erste, nach außen sichtbare Handlung dar, mit der die Klägerin ihren Willen dokumentierte, eine PV-Anlage zu errichten, mit der nachhaltig Einspeisevergütungen durch die Erzeugung und Lieferung von Solarstrom erzielt werden sollten. Die nachhaltige, entgeltliche Einspeisung von Solarstrom in das öffentliche Netz stellte bereits im Streitjahr 2010 eine gewerbliche Tätigkeit dar.
Mit ihrem Gewerbebetrieb ist die Klägerin sodann im Streitjahr auch in der Form außenwirksam in Erscheinung getreten, als sie mit den ausführenden Firmen in Kontakt getreten ist, die die PV-Anlage noch im Jahr 2010 errichtet haben.
Mit dem Beginn einer originär gewerblichen Tätigkeit im Jahr 2010 hat die Klägerin gewerbliche Einkünfte erzielt, die gemäß § 15 Abs. 3 EStG zu einer "Infektion" der insgesamt von ihr erzielten Einkünfte hin zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führte. In der Folge sind die vormals erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie die Einkünfte aus Kapitalvermögen ab dem Veranlagungszeitraum 2010 bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb zu erfassen. Dementsprechend erfolgte zu diesem Zeitpunkt auch eine Umqualifizierung der von der Klägerin genutzten Wirtschaftsgütern zu Betriebsvermögen.
Hierunter fällt u.a. das der Klägerin zuzurechnende Aktiendepot ("Depot Raiffeisen-Volksbank Nr. xxxxxxxxxx"), das in das Betriebsvermögen überführt wurde.
Seit Eröffnung des Depots handelt es sich aufgrund des engen wirtschaftlichen Bezugs zwischen dem Verpachtungsbetrieb und den Wertpapieren auf dem Depot nicht um Bruchteilseigentum von I, K und L, sondern um Gesamthandsvermögen der Klägerin. Die Klägerin hat glaubhaft dargelegt, dass das gegenständliche Depot dazu diente, Überschüsse der Vermietungsgesellschaft "zwischenzuparken", die aufgrund von Vermögensumschichtungen kurzfristig frei wurden und in neue Immobilienprojekte der Klägerin investiert werden sollten. Jedenfalls sollten die Gelder nicht an die ausgewiesenen Depotinhaber ausgereicht werden. Dies findet seine Bestätigung im notariellen Vertrag über den Austritt des L aus der und den Eintritt des J in die Gesellschaft, in dem keine eigenständige Regelung hinsichtlich des Depots getroffen worden war. Das Wertpapierdepot wurde weiterhin unverändert von der Klägerin genutzt und in der Bilanz der Klägerin erfasst.
Für eine Zuordnung des Depots zur Klägerin spricht neben der Mittelherkunft auch, dass das Depot bereits seit 2008 in der - wenn auch handels- und steuerrechtlich unbeachtlichen - Jahresbilanz der Klägerin enthalten ist. Entsprechend weist auch der Feststellungsbescheid 2008 Einkünfte aus Kapitalvermögen aus; diesem Umstand weist das Gericht eine hohe Indizwirkung dafür zu, dass die Gesellschafter der Klägerin bereits ab 2008 das bei der Volks- und Raiffeisenbank geführte Konto mit sämtlichen Unterkonten dem Unternehmen der Klägerin zugeordnet hatten. Soweit I gegenüber der Bank erklärt hatte, das Depot sei dem Privatbereich zugeordnet, steht dies hierzu nicht im Widerspruch, da ein Gewerbebetrieb - in Abgrenzung zum Privatbereich - zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestand.
Da es sich beim Depot mithin ab Eröffnung des Gewerbebetriebes um notwendiges Betriebsvermögen der Klägerin handelte, ist der Gesellschafterwechsel in Bezug auf die betriebliche Zuordnung des Depots unbeachtlich. Das Depot ist mit I, K und L lediglich falsch bezeichnet; wirtschaftlich ist es ausschließlich der Klägerin als Gesamthandsvermögen zuzuordnen. Auf eine Personenidentität zwischen mehreren Gemeinschaften kommt es deshalb nicht an.
Soweit das Finanzamt vorträgt, das Unterhalten eines Depots sei vom Gesellschaftszweck der Klägerin nicht gedeckt, ist dem entgegenzuhalten, dass es sich beim Halten und der konkreten Nutzung des Depots als Überbrückungskonto um einen Nebenzweck handelt, der durchaus vom Gesellschaftszweck gedeckt ist.
Zum streitgegenständlichen Depot gehörten auch die Aktien M/N. Es handelte sich nicht um sogenannte Schrottaktien, die dem Geschäftsbetrieb der Klägerin nicht dienen konnten.
Dem Chart-Verlauf der M/N-Aktie lässt sich nicht entnehmen, dass bereits Ende Oktober 2010 absehbar war, dass es bei dieser Aktie zu erheblichen Kurseinbrüchen kommen würde. Zwar war es ab Mitte August 2010 zu Kurssenkungen auf unter 5 €/Aktie gekommen, allerdings erholte sich der Aktienkurs bis Ende Oktober 2010 wieder auf über 10 €/Aktie. Insbesondere findet die Behauptung des Finanzamts, bereits Ende 2009 sei ersichtlich gewesen, dass es sich bei der M/N-Aktie um eine "Schrottaktie" gehandelt habe, im Chartverlauf keinen Beleg; im Zeitraum zwischen Mitte Januar 2010 bis Mitte August 2010 lag der Aktienkurs nahezu durchgängig über 20 €/Aktie:
Da der hier gegenständliche Aktienhandel der Klägerin ausweislich der vorliegenden Depotauszüge zum 31.12.2010 - 31.12.2012 über das streitgegenständliche Depot abgewickelt wurde und dieses Depot seit Beginn der gewerblichen Tätigkeit der betrieblichen Sphäre der Klägerin zuzurechnen ist, kommt es nicht mehr darauf an, wann die Aktientransaktionen in die betriebliche Buchführung eingebucht wurden. Dem Beweisantrag des Finanzamts, den Zeitpunkt der Buchung der entsprechenden Vorgänge zu erforschen, hält das Finanzgericht deshalb für nicht zielführend und somit entbehrlich.
Auf den Zeitpunkt der Betriebseröffnung hätte eine Eröffnungsbilanz erstellt werden müssen - in der die im Depot befindlichen Wertpapiere zum Teilwert (= Börsenwert) in Höhe von 40.636,00 € (vgl. Urteil vom 19.07.2022, Seite 13) zu aktivieren waren. Unter Berücksichtigung der in 2010 getätigten Aktien-Zukäufe in Höhe von 75.674,91 € und einem Börsenwert in einer Gesamthöhe von 28.641,17 € zum 31.12.2010 war für das Streitjahr 2010 eine gewinnwirksame Teilwertabschreibung um 87.669,74 € (vgl. Urteil vom 19.07.2022, Seite 14) veranlasst.
2. Soweit das Finanzamt unter Bezugnahme auf die vom BFH entwickelte Bagatellrechtsprechung gewerbliche Einkünfte im Jahr 2010 grundsätzlich nicht anerkennen will, folgt dem das Gericht nicht.
Bei besonders geringfügiger gewerblicher Betätigung soll es nach der Rechtsprechung des BFH nicht zu einer Abfärbung auf die übrigen Einkünfte kommen, wobei eine die umqualifizierende Wirkung nicht auslösende gewerbliche Tätigkeit von äußerst geringem Ausmaß dann anzunehmen sei, wenn die originär gewerblichen Nettoumsatzerlöse 3% der Gesamtnettoumsätze (relative Grenze) der Personengesellschaft und zugleich den Höchstbetrag von 24.500 € im Feststellungszeitraum (absolute Grenze) nicht übersteigen (vgl. BFH-Urteil vom 12.04.2018 IV R 5/15, BStBl II 2020, 118, Rn 33 m.w.N.).
Mit Urteil vom 30.06.2022 IV R 42/19 (BStBl II 2023, 118, Leitsatz Nr. 1) hat der BFH bestätigt, dass diese Einschränkungen bei der "Seitwärtsabfärbung" auch bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften Anwendung finden.
Da die Klägerin im Streitjahr 2010 noch keine Einnahmen ("Nettoumsatzerlöse") aus dem originären Gewerbebetrieb "Stromeinspeisung mit Hilfe einer PV-Anlage" erzielt hat, erfüllt sie formal die Voraussetzungen für die Anwendung der vom BFH entwickelten Bagatellgrenze.
Eine Anwendung dieser Rechtsprechung auf den hier gegenständlichen Streitfall ist jedoch nicht vorzunehmen.
2.1. Soweit ersichtlich, hat der BFH die von ihm entwickelte Bagatellrechtsprechung bislang nicht zu Ungunsten der Kläger angewandt. Der erkennende Senat hat erhebliche Bedenken, eine so weitreichende Gesetzesauslegung wie es die Anwendung der Bagatell-Rechtsprechung darstellt, entgegen dem Wortlaut, zu Lasten des Steuerpflichtigen anzuwenden. Als Akt der Eingriffsverwaltung bedarf es klarer und eindeutiger gesetzlicher Regelungen, unter welchen Voraussetzungen in die Rechte eines Steuerpflichtigen eingegriffen werden darf (vgl. § 85 Satz 1 AO - Gesetzmäßigkeit des Besteuerungsverfahrens). Diese Voraussetzungen sieht der erkennende Senat im Streitfall in Bezug auf die vom BFH entwickelte Bagatellrechtsprechung als nicht gegeben an.
2.2. Soweit die Bagatellrechtsprechung des BFH dazu dienen soll, dass geringfügige gewerbliche Tätigkeiten nicht schon gleich zu einer gewerblichen Infektion führen (vgl. Schmidt/Wacker, § 15 EStG, Rn 188), wird auch diese Argumentation dem vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt nicht gerecht, da die Klägerin in hohem Maß Investitionen getätigt hat, die darauf schließen lassen, dass eine nachhaltige Erzielung gewerblicher Einkünfte durch den Betrieb einer PV-Anlage beabsichtigt war und diese in den Folgejahren auch tatsächlich erzielt wurden
2.3. Mit seiner Entscheidung vom 30.06.2022 IV R 42/19 (BStBl II 2023, 118) hat der BFH unter Verweis auf § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG n.F. entschieden, dass Verluste aus einer gewerblichen Tätigkeit bei Überschreiten der sog. Bagatellgrenze der Umqualifizierung der im Übrigen vermögensverwaltenden Tätigkeit einer GbR nicht entgegenstehen und damit seine im Urteil vom 12.04.2018 IV R 5/15 (BStBl II 2020, 118) vertretene Rechtsprechung aufgegeben.
Die Regelung des § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 52 Abs. 23 Satz 1 EStG stellt auch keine unzulässige echte Rückwirkung dar (vgl. hierzu Stenert/Gravenhorst in DStR 2020, 2505, unter 4.2.2). Der BFH hat hierzu in seinem Urteil vom 30.06.2022 IV R 42/19 (BStBl II 2023, 118) dahingehend Stellung genommen, dass er von der Verfassungswidrigkeit der in § 52 Abs. 23 Satz 1 EStG n.F. angeordneten rückwirkenden Geltung des § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 Alt. 1 EStG nicht überzeugt ist. Dem schließt sich der erkennende Senat an.
2.4. § 15 Abs. 3 EStG weist keine Regelungslücke auf, die im gegenständlichen Verfahren zu Ungunsten des Steuerpflichtigen durch Auslegung zu schließen wäre.
Dass der Gesetzgeber - zumindest zu Lasten des Steuerpflichtigen - nicht von einer systemwidrigen Regelungslücke ausgeht, ist bereits dem Umstand zu entnehmen, dass er zwar zwischenzeitlich zahlreiche Änderungen im EStG vorgenommen hat, jedoch offenkundig keine Veranlassung gesehen hat, diesbezüglich die vom BFH entwickelte Bagatellgrenze in das Gesetz aufzunehmen. Auch wenn dem BFH darin zuzustimmen ist, dass die Einführung einer Bagatellgrenze zu begrüßen wäre (zustimmend: Schmidt/Wacker, § 15 EStG, Rn 188) ist es Aufgabe des Gesetzgebers - zumindest zur Klarstellung - eine entsprechende Gesetzesinitiative zu ergreifen
Spätestens bei Einführung des § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (BGBl I 2019, 2451 - JStG 2019), mit dem der Gesetzgeber auf eine ihm missliebige BFH-Rechtsprechung (vgl. hierzu Stenert/Gravenhorst in DStR 2020, 2505, unter 4.2.3) reagiert hat, hätte sich die Einführung einer Bagatellgrenze aufgedrängt, wenn sie denn vom Gesetzgeber gewünscht wäre. Dass er hiervon keinen Gebrauch gemacht hat, lässt darauf schließen, dass er - auch zu Lasten der Steuerpflichtigen - nicht von einer systemwidrigen Regelungslücke ausgeht.
Im Schrifttum wird gegen die Bagatellgrenze zum Teil eingewendet, dass sich der BFH über den klaren Wortlaut der Vorschrift des § 15 Abs. 3 EStG hinwegsetze und damit den Rahmen einer noch zulässigen Auslegung verlasse (Desens/Blischke in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (KSM), § 15 Rz. E 18 [8/2016]; Stuhrmann in KSM, § 18 Rz. A 17b [9/2015]; Groh, DB 2005, 2430 [2431]; von Lersner, DStR 2015, 2817; kritisch auch Gosch, StBp. 1995, 44; Gosch, StBp. 2000, 57). Hierzu bedarf es im hier zu entscheidenden Klageverfahren jedoch keiner weiteren Ausführungen, da der BFH - soweit ersichtlich - seine Bagatellrechtsprechung bislang noch nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen angewandt hat.
Ermittlung des Gewinns aus Gewerbebetrieb 2010
Gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2010
Einkünfte/Gewerbebetrieb lt. FA -100.509,23 €
Teilwert-Afa lt. FG -87.669,74 €
Einkünfte/Gewerbebetrieb lt. FG -188.178,97 €
davon entfällt auf
I 455/1000 -85.621,43 €
K 455/1000 -85.621,43 €
J 9/100 -16.936,11 €
Gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010
Gewerbeverlust 188.179 €Die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens haben die Beteiligten - bezogen auf das hier gegenständliche Streitjahr 2010 - entsprechend ihres jeweiligen Unterliegens zu tragen (§ 136 Abs. 1 FGO).
Die Tätigkeit eines Bevollmächtigten im Vorverfahren diente der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten der Klägerin sowie die Abwendungsbefugnis, der von Amts wegen zu erfolgen hat, ergibt sich aus den §§ 151 Abs. 1 Satz 1 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen die vom BFH zu § 15 Abs. 3 EStG entwickelte "Bagatellrechtsprechung" - insbesondere zu Lasten des Steuerpflichtigen - Anwendung findet, noch nicht höchstrichterlich geklärt ist.
RechtsgebietEStG 2010Vorschriften§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 2010