08.05.2018 · IWW-Abrufnummer 201094
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 23.02.2017 – 4 K 4083/15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urt. v. 23.02.2017
Az.: 4 K 4083/15
In dem Rechtsstreit
xxx
wegen Lohnsteuerhaftung
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 4. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 23. Februar 2017 durch
den Richter am Finanzgericht ... als Vorsitzender,
den Richter am Finanzgericht ... und
den Richter am Finanzgericht ... sowie
die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Frau ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung polnischen Rechts, die als Werkvertragsunternehmen auf dem Gebiet der Bauwirtschaft tätig ist. Im hier maßgebenden Zeitraum von 2007 bis 2011 erbrachte die Klägerin aufgrund von Werkverträgen für deutsche Auftraggeber in Deutschland Bauleistungen. Hierbei setzte sie eine Vielzahl eigener polnischer Arbeitnehmer ein, die teils der beschränkten und teils der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht unterlagen.
Die Klägerin unterhielt (zwischen den Beteiligten unstrittig) im Inland eine Betriebsstätte im Sinne von Artikel 5 des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) zwischen Deutschland und Polen in der für den Streitfall maßgebenden Fassung.
Im Rahmen einer bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin (fortan Klägerin) durch das vom Beklagten mit der Prüfung beauftragte Finanzamt (FA) B... durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung betreffend den Zeitraum vom 01.01.2007 vom 30.09.2011 - deren Ergebnisse im Lohnsteuer-Außenprüfungsbericht vom 16.03.2012 zusammengefasst sind und auf den der Senat wegen des weiteren Inhalts ergänzend Bezug nimmt (Bl. 68 LStAp-Akte) - stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin die Lohnsteuer für eine Reihe der von ihr in Deutschland eingesetzten polnischen Werkvertragsarbeitnehmer nach Steuerklasse I berechnete (siehe Anlage 2 zum Bericht), obgleich sie dem für sie örtlich nach Maßgabe des § 20a Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) zuständigen Finanzamt C... keine Bescheinigungen gemäß § 39d Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG alte Fassung) vorgelegt bzw. keine solche Bescheinigung zum Lohnkonto der betreffenden Arbeitnehmer genommen hatte.
Hierauf nahm der Prüfer eine Nachversteuerung vor, indem er die Lohnsteuer nicht mehr nach der Lohnsteuerklasse I (§ 39d Abs. 1 Satz 1 EStG), sondern gemäß § 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG nach der Lohnsteuerklasse VI berechnete (siehe § 38b Satz 2 Nr. 6 EStG i. V. m. § 49 Abs. 1Nr. 4 Buchst. a) EStG betreffend beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer).
Der Beklagte schloss sich der Auffassung des Prüfers an und erließ am 28.03.2012 gegenüber der Klägerin wegen der zuwenig einbehaltenen Lohnsteuer einen auf § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG gestützten Haftungsbescheid über zunächst noch 91.010 € nebst Solidaritätszuschlag i.H.v. 5.050 € und römisch-katholische Kirchensteuer i.H.v. 5.241,77 €, auf den wegen des weiteren Inhalts ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 109 f LSt-Akten/Bd. II).
Mit ihrem dagegen eingelegten Einspruch machte die Klägerin geltend, dass der Beklagte die Löhne für ihre beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer zu Unrecht in die Steuerklasse VI eingereiht habe. Zur Begründung führte sie aus, dass bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern, die nebeneinander von mehreren Arbeitgebern Arbeitslohn bezögen, nach §§ 39d Abs. 1 Satz 2, 38b Satz 2 Nr. 6 EStG, die Steuerklasse VI lediglich für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer aus dem zweiten und jedem weiteren Arbeitsverhältnis gelte. Eine solche Konstellation sei nicht gegeben, weil keiner ihrer in Deutschland eingesetzten Werkvertragsarbeiter in Deutschland in einem weiteren Beschäftigungsverhältnis gestanden habe.
Bedeutsam sei zudem, dass die Steuerklasse VI deshalb zur Anwendung gelange, weil damit sichergestellt werden solle, dass alle Einkünfte, die ein Arbeitnehmer erziele, in zutreffender Höhe besteuert werden. Dies betreffe insbesondere den Fall, dass ein Arbeitnehmer in mehreren Beschäftigungsverhältnissen stehe. Die Besorgnis von Steuerausfällen durch Anwendung der Steuerklasse I bei Nichtvorliegen einer Lohnsteuerkarte bzw. Steuerbescheinigung bestehe in Konstellationen der vorliegenden Art nicht, weil alle polnischen Unternehmen und polnischen Arbeitnehmer zentral beim Beklagten bzw. beim FA D... geführt werden. Im Rahmen der elektronischen Datenübermittlung der Lohnsteuerbescheinigungen nach Maßgabe der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung (StDÜV) und durch den Abgleich der elektronischen Transfer-Identifikations-Nummer (eTIN) sei dem Beklagten eine verlässliche Prüfung möglich, ob bei den zur Lohnsteuer angemeldeten Arbeitnehmern die Steuerklasse VI zur Anwendung komme. Das FA habe somit genaue Kenntnis darüber, in wie vielen Beschäftigungsverhältnissen ein Arbeitnehmer stehe. Die Grund für die Vorlage der Lohnsteuerkarte/Steuerbescheinigung, Steuerausfälle bei Mehrfachbeschäftigungsverhältnissen zu vermeiden (siehe hierzu Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 12.01.2001 VI R 102/98, Bundessteuerblatt [BStBl] II 2003, 51), sei aufgrund der inzwischen geschaffenen elektronischen Kontrollmöglichkeiten entfallen. Die Finanzverwaltung könne mit Hilfe dieses Instrumentariums verlässlich feststellen, ob ein Arbeitnehmer in Mehrfachbeschäftigungsverhältnissen stehe. Die Entscheidung des BFH vom 12.01.2001 (a.a.O.) könne unter diesen Voraussetzungen keine Anwendung mehr finden, mit der Konsequenz, dass die Löhne ihrer nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer nach Steuerklasse I zu versteuern seien.
Im Einspruchsverfahren legte die Klägerin für einige der betroffenen Arbeitnehmer zum Nachweis der Höhe der Einkommensteuerschuld deren Einkommensteuerbescheide vor. Hierauf erließ der Beklagte am 06.10.2014 einen geänderten Haftungsbescheid mit dem er die Haftungssumme auf 45.195,97 reduzierte und der nach § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde.
Die Haftungssumme setzt sich wie folgt zusammen:
Lohnsteuer 40.660,63 €
Solidaritätszuschlag 2.230,53 €
römisch-katholische Kirchensteuer 2.065,35 €
evangelische Kirchensteuer 238,82 €
altkatholische Kirchensteuer 0,23 € und
jüdische Kultussteuer 0,41 €.
Mit Einspruchsentscheidung vom 06.03.2015 wies er sodann den Einspruch als unbegründet zurück und führte zu deren Begründung aus, dass eine Einreihung der beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer, für die weder eine Lohnsteuerkarte noch eine Steuerbescheinigung vorliege, in die Steuerklasse I ausscheide.
Aus der Vorschrift des § 39d Abs. 1 Satz 1 EStG folge, dass beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer in die Steuerklasse I eingereiht werden. Auf Antrag des Arbeitnehmers erteile das Betriebsstättenfinanzamt eine Bescheinigung über die maßgebende Steuerklasse (Lohnsteuerabzugsmerkmal), die der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber nach § 39d Abs. 3 Satz 1 EStG vor Beginn des Kalenderjahres oder beim Eintritt in das Dienstverhältnis vorzulegen habe. Der Arbeitgeber habe dann den Lohnsteuerabzug nach Maßgabe der §§ 39b Abs. 2 bis 6 EStG, 39c Abs. 1 und 2 und 41c EStG durchzuführen. Hierbei trete die Bescheinigung nach § 39d Abs. 3 Satz 1 und 4 EStG an die Stelle der für unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer auszustellenden Lohnsteuerkarte. Solange der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber diese Bescheinigung schuldhaft - also vorsätzlich oder fahrlässig - nicht vorlege, habe dieser die Lohnsteuer gemäß § 39c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG ohne eigenen Entscheidungsspielraum nach Steuerklasse VI zu berechnen.
Im Streitfall sei unstrittig, dass die Klägerin einige der aus Anlage 2 zum LohnsteuerAußenprüfungsbericht ersichtlichen Arbeitnehmer in die Steuerklasse I eingereiht habe, obgleich für diese Arbeiter die nach § 39d Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 EStG erforderliche Bescheinigung nicht vorgelegen habe. Die Klägerin sei deshalb verpflichtet gewesen, für diese Arbeitnehmer die Lohnsteuer nach Maßgabe der Steuerklasse VI zu berechnen und an das FA abzuführen, was nicht geschehen sei. Von einem schuldhaften (vorsätzlichen oder fahrlässigen) Verhalten der betreffenden Arbeiter sei auszugehen, weil die Klägerin ausweislich der Feststellungen des Lohnsteuer-Außenprüfers keine Belege zu den Lohnkonten ihrer Arbeiter genommen habe, aus denen auf unverschuldetes Verhalten geschlossen werden könne (siehe Richtlinie [R] 124 Abs. 1 Lohnsteuerrichtlinien [LStR]). Zudem seien die in R 124 Abs. 2 Satz 1 LStR genannten Zeiträume nicht eingehalten. Die Klägerin habe lediglich prüfen dürfen, ob die Nichtvorlage der Lohnsteuerkarten bzw. Bescheinigungen i.S. des § 39d EStG unverschuldet gewesen sei. Es habe ihr nicht oblegen, ob trotz schuldhafter Nichtvorlage eine Mehrfachbeschäftigung eventuell ausgeschlossen sei und deshalb eine andere als die Steuerklasse VI anwendbar sei. Hierbei sei bedeutsam, dass die Eintragungen auf der Steuerkarte bzw. der Bescheinigung gemäß § 39 Abs. 3 EStG gesonderte Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen i. S. des § 179 AO darstellten, die den Arbeitgeber zur Einbehaltung- und Abführung der Lohnsteuer verpflichteten (§ 182 Abs. 1 AO).
Auch der Höhe nach begegne die Haftungsinanspruchnahme keinen Bedenken.
Eine weitere Reduzierung der Haftungssumme komme nicht in Betracht, da die Klägerin keine weiteren Einkommensteuerbescheide der betroffenen Arbeiter vorgelegt habe, aus denen sich eine etwaige niedrigere Steuerfestsetzung entnehmen lassen. Die nach § 5 i. V. m. § 191 Abs. 1 AO in seinem Ermessen stehende Haftungsinanspruchnahme sei fehlerfrei. Angesichts dessen, dass die Klägerin die Lohnsteuer in einer Vielzahl von Fällen falsch berechnet habe, diene ihre Haftungsinanspruchnahme der Vereinfachung. Eine Inanspruchnahme der Arbeitnehmer durch Nachforderungsbescheid habe zudem keinen Erfolg versprochen, weil diese ihre Unterkünfte häufiger wechselten oder zwischenzeitlich wieder in ihr Heimatland nach Polen zurückgekehrt seien.
Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage gewandt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft.
Ergänzend macht sie geltend, dass eine Mehrfachbeschäftigung ihrer nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer auch deshalb auszuschließen sei, weil es diesen aufgrund des mit ihr vereinbarten Arbeitsvertrages untersagt sei, neben der Beschäftigung für sie weitere Beschäftigungsverhältnisse mit Dritten zu begründen. Für eine Vielzahl ihrer entsandten Arbeitnehmer habe sie Lohnsteuerkarten oder Bescheinigungen nach § 39d EStG vorgelegt. Allerdings hätten nicht alle Arbeiter eine Lohnsteuerkarte von der zuständigen Gemeinde erhalten.
Dies sei darauf zurückzuführen gewesen, dass die Arbeiter teilweise nur für einen kurzen Zeitraum nach Deutschland entsandt worden seien und sich die für die Ausstellung der Lohnsteuerkarten zuständigen Einwohnermeldeämter geweigert hätten, eine Lohnsteuerkarte auszustellen. Vor diesem Hintergrund sei auch anzunehmen, dass die Nichtvorlage nicht schuldhaft gewesen sei. Häufig hätten sich ihre Arbeitnehmer aufgrund der wechselnden Beschäftigungsorte nur kurzzeitig in ihren Unterkünften aufgehalten, sodass sie die Post nicht erreicht habe. Auf die Idee, einen Postnachsendeauftrag zu stellen, seien die Arbeiter nicht gekommen. Abgesehen davon sei die Vorschrift des § 39c Abs. 4 EStG nicht anwendbar.
Da sich die Arbeitnehmer vor Beginn des Kalenderjahres häufig noch in Polen aufhielten, sei es unmöglich, die Bescheinigung nach § 39d EStG schon zu Beginn des Jahres vorzulegen. Überdies müsse sich der Beklagte daran festhalten lassen, dass ihm aufgrund der Meldeverfahren hinlänglich bekannt sei, ob die Arbeitnehmer tatsächlich in Mehrfachbeschäftigungsverhältnissen gestanden hätten. Die Feststellungslast dafür, dass ihm dennoch eine verlässliche Überprüfung nicht möglich gewesen, treffe den Beklagten.
Die Klägerin beantragt,
den Haftungsbescheid vom 28.03.2012 in Gestalt des berichtigten Bescheides vom 06.10.2014 sowie der Einspruchsentscheidung vom 06.03.2015 (ersatzlos) aufzuheben;
hilfsweise die Revision zuzulassen;
die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an seiner bisher vertretenen Auffassung fest und verweist auf die Gründe seiner Einspruchsentscheidung. Ergänzend weist er darauf hin, dass eine unverschuldete Nichtvorlage der Lohnsteuerkarten (Bescheinigung nach § 39d EStG) lediglich angenommen werden könne, wenn die Unterlagen bis spätestens 31. März des laufenden Kalenderjahres vorgelegt werden. Bei Überschreitung dieses Zeitraums werde ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers unterstellt, es sei denn, der Arbeitnehmer weise nach, dass ihn an der Verzögerung kein Verschulden treffe. Konkrete Darlegungen, dass ein schuldhaftes Verhalten nicht gegeben sei, biete weder der Vortrag noch ergäben sich dafür sonst Hinweise.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung [FGO]).
Gemäß § 42d EStG haftet der Arbeitgeber u.a.
1. für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat (Abs. 1 Nr. 1) und
2. für die Einkommensteuer (Lohnsteuer), die auf Grund fehlerhafter Angaben im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung verkürzt wird (Abs. 1 Nr. 3).
Die (zwischen den Beteiligten strittige) Erfüllung dieses gesetzlichen Tatbestands ist gegeben. Der Beklagte hat die Differenz zwischen Lohnsteuerklasse I und VI in Bezug auf die beschränkt einkommensteuerpflichtigen Werkvertragsarbeitnehmer, für die keine Bescheinigungen nach § 39 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 EStG zum Lohnkonto genommen wurden, zutreffend von der Klägerin durch Haftungsbescheid nach § 42d EStG geltend gemacht.
Nicht strittig und deshalb keiner vertieften Ausführungen bedarf es zur Frage, ob die von der Klägerin im Haftungszeitraum in Deutschland zur Ausführung von Bauleistungen eingesetzten polnischen Werkvertragsarbeitnehmer der inländischen Lohnsteuerpflicht unterlagen.
Eine inländische Lohnsteuerpflicht ist anzunehmen, denn nach dem maßgebenden DBA Deutschland/Polen wird der Bundesrepublik Deutschland das Besteuerungsrecht für alle entsandten Werkvertragsarbeitnehmer zugeordnet, wenn die Entsendung bzw. der Einsatz der Arbeitnehmer im Rahmen eines auf die Bauausführung gerichteten Werkvertrags erfolgt und der ausländische Arbeitgeber (hier die Klägerin) über eine DBA-Betriebsstätte (z. B. Geschäftsleitung, Geschäftsstelle, Baustelle über 12 Monate) im Inland verfügt. Da die Beteiligten von diesen Voraussetzungen übereinstimmend ausgehen und sich weder nach Aktenlage noch sonst Hinweise dafür ergeben, die gegen ein Besteuerungsrecht Deutschlands sprechen, geht auch der Senat hiervon aus.
Der Beklagte hat für die in Rede stehenden Arbeitnehmer (die Berechnungsgrundlagen sind zwischen den Beteiligten unstrittig) die Lohnsteuer zu Recht nach dem Lohnsteuerabzugsmerkmal der Steuerklasse VI (§ 38b Satz 2 Nr. 6 EStG) berechnet, weil die Klägerin nicht die erforderlichen Bescheinigungen nach § 39d Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 EStG vorlegen konnte.
Aufgrund der als verschuldet anzusehenden Nichtvorlage war die Klägerin deshalb verpflichtet, als Arbeitgeberin für ihre ausländischen (polnischen) Werkvertragsarbeitnehmer die Lohnsteuer nach Steuerklasse VI zu berechnen (§§ 39b Abs. 2 bis 6 EStG, 39c Abs. 1 und 2 und 41c EStG).
Dass mit Einführung des Verfahrens über die Bildung und den Abruf der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELSTAM-Verfahren) nach § 39e EStG auch die Vorschrift des § 39d EStG durch das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften - Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BeitrR-LUmsG) - vom 07.12.2011 (Bundesgesetzblatt [BGBl] I 2011, 2592) aufgehoben wurde, verhilft der Klage nicht zum Erfolg.
Die Aufhebung der Regelung des § 39d EStG (soweit deren Regelungen noch erforderlich sind, wurden sie ab dem 01.12.2012 in § 39 Abs. 2 und 3, § 39a Abs. 4 EStG übernommen) erfolgte nämlich erst mit Wirkung ab dem 01.01.2012, mit der Konsequenz, dass für den hier interessierenden Haftungszeitraum bis einschließlich 2011 noch die alte Rechtslage nach Maßgabe des § 39d EStG greift.
Abgesehen davon ergibt sich aus der Übergangsvorschrift des § 52b Abs. 7 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2010 für nicht meldepflichtige Arbeitnehmer (also z. B. im Ausland lebende und auf Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt steuerpflichtige oder gemäß §§ 1 Abs. 4, 49 EStG beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer), denen eine Identifikationsnummer nach § 139b AO weder aufgrund eines Anstoßes durch die Meldebehörde noch sonst automatisch zugeteilt wird, ebenso eine Verpflichtung zur Vorlage einer Abzugsbescheinigung in Papierform. Danach ist das Betriebsstättenfinanzamt - das ist im Streitfall nach der Sondervorschrift des § 20a Abs. 1 AO das für polnische Werkvertragsunternehmen im Baugewebe mit den Anfangsbuchstaben des Nachnamens der Firma A bis M zuständige FA C... (vgl. Rätke in Klein, 13. Aufl. 2016, § 20a Tz. 12) - auf Antrag verpflichtet, eine Abzugsbescheinigung als Grundlage zur Erhebung der Lohnsteuer auszustellen. Damit die Finanzverwaltung in diesen Fällen die vom Arbeitgeber seit 2004 nach Maßgabe der StDÜV (elektronisch) übermittelte Lohnsteuerbescheinigung (§ 41 b Abs. 1 Satz 2 EStG) maschinell zuordnen kann, ist als lohnsteuerliches Ordnungsmerkmal die elektronische Transfer-Identifikationsnummer (eTin) i.S. des § 42 b Abs. 2 Satz 1 EStG zu verwenden, die aus dem Namen, Vornamen und Geburtsdatum des Arbeitnehmers (sog. Ordnungsmerkmal) zu bilden ist.
Sollten die im Streitfall eingesetzten Werkvertragsarbeitnehmer demgegenüber ihren Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland gehabt haben und dementsprechend nach § 1 Abs. 1 EStGunbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sein sollten, käme im Streitfall gleichfalls nur ein Lohnsteuerabzug nach Maßgabe der Steuerklasse VI zum Zuge.
Obgleich die bislang für die Ausstellung von Lohnsteuerkarten § 39 EStG zuständigen Gemeinden letztmals im Jahre 2010 Lohnsteuerkarten ausgestellt hatten, ist der Arbeitgeber nicht von seiner Verpflichtung enthoben, die Einreihung des Arbeitnehmers in die zutreffende Steuerklasse (Lohnsteuerabzugsmerkmal i. S. des § 39 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 38b EStG) von der Vorlage einer amtlichen Bescheinigung abhängig zu machen.
Die Übergangsregelung des § 52b Abs. 1 EStG bestimmt deshalb für die "Lohnsteuerkartenfälle", dass die Lohnsteuerkarte 2010 für einen Übergangszeitraum auch für den Steuerabzug vom Arbeitslohn ab dem 1. Januar 2011 bis zur erstmaligen Anwendung des elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmals gilt (ELSTAM ging aufgrund technischer Umsetzungsschwierigkeiten erst ab 01.01.2013 an den Start, vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen [BMF] vom 25.07.2013 IV C 5 - S 2363/13/10003, BStBl I 2013, 943, [...]).
Für den Fall, dass die Gemeinde für 2010 keine Lohnsteuerkarte ausgestellt hatte oder diese verlorengegangen (o.dgl. mehr) war, hat das Betriebsstättenfinanzamt gemäß § 52b Abs. 3 EStG im Übergangszeitraum auf Antrag des Arbeitgebers eine Ersatzbescheinigung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck für den Lohnsteuerabzug zu erteilen. Diese Bescheinigung tritt nach Satz 2 an die Stelle der Lohnsteuerkarte.
Sofern die Bescheinigungen für die beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer nicht bis spätestens zum Ablauf des betreffenden Kalenderjahres beantragt werden (§ 39d Abs. 2 Satz 2 EStG) bzw. die Lohnsteuerkarte im Falle der unbeschränkten Steuerpflicht nicht bis allerspätestens zum 31.03. des Folgejahres vorliegen (zur Änderung des Lohnsteuerabzugs durch den Arbeitgeber siehe § 41c Abs. 3 EStG sowie BFH VI B 110 /07) muss der Arbeitgeber (ohne Änderungsmöglichkeit) die Steuerklasse VI berücksichtigen, sofern von einem Verschulden des Arbeitnehmers auszugehen ist.
Zur Frage des Verschuldens bestimmt (für das Gericht nicht bindend) aber dennoch sachgerecht LStR 39c Abs. 1 Satz 2:
"Ein schuldhaftes Verhalten liegt vor, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich oder fahrlässig die Vorlage oder Rückgabe der Lohnsteuerkarte verzögert.
(2) 1 Der Arbeitgeber kann davon ausgehen, dass den Arbeitnehmer kein Verschulden trifft, wenn
1. die Lohnsteuerkarte für das laufende Kalenderjahr bis zum 31. März vorgelegt wird oder
2. der Arbeitnehmer binnen 6 Wochen
a) die Lohnsteuerkarte nach Eintritt in das Dienstverhältnis, vorbehaltlich der Nummer 1, vorlegt oder
b) eine ihm von dem Arbeitgeber während des Dienstverhältnisses ausgehändigte Lohnsteuerkarte zurückgibt.
2 Werden die genannten Zeiträume überschritten, kann ein Verschulden des Arbeitnehmers unterstellt werden, es sei denn, der Arbeitnehmer weist nach, dass er die Verzögerung nicht zu vertreten hat. 3 Der Nachweisbeleg ist zum Lohnkonto zu nehmen."
Nach diesen sachgerechten Maßstäben ist mit dem Beklagten von einem schuldhaften Verhalten der Arbeitnehmer auszugehen. Abgesehen davon, dass die Klägerin in keinem Fall konkret dargelegt hat, aus welchen Gründen eine Bescheinigung nach § 39d EStG nicht vorgelegt werden konnte, ist zudem relevant, dass die Klägerin die Bescheinigung für ihre polnischen Arbeiter selbst ohne deren Mitwirkung (deren Unterschriftsleistung ist nicht erforderlich) hätte beantragen können. Davon hatte sie ausweislich der dem Senat vorliegenden Anträge nach § 39d EStG (siehe Leitzordner) auch in einer Vielzahl von Fällen Gebrauch gemacht. In dem Antragsformular lautet es insoweit:
"...Wird lediglich die Bescheinigung der Steuerklasse (Abschnitt A) und der .... beantragt, kann die Bescheinigung auch vom Arbeitgeber im Namen des Arbeitnehmers beantragt werden. ...".
Angesichts dieser Möglichkeit vermag der Senat der Behauptung der Klägerin, es läge ein unverschuldetes Verhalten vor, nicht zu folgen.
Auch dem Einwand der Klägerin, die vom BFH besorgten Steuerausfälle bei Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte (Urteil vom 12.01.2001 VI R 102/98, BStBl II 2003, 151) seien auszuschließen, weil Lohnsteuerkarten ab dem Jahr 2011 ohnehin nicht (mehr) ausgestellt werden und dem FA aufgrund der elektronisch übermittelten Lohnsteuerbescheinigungen nebst Ordnungsmerkmal nach § 41c EStG eine ausreichende Kontrollmöglichkeit über die (vermeintlich) vorschriftsmäßig erfolgte Lohnabzugsbesteuerung an die Hand gegeben sei, vermag der Senat aus folgenden Erwägungen gleichfalls nicht zu folgen:
Das Ordnungsmerkmal des § 41c Abs. 2 Satz 2 EStG bietet anders als die Identifikationsnummer (§ 139b AO) keine sichere Gewähr für eine korrekte steuerliche Erfassung der Arbeitnehmer. Davon ist ersichtlich auch der Gesetzgeber ausgegangen. Er hat deshalb das Bescheinigungsverfahren (in Papierform) nach alter Rechtslage in der Vorschrift des § 52b EStG bzw. das Lohnsteuerkartenverfahren in modifizierter Form bis zum Start des ELSTAM-Verfahrens weiterhin für anwendbar erklärt.
Die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin stellt sich auch nicht als ermessensfehlerhaft dar. Der Beklagte hat das ihm zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt.
Bei der Inanspruchnahme eines nach § 42d EStG Haftenden handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (§ 191 Abs. 1 AO), die nach § 102 FGO darauf zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen von einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Diesen Grundsätzen ist der Beklagte mit dem Erlass des streitgegenständlichen Haftungsbescheides gerecht geworden. Insbesondere begegnet die Ausübung des Auswahlermessens keinen durchgreifenden Bedenken.
Die vorrangige Inanspruchnahme der Klägerin als Haftende gegenüber den Arbeitnehmern durch Nachforderungsbescheid diente der administrativen Vereinfachung, war zweckmäßig und geboten, weil der Beklagte auf die polnischen Arbeitnehmer nur unter erschwerten Bedingungen (steuerlich nicht geführt, Wohnsitz ggf. im Ausland oder unbekannt) zugreifen konnte.
Mit Erfolg dringt die Klägerin auch nicht mit ihrem Einwand durch, eine Lohnsteuerverkürzung sei mangels Vorliegens von Mehrbeschäftigungsverhältnissen tatsächlich nicht gegeben.
Aufgrund des Grundsatzes der Akzessorietät scheidet eine Haftungsinanspruchnahme zwar aus, wenn eine Steuerverkürzung nicht eingetreten ist.
Denn die Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG hat Schadensersatz- und keinen Strafcharakter (Krüger in Schmidt, 34. Aufl. 2015, § 42d, Rn. 2 m. w. N. zur BFH-Rechtsprechung). Dementsprechend darf eine Haftungsinanspruchnahme nur für die gesetzlich entstandene Lohnsteuer erfolgen. Da die Lohnsteuer eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer darstellt (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG), scheidet eine Haftung zudem aus, wenn (zweifelsfrei) feststeht, dass eine Einkommensteuerschuld nicht oder nicht in Höhe des Lohnsteuerabzugs entstanden ist.
Dies setzt aber einen dahingehenden Nachweis des Arbeitgebers voraus (vgl. Krüger in Schmidt, EStG, 34. Aufl. 2015, § 39c Rn. 2, § 42d Rn. 2 mit Hinweis auf BFH-Rechtsprechung).
Daran fehlt es im Streitfall, denn die Klägerin hat lediglich pauschal auf die Bestimmungen der mit ihren Arbeitnehmern abgeschlossenen Arbeitsverträge hingewiesen, wonach es diesen untersagt gewesen sei, Mehrfachbeschäftigungsverhältnisse zu begründen. Dies reicht für einen Nachweis nicht bestehender Mehrfachbeschäftigungen nicht aus, zumal vertragswidriges Verhalten der Arbeitnehmer nicht per se ausgeschlossen werden kann. Abgesehen davon wäre es der Klägerin nach Lage der Dinge möglich und zumutbar gewesen, substantiiert darzulegen, dass die Einkommensteuerschuld der Arbeitnehmer hinter dem Haftungsbetrag zurückbleibt bzw. in vollem Umfang beglichen ist. Dies hat sie indes nur für eine geringe Zahl ihrer Arbeitnehmer durch Vorlage der Einkommensteuerbescheide getan. Auch der Beklagte vermochte nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass für die in Rede stehenden Arbeitnehmer nachträglich Lohnsteuerkarten (bis einschließlich 2010) oder Bescheinigungen i.S. des § 39d EStG vorgelegt oder Einkommensteuerveranlagungen für die Arbeitnehmer durchgeführt worden waren. Die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen der von der Klägerin im Haftungszeitraum eingesetzten Werkvertragsarbeitnehmer liegt deshalb im Dunkeln. Der Senat folgt der Klägerin schließlich auch nicht darin, dass dem Beklagten durch den Abgleich der unter der eTIN übermittelten elektronischen Lohndaten eine verlässliche Prüfung für das Vorliegen von Mehrfachbeschäftigungsverhältnissen möglich gewesen sei. Abgesehen davon, dass die eTIN nach Ansicht des Senat anders als die Identifikationsnummer kein verlässliches Instrument für eine korrekte Erfassung aller Lohndaten eines Arbeitnehmers bietet, liefe dies den Wertungen des Gesetzgebers zuwider, der mit der Schaffung der Übergangsregelung des § 52b EStG klargestellt hat, dass bis zum Start von ELSTAM die Papierform (in modifizierter Form) weitergelten solle. Abgesehen davon übersieht die Klägerin bei ihrer Argumentation, dass unter der eTIN lediglich die Lohndaten nicht aber andere der inländischen Einkommensbesteuerung unterliegende Datensätze eines Steuerpflichtigen abgerufen werden können. Überdies liefe die von der Klägerin vertretene Auffassung darauf hinaus, dass die den Arbeitgeber obliegenden Pflichten im Lohnsteuerabzugsverfahren entgegen der gesetzlichen Systematik auf die Finanzbehörde verlagert werden.
Für eine weitergehende Verminderung der Haftungssumme besteht deshalb kein Raum.
Wegen der weitergehenden Begründung nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Beklagten in seinen Einspruchsentscheidungen Bezug, die er sich nach § 105 Abs. 5 FGO zu eigen macht.
Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil ein Revisionszulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht ersichtlich ist. Insbesondere kommt dem Streitfall keine grundsätzliche Bedeutung bei, zumal er auslaufendes bzw. ausgelaufenes Recht betrifft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Urt. v. 23.02.2017
Az.: 4 K 4083/15
In dem Rechtsstreit
xxx
wegen Lohnsteuerhaftung
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 4. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 23. Februar 2017 durch
den Richter am Finanzgericht ... als Vorsitzender,
den Richter am Finanzgericht ... und
den Richter am Finanzgericht ... sowie
die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Frau ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung polnischen Rechts, die als Werkvertragsunternehmen auf dem Gebiet der Bauwirtschaft tätig ist. Im hier maßgebenden Zeitraum von 2007 bis 2011 erbrachte die Klägerin aufgrund von Werkverträgen für deutsche Auftraggeber in Deutschland Bauleistungen. Hierbei setzte sie eine Vielzahl eigener polnischer Arbeitnehmer ein, die teils der beschränkten und teils der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht unterlagen.
Die Klägerin unterhielt (zwischen den Beteiligten unstrittig) im Inland eine Betriebsstätte im Sinne von Artikel 5 des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) zwischen Deutschland und Polen in der für den Streitfall maßgebenden Fassung.
Im Rahmen einer bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin (fortan Klägerin) durch das vom Beklagten mit der Prüfung beauftragte Finanzamt (FA) B... durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung betreffend den Zeitraum vom 01.01.2007 vom 30.09.2011 - deren Ergebnisse im Lohnsteuer-Außenprüfungsbericht vom 16.03.2012 zusammengefasst sind und auf den der Senat wegen des weiteren Inhalts ergänzend Bezug nimmt (Bl. 68 LStAp-Akte) - stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin die Lohnsteuer für eine Reihe der von ihr in Deutschland eingesetzten polnischen Werkvertragsarbeitnehmer nach Steuerklasse I berechnete (siehe Anlage 2 zum Bericht), obgleich sie dem für sie örtlich nach Maßgabe des § 20a Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) zuständigen Finanzamt C... keine Bescheinigungen gemäß § 39d Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG alte Fassung) vorgelegt bzw. keine solche Bescheinigung zum Lohnkonto der betreffenden Arbeitnehmer genommen hatte.
Hierauf nahm der Prüfer eine Nachversteuerung vor, indem er die Lohnsteuer nicht mehr nach der Lohnsteuerklasse I (§ 39d Abs. 1 Satz 1 EStG), sondern gemäß § 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG nach der Lohnsteuerklasse VI berechnete (siehe § 38b Satz 2 Nr. 6 EStG i. V. m. § 49 Abs. 1Nr. 4 Buchst. a) EStG betreffend beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer).
Der Beklagte schloss sich der Auffassung des Prüfers an und erließ am 28.03.2012 gegenüber der Klägerin wegen der zuwenig einbehaltenen Lohnsteuer einen auf § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG gestützten Haftungsbescheid über zunächst noch 91.010 € nebst Solidaritätszuschlag i.H.v. 5.050 € und römisch-katholische Kirchensteuer i.H.v. 5.241,77 €, auf den wegen des weiteren Inhalts ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 109 f LSt-Akten/Bd. II).
Mit ihrem dagegen eingelegten Einspruch machte die Klägerin geltend, dass der Beklagte die Löhne für ihre beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer zu Unrecht in die Steuerklasse VI eingereiht habe. Zur Begründung führte sie aus, dass bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern, die nebeneinander von mehreren Arbeitgebern Arbeitslohn bezögen, nach §§ 39d Abs. 1 Satz 2, 38b Satz 2 Nr. 6 EStG, die Steuerklasse VI lediglich für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer aus dem zweiten und jedem weiteren Arbeitsverhältnis gelte. Eine solche Konstellation sei nicht gegeben, weil keiner ihrer in Deutschland eingesetzten Werkvertragsarbeiter in Deutschland in einem weiteren Beschäftigungsverhältnis gestanden habe.
Bedeutsam sei zudem, dass die Steuerklasse VI deshalb zur Anwendung gelange, weil damit sichergestellt werden solle, dass alle Einkünfte, die ein Arbeitnehmer erziele, in zutreffender Höhe besteuert werden. Dies betreffe insbesondere den Fall, dass ein Arbeitnehmer in mehreren Beschäftigungsverhältnissen stehe. Die Besorgnis von Steuerausfällen durch Anwendung der Steuerklasse I bei Nichtvorliegen einer Lohnsteuerkarte bzw. Steuerbescheinigung bestehe in Konstellationen der vorliegenden Art nicht, weil alle polnischen Unternehmen und polnischen Arbeitnehmer zentral beim Beklagten bzw. beim FA D... geführt werden. Im Rahmen der elektronischen Datenübermittlung der Lohnsteuerbescheinigungen nach Maßgabe der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung (StDÜV) und durch den Abgleich der elektronischen Transfer-Identifikations-Nummer (eTIN) sei dem Beklagten eine verlässliche Prüfung möglich, ob bei den zur Lohnsteuer angemeldeten Arbeitnehmern die Steuerklasse VI zur Anwendung komme. Das FA habe somit genaue Kenntnis darüber, in wie vielen Beschäftigungsverhältnissen ein Arbeitnehmer stehe. Die Grund für die Vorlage der Lohnsteuerkarte/Steuerbescheinigung, Steuerausfälle bei Mehrfachbeschäftigungsverhältnissen zu vermeiden (siehe hierzu Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 12.01.2001 VI R 102/98, Bundessteuerblatt [BStBl] II 2003, 51), sei aufgrund der inzwischen geschaffenen elektronischen Kontrollmöglichkeiten entfallen. Die Finanzverwaltung könne mit Hilfe dieses Instrumentariums verlässlich feststellen, ob ein Arbeitnehmer in Mehrfachbeschäftigungsverhältnissen stehe. Die Entscheidung des BFH vom 12.01.2001 (a.a.O.) könne unter diesen Voraussetzungen keine Anwendung mehr finden, mit der Konsequenz, dass die Löhne ihrer nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer nach Steuerklasse I zu versteuern seien.
Im Einspruchsverfahren legte die Klägerin für einige der betroffenen Arbeitnehmer zum Nachweis der Höhe der Einkommensteuerschuld deren Einkommensteuerbescheide vor. Hierauf erließ der Beklagte am 06.10.2014 einen geänderten Haftungsbescheid mit dem er die Haftungssumme auf 45.195,97 reduzierte und der nach § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde.
Die Haftungssumme setzt sich wie folgt zusammen:
Lohnsteuer 40.660,63 €
Solidaritätszuschlag 2.230,53 €
römisch-katholische Kirchensteuer 2.065,35 €
evangelische Kirchensteuer 238,82 €
altkatholische Kirchensteuer 0,23 € und
jüdische Kultussteuer 0,41 €.
Mit Einspruchsentscheidung vom 06.03.2015 wies er sodann den Einspruch als unbegründet zurück und führte zu deren Begründung aus, dass eine Einreihung der beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer, für die weder eine Lohnsteuerkarte noch eine Steuerbescheinigung vorliege, in die Steuerklasse I ausscheide.
Aus der Vorschrift des § 39d Abs. 1 Satz 1 EStG folge, dass beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer in die Steuerklasse I eingereiht werden. Auf Antrag des Arbeitnehmers erteile das Betriebsstättenfinanzamt eine Bescheinigung über die maßgebende Steuerklasse (Lohnsteuerabzugsmerkmal), die der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber nach § 39d Abs. 3 Satz 1 EStG vor Beginn des Kalenderjahres oder beim Eintritt in das Dienstverhältnis vorzulegen habe. Der Arbeitgeber habe dann den Lohnsteuerabzug nach Maßgabe der §§ 39b Abs. 2 bis 6 EStG, 39c Abs. 1 und 2 und 41c EStG durchzuführen. Hierbei trete die Bescheinigung nach § 39d Abs. 3 Satz 1 und 4 EStG an die Stelle der für unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer auszustellenden Lohnsteuerkarte. Solange der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber diese Bescheinigung schuldhaft - also vorsätzlich oder fahrlässig - nicht vorlege, habe dieser die Lohnsteuer gemäß § 39c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG ohne eigenen Entscheidungsspielraum nach Steuerklasse VI zu berechnen.
Im Streitfall sei unstrittig, dass die Klägerin einige der aus Anlage 2 zum LohnsteuerAußenprüfungsbericht ersichtlichen Arbeitnehmer in die Steuerklasse I eingereiht habe, obgleich für diese Arbeiter die nach § 39d Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 EStG erforderliche Bescheinigung nicht vorgelegen habe. Die Klägerin sei deshalb verpflichtet gewesen, für diese Arbeitnehmer die Lohnsteuer nach Maßgabe der Steuerklasse VI zu berechnen und an das FA abzuführen, was nicht geschehen sei. Von einem schuldhaften (vorsätzlichen oder fahrlässigen) Verhalten der betreffenden Arbeiter sei auszugehen, weil die Klägerin ausweislich der Feststellungen des Lohnsteuer-Außenprüfers keine Belege zu den Lohnkonten ihrer Arbeiter genommen habe, aus denen auf unverschuldetes Verhalten geschlossen werden könne (siehe Richtlinie [R] 124 Abs. 1 Lohnsteuerrichtlinien [LStR]). Zudem seien die in R 124 Abs. 2 Satz 1 LStR genannten Zeiträume nicht eingehalten. Die Klägerin habe lediglich prüfen dürfen, ob die Nichtvorlage der Lohnsteuerkarten bzw. Bescheinigungen i.S. des § 39d EStG unverschuldet gewesen sei. Es habe ihr nicht oblegen, ob trotz schuldhafter Nichtvorlage eine Mehrfachbeschäftigung eventuell ausgeschlossen sei und deshalb eine andere als die Steuerklasse VI anwendbar sei. Hierbei sei bedeutsam, dass die Eintragungen auf der Steuerkarte bzw. der Bescheinigung gemäß § 39 Abs. 3 EStG gesonderte Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen i. S. des § 179 AO darstellten, die den Arbeitgeber zur Einbehaltung- und Abführung der Lohnsteuer verpflichteten (§ 182 Abs. 1 AO).
Auch der Höhe nach begegne die Haftungsinanspruchnahme keinen Bedenken.
Eine weitere Reduzierung der Haftungssumme komme nicht in Betracht, da die Klägerin keine weiteren Einkommensteuerbescheide der betroffenen Arbeiter vorgelegt habe, aus denen sich eine etwaige niedrigere Steuerfestsetzung entnehmen lassen. Die nach § 5 i. V. m. § 191 Abs. 1 AO in seinem Ermessen stehende Haftungsinanspruchnahme sei fehlerfrei. Angesichts dessen, dass die Klägerin die Lohnsteuer in einer Vielzahl von Fällen falsch berechnet habe, diene ihre Haftungsinanspruchnahme der Vereinfachung. Eine Inanspruchnahme der Arbeitnehmer durch Nachforderungsbescheid habe zudem keinen Erfolg versprochen, weil diese ihre Unterkünfte häufiger wechselten oder zwischenzeitlich wieder in ihr Heimatland nach Polen zurückgekehrt seien.
Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage gewandt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft.
Ergänzend macht sie geltend, dass eine Mehrfachbeschäftigung ihrer nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer auch deshalb auszuschließen sei, weil es diesen aufgrund des mit ihr vereinbarten Arbeitsvertrages untersagt sei, neben der Beschäftigung für sie weitere Beschäftigungsverhältnisse mit Dritten zu begründen. Für eine Vielzahl ihrer entsandten Arbeitnehmer habe sie Lohnsteuerkarten oder Bescheinigungen nach § 39d EStG vorgelegt. Allerdings hätten nicht alle Arbeiter eine Lohnsteuerkarte von der zuständigen Gemeinde erhalten.
Dies sei darauf zurückzuführen gewesen, dass die Arbeiter teilweise nur für einen kurzen Zeitraum nach Deutschland entsandt worden seien und sich die für die Ausstellung der Lohnsteuerkarten zuständigen Einwohnermeldeämter geweigert hätten, eine Lohnsteuerkarte auszustellen. Vor diesem Hintergrund sei auch anzunehmen, dass die Nichtvorlage nicht schuldhaft gewesen sei. Häufig hätten sich ihre Arbeitnehmer aufgrund der wechselnden Beschäftigungsorte nur kurzzeitig in ihren Unterkünften aufgehalten, sodass sie die Post nicht erreicht habe. Auf die Idee, einen Postnachsendeauftrag zu stellen, seien die Arbeiter nicht gekommen. Abgesehen davon sei die Vorschrift des § 39c Abs. 4 EStG nicht anwendbar.
Da sich die Arbeitnehmer vor Beginn des Kalenderjahres häufig noch in Polen aufhielten, sei es unmöglich, die Bescheinigung nach § 39d EStG schon zu Beginn des Jahres vorzulegen. Überdies müsse sich der Beklagte daran festhalten lassen, dass ihm aufgrund der Meldeverfahren hinlänglich bekannt sei, ob die Arbeitnehmer tatsächlich in Mehrfachbeschäftigungsverhältnissen gestanden hätten. Die Feststellungslast dafür, dass ihm dennoch eine verlässliche Überprüfung nicht möglich gewesen, treffe den Beklagten.
Die Klägerin beantragt,
den Haftungsbescheid vom 28.03.2012 in Gestalt des berichtigten Bescheides vom 06.10.2014 sowie der Einspruchsentscheidung vom 06.03.2015 (ersatzlos) aufzuheben;
hilfsweise die Revision zuzulassen;
die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an seiner bisher vertretenen Auffassung fest und verweist auf die Gründe seiner Einspruchsentscheidung. Ergänzend weist er darauf hin, dass eine unverschuldete Nichtvorlage der Lohnsteuerkarten (Bescheinigung nach § 39d EStG) lediglich angenommen werden könne, wenn die Unterlagen bis spätestens 31. März des laufenden Kalenderjahres vorgelegt werden. Bei Überschreitung dieses Zeitraums werde ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers unterstellt, es sei denn, der Arbeitnehmer weise nach, dass ihn an der Verzögerung kein Verschulden treffe. Konkrete Darlegungen, dass ein schuldhaftes Verhalten nicht gegeben sei, biete weder der Vortrag noch ergäben sich dafür sonst Hinweise.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung [FGO]).
Gemäß § 42d EStG haftet der Arbeitgeber u.a.
1. für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat (Abs. 1 Nr. 1) und
2. für die Einkommensteuer (Lohnsteuer), die auf Grund fehlerhafter Angaben im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung verkürzt wird (Abs. 1 Nr. 3).
Die (zwischen den Beteiligten strittige) Erfüllung dieses gesetzlichen Tatbestands ist gegeben. Der Beklagte hat die Differenz zwischen Lohnsteuerklasse I und VI in Bezug auf die beschränkt einkommensteuerpflichtigen Werkvertragsarbeitnehmer, für die keine Bescheinigungen nach § 39 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 EStG zum Lohnkonto genommen wurden, zutreffend von der Klägerin durch Haftungsbescheid nach § 42d EStG geltend gemacht.
Nicht strittig und deshalb keiner vertieften Ausführungen bedarf es zur Frage, ob die von der Klägerin im Haftungszeitraum in Deutschland zur Ausführung von Bauleistungen eingesetzten polnischen Werkvertragsarbeitnehmer der inländischen Lohnsteuerpflicht unterlagen.
Eine inländische Lohnsteuerpflicht ist anzunehmen, denn nach dem maßgebenden DBA Deutschland/Polen wird der Bundesrepublik Deutschland das Besteuerungsrecht für alle entsandten Werkvertragsarbeitnehmer zugeordnet, wenn die Entsendung bzw. der Einsatz der Arbeitnehmer im Rahmen eines auf die Bauausführung gerichteten Werkvertrags erfolgt und der ausländische Arbeitgeber (hier die Klägerin) über eine DBA-Betriebsstätte (z. B. Geschäftsleitung, Geschäftsstelle, Baustelle über 12 Monate) im Inland verfügt. Da die Beteiligten von diesen Voraussetzungen übereinstimmend ausgehen und sich weder nach Aktenlage noch sonst Hinweise dafür ergeben, die gegen ein Besteuerungsrecht Deutschlands sprechen, geht auch der Senat hiervon aus.
Der Beklagte hat für die in Rede stehenden Arbeitnehmer (die Berechnungsgrundlagen sind zwischen den Beteiligten unstrittig) die Lohnsteuer zu Recht nach dem Lohnsteuerabzugsmerkmal der Steuerklasse VI (§ 38b Satz 2 Nr. 6 EStG) berechnet, weil die Klägerin nicht die erforderlichen Bescheinigungen nach § 39d Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 EStG vorlegen konnte.
Aufgrund der als verschuldet anzusehenden Nichtvorlage war die Klägerin deshalb verpflichtet, als Arbeitgeberin für ihre ausländischen (polnischen) Werkvertragsarbeitnehmer die Lohnsteuer nach Steuerklasse VI zu berechnen (§§ 39b Abs. 2 bis 6 EStG, 39c Abs. 1 und 2 und 41c EStG).
Dass mit Einführung des Verfahrens über die Bildung und den Abruf der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELSTAM-Verfahren) nach § 39e EStG auch die Vorschrift des § 39d EStG durch das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften - Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BeitrR-LUmsG) - vom 07.12.2011 (Bundesgesetzblatt [BGBl] I 2011, 2592) aufgehoben wurde, verhilft der Klage nicht zum Erfolg.
Die Aufhebung der Regelung des § 39d EStG (soweit deren Regelungen noch erforderlich sind, wurden sie ab dem 01.12.2012 in § 39 Abs. 2 und 3, § 39a Abs. 4 EStG übernommen) erfolgte nämlich erst mit Wirkung ab dem 01.01.2012, mit der Konsequenz, dass für den hier interessierenden Haftungszeitraum bis einschließlich 2011 noch die alte Rechtslage nach Maßgabe des § 39d EStG greift.
Abgesehen davon ergibt sich aus der Übergangsvorschrift des § 52b Abs. 7 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2010 für nicht meldepflichtige Arbeitnehmer (also z. B. im Ausland lebende und auf Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt steuerpflichtige oder gemäß §§ 1 Abs. 4, 49 EStG beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer), denen eine Identifikationsnummer nach § 139b AO weder aufgrund eines Anstoßes durch die Meldebehörde noch sonst automatisch zugeteilt wird, ebenso eine Verpflichtung zur Vorlage einer Abzugsbescheinigung in Papierform. Danach ist das Betriebsstättenfinanzamt - das ist im Streitfall nach der Sondervorschrift des § 20a Abs. 1 AO das für polnische Werkvertragsunternehmen im Baugewebe mit den Anfangsbuchstaben des Nachnamens der Firma A bis M zuständige FA C... (vgl. Rätke in Klein, 13. Aufl. 2016, § 20a Tz. 12) - auf Antrag verpflichtet, eine Abzugsbescheinigung als Grundlage zur Erhebung der Lohnsteuer auszustellen. Damit die Finanzverwaltung in diesen Fällen die vom Arbeitgeber seit 2004 nach Maßgabe der StDÜV (elektronisch) übermittelte Lohnsteuerbescheinigung (§ 41 b Abs. 1 Satz 2 EStG) maschinell zuordnen kann, ist als lohnsteuerliches Ordnungsmerkmal die elektronische Transfer-Identifikationsnummer (eTin) i.S. des § 42 b Abs. 2 Satz 1 EStG zu verwenden, die aus dem Namen, Vornamen und Geburtsdatum des Arbeitnehmers (sog. Ordnungsmerkmal) zu bilden ist.
Sollten die im Streitfall eingesetzten Werkvertragsarbeitnehmer demgegenüber ihren Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland gehabt haben und dementsprechend nach § 1 Abs. 1 EStGunbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sein sollten, käme im Streitfall gleichfalls nur ein Lohnsteuerabzug nach Maßgabe der Steuerklasse VI zum Zuge.
Obgleich die bislang für die Ausstellung von Lohnsteuerkarten § 39 EStG zuständigen Gemeinden letztmals im Jahre 2010 Lohnsteuerkarten ausgestellt hatten, ist der Arbeitgeber nicht von seiner Verpflichtung enthoben, die Einreihung des Arbeitnehmers in die zutreffende Steuerklasse (Lohnsteuerabzugsmerkmal i. S. des § 39 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 38b EStG) von der Vorlage einer amtlichen Bescheinigung abhängig zu machen.
Die Übergangsregelung des § 52b Abs. 1 EStG bestimmt deshalb für die "Lohnsteuerkartenfälle", dass die Lohnsteuerkarte 2010 für einen Übergangszeitraum auch für den Steuerabzug vom Arbeitslohn ab dem 1. Januar 2011 bis zur erstmaligen Anwendung des elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmals gilt (ELSTAM ging aufgrund technischer Umsetzungsschwierigkeiten erst ab 01.01.2013 an den Start, vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen [BMF] vom 25.07.2013 IV C 5 - S 2363/13/10003, BStBl I 2013, 943, [...]).
Für den Fall, dass die Gemeinde für 2010 keine Lohnsteuerkarte ausgestellt hatte oder diese verlorengegangen (o.dgl. mehr) war, hat das Betriebsstättenfinanzamt gemäß § 52b Abs. 3 EStG im Übergangszeitraum auf Antrag des Arbeitgebers eine Ersatzbescheinigung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck für den Lohnsteuerabzug zu erteilen. Diese Bescheinigung tritt nach Satz 2 an die Stelle der Lohnsteuerkarte.
Sofern die Bescheinigungen für die beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer nicht bis spätestens zum Ablauf des betreffenden Kalenderjahres beantragt werden (§ 39d Abs. 2 Satz 2 EStG) bzw. die Lohnsteuerkarte im Falle der unbeschränkten Steuerpflicht nicht bis allerspätestens zum 31.03. des Folgejahres vorliegen (zur Änderung des Lohnsteuerabzugs durch den Arbeitgeber siehe § 41c Abs. 3 EStG sowie BFH VI B 110 /07) muss der Arbeitgeber (ohne Änderungsmöglichkeit) die Steuerklasse VI berücksichtigen, sofern von einem Verschulden des Arbeitnehmers auszugehen ist.
Zur Frage des Verschuldens bestimmt (für das Gericht nicht bindend) aber dennoch sachgerecht LStR 39c Abs. 1 Satz 2:
"Ein schuldhaftes Verhalten liegt vor, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich oder fahrlässig die Vorlage oder Rückgabe der Lohnsteuerkarte verzögert.
(2) 1 Der Arbeitgeber kann davon ausgehen, dass den Arbeitnehmer kein Verschulden trifft, wenn
1. die Lohnsteuerkarte für das laufende Kalenderjahr bis zum 31. März vorgelegt wird oder
2. der Arbeitnehmer binnen 6 Wochen
a) die Lohnsteuerkarte nach Eintritt in das Dienstverhältnis, vorbehaltlich der Nummer 1, vorlegt oder
b) eine ihm von dem Arbeitgeber während des Dienstverhältnisses ausgehändigte Lohnsteuerkarte zurückgibt.
2 Werden die genannten Zeiträume überschritten, kann ein Verschulden des Arbeitnehmers unterstellt werden, es sei denn, der Arbeitnehmer weist nach, dass er die Verzögerung nicht zu vertreten hat. 3 Der Nachweisbeleg ist zum Lohnkonto zu nehmen."
Nach diesen sachgerechten Maßstäben ist mit dem Beklagten von einem schuldhaften Verhalten der Arbeitnehmer auszugehen. Abgesehen davon, dass die Klägerin in keinem Fall konkret dargelegt hat, aus welchen Gründen eine Bescheinigung nach § 39d EStG nicht vorgelegt werden konnte, ist zudem relevant, dass die Klägerin die Bescheinigung für ihre polnischen Arbeiter selbst ohne deren Mitwirkung (deren Unterschriftsleistung ist nicht erforderlich) hätte beantragen können. Davon hatte sie ausweislich der dem Senat vorliegenden Anträge nach § 39d EStG (siehe Leitzordner) auch in einer Vielzahl von Fällen Gebrauch gemacht. In dem Antragsformular lautet es insoweit:
"...Wird lediglich die Bescheinigung der Steuerklasse (Abschnitt A) und der .... beantragt, kann die Bescheinigung auch vom Arbeitgeber im Namen des Arbeitnehmers beantragt werden. ...".
Angesichts dieser Möglichkeit vermag der Senat der Behauptung der Klägerin, es läge ein unverschuldetes Verhalten vor, nicht zu folgen.
Auch dem Einwand der Klägerin, die vom BFH besorgten Steuerausfälle bei Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte (Urteil vom 12.01.2001 VI R 102/98, BStBl II 2003, 151) seien auszuschließen, weil Lohnsteuerkarten ab dem Jahr 2011 ohnehin nicht (mehr) ausgestellt werden und dem FA aufgrund der elektronisch übermittelten Lohnsteuerbescheinigungen nebst Ordnungsmerkmal nach § 41c EStG eine ausreichende Kontrollmöglichkeit über die (vermeintlich) vorschriftsmäßig erfolgte Lohnabzugsbesteuerung an die Hand gegeben sei, vermag der Senat aus folgenden Erwägungen gleichfalls nicht zu folgen:
Das Ordnungsmerkmal des § 41c Abs. 2 Satz 2 EStG bietet anders als die Identifikationsnummer (§ 139b AO) keine sichere Gewähr für eine korrekte steuerliche Erfassung der Arbeitnehmer. Davon ist ersichtlich auch der Gesetzgeber ausgegangen. Er hat deshalb das Bescheinigungsverfahren (in Papierform) nach alter Rechtslage in der Vorschrift des § 52b EStG bzw. das Lohnsteuerkartenverfahren in modifizierter Form bis zum Start des ELSTAM-Verfahrens weiterhin für anwendbar erklärt.
Die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin stellt sich auch nicht als ermessensfehlerhaft dar. Der Beklagte hat das ihm zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt.
Bei der Inanspruchnahme eines nach § 42d EStG Haftenden handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (§ 191 Abs. 1 AO), die nach § 102 FGO darauf zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen von einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Diesen Grundsätzen ist der Beklagte mit dem Erlass des streitgegenständlichen Haftungsbescheides gerecht geworden. Insbesondere begegnet die Ausübung des Auswahlermessens keinen durchgreifenden Bedenken.
Die vorrangige Inanspruchnahme der Klägerin als Haftende gegenüber den Arbeitnehmern durch Nachforderungsbescheid diente der administrativen Vereinfachung, war zweckmäßig und geboten, weil der Beklagte auf die polnischen Arbeitnehmer nur unter erschwerten Bedingungen (steuerlich nicht geführt, Wohnsitz ggf. im Ausland oder unbekannt) zugreifen konnte.
Mit Erfolg dringt die Klägerin auch nicht mit ihrem Einwand durch, eine Lohnsteuerverkürzung sei mangels Vorliegens von Mehrbeschäftigungsverhältnissen tatsächlich nicht gegeben.
Aufgrund des Grundsatzes der Akzessorietät scheidet eine Haftungsinanspruchnahme zwar aus, wenn eine Steuerverkürzung nicht eingetreten ist.
Denn die Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG hat Schadensersatz- und keinen Strafcharakter (Krüger in Schmidt, 34. Aufl. 2015, § 42d, Rn. 2 m. w. N. zur BFH-Rechtsprechung). Dementsprechend darf eine Haftungsinanspruchnahme nur für die gesetzlich entstandene Lohnsteuer erfolgen. Da die Lohnsteuer eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer darstellt (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG), scheidet eine Haftung zudem aus, wenn (zweifelsfrei) feststeht, dass eine Einkommensteuerschuld nicht oder nicht in Höhe des Lohnsteuerabzugs entstanden ist.
Dies setzt aber einen dahingehenden Nachweis des Arbeitgebers voraus (vgl. Krüger in Schmidt, EStG, 34. Aufl. 2015, § 39c Rn. 2, § 42d Rn. 2 mit Hinweis auf BFH-Rechtsprechung).
Daran fehlt es im Streitfall, denn die Klägerin hat lediglich pauschal auf die Bestimmungen der mit ihren Arbeitnehmern abgeschlossenen Arbeitsverträge hingewiesen, wonach es diesen untersagt gewesen sei, Mehrfachbeschäftigungsverhältnisse zu begründen. Dies reicht für einen Nachweis nicht bestehender Mehrfachbeschäftigungen nicht aus, zumal vertragswidriges Verhalten der Arbeitnehmer nicht per se ausgeschlossen werden kann. Abgesehen davon wäre es der Klägerin nach Lage der Dinge möglich und zumutbar gewesen, substantiiert darzulegen, dass die Einkommensteuerschuld der Arbeitnehmer hinter dem Haftungsbetrag zurückbleibt bzw. in vollem Umfang beglichen ist. Dies hat sie indes nur für eine geringe Zahl ihrer Arbeitnehmer durch Vorlage der Einkommensteuerbescheide getan. Auch der Beklagte vermochte nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass für die in Rede stehenden Arbeitnehmer nachträglich Lohnsteuerkarten (bis einschließlich 2010) oder Bescheinigungen i.S. des § 39d EStG vorgelegt oder Einkommensteuerveranlagungen für die Arbeitnehmer durchgeführt worden waren. Die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen der von der Klägerin im Haftungszeitraum eingesetzten Werkvertragsarbeitnehmer liegt deshalb im Dunkeln. Der Senat folgt der Klägerin schließlich auch nicht darin, dass dem Beklagten durch den Abgleich der unter der eTIN übermittelten elektronischen Lohndaten eine verlässliche Prüfung für das Vorliegen von Mehrfachbeschäftigungsverhältnissen möglich gewesen sei. Abgesehen davon, dass die eTIN nach Ansicht des Senat anders als die Identifikationsnummer kein verlässliches Instrument für eine korrekte Erfassung aller Lohndaten eines Arbeitnehmers bietet, liefe dies den Wertungen des Gesetzgebers zuwider, der mit der Schaffung der Übergangsregelung des § 52b EStG klargestellt hat, dass bis zum Start von ELSTAM die Papierform (in modifizierter Form) weitergelten solle. Abgesehen davon übersieht die Klägerin bei ihrer Argumentation, dass unter der eTIN lediglich die Lohndaten nicht aber andere der inländischen Einkommensbesteuerung unterliegende Datensätze eines Steuerpflichtigen abgerufen werden können. Überdies liefe die von der Klägerin vertretene Auffassung darauf hinaus, dass die den Arbeitgeber obliegenden Pflichten im Lohnsteuerabzugsverfahren entgegen der gesetzlichen Systematik auf die Finanzbehörde verlagert werden.
Für eine weitergehende Verminderung der Haftungssumme besteht deshalb kein Raum.
Wegen der weitergehenden Begründung nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Beklagten in seinen Einspruchsentscheidungen Bezug, die er sich nach § 105 Abs. 5 FGO zu eigen macht.
Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil ein Revisionszulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht ersichtlich ist. Insbesondere kommt dem Streitfall keine grundsätzliche Bedeutung bei, zumal er auslaufendes bzw. ausgelaufenes Recht betrifft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.