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  • 25.08.2017 · IWW-Abrufnummer 196100

    Finanzgericht Köln: Beschluss vom 17.05.2017 – 2 K 773/16

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Köln

    2 K 773/16

    Tenor:

    Dem EuGH werden gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    I) Steht Art. 49 i.V.m. 54 AEUV einer nationalen Steuervorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, die einer gebietsfremden Muttergesellschaft, deren alleiniger Anteilseigner eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland ist, die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen verweigert,
    soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, sowie

    1. in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder

    2. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.

    während gebietsansässigen Muttergesellschaften die Entlastung von der Kapitalertragsteuer gewährt wird, ohne dass es auf die vorgenannten Voraussetzungen ankommt?

    II) Ist Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat eine Regelung erlässt, die einer gebietsfremden Muttergesellschaft, deren alleiniger Anteilseigner eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland ist, die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen verweigert,

    soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, sowie
    1. in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
    2. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt?

    1
    Gründe:

    2
    A.

    1

    Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin im Hinblick auf Dividendenausschüttungen ihrer in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft in 2013 ein Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer zusteht. Dabei ist insbesondere streitig, ob § 50d Abs. 3 EStG in der ab 2012 geltenden Fassung dem entgegensteht.

    2

    Eigenschaften der Klägerin

    3

    Die Klägerin ist eine in den Niederlanden ansässige Kapitalgesellschaft. Sie gehört zur Y & X-Gruppe. Obergesellschaft der Gruppe ist die Y & X ...-KG (Y&X KG) mit Sitz in W. Gesellschafter der Y&X KG sind ca. ... natürliche Personen (Familiengesellschafter) sowie eine .... Zudem bestehen an den Anteilen an der Y&X KG zahlreiche Unterbeteiligungen. Die Y&X KG hält unmittelbare und mittelbare Beteiligungen an zahlreichen in- und ausländischen Unternehmen, die entweder dem klassischen Betätigungsfeld der M-Produktion zuzuordnen sind, oder aber dem Bereich der F‑Produktion (insbesondere ...).

    4

    An der Spitze der im Streitfall allein relevanten M-Sparte steht als inländische operative Gesellschaft die Y & X GmbH & Co. KG, W (Y&X GmbH & Co. KG; vor dem 1. Oktober 2012: Y&X KG). Diese hält unter anderem alle Anteile an der Y & X Auslandsbeteiligungen GmbH, W (Y&X AB GmbH), welche ihrerseits wiederum seit Gründung der Klägerin in 2005 Alleingesellschafterin der Klägerin ist.

    5

    Von 2006 bis zum 7. November 2013 war die Klägerin an der im Inland ansässigen M P (M P GmbH) beteiligt, zuletzt zu 93,66 %.

    6

    Neben ihrer Beteiligung an der M P GmbH hielt die Klägerin auch noch Anteile an zahlreichen operativen Auslandsgesellschaften.

    7

    Die Beteiligungsstruktur stellte sich im Streitjahr 2013, soweit im Streitfall von Bedeutung, wie folgt dar.

    8

    Geschäftstätigkeit der Klägerin

    9

    Die tatsächlich ausgeübte Geschäftstätigkeit der Klägerin konzentrierte sich auf drei Aktivitäten:

    1) Holdingtätigkeit
    2) Finanzierungsgesellschaft
    3) Einkaufsgesellschaft.
     
    10

    Mit Blick auf die Holdingtätigkeit wurde im Rahmen des M-Bereichs der Y&X-Gruppe aus organisatorischen Gründen eine grundsätzliche Trennung zwischen deutschem M-Geschäft und ausländischem M-Geschäft etabliert. Aus deutscher Sicht ist das gesamte M-Auslandsgeschäft unterhalb der Y&X Auslandsbeteiligungen GmbH „aufgehängt“ und sind die einzelnen Beteiligungen dann in den Niederlanden bei der Klägerin konzentriert. Die Klägerin hält zahlreiche Beteiligungen im Umfang zwischen 49,9 % und 100 % an ausländischen Kapitalgesellschaften in ...

    11

    Im Verhältnis zu ihren Tochtergesellschaften und Gesellschaftsbeteiligungen kommt der Klägerin die Rolle einer Finanz- und Verwaltungsholding zu: Sie beschränkt sich auf das Halten und Verwalten der gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen und erbringt gegenüber den betreffenden Gesellschaften darüber hinaus keine Management-/Geschäftsführungs-Leistungen gegen Entgelt. Im Streitjahr 2013 erzielte die Klägerin aus diesen Beteiligungen an verbundenen Unternehmen - einschließlich der streitigen Gewinnausschüttung von der M P GmbH i.H.v. ... € - Dividendenerträge in Höhe von insgesamt ... € (Vorjahr: ... €).

    12

    Mit Blick auf ihre Funktion als Finanzierungsgesellschaft hinsichtlich der im Ausland ansässigen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften dient die Klägerin als zentrale „Kapitaldrehscheibe“. Über sie wird die Finanzierung der verschiedenen operativ im Bereich der M-Produktion tätigen Gesellschaften durch bedarfsgerechte Vergabe von Darlehen (und ggf. Eigenkapital) koordiniert, wobei die hierfür verwendeten Mittel grundsätzlich aus Krediten oder Gewinnausschüttungen von Tochter- und Beteiligungsgesellschaften mit überschüssiger Liquidität sowie ferner aus Einlagen stammen.

    13

    Aus der Darlehensvergabe an verbundene Unternehmen (ausschließlich der M P GmbH) erzielte die Klägerin auf der Basis fremdüblicher Konditionen jährlich Zinserträge. Im Jahr 2013 beliefen sich diese Erträge auf ... € (Vorjahr: ... €). Die Klägerin hatte der M P GmbH kein Darlehen gewährt. Finanzielle Mittel, die nicht unmittelbar von Tochter- und Beteiligungsgesellschaften benötigt werden, legt die Klägerin nach Möglichkeit ertragsbringend an. Insofern erwirtschaftete sie im Streitjahr 2013 aus der Verwaltung und Anlage finanzieller Mittel noch weitere Zins- und ähnliche Erträge i.H.v. ... € (Vorjahr: ... €) sowie Dividenden aus Beteiligungen an nicht mit ihr verbundenen Unternehmen i.H.v. ... € (Vorjahr: ... €) und sonstige betriebliche Erträge (u.a. Währungsgewinne aus Kurssicherungsmaßnahmen im Zusammenhang mit einer ... Tochtergesellschaft) i.H.v. ... € (Vorjahr: ... €).

    14

    Des Weiteren trat bzw. tritt die Klägerin in einigen Fällen auch als Einkaufsgesellschaft der gesamten Y&X-Gruppe im Hinblick auf den Erwerb von M aus Drittstaaten auf. Sie agiert insoweit als selbstständige Eigenhändlerin und kauft den M im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, um ihn anschließend an in- und ausländische verbundene Unternehmen (z.B. die Y&X GmbH & Co. KG) weiter zu veräußern. Dies geschah bzw. geschieht, wenn gelegentlich die durch eigene Produktion erzeugten M-Ressourcen der Y&X-Gruppe (z.B. ...) nicht ausreichen, um alle laufenden Lieferverpflichtungen gegenüber Abnehmern aus der ...-Industrie zu erfüllen. Aus dieser Tätigkeit erwirtschaftete die Klägerin im Streitjahr 2013 Umsatzerlöse i.H.v. ... € (Vorjahr: ... €) und erzielte hieraus eine Marge von ... € (Vorjahr: ... €).

    15

    Personelle Ausstattung der Klägerin

    16

    Im Streitjahr 2013 waren bei der Klägerin insgesamt drei Personen angestellt.

    17

    Einer der beiden Geschäftsführer war Herr B. Dieser ist studierter Wissenschaftler und seit 2009 Bereichsleiter „...“ in der Y&X GmbH & Co. KG sowie kaufmännischer Werkleiter in der M P GmbH. 2012 wurde er nach mehrjähriger Tätigkeit in verschiedenen Funktionen in der Y&X-Gruppe des Weiteren als Kaufmännischer Leiter der Klägerin zu deren Geschäftsführer ernannt. Für die Geschäftsführer-Tätigkeit bei der Klägerin erhielt er im Streitjahr von dieser ein Jahresgehalt i.H.v. ... €.

    18

    Weiterer Geschäftsführer war Herr Q. Dieser verfügte über mehrere Studienabschlüsse im Bereich ... sowie über langjährige Berufserfahrung in diversen Wirtschaftsunternehmen. Herr Q war zugleich als Financial Director (etwa „kaufmännischer Geschäftsführer“) bei der operativ tätigen H B.V. (K/Niederlande) angestellt. Für seine Geschäftsführertätigkeit bei der Klägerin erhielt er ein Jahresgehalt i.H.v. ... €.

    19

    Daneben war bei der Klägerin noch Herr U als Financial Controller angestellt. Auch dieser war außerdem noch bei der H B.V. mit einer entsprechenden fremdüblichen Vergütung angestellt. Von der Klägerin erhielt er im Streitjahr bei einer Wochenarbeitszeit von 6 Stunden (15% Anstellung auf Basis Vollzeitäquivalent) ein Monatsgehalt i.H.v. ... €.

    20

    Sachliche Ausstattung der Klägerin

    21

    Die Klägerin hatte ihren Sitz seit der Gründung in 2005 zunächst in R (in angemieteten Räumen) und verlegte diesen Anfang 2011 nach K in von fremden Dritten gemietete Büroräumlichkeiten. Im Streitjahr 2013 mietete sie ab dem 1. Februar 2013 zwei getrennte Büroräume mit einer Gesamtfläche von 51,45 qm in einem Gebäude der H B.V., einer zum F-Bereich der Y&X-Gruppe gehörenden Gesellschaft (E-Straße ...). Die V B.V. ist die operative niederländische V-Gesellschaft (Produktion von ...) mit rund 360 Mitarbeitern, die dort ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung hat.

    22

    Vom monatlichen Mietpreis i.H.v. ... € war auch die Nutzung von Gemeinschaftsräumen wie Rezeption und Kantine, von Büromaterial und von Telefon- und Internetzugang umfasst. Das Büro der Klägerin war mit eigenen Telefon- und Faxanschlüssen, E-Mail-Accounts und eigenen Computern ausgestattet. Geschäftsunterlagen der Klägerin wurden in den Büroräumen aufbewahrt.
     
    23
     
    Dividendenausschüttung
     
    24

    Im Streitjahr 2013 beschloss die M P GmbH am 21. Oktober 2013 eine Gewinnausschüttung i.H.v. ... €, die am 22. Oktober 2013 durchgeführt wurde und sich auf ihre drei Gesellschafter wie folgt verteilte:
     
    25

    Klägerin (93,66 %):    ... €      
    W M GmbH & Co. KG (5,5 %)    ... €      
    Y&X GmbH & Co. KG (0,84 %)    ... €      
        ... €     

    26
     
    Die M P GmbH behielt Kapitalertragsteuer i.H.v. 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag i.H.v. 5,5 % ein und führte diese an das Finanzamt P ab. Auf die an die Klägerin gezahlte Dividende entfiel hierbei anteilige Kapitalertragsteuer i.H.v. ... € und Solidaritätszuschlag i.H.v. ... € (Summe: ... €).

    27

    Antrags- und Einspruchsverfahren
     
    28
     
    Am 8. Januar 2014 stellte die Klägerin einen auf § 43b EStG gestützten Antrag auf Erstattung der von der M P GmbH einbehaltenen und abgeführten deutschen Abzugssteuern.
     
    29
     
    Mit Bescheid vom 16. Oktober 2004 setzte der Beklagte den erstattungsfähigen Betrag unter Berufung auf § 50 d Abs. 3 EStG auf 0 Euro fest.
     
    30
     
    Der hiergegen fristgemäß eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2016 als unbegründet zurückgewiesen.
     
    31
     
    Klageverfahren
     
    32

    Hiergegen erhob die Klägerin fristgemäß Klage. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Voraussetzungen der §§ 50d Abs. 1, 43b EStG für eine Freistellung von Gewinnausschüttungen der GmbH im streitigen Sachverhalt erfüllt sind. Streitig ist allein die Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG.

    33
     
    Persönliche Entlastungsberechtigung
     
    34
     
    Im Hinblick auf die persönliche Entlassungsberechtigung gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 1. Tatbestandsmerkmal EStG trägt die Klägerin vor, dass die strukturelle Besonderheit des Streitfalls zu berücksichtigen sei. Ihre alleinige Anteilseignerin sei nämlich die deutsche Y&X AB GmbH. Auf eine solche „Mäander“-Struktur passe der subjektiv am Gesellschafterkreis einer Auslandsgesellschaft orientierte Wortlaut der ersten Entlastungsvariante des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG nicht. Denn soweit dort im Wege eines hypothetischen Tests die Darlegung verlangt werde, dass „die Erstattung oder Freistellung“ - also die Entlastung i.S.d. § 50d Abs. 1 oder 2 EStG - den Gesellschaftern der Auslandsgesellschaft bei (gedachter) unmittelbarer Erzielung der betreffenden Einkünfte „zustände“, sei diese Prüfung eines fiktiven Entlastungsanspruchs allein auf auslandsansässige Gesellschafter zugeschnitten.

    35
     
    Bei inlandsansässigen Gesellschaftern, wie im Streitfall der Y&X AB GmbH, könne es im Hinblick auf die Besteuerung von deutschen Dividenden schon aus rein systematischen Gründen nicht zu einer „Entlastung nach Abs. 1 oder Abs. 2“ kommen, da es insofern an einer grenzüberschreitenden Gewinnausschüttung fehle, die entweder nach einem DBA oder der Mutter-Tochter-Richtlinie (i.V.m. § 43b EStG) einen Entlastungsanspruch auslöse. Ihr, der Klägerin, sei daher von vornherein jede Möglichkeit genommen, mittels Darlegung eines fiktiven Entlastungsanspruchs ihrer Alleinanteilseignerin Y&X AB GmbH den nachteiligen Rechtsfolgen des § 50d Abs. 3 EStG zu entgehen und eine Quellensteuerbefreiung der von der M P GmbH bezogenen Dividende zu erhalten.
     
    36
     
    Mit Blick auf das aus den Gesetzgebungsmaterialien abzuleitende Regelungsziel des § 50d Abs. 3 EStG, „Directive Shopping“ oder „Treaty Shopping“ - also Situationen, bei denen ein nicht nach einer EU-Richtlinie oder einem DBA entlastungsberechtigter auslandsansässiger Steuerpflichtiger eine Gesellschaft in einem ausländischen Staat zwischenschalte, demgegenüber Deutschland auf der Grundlage einer EU-Richtlinie oder eines DBA zur Quellensteuerentlastung verpflichtet wäre - zu bekämpfen, würden „Mäander-Strukturen“ aber typischerweise gerade nicht zu den relevanten missbrauchsverdächtigen Fallgruppen gehören. Denn ein inländischer Anteilseigner hätte bei einer gedachten (nahezu 100 %igen) Direktbeteiligung an einer inländischen Gesellschaft im Falle einer Dividendenausschüttung sehr wohl ein Recht auf Entlastung hinsichtlich der anfallenden deutschen Kapitalertragsteuer (zzgl. SolZ), da er diese Steuer vollumfänglich zur Anrechnung bringen (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 KStG) und ggf. auch erstattet bekommen könnte.
     
    37
     
    Der überschießende Gesetzeswortlaut des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG sei insoweit mittels teleologischer Reduktion auf das Ziel der Missbrauchsbekämpfung zurückzuführen und die Versagung der Steuerentlastung nicht anzuwenden bzw. jedenfalls auf solche Fälle zu beschränken, in denen es durch die Zwischenschaltung der Auslandsgesellschaft tatsächlich zu einer Steuerreduzierung im Vergleich zur Direktbeteiligung des Steuerinländers komme.
     
    38
     
    Der Beklagte trägt dagegen vor, dass Hauptgesellschafterin der Klägerin die Y&X AB GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland sei, welcher selbst keine Freistellung nach § 50d EStG zustünde.

    39
     
    Entlastungsberechtigung wegen eigener Wirtschaftstätigkeit
     
    40
     
    Die Klägerin trägt mit Blick auf die Entlastungsberechtigung wegen eigener Wirtschaftstätigkeit gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 2. Tatbestandsmerkmal EStG vor, dass es hierauf angesichts ihrer persönlichen Entlastungsberechtigung nicht ankomme, sie aber im Wesentlichen drei Aktivitäten ausübe. Bei allen Aktivitäten werde sie wirtschaftlich tätig, so dass auch die gesamten von ihr im Jahr 2013 erzielten Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen würden.
     
    41
     
    Hinsichtlich der Dividendenerträge liege diese Schlussfolgerung bereits deshalb offen auf der Hand, weil eine – insofern nach der Gesetzesformulierung des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG ausschließlich – auf die fehlende aktive Verwaltung der betreffenden Beteiligungen gestützte Verweigerung der Quellensteuerentlastung nach § 43b i.V.m. § 50d Abs. 1 EStG eindeutig gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie (Art. 5) verstoße. Das Besteuerungsverbot der Mutter-Tochter-Richtlinie verlange hierfür lediglich das Vorliegen eines qualifizierten Beteiligungsverhältnisses, nicht aber ein aktives Eingreifen des Anteilseigners (Muttergesellschaft) in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft. Es könne daher nicht sein, dass ein passives Halten einer Beteiligung durch eine nationale Regelung wie § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG für missbräuchlich erklärt werde und zur Versagung der Quellensteuerentlastung führe.

    42
     
    Auch bezüglich der von den Tochter- und Beteiligungsgesellschaften an sie, die Klägerin, gezahlten Darlehenszinsen könne nicht von einer schädlichen Verwaltung von Wirtschaftsgütern ausgegangen werden. Sie, die Klägerin, erfülle insofern letztlich die Aufgaben einer gruppeninternen Bank, was bereits der Natur der Sache nach über eine bloße Verwaltung von Wirtschaftsgütern hinausgehe und eine originär gewerbliche Tätigkeit begründe, mithin eine eigene Wirtschaftstätigkeit. Nur dieses Verständnis stehe auch im Einklang mit den Anforderungen des EU-Rechts.
     
    43
     
    Auch mit Blick auf ihre Betätigung als M-Händlerin würden die erzielten Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen. Sofern der Beklagte vorbringe, es fehle hinsichtlich der M-Verkäufe an Gesellschaften der Y&X-Gruppe an einer fremdüblichen Gewinnmarge, würden die dafür angeführten Gründe als willkürlich erscheinen. Dies zeige sich bereits daran, dass der Beklagte insofern der im Streitjahr tatsächlich erzielten Marge von ... € die gesamten Personal- und Bürokosten entgegenhalte. Dabei werde jedoch zu Unrecht der Umstand ausgeblendet, dass sie, die Klägerin, noch zwei weitere Tätigkeiten – als Holding und Finanzierungsgesellschaft – ausübe und aus diesen im Streitjahr 2013 ganz erhebliche Erträge erzielt habe. Insoweit seien die vom Beklagten genannten Gemeinkosten den verschiedenen Einkunftsquellen ihres Gesamtbetriebs anteilig zuzuordnen, so dass bei Gesamterträgen von rund ... € weniger als 3,5 % dieser Kosten auf die Umsätze aus M-Verkäufen von rund ... € entfallen würden. Der sich hieraus ergebende Anteil an angefallenen Lohn- und Mietkosten liege weit unterhalb der erzielten Gewinnmarge von ... €, die im Übrigen der im M-Handel üblichen Marktspanne entspreche.

    44
     
    Der Beklagte trägt hierzu vor, dass es für die Beurteilung einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit nach § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG nur auf die Verhältnisse der beantragenden Gesellschaft, hier also der Klägerin, ankomme. Organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der Klägerin nahe stünden, blieben außer Betracht.
     
    45
     
    Die Klägerin habe nicht substantiiert dazu vorgetragen, ob und inwieweit sie aktiv am Markt teilgenommen habe. Der gelegentliche konzerninterne M-Handel genüge hierfür nicht. Die aufgezeigten Leistungen innerhalb des Konzernverbundes ließen darauf schließen, dass der M-Handel allenfalls eine stark untergeordnete Rolle im Rahmen der Ertragsstruktur der Klägerin spiele. Dies zeige sich insbesondere daran, dass die aus dem M-Handel erzielte Marge an sich noch nicht zur Deckung der laufenden Betriebskosten ausreiche. Eine nicht fremdübliche Gewinnmarge sei ein Indiz dafür, dass die Klägerin keine eigene Wertschöpfung erziele und ihre Existenz von vornherein auf ein substanzloses Zwischenschalten angelegt gewesen sei.
     
    46
     
    Ebenso genüge die Ausübung einer reinen Holdingtätigkeit nicht, solange diese eine reine Vermögensverwaltung darstelle (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, letzter Halbsatz EStG).
     
    47

    Entlastungsberechtigung wegen beachtlicher wirtschaftlicher Gründe für die Einschaltung der Klägerin und des bei ihr vorhandenen angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs
     
    48
     
    Hinsichtlich der beachtlichen wirtschaftlichen Gründe für ihre Einschaltung trägt die Klägerin vor, dass sie hinsichtlich ihrer gesamten im Streitjahr 2013 ausgeübten Tätigkeit – d.h. bezüglich der Aktivität als (Finanz-) Holding, als Finanzierungsgesellschaft sowie auch als M-Händlerin – eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt habe, so dass bereits in ihrer eigenen Person wirtschaftliche Gründe für ihre Einschaltung gegeben sein. Sie habe in allen drei Bereichen Gewinne generiert.

    49

    Doch selbst wenn man der Auffassung des Beklagten folgen sollte, dass insofern lediglich eine Verwaltung von Wirtschaftsgütern vorliege, würde dies der Annahme beachtenswerter wirtschaftlicher Gründe im vorliegenden Kontext nicht entgegenstehen. Denn aus der Rechtsprechung des BFH hätten sich zahlreiche nähere Konkretisierungen ergeben, die hinreichend deutlich machen würden, dass bezüglich der beiden genannten Tätigkeiten akzeptable Gründe vorliegen würden. Es werde Bezug genommen auf: BFH-Urteile vom 31. Mai 2005 – I R 74/04, BStBl II 2006, 118 unter II.2.c.bb; vom 25. Februar 2004 – I R 42/02, BStBl II 2005, 14 unter B.I.3.b.

    50

    Darüber hinaus sei auch festzustellen, dass sie mit allen drei Tätigkeiten – Holding, Finanzierung und M-Handel – jeweils anerkennenswerte Interessen der Y&X-Gruppe verfolge, so dass auch aus dieser Perspektive wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe im Sinne des § 50d Abs. 3 EStG für ihre Einschaltung vorliegen würden.

    51

    § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG lasse sich einer Konzernbetrachtung im Rahmen von § 50d Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz, Nr. 1 EStG nicht wirksam entgegenhalten. Dies folge daraus, dass der Regelungsgehalt der ergänzenden Bestimmung des § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG zu jenem des Entlastungstatbestands nach § 50d Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz, Nr. 1 EStG in logischem Widerspruch stehe. Letztgenannte Vorschrift verlange nämlich ausdrücklich relevante Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft. Eine Gesellschaft könne sich aber nicht selbst einschalten.
     
    52

    Schließlich erfülle sie auch die Voraussetzung, mit einem für ihren Geschäftszweig angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilzunehmen. Zum einen habe sie für Zwecke der Ausübung ihrer Tätigkeiten eigene Geschäftsräume mit der erforderlichen technischen Ausstattung angemietet. Zum anderen sei auch ihre personelle Ausstattung mit zwei Geschäftsführern und einem eigenen Controlling-Mitarbeiter für die von ihr ausgeübten Tätigkeiten hinreichend und angemessen. Sowohl im Hinblick auf die sachliche als auch die personelle Ausstattung sei zu beachten, dass gerade von Holdinggesellschaften und Gesellschaften mit Finanzierungsfunktionen schon der Natur der Sache nach generell kein „Apparat“ verlangt werden könne, der über eine für diese Tätigkeiten notwendige Ausstattung hinausgehe (BFH-Urteil vom 20. März 2002 – I R 63/99, BStBl II 2003, 50, unter B.I.2.a; Urteil vom 29. Januar 2008 – I R 26/06, BStBl II 2008, 978, unter II.2.b.bb).

    53
     
    Der Beklagte trägt hierzu vor, dass keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe für die Zwischenschaltung der Klägerin gegeben seien. Angesichts dessen könne dahinstehen, ob die Klägerin mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilgenommen habe, da ihr die Erstattung schon aus anderen Gründen nicht zukomme.

    54

    Entgegen der Ansicht der Klägerin könne auch nicht im Rahmen der Auslegung des § 50d Abs. 3 EStG auf eine Konzernbetrachtung zurückgegriffen werden. Dies ergebe sich daraus, dass § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG ausdrücklich bestimme, dass allein die Verhältnisse der antragstellenden Gesellschaft maßgebend seien. Eine konzernbetrachtende, rechtsträgerübergreifende Auslegung der Norm würde dem Ziel des Gesetzgebers zuwiderlaufen. Sinn und Zweck des § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG sei, eine komplexe, rechtsträger- und länderübergreifende Angemessenheitsprüfung im Wege der Typisierung zu vermeiden.
     
    55
     
    Eine solche isolierende Betrachtungsweise sei auch nicht EU-rechtswidrig. Dies ergebe sich bereits daraus, dass innerhalb der Europäischen Union keine einheitliche ertragsteuerliche Systematik existiere, die eine Konzernbetrachtung vorsehe.
     
    56
     
    EU-Rechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG hinsichtlich der einzelnen Entlastungstatbestände
     
    57
     
    Die Klägerin trägt vor, dass ungeachtet dessen, dass sie alle drei in § 50d Abs. 3 EStG angelegten Entlastungstatbestände jeweils in vollem Umfang zu ihren Gunsten erfülle, zu berücksichtigen sei, dass § 50d Abs. 3 EStG EU-rechtswidrig sei.
     
    58
     
    Laut EuGH setze sich eine rein künstliche Gestaltung aus zwei Bestandteilen zusammen, nämlich aus einem subjektiven Element, das in dem Streben nach einem Steuervorteil bestehe, sowie aus objektiven Anhaltspunkten, die sich dann vor allem auf das Ausmaß des greifbaren Vorhandenseins der ausländischen Gesellschaft in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen stützen würden. Im Streitfall liege jedoch keines dieser beiden Elemente vor.
     
    59
     
    Der Beklagte trägt dagegen vor, dass § 50d Abs. 3 EStG nicht gegen Europarecht verstoße. Denn sowohl der europäische Richtliniengeber als auch der EuGH hätten Ausnahmetatbestände benannt, unter denen die Einschränkung von europarechtlichen Grundfreiheiten gerechtfertigt sei. Hierzu würden Fälle gehören, in denen mithilfe einer rechtlichen Konstruktion angestrebt werde, ansonsten nicht zustehende steuerliche Vorteile zu erlangen, welche dem Zweck der zu Grunde liegenden Norm entgegenstehen würden (Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie).

    60

    EU-Rechtswidrigkeit einer nur quotalen Entlastung

    61
     
    Die Klägerin trägt vor, dass sich die Bedenken gegen die EU-Rechtskonformität des § 50d Abs. 3 EStG auch auf die ab 2012 neu justierte Rechtsfolge der Norm beziehen würden. So enthalte die Regelung aufgrund des Wortes „soweit“ eine Aufteilungsklausel. Würden die Entlastungsvoraussetzungen nur hinsichtlich eines Teils der globalen Erträge erfüllt, komme es auch im Verhältnis dieser „guten Erträge“ zu den Globalerträgen lediglich zu einer quotalen Quellensteuerbefreiung. Diese Problematik könnte sich im Streitfall stellen, wenn der erkennende Senat – entgegen ihrer eigenen Auffassung – zu dem Ergebnis kommen sollte, dass auch nur hinsichtlich eines der drei Tätigkeitsbereiche die daraus erzielten Erträge nicht als „gute Erträge“ zu beurteilen sein sollten. Sie, die Klägerin, wäre dann insofern dem Vorwurf eines abstrakten quotalen Missbrauchs ausgesetzt, obwohl die sich als schädlich erweisenden Erträge weniger mit der Beteiligung an der M P GmbH noch überhaupt mit einem deutschen Besteuerungsrecht etwas zu tun haben würden.

    62
     
    Anträge
     
    63
     
    Die Klägerin beantragt,
     
    64
     
    1.) den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 16. Oktober 2014 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2016 zu verpflichten, deutsche Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. § 43b EStG i.H.v. ... € zzgl. Solidaritätszuschlag i.H.v. ... € (Summe: ... €) zu erstatten;
     
    65

    2.) hilfsweise die Sache dem EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen;
     
    66
     
    3.) hilfsweise die Revision zuzulassen.
     
    67
     
    Der Beklagte beantragt,
     
    68
     
    die Klage abzuweisen.
     
    B.
     
    69
     
    Das Klageverfahren wegen Erstattung von Kapitalertragsteuer wird ausgesetzt. Es wird gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV die Vorabentscheidung des EuGH über die im Tenor des Beschlusses genannten Rechtsfragen eingeholt.
     
    70
     
    Die Anrufung des EuGH ist gemäß Art. 267 AEUV geboten, weil das Verständnis der Niederlassungsfreiheit nach Art. 54 AEUV (ex-Art. 48 EG) sowie des Begriffs des Missbrauchs im Sinne von Art. 1 Abs. 2 MTRL in entscheidungserheblicher Weise zweifelhaft sind.
     
    71

    Entscheidend für den Ausgang des Klageverfahrens ist, ob die vom deutschen Gesetzgeber in § 50d Abs. 3 EStG 2012 zur Verhinderung von Missbrauch aufgestellten Kriterien, die zu einer Versagung der Erstattung bzw. Freistellung von Kapitalertragsteuer führen, mit EU-Recht vereinbar und folglich anwendbar sind.
     
    72

    I. Rechtliche Grundlagen der Kapitalertragsteuererstattung
     
    73
     
    Den Vorlagefragen liegt folgender nationaler rechtlicher Rahmen zugrunde:

    74

    1. Im Fall von Gewinnausschüttungen erzielt der im Ausland ansässige Gesellschafter – hier die Klägerin – Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, die gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5a EStG der beschränkten Steuerpflicht unterliegen. Dabei wird die Einkommensteuer gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (bei einer Kapitalgesellschaft wie im Streitfall: i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG) durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben.

    75

    Gemäß § 43b Abs. 1 EStG wird auf Antrag die Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge im Sinne der § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, die einer Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, aus Ausschüttungen einer Tochtergesellschaft zufließen, nicht erhoben. Muttergesellschaft im Sinne des Absatz 1 ist nach § 43b Abs. 2 Satz 1 EStG (2012) eine Gesellschaft, die die in der Anlage 2 zu diesem Gesetz bezeichneten Voraussetzungen erfüllt und nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 345 vom 29.12.2011, S. 8) im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer nach § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG nachweislich mindestens zu 10 % unmittelbar am Kapital der Tochtergesellschaft (Mindestbeteiligung) beteiligt ist. Weitere Voraussetzung ist nach § 43b Abs. 2 Satz 4 EStG, dass die Beteiligung nachweislich ununterbrochen zwölf Monate besteht.

    76
     
    Können Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen, u.a. nach § 43b EStG nicht besteuert werden, so kann der Gläubiger der Kapitalerträge gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer beanspruchen.
     
    77
     
    2. Der Erstattungs- bzw. Freistellungsanspruch ist indes unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen. So sieht § 50d Abs. 3 EStG (2012) folgendes vor:
     
    78
     
    1Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, sowie
     
    79
     
    1. in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
     
    80
     
    2. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.

    81

    2Maßgebend sind ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen (§ 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes), bleiben außer Betracht. 3An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. 4Die Feststellungslast für das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe im Sinne von Satz 1 Nummer 1 sowie des Geschäftsbetriebs im Sinne von Satz 1 Nummer 2 obliegt der ausländischen Gesellschaft. 5Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn mit der Hauptgattung der Aktien der ausländischen Gesellschaft ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet oder für die ausländische Gesellschaft die Vorschriften des Investmentsteuergesetzes gelten.

    82

    Die Versagung der Erstattung der Kapitalertragsteuer wird also gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG (2012) – und im Unterschied zu § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 (vom 13. Dezember 2006, BGBl 2006, 2878) - in drei Stufen geprüft:
     
    83
     
    1.) Fehlende persönliche Entlastungsberechtigung,
     
    84
     
    2.) das Nichtvorliegen von Erträgen aus eigener Wirtschaftstätigkeit und
     
    85
     
    3.) fehlende beachtliche Gründe für die Einschaltung der Gesellschaft oder das Nichtvorliegen eines für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb.

    86
     
    II. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen
     
    87
     
    Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich.
     
    88
     
    1. Vorbehaltlich § 50d Abs. 3 EStG (2012) liegen die sonstigen Voraussetzungen für die von der Klägerin geltend gemachte Kapitalertragsteuererstattung nach § 50d Abs. 1 Satz 2, § 43b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 EStG (2012) vor.
     
    89

    Die Klägerin war im streitigen Zeitraum eine Muttergesellschaft i.S.d. § 43b Abs. 2 EStG (2012) ohne Sitz und Geschäftsleitung im Inland. Die Gewinnausschüttungen ihrer inländischen Tochtergesellschaft, der M P GmbH, stellen Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar, mit denen die Klägerin gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5a EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG der beschränkten Steuerpflicht unterliegt. Die M P GmbH als Tochtergesellschaft hat die hierauf entfallende Kapitalertragsteuer im Wege des Quellensteuerabzugs gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG einbehalten und abgeführt. Die Klägerin war im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer nach § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG 2012 zu 93,66 % an der im Inland ansässigen M P GmbH beteiligt und erfüllte damit die gesetzliche Mindestbeteiligungsquote gemäß § 43b Abs. 2 Sätze 1, 2 EStG i.H.v. 10 %. Die Beteiligung bestand nachweislich ununterbrochen 12 Monate (§ 43b Abs. 2 Satz 4 EStG 2012). Schließlich hat die Klägerin beim Beklagten auch den Antrag gestellt, die bei der Gewinnausschüttung von ihrer Tochtergesellschaft einbehaltene und abgeführte Kaptalertragsteuer zu erstatten (§§ 43b Abs. 1, 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2012).
     
    90
     
    2. Angesichts dessen hängt der von der Klägerin geltend gemachte Kapitalertragsteuererstattungsanspruch davon ab, ob die Missbrauchsregelung des § 50d Abs. 3 EStG (2012) zur Anwendung gelangt oder aufgrund eines Verstoßes gegen EU-Recht nicht anzuwenden ist.

    91
     
    a. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG (2012), so dass ihr unter Anwendung dieser Regelung die Kapitalertragsteuererstattung zu versagen wäre.
     
    92
     
    aa. Persönliche Erstattungsberechtigung
     
    (§ 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 1. Tatbestandsmerkmal EStG)

    93

    Die Klägerin erfüllt den Ausschlusstatbestand, dass Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten (§ 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 1. Tatbestandsmerkmal EStG). Denn Anteilseigner der Klägerin ist die Y&X AB GmbH, die in der Bundesrepublik Deutschland ansässig ist. Wäre die Gewinnausschüttung der M P GmbH unmittelbar an die Y&X AB GmbH erfolgt, wäre der Gewinn bei ihr als Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG zu versteuern gewesen. Ihr hätte als unbeschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaft i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG keine Erstattung oder Freistellung zugestanden. Sie hätte weder die Voraussetzungen des § 43b EStG noch die eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung erfüllt.

    94

    Dass die Y&X AB GmbH bei einer unmittelbaren Beteiligung an der M P GmbH berechtigt gewesen wäre, die Kapitalertragsteuer gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 KStG auf ihre Körperschaftsteuer anzurechnen und dies bei wirtschaftlicher Betrachtung einer Erstattung grundsätzlich gleichsteht, ändert hieran nichts. Denn die Anrechnung der Kapitalertragsteuer gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 KStG ist nicht vom Tatbestand des § 50d Abs. 3 EStG erfasst und schließt dessen Anwendung folglich nicht aus.

    95
     
    bb. Entlastungsberechtigung wegen eigener Wirtschaftstätigkeit

    (§ 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 2. Tatbestandsmerkmal EStG)
     
    96

    Die Klägerin erfüllt auch den Ausschlusstatbestand, dass ihre im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen (§ 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 2. Tatbestandsmerkmal EStG).
     
    97
     
    (1) Wirtschaftliche Tätigkeit

    Das Gesetz definiert nicht, welche Voraussetzungen eine wirtschaftliche Tätigkeit erfüllen muss.
     
    98
     
    (a) Es enthält lediglich eine Negativabgrenzung in § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG 2012. Hiernach fehlt es an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt.

    99
     
    (b) Das Tatbestandsmerkmal der „Verwaltung von Wirtschaftsgütern“ ist sehr weit gefasst. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung Einkünfte von der Entlastungsmöglichkeit ausschließen, die letztlich nicht „am Markt“ erzielt werden, also nicht aus der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr (BT-Drucks. 16/2712, Seite 60). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es sich dabei regelmäßig um Einkünfte aus der Vermögensverwaltung bzw. der Verwaltung von Wirtschaftsgütern handelt. Als Verwaltung von Wirtschaftsgütern sieht der Gesetzgeber ausdrücklich auch das Halten von Anteilen an einer oder mehreren Gesellschaften (BT-Drucks. 16/2712, Seite 60).

    100

    (c) Maßgeblich sind die Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit „im betreffenden Wirtschaftsjahr“. Im Erstattungsverfahren ist dies das Jahr des Zuflusses.

    101
     
    (2) Im Streitfall sind die Voraussetzung des § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 2. Tatbestandsmerkmal EStG erfüllt.

    102

    So übte die Klägerin im Streitfall drei Tätigkeiten aus: a) Holdingtätigkeit;b) Finanzierungstätigkeit; c) M-Einkauf.
     
    103

    (a) Holdingtätigkeit

    Die Erträge aus der Holdingtätigkeit sind keine Erträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 2. Tatbestandsmerkmal EStG. Das Halten und Bündeln von Beteiligungen an Gesellschaften stellt keine eigene Wirtschaftstätigkeit i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG dar, weil es sich hierbei um die Verwaltung von Wirtschaftsgütern, mithin eine vermögensverwaltende Tätigkeit handelt.

    104

    (b) Finanzierungstätigkeit

    Auch die Erträge aus der Finanzierungstätigkeit sind keine Erträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 2. Tatbestandsmerkmal EStG. Als „Kapitaldrehscheibe“ des Konzerns gewährt die Klägerin ihren Tochtergesellschaften Darlehen, allerdings ohne gegenüber den betreffenden Gesellschaften darüber hinaus Management- und Geschäftsführungsleistungen zu erbringen. Damit handelt es sich um keine eigene Wirtschaftstätigkeit i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG, sondern um eine vermögensverwaltende Tätigkeit.
     
    105
     
    (c) Einkaufstätigkeit
     
    Die Erträge aus der M-Einkaufs- und Verkaufstätigkeit der Klägerin sind indes als Erträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 2. Tatbestandsmerkmal EStG anzusehen. Die Einkaufstätigkeit ist keine Verwaltung von Wirtschaftsgütern, sondern eine gewerbliche Tätigkeit. Dass der hieraus erzielte Gewinn im Verhältnis zum Umsatz sowie zu den Gewinnen aus den anderen Tätigkeiten relativ gering ist, ändert nichts an der Qualifizierung der Tätigkeit.
     
    106

    (d) Quotelung
     
    Die Tatsache, dass die Einkaufstätigkeit zu Erträgen aus eigener Wirtschaftstätigkeit führt, ändert indes nichts daran, dass der Klägerin die begehrte Erstattung gemäß § 50d Abs. 3 EStG grundsätzlich verwehrt bleibt. In Betracht kommt lediglich – im Hinblick auf die Quote der relativ geringen Erträge aus der Einkaufstätigkeit - eine geringfügige quotale Erstattung.

    107
     
    Die einleitende Konjunktion „soweit“ in § 50d Abs. 3 EStG (2012) ordnet eine aufteilende Betrachtung an, die nicht nur die persönliche, sondern auch die sachliche Entlastungsberechtigung betrifft.

    108

    Erzielt die ausländische Gesellschaft Erträge aus eigener aktiver und aus passiver Wirtschaftstätigkeit, sind die in Deutschland abzugsteuerpflichtigen Einkünfte nur quotal von Abzugsteuern zu entlasten. Unter Zugrundelegung des Wortlauts ermittelt sich die Entlastungsquote aus dem Verhältnis der im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten unschädlichen – aktiven – Bruttoerträge zu den Gesamtbruttoerträgen. Die Bezugsgröße der Aufteilung ist also in den von der ausländischen Gesellschaft erzielten Gesamtbruttoerträgen und nicht etwa nur in ihren abzugssteuerbelasteten Erträgen zu sehen.

    109
     
    cc. Entlastungsberechtigung wegen beachtlicher wirtschaftlicher Gründe für die Einschaltung der Klägerin und des bei ihr vorhandenen angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs
     
    50d Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz, Nr. 1 und Nr. 2 EStG)

    110
     
    Soweit mit Blick auf die Holding- und Finanzierungstätigkeit – also weitestgehend – keine Entlastungsberechtigung nach § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz EStG gegeben ist, ist der 2. Halbsatz Nr. 1 und 2 zu prüfen, der ebenfalls erfüllt ist und die begehrte Erstattung ausschließt.
     
    111

    (1) Wirtschaftliche Gründe
     
    112

    Gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz, Nr. 1 EStG ist die Entlastung von Kapitalertragsteuer ausgeschlossen, soweit in Bezug auf die Bruttoerträge, die nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen. Diese Voraussetzung ist erfüllt.

    113

    (a) Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin, dass sie insbesondere aufgrund ihrer vermögensverwaltenden Tätigkeit erhebliche Gewinne erziele, vermag keinen wirtschaftlichen Grund i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz, Nr. 1 EStG darzustellen. Denn hierbei handelt es sich um eine passive Tätigkeit, die bereits nach § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 2. Tatbestandsmerkmal EStG zum Ausschluss der Kapitalertragsteuererstattung führt. Nach Sinn und Zweck des § 50d Abs. 3 EStG können folglich auch die hieraus resultierenden Gewinne nicht zugunsten eines Erstattungsanspruchs berücksichtigt werden. Sie sind also konsequenterweise nicht als wirtschaftlicher Grund i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz, Nr. 1 EStG anzusehen. Ungeachtet dessen wären die Gewinne auch kein Grund dafür, dass die Klägerin in Bezug auf die betreffenden Bruttoerträge „eingeschaltet“ wurde. Denn die Gewinne allein erklären nicht die „Einschaltung“ einer Gesellschaft.
     
    114
     
    (b) Wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der Klägerin in Bezug auf die betreffenden Bruttoerträge bestehen aber aus Sicht des Konzerns. Indes sind diese gemäß § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG nicht berücksichtigungsfähig. Hiernach sind ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft maßgeblich; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahestehen, bleiben außer Betracht (sog. Verbot der Merkmalübertragung).
     
    115

    (c) Die Voraussetzung des Bestehens wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe für die Einschaltung der Klägerin in Bezug auf die betreffenden Bruttoerträge ist auch nicht unter Zugrundelegung der Regelung des DBA-Niederlande erfüllt.

    116

    Das DBA-Niederlande 2012 regelt in Art. 23 Abs. 1, dass das Abkommen nicht so auszulegen ist, als hindere es die Vertragsstaaten, ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Verhinderung der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung anzuwenden. Gemäß dem Protokoll zum DBA-Niederlande Nr. XV Abs. 1 gehört zu diesen anwendbaren Rechtsvorschriften u.a. § 50d Abs. 3 EStG. Nr. XV Abs. 4 des Protokolls zum DBA-Niederlande sieht dabei vor, dass verbundene Unternehmen in den Niederlanden auf konsolidierter Basis behandelt werden. Insoweit könnte also mit Blick auf die Gründe für die Einschaltung der Klägerin aus Sicht des Konzerns der Ausschluss des Verbots der Merkmalübertragung gemäß § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG in Betracht kommen, mit der Folge, dass wirtschaftliche Gründe i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz Nr. 1 EStG gegeben wären. Ungeachtet der Frage, ob im Streitfall überhaupt bereits das Tatbestandsmerkmal „verbundene Unternehmen in den Niederlanden“ erfüllt ist, scheitert die Anwendung des DBA-Niederlande im Streitfall jedoch bereits daran, dass es erst ab dem 1. Januar 2016 anwendbar ist und folglich keine Anwendung auf das Streitjahr 2013 findet (zur Anwendungsregelung vgl. Art. 33 des DBA-Niederlande; zur Bekanntmachung über das Inkrafttreten vgl. BGBl II 2015, 1674). Angesichts dessen ist das Verbot der Merkmalsübertragung im Streitfall einschlägig.

    117
     
    (2) Vor diesem Hintergrund wirkt es sich nicht zugunsten der Klägerin aus, dass sie -ausgestattet mit Büroräumen und Personal - mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Denn diese Voraussetzung alleine reicht nicht aus, um sich dem Ausschluss der Kapitalertragsteuererstattung gemäß § 50d Abs. 3 EStG zu entziehen. Gemäß dem Wortlaut des § 50d Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz, Nr. 1 und Nr. 2 EStG müssen beide Alternativen – Nr. 1 und Nr. 2 – erfüllt sein, damit der Erstattungsanspruch nicht ausgeschlossen ist.

    118

    b. Die Vorlagefragen sind auch insoweit entscheidungserheblich, als der Senat die europarechtlichen Zweifel nicht im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion zu vermeiden vermag (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 25. August 2009 - I R 88, 89/07, BFHE 226, 296 m.w.N.). Denn dies würde voraussetzen, dass die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung eindeutig und der Senat von der Europarechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG überzeugt ist. Hieran mangelt es. Der Senat hat „lediglich“ Zweifel - zwar erhebliche Zweifel, aber keine Überzeugung.
     
    119

    Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der von der Klägerin vertretenen geltungserhaltenden Reduktion dahingehend, dass auch sog. Mäander-Strukturen – wie im Streitfall – die Voraussetzung der persönlichen Erstattungsberechtigung gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 1. Tatbestandsmerkmal EStG erfüllen. Denn an einer solchen Auslegung sieht sich der Senat insbesondere schon aufgrund des klaren Wortlauts des § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 1. Tatbestandsalternative EStG gehindert, der ausdrücklich nur auf die Entlastungsberechtigung nach § 50d Abs. 1 und Abs. 2 EStG abstellt.

    120
     
    c. Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen entfällt auch nicht, weil bei einer vermeintlichen EU-Rechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG im Streitfall die Kapitalertragsteuererstattung gleichwohl gemäß § 42 AO zu versagen wäre. Denn dies wäre nicht der Fall.
     
    121

    Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 AO in der im Streitjahr anwendbaren Fassung (gemäß Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007, BGBl II 2007, 3150) kann das Steuergesetz nicht durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts umgangen werden. Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO).
     
    122
     
    Durch diese Fassung des § 42 Abs. 1 AO wird der Vorrang des § 50d Abs. 3 EStG als spezieller Missbrauchsklausel anerkannt. Allerdings bezieht sich dieser Vorrang nach dem Wortlaut der Norm lediglich auf die Rechtsfolgen. Der Vorrang des § 50d Abs. 3 EStG gilt folglich (nur), wenn dessen Tatbestand – wie im Streitfall - erfüllt ist.
     
    123

    Aber auch dann, wenn die Versagung der Steuerentlastung gemäß § 50d Abs. 3 EStG gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen und dessen Tatbestand nicht oder eingeschränkt zur Anwendung gelangen würde, ergäbe sich im Ergebnis nichts Anderes. Denn dann würde § 50d Abs. 3 EStG als speziellere Vorschrift immer noch – wenn auch mit eingeschränktem Regelungsgehalt – vorrangig gegenüber § 42 AO anzuwenden sein. Aber selbst wenn man in diesem Fall von einem „Wiederaufleben“ der Anwendbarkeit des § 42 AO als allgemeiner Missbrauchsklausel ausgehen wollte, dürfte hiernach eine Konstellation, die gemäß § 50d Abs. 3 EStG im Lichte des Europarechts keinen unzulässigen Rechtsmissbrauch darstellt, auch nicht als Missbrauch i.S.d. § 42 AO gedeutet werden.

    124

    3. Würde § 50d Abs. 3 EStG (2012) im Streitfall wegen einer insoweit bestehenden Unvereinbarkeit mit EU-Recht nicht zur Anwendung gelangen, dann wäre der Klägerin die begehrte Kapitalertragsteuer zu erstatten.

    125
     
    III. Europarechtliche Zweifel

    126
     
    Obwohl der deutsche Gesetzgeber mit der Änderung des § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 (vom 13. Dezember 2006, BGBl 2006, 2878) zu der im Streitfall anwendbaren Fassung des § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592) die Vereinbarkeit der Norm mit EU-Recht hat nachbessern wollen (vgl. BT-Drucks. 17/7524, Seite 13 f.), bestehen für den Senat auch im Hinblick auf die geänderte, im Streitfall anwendbare Fassung europarechtliche Bedenken.
     
    127

    Diese ergeben sich für den Senat zum einen im Hinblick auf die Verletzung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) als primärem Gemeinschaftsrecht und zum anderen im Hinblick auf die Unvereinbarkeit mit der Mutter-Tochter-Richtlinie der EG 90/435/EWG vom 23.7.1990 (Abl EG Nr. L 225/6 v. 20.8.1990) und deren Fortentwicklung in der Richtlinie 2003/123/EG (ABl EU Nr. L 157 vom 26.06.2003) und der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 (Abl EU Nr. L 345/8 v. 29.12.2011) als sekundärem Gemeinschaftsrecht.

    128

    1. Verletzung von primärem Gemeinschaftsrecht (Grundfreiheiten)

    129

    a. Schutzbereich: Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit

    130

    Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG tangiert den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV, ex-Art. 43 EGV) und den der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV, ex-Art. 56 EGV). Dass es sich im Streitfall um eine sog. Mäander-Struktur handelt, steht dem nicht entgegen. Denn es geht aus keiner Bestimmung des Unionsrechts hervor, dass die Herkunft der Anteilseigner – seien es natürliche oder juristische Personen – von in der Union ansässigen Gesellschaften für deren Recht, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen, eine Rolle spielen würde. Der Unionsstatus einer Gesellschaft hängt gemäß Art. 54 AEUV vom Ort des Sitzes und der Rechtsordnung, nach der die Gesellschaft gegründet wird, und nicht von der Staatsangehörigkeit ihrer Anteilseigner ab (vgl. EuGH-Urteil vom 1. April 2014, C-80/12, Felixstowe Dock and Railway Commany, ABl EU 2014, Nr C 159, 2; DStR 2014, 784).
     
    131
     
    Vorrangig ist im Streitfall der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH berührt eine nationale Regelung vorrangig die Ausübung der Niederlassungsfreiheit, wenn die Beteiligung es ihrem Inhaber ermöglicht, „einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der betreffenden Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen“ (z.B. EuGH-Urteile vom 12. Dezember 2006, C-446/04 - Test Claimants, Slg. 2006, I-11753 Rn. 37 f.; vom 12. September 2006, C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg 2006, I-7995, Rn. 31; vom 17. September 2009, C-182/08 – Glaxo Wellcome, Slg. 2009, I-8591, Rn. 36 ff.). Bei einer Beteiligung – wie im Streitfall – i.H.v. 93,66 % ist ein sicherer Einfluss fraglos gegeben.

    132

    b. Eingriff in den Schutzbereich (Ungleichbehandlung)
     
    133
     
    Ein Eingriff in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit ist im Streitfall gegeben.

    134

    Ein solcher Eingriff setzt voraus, dass im Rahmen einer Vergleichspaarbildung die EU‑ausländische Gesellschaft gegenüber einer inländischen Gesellschaft bei vergleichbarem Sachverhalt schlechter gestellt ist (vgl. EuGH-Urteil vom 12. Dezember 2006, C‑374/04 – Test Claimants, Slg. 2006, I-11673, Rn. 46; Schlussanträge der Generalanwältin vom 4. September 2014, C-87/13 - X, Rn. 15 f.; abrufbar über juris).

    135

    Im Streitfall ist folglich eine reine Holdinggesellschaft im Inland mit einer reinen Holdinggesellschaft im EU-Ausland zu vergleichen. Der Vergleich zeigt, dass die beiden Vergleichsgruppen ungleich behandelt werden. Einer ausländischen reinen Holdinggesellschaft wird die Kapitalertragsteuererstattung nach § 50d Abs. 3 EStG – wie im Streitfall – versagt. Eine auf Dauer angelegte Zwischenschaltung inländischer Kapitalgesellschaften wird indes grundsätzlich nicht als Rechtsmissbrauch qualifiziert (vgl. BFH-Urteil vom 23. Oktober 1996 – I R 55/95, BStBl II 1998, 90; s.a. Kessler/Eicke, IStR 2006, 577, 581; Herlinghaus, Anmerkung, EFG 2006, 898, 899). Bei der inländischen zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft bleiben die Kapitalerträge bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz (§ 8b Abs. 1, Abs. 5 KStG). Dabei wird die einbehaltene Kapitalertragsteuer entweder auf die Körperschaftsteuerschuld angerechnet (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG) oder vergütet (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG). Insoweit werden rechtsmissbräuchliche Konstellationen lediglich über die im Verhältnis zu § 50d Abs. 3 EStG 2007 viel unbestimmter gefasste Regelung des § 42 AO erfasst. Diese Regelung steht einer auf Dauer angelegten Zwischenschaltung inländischer Kapitalgesellschaften grundsätzlich nicht entgegen. Somit liegt eine Ungleichbehandlung vor (i.E. so auch Cloer/Hagemann, in Bordewin/Brandt, EStG, § 50d Rn. 167). Da auch die Klägerin eine auf Dauer angelegte Holdinggesellschaft ist, wird sie folglich im Verhältnis zu einer inländischen Holdinggesellschaft benachteiligt.

    136
     
    Diese unterschiedliche steuerliche Behandlung und der daraus resultierende Nachteil für im Gemeinschaftsgebiet ansässige Gesellschaften mit einer im Inland einer belastenderen Besteuerung unterliegenden Tochtergesellschaft ist geeignet, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch solche Gesellschaften zu behindern, indem diese davon abgebracht werden, eine Tochtergesellschaft im Inland zu gründen, zu erwerben oder zu behalten, in dem diese einem solchen Besteuerungsniveau unterliegen würde. Hierin besteht somit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV (ex-Art. 43 EGV).
     
    137

    c. Zweifel an der Rechtfertigung des Eingriffs

    138
     
    Dem Senat erscheint zweifelhaft, ob dieser Eingriff in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt ist.
     
    139

    aa. Sinn und Zweck des § 50d Abs. 3 EStG

    140

    § 50d Abs. 3 EStG stellt eine Missbrauchsvorschrift gegen Steuergestaltungen dar, bei denen durch Zwischenschaltung substanz- und funktionsloser ausländischer Gesellschaften und unter Ausnutzung von Abkommens- oder Richtlinienvorteilen eine Entlastung u.a. von der deutschen Kapitalertragsteuer begehrt wird. Der Gesetzgeber begründet das Gesetz als Missbrauchsregelung insbesondere damit, zunehmenden Steuerplanungstechniken zu begegnen, mit denen die Besteuerung von Dividendenausschüttungen beim Endempfänger durch die gezielte Zwischenschaltung von spezifisch ausgestalteten ausländischen Gesellschaften umgangen werden soll (BT-Drucks. 16/2712, Seite 60).

    141

    bb. Bekämpfung missbräuchlicher Steuerumgehung als Rechtfertigungsgrund

    142
     
    Die Bekämpfung missbräuchlicher Steuerumgehung ist grundsätzlich als Rechtfertigungsgrund anerkannt.
     
    143
     
    (1) Rechtsprechungsgrundsätze

    144

    (a) Grenze zwischen unzulässigem Missbrauch und zulässiger Gestaltung

    145

    Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist ein Mitgliedstaat grundsätzlich berechtigt, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den EG-Vertrag geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen; die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht ist nicht gestattet (z.B. EuGH-Urteil vom 9. März 1999, Rs. C-212/97 - Centros, Slg. 1999, I-1459 Rn. 24 m.w.N.). Dabei sind typisierende Missbrauchsklauseln nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. EuGH-Urteil vom 12. September 2006, Rs. C-196/04 - Cadbury-Schweppes, Slg 2006, I-7995).

    146

    Nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Cadbury Schweppes ist ein unzulässiger Missbrauch dann gegeben, wenn rein künstliche Gestaltungen vorliegen, die dazu bestimmt sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Staates zu entgehen (vgl. EuGH-Urteil vom 12. September 2006, Rs. C-196/04 - Cadbury-Schweppes, Slg 2006, I-7995 Rn. 63; vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts vom 29. Juni 2006, C-524/04 - Test Claimants, Rn. 63). Der Entscheidung ist zu entnehmen, dass eine rein künstliche Gestaltung gegeben ist, wenn weder eine wirtschaftliche Tätigkeit noch eine dauerhafte Ansiedlung vorliegen (vgl. EuGH-Urteil vom 12. September 2006, Rs. C-196/04 - Cadbury-Schweppes, Slg 2006, I-7995 Rn. 54, 67).
     
    147

    Zwar betraf die Cadbury Schweppes-Entscheidung eine sog. Outbound-Konstellation (Beteiligung eines Gebietsansässigen an einer gebietsfremden Kapitalgesellschaft), während § 50d Abs. 3 EStG eine sog. Inbound-Konstellation betrifft (Beteiligung eines Gebietsfremden an einer gebietsansässigen Kapitalgesellschaft). Dennoch sind der Entscheidung Grundsätze zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ein unzulässiger Missbrauch vorliegt, der eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigt.

    148

    Es erscheint zweifelhaft, ob der Missbrauchsbegriff im Lichte der aktuellen Entwicklungen im Bereich der EU-Richtlinien eventuell weiter zu verstehen ist.

    149

    So sieht die Mutter-Tochter-Richtlinie in der jüngsten Fassung der Richtlinie (EU) 2015/121 des Rates vom 27. Januar 2015 (Abl EU Nr. L 21/1 v. 28.01.2015) in Art. 1 Abs. 2 nunmehr im Wesentlichen vor, dass bei Vorliegen einer - unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände - unangemessenen Gestaltung, bei der der wesentliche Zweck darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, der dem Ziel oder Zweck der Richtlinie zuwiderläuft, die Mitgliedstaaten die Vorteile der Richtlinie nicht gewähren. Gemäß Art. 1 Abs. 3 gilt eine Gestaltung in dem Umfang als unangemessen, wie sie nicht aus triftigen wirtschaftlichen Gründen vorgenommen wurde, die die wirtschaftliche Realität widerspiegeln.
     
    150

    Eine nahezu wortgleiche Definition enthält auch die jüngst verabschiedete Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12. Juli 2016 (Abl EU Nr. L 193/1 v. 19.07.2016) in Art. 6 Abs. 1 und 2.

    151

    Dabei erscheint dem Senat zweifelhaft, ob diese beiden Richtlinien von einem Rechtsmissbrauch schon dann ausgehen, wenn eine Gestaltung triftige wirtschaftliche Gründe entbehrt, oder ob der Rechtsmissbrauch über das Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Realität zusätzlich ein Fehlen wirtschaftlicher Tätigkeit und einer dauerhaften Ansiedlung erfordert.

    152

    Auch wenn das Primärrecht diesen Richtlinien als Sekundärrecht vorgeht, können später erlassene Richtlinien bei der Auslegung der Grundfreiheiten berücksichtigt werden.

    153

    (b) Möglichkeit des Gegenbeweises

    Darüber hinaus fordert der EuGH, dass typisierende Missbrauchsklauseln der ausländischen Gesellschaft die Möglichkeit zum Gegenbeweis gewähren, damit diese nachweisen kann, dass das Hauptmotiv oder eines der Hauptmotive ihrer Gründung nicht die Steuerminderung gewesen ist (sog. Motivtest, vgl. EuGH-Urteil vom 12. September 2006, Rs. C-196/04 - Cadbury-Schweppes, Slg 2006, I-7995).

    154
     
    (c) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

    155

    Schließlich müssen Maßnahmen zum Schutz gegen Steuerumgehungen nach der EuGH-Rechtsprechung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Sie müssen insbesondere zur Zweckverwirklichung geeignet und erforderlich sein (EuGH-Urteile vom 11. März 2004, C-9/02, de Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I-2409 Rn. 49; vom 17. Juli 1997, C-28/95 – Leur-Bloem, Slg 1997, I-4161, Rn 43, 48).

    156

    (2) Konsequenzen für den Streitfall
     
    Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Senat zweifelhaft, ob die Bekämpfung missbräuchlicher Steuerumgehung die durch § 50d Abs. 3 EStG bewirkte Ungleichbehandlung und die hiermit einhergehende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit in der streitigen Konstellation zu rechtfertigen vermag.

    157

    (a) Zweifel am Bestehen eines Missbrauchs steuerlicher Regelungen

    158

    Dabei begründen sich die Zweifel des Senats zunächst darauf, dass nicht ersichtlich ist, dass die Klägerin bzw. die hinter ihr stehende – im Inland ansässige – Kapitalgesellschaft als deren Anteilseigner (sog. Mäander-Struktur) einen ungerechtfertigten Steuervorteil im Sinne eines Missbrauchs von steuerlichen Regelungen erzielt.

    159
     
    Die Anteile an der Klägerin wurden zu 100 % von der Y&X AB GmbH gehalten, die in der Bundesrepublik Deutschland ansässig war bzw. ist. Hätte die Y&X AB GmbH die Gewinnausschüttung der M P GmbH unmittelbar und ohne Zwischenschaltung der Klägerin bezogen, wäre sie auch von der Kapitalertragsteuer entlastet worden und hätte das Schachtelprivileg gemäß § 8b KStG in Anspruch nehmen können.
     
    160

    So wären die Dividenden bei der Y&X AB GmbH bei unmittelbarer Beteiligung an der M P GmbH als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zwar grundsätzlich der deutschen Körperschaftsteuer unterlegen. Allerdings wären diese Einkünfte grundsätzlich von der Körperschaftsteuer freigestellt, da sie gemäß § 8b Abs. 1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben. Lediglich 5 % dieser Einkünfte gelten gemäß § 8b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 KStG als nichtabziehbare Betriebsausgaben und begründen eine effektive Steuerbelastung i.H.v. ca. 1,5 %. Auf diese Steuerbelastung wäre sodann die Kapitalertragsteuer gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 KStG angerechnet und ggf. erstattet worden. Auf diese Weise wäre die Y&X AB GmbH bei unmittelbarer Beteiligung an der M P GmbH von der auf den Dividenden lastenden Kapitalertragsteuer entlastet worden. Dem Senat erscheint es angesichts dessen zweifelhaft, ob die bei Zwischenschaltung einer im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Kapitalgesellschaft i.S.d. § 43b EStG grundsätzlich vorgesehene Kapitalertragsteuererstattung, die ebenfalls zur einer Entlastung von Kapitalertragsteuer führt, dann einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten darstellt. Insoweit bestehen Zweifel an der Erlangung eines missbräuchlichen Vorteils, denn bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dürften in der Regel beide Varianten zu einer Entlastung von Kapitalertragsteuer führen.

    161

    (b) Zweifel an der Verhältnismäßigkeit aufgrund der zum Teil kumulativen Erfordernisse

    162

    Darüber hinaus hat der Senat Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG (2012), soweit er in Satz 1, 2. Halbsatz, Nr. 1 und 2 sowohl einen beachtlichen wirtschaftlichen Grund als auch einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb verlangt, um dem Missbrauchsvorwurf zu entgehen und eine Erstattung zu erlangen.

    163

    Insoweit erscheint zweifelhaft, ob die Regelung zur Verwirklichung des Zwecks der Missbrauchsbekämpfung geeignet und insbesondere erforderlich ist.

    164

    Das kumulative Erfordernis der Kriterien des § 50d Abs. 3 Satz 1, Halbsatz 2, Nr. 1 und 2 EStG führt nämlich dazu, dass auch Gesellschaften, die keine rein künstlichen Gestaltungen ohne jegliche wirtschaftliche Realität darstellen, dem typisierenden Missbrauchsvorwurf ausgesetzt und folglich von der Erstattung der Kapitalertragsteuer ausgeschlossen sind. So wird etwa einer im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Kapitalgesellschaft (mit der Gesellschafterstruktur des § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 1. Tatbestandsalternative EStG und ohne eigene Wirtschaftstätigkeit gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 2. Tatbestandsalternative EStG) die Kapitalertragsteuererstattung versagt, auch wenn sie über angemessene Substanz verfügt – wie im Streitfall der Klägerin, die als Holding- und Finanzierungsgesellschaft über ein Büro und drei Mitarbeiter verfügte.
     
    165

    Der deutsche Gesetzgeber hat zwar mit der Gesetzesänderung durch das BeitrRLUmsG vom 7. Dezember 2011 den typisierten Missbrauchsvorwurf gemäß § 50d Abs. 3 EStG dahingehend gemildert, dass nicht mehr – wie zuvor in der Gesetzesfassung des § 50d Abs. 3 EStG (2007) – die drei sachlichen Kriterien des § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1-3 EStG kumulativ erfüllt sein müssen, um dem Missbrauchsvorwurf zu entgehen (vgl. hierzu Vorlagebeschlüsse des FG Köln vom 8. Juli 2016, 2 K 2995/12, EFG 2016, 1801, Az. EuGH: C-504/16; vom 31. August 2016, 2 K 721/13, EFG 2017, 51, Az. EuGH: C-613/16). Vielmehr reicht es gemäß § 50d Abs. 3 EStG (2012) nunmehr u.a. aus, wenn zwei sachliche Kriterien gegeben sind, um die Erstattung zu erlangen. Gleichwohl hat der Senat Zweifel daran, ob diese Gesetzesänderung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinreichend Rechnung trägt. Denn nach wie vor wird einer im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Kapitalgesellschaft (mit der Gesellschafterstruktur des § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 1. Tatbestandsalternative EStG und ohne eigene Wirtschaftstätigkeit gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz, 2. Tatbestandsalternative EStG) die Kapitalertragsteuererstattung versagt, auch wenn sie – wie im Streitfall - über angemessene Substanz verfügt.

    166

    (c) Zweifel mangels Gegenbeweismöglichkeit

    167

    Erschwerend kommt hinzu, dass § 50d Abs. 3 EStG (2012) als pauschalierende Missbrauchsvorschrift keinen Gegenbeweis zulässt, insbesondere wenn die ausländische Gesellschaft über einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb verfügt, jedoch die übrigen Voraussetzungen des typisierten Missbrauchsvorwurfs des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des EuGH ist indes keine rein künstliche Gestaltung gegeben, schon allein wenn eine dauerhafte Ansiedlung vorliegt (vgl. EuGH-Urteil vom 12. September 2006, Rs. C-196/04 - Cadbury-Schweppes, Slg 2006, I-7995 Rn. 54, 67). Es ist für den Senat nicht erkennbar, wie eine mit angemessener Substanz ausgestattete Gesellschaft angesichts der Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG den Gegenbeweis führen soll, nicht rechtsmissbräuchlich eingeschaltet worden zu sein.
     
    168

    (d) Zweifel insbesondere auch im Hinblick auf die geforderten wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe unter Außerachtlassung der Merkmale nahestehender Gesellschaften

    169
     
    Schließlich bestehen nach Auffassung des Senats Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG auch im Hinblick auf die geforderten wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft in Bezug auf die nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammenden Bruttoerträge gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz, Nr. 1 EStG, wobei die Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahestehen, gemäß § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG außer Betracht bleiben. Es erscheint zweifelhaft, ob es verhältnismäßig ist, hinsichtlich der Einschaltungsgründe organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahestehen - wie im Streitfall die Bedeutung der Klägerin für den Konzern - außer Acht zu lassen. Denn eine aus Konzernsicht sinnvolle Gestaltung macht diese noch nicht zu einer „künstlichen Konstruktion“.

    170

    Im Unterschied zu § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG (2007) kommt bei der geänderten Fassung des § 50d Abs. 3 EStG (2012) erschwerend hinzu, dass die ausländische Gesellschaft nicht nur die Gründe für ihre Einschaltung in die Erzielung der konkreten, mit deutscher Quellensteuer belasteten inländischen Einkünfte darzulegen hat. Vielmehr muss sie die Gründe für ihre Einschaltung in die gesamte Erzielung ihrer nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammenden Bruttoerträgen darlegen. Es bestehen Zweifel, inwieweit diese weite Tatbestandsfassung noch der Missbrauchsbekämpfung im Rahmen der Mutter-Tochter-Richtlinie dient. Diese Regelung schießt weit über das zur Verhinderung von „Directive Shopping“ erforderliche Maß hinaus.

    171

    (e) Quotelung
     
    172
     
    Zweifel an der europarechtlichen Vereinbarkeit ergeben sich auch hinsichtlich der Quotelungsregelung des § 50d Abs. 3 EStG.

    173

    Die einleitende Konjunktion „soweit“ in § 50d Abs. 3 EStG ordnet eine aufteilende Betrachtung an, die nicht nur die persönliche, sondern auch die sachliche Entlastungsberechtigung betrifft.

    174

    Erzielt die ausländische Gesellschaft Erträge aus eigener aktiver und aus passiver Wirtschaftstätigkeit, sind die in Deutschland abzugsteuerpflichtigen Einkünfte nur quotal von Abzugsteuern zu entlasten. Unter Zugrundelegung des Wortlauts ermittelt sich die Entlastungsquote aus dem Verhältnis der im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten unschädlichen – aktiven – Bruttoerträge zu den Gesamtbruttoerträgen. Die Bezugsgröße der Aufteilung ist also in den von der ausländischen Gesellschaft erzielten Gesamtbruttoerträgen und nicht etwa nur in ihren abzugssteuerbelasteten Erträgen zu sehen.

    175

    Daraus folgt, dass die Erstattung quotal erfolgt, wenn die ausländische Gesellschaft neben den kapitalertragsteuerbelasteten Einkünften weitere („schädliche“) Erträge erzielt. Für die Frage eines Rechtsmissbrauchs kann es aber nur auf die kapitalertragsteuerbelasteten Einkünfte ankommen. Erzielt eine Gesellschaft neben („aktiven“, „guten“) kapitalertragsteuerbelasteten Einkünften weitere Erträge, wird hierdurch die Realität einer Gesellschaft gestärkt, auch wenn diese aus einer passiven Tätigkeit stammen. Hierdurch wird kein Rechtsmissbrauch begründet. Die Passivität von Einkünften kann unter Missbrauchsgesichtspunkten nur dazu führen, dass ihnen selbst die Entlastung verweigert wird. Ein Abfärben auf („aktive“) kapitalertragsteuerbelastete Einkünfte ist zur Bekämpfung von Missbrauch nicht erforderlich. Ist eine ausländische Gesellschaft persönlich entlastungsberechtigt und stammen die im Inland erzielten, abzugspflichtigen Einkünfte vollumfänglich aus einer aktiven Wirtschaftstätigkeit, besteht aus deutscher Sicht kein Rechtsmissbrauch, dem mit der Versagung der Entlastung zu begegnen wäre. § 50d Abs. 3 EStG führt in diesen Fällen dazu, dass einer nicht missbräuchlichen Gestaltung die an sich zustehende Entlastung nach der Mutter-Tochter-Richtlinie nicht gewährt wird.

    176

    Hinzu kommt, dass es an der Möglichkeit eines Gegenbeweises mangelt. Stammen die inländischen Erträge der ausländischen Gesellschaft aus einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit, sieht die Regelung nicht vor, dass eine vollständige Entlastung gewährt wird, wenn die ausländische Gesellschaft daneben auch Einkünfte aus einer passiven wirtschaftlichen Tätigkeit erzielt. Die eigene aktive wirtschaftliche Tätigkeit wirkt sich auf den Anteil der Entlastung (den „Quoten-Schlüssel“) aus. Eine Nichtanwendung des § 50d Abs. 3 EStG ist indes im Hinblick auf die inländischen Einkünfte aus aktiver Wirtschaftstätigkeit in diesen Fällen nicht vorgesehen.

    177

    (f) Umkehr der Feststellungslast

    178

    Desweiteren erscheint es dem Senat zweifelhaft, ob die Umkehr der Feststellungslast gemäß § 50d Abs. 3 Satz 4 EStG in der im Streitfall anwendbaren Fassung des BeitrRLUmsG vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592) in europarechtlicher Hinsicht verhältnismäßig ist.

    179

    Gemäß § 50d Abs. 3 Satz 4 EStG obliegt die Feststellungslast für das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe im Sinne von § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 sowie des Geschäftsbetriebs im Sinne von Satz 1 Nr. 2 ausdrücklich der ausländischen Gesellschaft.

    180

    Die Zweifel an der Verhältnismäßigkeit ergeben sich insoweit, als der ausländischen Muttergesellschaft systematisch die Feststellungslast für das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe und für das Bestehen eines angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs auferlegt wird, ohne dass die Verwaltung verpflichtet wäre, hinreichende Indizien für eine Steuerumgehung beizubringen. Allein die fehlende persönliche Entlastungsberechtigung auf der Ebene der Gesellschafter der ausländischen Muttergesellschaft und die fehlende aktive wirtschaftliche Tätigkeit dürften nicht als solche Indizien gesehen werden können. Es ist zweifelhaft, ob die darin zu sehende allgemeine Annahme, dass es zu Steuerumgehungen kommen werde, zulässig ist, da es stets der Prüfung der objektiven und nachprüfbaren Umstände des Einzelfalls bedarf (vgl. ähnlich zur französischen Missbrauchsvorschrift Schlussanträge der Generalanwältin vom 19. Januar 2017, C 6/16, Eqiom und Enka, ECLI:EU:C:2017:34, Abschn. 29 f.).

    181

    (g) DBA-Niederlande

    182

    Soweit auch das DBA-Niederlande 2012 und das Protokoll hierzu zu europarechtlichen Zweifeln führen könnte, bleiben diese Zweifel dahingestellt, denn das DBA-Niederlande 2012 ist erst ab dem 1. Januar 2016 anwendbar und folglich im Streitjahr 2013 nicht einschlägig.
     
    183
     
    2. Verletzung von sekundärem Gemeinschaftsrecht (Mutter-Tochter-RL)
     
    184
     
    Darüber hinaus hat der Senat auch Zweifel daran, ob die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG (2012) mit der Mutter-Tochter-Richtlinie der EG 90/435/EWG vom 23.7.1990 (Abl EG Nr. L 225/6 v. 20.8.1990) und deren Fortentwicklung in der Richtlinie 2003/123/EG (ABl EU Nr. L 157 vom 26.06.2003) und der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 (Abl EU Nr. L 345/8 v. 29.12.2011) in Einklang steht.
     
    185
     
    Die Mutter-Tochter-Richtlinie in der jüngsten Fassung der Richtlinie (EU) 2015/121 des Rates vom 27. Januar 2015 (Abl EU Nr. L 21/1 v. 28.01.2015) ist im Streitfall indes nicht anwendbar, da sie das Streitjahr 2013 nicht erfasst.
     
    186
     
    a. Regelungsinhalt der Mutter-Tochter-RL
     
    187
     
    Die Mutter-Tochter-Richtlinie regelt die Besteuerung von Gewinnausschüttungen zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft. Ihr Zweck besteht darin, Mehrfachbesteuerungen grenzüberschreitend gezahlter Dividenden bei verbundenen Unternehmen zu vermeiden. (vgl. Richtlinie 90/435/EWG vom 23.7.1990, Abl EG Nr. L 225/6 v. 20.8.1990, Erwägungsgründe a.E.; Richtlinie 2003/123/EG, ABl EU Nr. L 157 vom 26.06.2003, Erwägungsgründe 1 und 2; Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011, Erwägungsgrund 3). Dementsprechend sieht die Richtlinie vor, dass die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne, zumindest wenn diese einen Anteil am Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft im Streitjahr 2013 von wenigstens 10% besitzt, vom Steuerabzug an der Quelle befreit sind (Art. 5 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 lit. a der Mutter-Tochter-Richtlinie).

    188

    b. Abweichung von den Vorgaben der Mutter-Tochter-RL
     
    189

    § 50d Abs. 3 EStG weicht von dieser Regelung der Mutter-Tochter-Richtlinie ab, indem er unter bestimmten Voraussetzungen der Muttergesellschaft die Freistellung von der Kapitalertragsteuer als Quellensteuer versagt, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen der Mutter-Tochter-Richtlinie gegeben sind.

    190

    c. Zulässigkeit der Abweichung nach Maßgabe der Öffnungsklausel zur

    Missbrauchsbekämpfung

    191

    Es erscheint dem Senat zweifelhaft, ob die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG aufgrund Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie gerechtfertigt ist.

    192

    aa. Öffnungsklausel gemäß Art. 1 Abs. 2 Mutter-Tochter-Richtlinie

    193

    Gemäß Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie in der im Streitjahr und bis 2015 geltenden Fassung steht die Richtlinie der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen nicht entgegen. Unter diesen Voraussetzungen ist es den Mitgliedstaaten gestattet, die Mutter-Tochter-Richtlinie nicht anzuwenden.
     
    194

    bb. Nationaler oder europäischer Missbrauchsbegriff
     
    195

    Es erscheint dem Senat jedoch zweifelhaft, dass dies im Lichte des Europarechts bedeuten soll, dass die Mitgliedstaaten den Missbrauchsbegriff beliebig definieren können, mit der Folge, dass es dem deutschen Gesetzgeber zusteht, die Konstellationen, in denen nach seiner Auffassung ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, in § 50d Abs. 3 EStG (2012) uneingeschränkt festzulegen.

    196

    Im Rahmen der Auslegung des europarechtlichen Missbrauchsbegriffs i.S.d. Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie ist den mitgliedstaatlichen Sprachfassungen dieser Regelung zum Teil ein wichtiger Hinweis zu entnehmen. Während die Richtlinie gemäß Art. 1 Abs. 2 der deutschen Fassung der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen nicht entgegensteht, weicht die Regelung in den Sprachfassungen anderer Mitgliedstaaten hiervon ab. Danach schließt die Richtlinie die Anwendung nationaler Vorschriften nicht aus, die z.B. „required“ (englisch), „nécessaire“ (französisch), „necessarie“ (italienisch) bzw. „necesarias“ (spanisch) zur Vermeidung von Missbräuchen sind. In diesen Sprachfassungen kommt das Prinzip der Erforderlichkeit zum Ausdruck.

    197

    Dies wird durch die Schlussanträge der Generalanwältin vom 19. Januar 2017 (C-6/16, Eqiom und Enka, ECLI:EU:C:2017:34) bestätigt. Auch diese geht davon aus, dass Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie dem Handeln der Staaten Grenzen auferlegt. Sie versteht die Regelung des Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie dahingehend, dass sie solchen Bestimmungen entgegensteht, die über das zur Verhinderung von Missbrauch Erforderliche hinausgehen (Schlussanträge der Generalanwältin vom 19. Januar 2017, C-6/16, Eqiom und Enka, ECLI:EU:C:2017:34, Abschn. 22).

    198

    Das Erfordernis eines selbstständig gemeinschaftsrechtlichen Verständnisses der Steuerumgehung wird durch den Sinn und Zweck der Richtlinie bestätigt. Die Mutter-Tochter-Richtlinie begründet sich aus der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften, so dass es sich hierbei nicht um eine disponible Steuervergünstigung handelt. Voneinander abweichende Definitionen der Steuerumgehung in den verschiedenen Gemeinschaftsstaaten würden dieser Zielsetzung entgegenstehen und dazu führen können, dass Gestaltungen, die eine schutzwürdige Ausübung von Grundfreiheiten darstellen, als Gestaltungsmissbrauch diskriminiert werden (vgl. Schön, IStR 1996, Beihefter zu Heft 2, Seite 1, 7). Dies spricht dafür, dass der Definition des Begriffs des Steuermissbrauchs europarechtliche Grenzen gesetzt sein müssen.

    199
     
    Auch dies wird durch die Schlussanträge der Generalanwältin vom 19. Januar 2017 (C-6/16, Eqiom und Enka, ECLI:EU:C:2017:34, Abschn. 24) bestätigt, die die Gefahr sieht, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie in der Praxis beliebig eingeschränkt würde, wenn der Missbrauchsbegriff durch die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten definiert würde.

    200

    cc. Beschränkung des Missbrauchsbegriffs durch EU-Primärrecht

    201

    Ungeachtet der Frage eines eigenständigen europarechtlichen Missbrauchsbegriffs muss sich der Missbrauchsbegriff der Öffnungsklausel des Art. 1 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie jedenfalls am europarechtlichen Primärrecht messen lassen (vgl. Cloer/Hagemann, in Bordewin/Brandt, EStG, § 50d Rn. 169; Gosch, in Kirchhof, § 50g Rn. 19; ähnlich Frotscher, EStG, § 50d Rn. 138). Die Zweifel an der Vereinbarkeit des § 50d Abs. 3 EStG mit der Niederlassungsfreiheit schlagen folglich auf die Vereinbarkeit des § 50d Abs. 3 mit der Mutter-Tochter-Richtlinie durch. Hieran vermag jedenfalls auch die Öffnungsklausel des Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie nichts zu ändern. Ansonsten könnte man zu dem Ergebnis gelangen, dass ein Sachverhalt aus der Sicht der Grundfreiheiten keinen Gestaltungsmissbrauch, aus der Sicht der Richtlinie jedoch einen Gestaltungsmissbrauch darstellen würde. Dies wäre nicht mit der Einheitlichkeit der europarechtlichen Rechts- und Prüfungsmaßstäbe zu vereinbaren.