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  • 12.09.2016 · IWW-Abrufnummer 188599

    Finanzgericht Thüringen: Urteil vom 22.04.2015 – 3 K 889/13

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    FG Thüringen

    22.04.2015 - 3 K 889/13

    In dem Rechtsstreit
    XXX
    gegen Finanzamt
    XXX

    wegen Erlass der Zinsen zur Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer 2004 - 2006

    hat der III. Senat des Thüringer Finanzgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. April 2015 für Recht erkannt:

    Tenor:
    1. Die Klage wird abgewiesen.
    2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
    3. Die Revision wird zugelassen.
    Tatbestand

    Streitig ist der Erlass von Nachzahlungszinsen nach § 233a AO aus sachlichen Billigkeitsgründen.

    Die Klägerin ist eine im Bereich der Gastronomie tätige GmbH.

    Der Beklagte änderte am 17.11.2011 die Bescheide für 2004 bis 2006 über Körperschaftsteuer sowie über Umsatzsteuer aufgrund einer für diese Kalenderjahre durchgeführten Betriebsprüfung und setzte jeweils Nachzahlungszinsen nach § 233a AO fest. Im Klageverfahren gegen die Änderungsbescheide fand am 23.01.2013 ein Erörterungstermin statt, in dessen Rahmen sich der Beklagte auf Hinweis des Gerichts bereit erklärte, die durch die Betriebsprüfung erfolgten Erlöszuschätzungen zu vermindern. Daraufhin erließ der Beklagte am 19.06.2013 geänderte Steuerbescheide sowie geänderte Bescheide über die Festsetzung von Nachzahlungszinsen.

    Mit Schreiben vom 25.06.2013 beantragte die Klägerin den Erlass der Zinsen. Der ursprüngliche Prüfungsbericht sei beim steuerlichen Berater nicht angekommen. Erst mit der Änderung der Bescheide im November 2011 habe die Klägerin davon Kenntnis erhalten. Eine Kopie des Prüfungsberichts sei erst im März 2012 übersandt worden. Eine Schlussbesprechung habe erst im Rahmen eines Klageverfahrens gegen die Steuerbescheide im Januar 2013 stattgefunden, in welcher auch Einigung erzielt worden sei. Die geänderten Bescheide seien wiederum zeitlich verzögert ergangen.

    Der Beklagte lehnte den Erlassantrag mit Verfügung vom 03.07.2013 ab. Im Rahmen ihres hiergegen gerichteten Einspruchs machte die Klägerin geltend, dass sie an der erheblichen Zeitverzögerung nur ein geringes Verschulden trage. Zudem überstiegen die festgesetzten Zinsen den Vorteil der Kapitalnutzung. Aufgrund der Höhe der Nachzahlung, der Länge der Zeit zwischen Prüfungsbeginn und Schlussbesprechung und der Art der Prüfungsfeststellungen (Zuschätzungen) sei hier ein Erlass durchaus angemessen und geboten.

    Zum Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung stand die Zahlung von Nachzahlungszinsen i.H.v. 10.709 € aus. Diese setzten sich wie folgt zusammen:
     
    Zinsen zur Umsatzsteuer 2004    2.194,00 €      
    Zinsen zur Umsatzsteuer 2005    879,00 €      
    Zinsen zur Umsatzsteuer 2006    1.580,00 €      
    Zinsen zur Körperschaftsteuer 2004    2.763,00 €      
    Zinsen zur Körperschaftsteuer 2005    1.154,00 €      
    Zinsen zur Körperschaftsteuer 2006    2.139,00 €     

    Allen Zinsfestsetzungen lag jeweils ein Zinslauf vom 01.04.2006 bis 21.11.2011 zugrunde.

    Nach erfolglosem Einspruch verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der Klage weiter und macht geltend: Sachliche Billigkeitsgründe lägen vor: Im Streitfall habe die eigentliche Steuerfestsetzung, d.h. die Festsetzung der steuerlichen Hauptleistungen Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer für die Kalenderjahre 2004 bis 2006, auf einer Schätzung durch den Beklagten beruht. Die Steuerfestsetzungen seien offensichtlich und eindeutig unrichtig gewesen. Denn ausweislich der Niederschrift über den Erörterungstermin habe das Gericht darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht sachliche Gründe vorlägen, die dafür sprächen, dass tatsächlich geringere Umsätze erzielt worden seien als nach der Kalkulation durch die Betriebsprüfung. Die Klägerin trägt einzelne Umstände vor, aus denen sich ergebe, dass sie kein Verschulden daran trage, dass sich im Verfahren ein derart langer Zinslauf ergeben habe. Diese besonderen Umstände des damaligen Verfahrens rechtfertigten ausnahmsweise einen Erlass aus Billigkeitsgründen wegen einer Verfahrensverschleppung.

    Die offensichtliche und eindeutige Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung folge darüber hinaus - ungeachtet der zwischenzeitlichen Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu Aussetzungszinsen - aus dem festgesetzten Zinssatz von monatlich 0,5 %. Mit einem solchen Zinssatz könne der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck, einen gerechten Ausgleich zwischen den Zinsvorteilen des Steuerpflichtigen und dem Zinsverlust des Steuergläubigers, mithin einen angemessenen Ausgleich für Liquiditätsvorteile, zu schaffen, nicht erfüllt werden. So weise das Finanzgericht Hamburg im Urteil vom 23.05.2013 (2 K 50/12, EFG 2013, 1734) vollkommen zu Recht darauf hin, dass die Entwicklung des Zinssatzniveaus (welches sich ab dem 01.01.2013 sogar im negativen Bereich bewege) nicht außer Acht gelassen werden dürfe. Erst recht gelte dies für eine Entscheidung im Rahmen eines Billigkeitsverfahrens, d.h. bei Bestehen eines Ermessensspielraums. Unverändert bestünden gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit bzw. Verfassungsmäßigkeit des auch im vorliegenden Verfahren angewandten Zinssatzes.

    Die Klägerin beantragt,

    den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 03.07.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.09.2013 zu verpflichten, die Zinsen zur Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer 2004 bis 2006 in Höhe von 10.709,00 € zu erlassen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er macht geltend, eine eindeutig und überwiegend durch den Beklagten veranlasste Verfahrensverschleppung als sachlicher Billigkeitsgrund liege im Streitfall nicht vor. Bedenken zur Höhe der festgesetzten Zinsen könne die Klägerin im vorliegenden Erlassverfahren nicht mehr geltend machen. Eine sachliche Überprüfung der bestandskräftigen Festsetzung der Nachzahlungszinsen im Billigkeitsverfahren sei im Streitfall nicht möglich, weil es der Klägerin möglich und zumutbar gewesen sei, sich rechtzeitig durch Einspruch bzw. Klage gegen die Festsetzung der Zinsen zu wenden und dort ihre Bedenken wegen der festgesetzten Zinsen geltend zu machen. Zudem sei die Festsetzung der Zinsen nach dem gesetzlichen Zinssatz im Hinblick auf die Rechtsprechung (vgl. BFH-Beschluss vom 29.05.2013 X B 233/12, BFH/NV 2013, 1380 nicht offensichtlich und eindeutig unrichtig.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist unbegründet.

    Der mit der Klage angefochtene Ablehnungsbescheid vom 03.07.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.09.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat den Erlass von Nachzahlungszinsen frei von Ermessensfehlern abgelehnt.

    1. Nach § 227 der Abgabenordnung (AO) können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen nach § 3 Abs. 4 AO i.V.m. § 37 Abs. 1 AO auch Nachzahlungszinsen gehören, ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über den Erlass von Nachzahlungszinsen ist eine Ermessensentscheidung des Finanzamtes und unterliegt deshalb gemäß § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Das Gericht hat nur zu prüfen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (vgl. BFH-Urteil vom 16.11.2005 X R 3/04, BStBl II 2006, 155).

    Eine Unbilligkeit im Sinne des § 227 AO kann auf sachlichen oder persönlichen Gründen beruhen. Eine Unbilligkeit aus persönlichen Gründen ist im Streitfall von der Klägerin weder geltend gemacht worden noch sonst aus den Akten erkennbar. Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht oder nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (vgl. BFH-Urteil vom 21.10.2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606 m.w.N.). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (vgl. BFH-Beschluss vom 12.09.2007 X B 18/03, BFH/NV 2008, 102, 105, m.w.N.). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (vgl. BFH-Urteil vom 16.08.2001 V R 72/00, BFH/NV 2002, 545, m.w.N.). Die generelle Geltungsanordnung des Gesetzes darf durch eine Billigkeitsmaßnahme nicht unterlaufen werden (vgl. BFH-Urteil vom 16.11.2005 X R 3/04, BStBl II 2006, 155). Diese Grundsätze gelten auch im Zusammenhang mit der Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO (vgl. BFH-Urteile vom 21.10.2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606; vom 16.11.2005 X R 3/04, BStBl II 2006, 155, m.w.N.).

    2. Führt die Festsetzung der Einkommensteuer zu einer Nachzahlung, so ist diese gemäß § 233a Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO), für die Einkommensteuer mithin mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahrs (§ 36 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die Zinsen betragen für jeden vollen Monat 1/2 vom Hundert, der zu verzinsende Betrag wird auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag abgerundet (§ 238 AO).

    Die Verzinsung ist wegen ihres typisierenden Charakters unabhängig von einem Verschulden des Finanzamts oder des Steuerpflichtigen; sie ist durch ihre Abschöpfungswirkung gekennzeichnet. Zweck der Regelungen in § 233a AO ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (Begründung zum Gesetzentwurf, BTDrucks 11/2157, 194). Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheides objektiv oder typischerweise entstanden sind, sollen mit Hilfe der sog. Vollverzinsung ausgeglichen werden. Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden sind, ist grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BFH-Urteile vom 16.11.2005 X R 3/04, BStBl II 2006, 155; vom 19.03.1997 I R 7/96, BStBl II 1997, 446 m.w.N.).

    Eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalles durch das Finanzamt stellt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs regelmäßig keinen sachlichen Billigkeitsgrund dar (vgl. BFH-Urteil vom 21.10.2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606; BFH, BFH-Beschlüsse vom 31.01.2008 VIII B 253/05, BFH/NV 2008, 740; vom 26.07.2006 VI B 134/05, BFH/NV 2006, 2029; vom 02.02.2001 XI B 91/00, BFH/NV 2001, 1003; vom 03.05.2000 II B 124/99, BFH/NV 2000, 1441; vom 19.03.1997 I R 7/96, BStBl II 1997, 446). Die generelle Geltungsanordnung eines Gesetzes darf durch eine Billigkeitsmaßnahme nicht unterlaufen werden (vgl. BFH-Urteil vom 16.11.2005 X R 3/04, BStBl II 2006, 155). Weder die fehlende Einwirkungsmöglichkeit des Steuerpflichtigen auf den Zeitpunkt der Steuerfestsetzung noch eine allein vom Finanzamt zu vertretende Verzögerung bei der Veranlagung begründen eine sachliche Unbilligkeit. Die Zinsen nach § 233a AO sind eine laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung (vgl. BFH-Beschluss vom 02.02.2001 XI B 91/00, BFH/NV 2001, 1003), so dass die Ursache für die überdurchschnittliche Bearbeitungsdauer und ein Verschulden - unabhängig davon, wem dies zur Last fällt - grundsätzlich irrelevant ist (vgl. BFH-Urteil vom 15.04.1999 V R 63/97, BFH/NV 1999, 1392; vom 21.10.2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606; BFH-Beschlüsse vom 30.11.2000 V B 169/00, BFH/NV 2001, 654; vom 26.07.2006 VI B 134/05, BFH/NV 2006, 2029). Die sog. Vollverzinsung nach § 233a AO ist sowohl für Steuernachzahlungen als auch für Erstattungen bewusst verschuldensunabhängig ausgestaltet worden, um Streitigkeiten über die Ursachen einer späten Steuerfestsetzung zu vermeiden (vgl. BFH-Beschluss vom 26.07.2006 VI B 134/05, BFH/NV 2006, 2029). Deshalb ist es unerheblich, ob der vom Gesetz typisierend unterstellte Zinsvorteil des Steuerpflichtigen auf einer verzögerten Abgabe der Steuererklärung oder einer verzögerten Bearbeitung durch das Finanzamt beruht (vgl. BFH-Beschluss vom 26.07.2006 VI B 134/05, BFH/NV 2006, 2029). Nach alldem führt auch eine lange Verfahrensdauer grundsätzlich nicht zur sachlichen Unbilligkeit (vgl. BFH-Urteil vom 16.11.2005 X R 3/04, BStBl II 2006, 155; BFH-Beschlüsse vom 31.01.2008 VIII B 253/05, BFH/NV 2008, 740; vom 02.02.2001 XI B 91/00, BFH/NV 2001, 1003; BFH-Urteil vom 19.03.1997 I R 7/96, BStBl II 1997, 446). Der Grundsatz von Treu und Glauben steht einer Festsetzung von Nachforderungszinsen grundsätzlich auch dann nicht entgegen, wenn dem Finanzamt bei der Bearbeitung einer Steuererklärung Fehler unterlaufen sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom 03.05.2000 II B 124/99, BFH/NV 2000, 1441; vom 30.10.2001 X B 147/01, BFH/NV 2002, 505; vom 02.08.2005 X B 139/04, in: [...]).

    3. Nach diesen Grundsätzen hat das beklagte Finanzamt den Erlass der Nachzahlungszinsen im Streitfall frei von Ermessensfehlern abgelehnt. Für den Streitfall kann dabei dahinstehen, ob bzw. unter welchen näheren Voraussetzungen eine unangemessene, überlange Verfahrensdauer vorliegen mag, die im Einzelfall gleichwohl ausnahmsweise zur sachlichen Unbilligkeit führen kann. Selbst wenn man den Vortrag der Klägerseite als wahr unterstellt, wonach sie kein bzw. allenfalls ein geringes Verschulden an der längeren Verfahrensdauer treffe, sind die Gesamtumstände des Streitfalls - entgegen der klägerischen Wertung - nicht dermaßen außergewöhnlich bzw. besonders, um ausnahmsweise das Vorliegen eines sachlichen Billigkeitsgrundes unter dem Gesichtspunkt einer überlangen Verfahrensdauer zu bejahen.

    Die Entscheidung des Beklagten leidet insoweit auch nicht unter einem Ermessensfehler. In der Begründung der Einspruchsentscheidung vom 30.09.2013 heißt es hierzu unter Verweis auf den Zweck der Vorschrift des § 233a AO, bei der Verzinsung seien Verschuldensfragen prinzipiell nicht von Bedeutung, und zwar auf beiden Seiten des Steuerschuldverhältnisses. Im vorliegenden Fall begründe die Dauer der Betriebsprüfung und der anschließenden geänderten Festsetzungen durch ggf. vom Finanzamt verschuldete Umstände keine sachliche Unbilligkeit. Für die Anwendung der Vorschrift seien die Ursachen und Begleitumstände im Einzelfall unbeachtlich. Die reine Möglichkeit der Kapitalnutzung reiche aus bzw. die bloße Verfügbarkeit eines bestimmten Kapitalbetrages. Maßgebend sei allein die typisierende Annahme des § 233a AO, dass der Kläger durch die verspätete Abgabe einen Liquiditätsvorteil habe. Ob er diesen tatsächlich genutzt habe, sei nicht entscheidend
    Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die generelle Geltungsanordnung eines Gesetzes darf durch eine Billigkeitsmaßnahme nicht unterlaufen werden. Weder die fehlende Einwirkungsmöglichkeit des Steuerpflichtigen auf den Zeitpunkt der Steuerfestsetzung noch eine allein vom Finanzamt zu vertretende Verzögerung bei der Veranlagung begründen generell eine sachliche Unbilligkeit. Die Zinsen nach § 233a AO sind, worauf das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung zutreffend hinweist -eine laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung (vgl. BFH-Beschluss vom 02.02.2001 XI B 91/00, BFH/NV 2001, 1003), so dass die Ursache für die überdurchschnittliche Bearbeitungsdauer und ein Verschulden, unabhängig davon, wem dies zur Last fällt, regelmäßig irrelevant sind (vgl. BFH-Urteil vom 15.04.1999 V R 63/97, BFH/NV 1999, 1392).

    4. Soweit sich die Klägerin im Rahmen ihres Erlassantrages auch gegen die Höhe des angewendeten gesetzlichen Zinssatzes wendet, ist sie - entgegen der Auffassung des Beklagten - im vorliegenden Verfahren mit ihrem Vortrag nicht bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen ausgeschlossen. Denn über einen begehrten Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen wäre im Verfahren gegen die Zinsfestsetzungsbescheiden nicht zu entscheiden gewesen. Allein der Umstand, dass die Klägerin sich auch im Rahmen von Einsprüchen gegen die Zinsbescheide gegen die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes hätte wenden können, schließt es nicht aus, dass sie diese Einwände grundsätzlich auch im Erlassverfahren als sachliche Billigkeitsgründe vorbringen kann.

    Unabhängig davon rechtfertigen aber die durch die Klägerin unter Bezugnahme auf das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 23.05.2013 (2 K 50/12, EFG 2013, 1734) erhobenen Einwände gegen die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes keinen sachlichen Billigkeitsgrund. Denn bezogen auf den Zeitraum vom 01.04.2006 bis 21.11.2011, der den angefochtenen Festsetzungen von Nachzahlungszinsen im Streitfall jeweils zugrunde lag, bestehen unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine (verfassungs-) rechtlichen Bedenken gegen die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes. So hat der BFH mit Urteil vom 01.07.2014 (IX R 31/13, BFHE 246, 193, BStBl II 2014, 925 [BFH 01.07.2014 - IX R 31/13]) entschieden, dass sich der zugunsten und auch zulasten des Steuerpflichtigen wirkende Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO von einhalb Prozent für jeden Monat sich im Zinszeitraum 2004 bis 2011 beim Vergleich mit den Marktzinsen noch in einem der wirtschaftlichen Realität angemessenen Rahmen halte. Die für eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erforderliche Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) liege für den Verzinsungszeitraum 11. November 2004 bis 21. März 2011 nicht vor. Auch nach dem BFH-Beschluss vom 29.05.2013 (X B 233/12, BFH/NV2013, 1380) liege der für die Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis geltende Zinssatz von 0,5% pro Monat (6% pro Jahr) auch in der seit 2009 andauernden Niedrigzinsphase nicht außerhalb der Grenzen, die für verfassungsrechtliche zulässige Typisierungen entwickelt worden seien.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird zugelassen (§ 115 Abs. 2 FGO).

    Revision eingelegt : BFH- AZ: I R 77/15

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