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· Urlaubsrecht

Quarantäne-Anordnung für Zeit des genehmigten Urlaubs ‒ muss dem Arbeitnehmer Urlaub nachgewährt werden?

Bild: copyright by Oliver Boehmer - bluedesign®

| Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, werden ihm laut § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) die Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet. Was gilt aber für den Sonderfall, dass ihm in der Zeit des genehmigten Urlaubs ‒ ohne selbst infiziert zu sein ‒ eine Quarantäne auferlegt wird: Ist diese Zeit ebenfalls nicht auf den Urlaub anzurechnen? Dazu sagt das Arbeitsgericht (ArbG) Neumünster: „Nein“ ‒ § 9 BUrlG ist nicht analog auf diesen Fall anzuwenden (ArbG Neumünster, Urteil vom 03.08.2021, Az. 3 Ca 362). Ergo muss der Arbeitgeber in diesen Fällen auch keinen Urlaub nachgewähren. |

 

Klagender Arbeitnehmer rügte „planwidrige Regelungslücke“

Der klagende Arbeitnehmer erhielt für den Zeitraum vom 23. bis 31.12.2020 Urlaub in Höhe von 6 Tagen genehmigt. Nachdem der Urlaub bereits genehmigt war, wurde ihm aufgrund eines Kontakts zu einem Coronaverdachtsfall vom Gesundheitsamt eine häusliche Quarantäne im Zeitraum vom 21.12.2020 bis 04.01.2021 auferlegt. Selbst infiziert war er nicht. Der Arbeitgeber zahlte für die beantragte Zeit Urlaubsentgelt und rechnete die Tage auf seinen Urlaubsanspruch an.

 

Dagegen klagt der Arbeitnehmer. Nach seiner Auffassung besteht der Urlaubsanspruch in Höhe von 6 Tagen aus dem Jahre 2020 fort, weil § 9 BUrlG analog anzuwenden sei. Ähnlich wie bei Arbeitsunfähigkeit während eines bereits gewährten Urlaubs sei es vorliegend so, dass er die Leistung nicht erbringen könne und damit die Befreiung durch den Arbeitgeber von der Leistungspflicht nachträglich unmöglich werde. Insoweit liege eine planwidrige Regelungslücke vor.

 

ArbG Neumünster: Keine planwidrige Regelungslücke ‒ § 9 BUrlG ist im Fall von Quarantäne nicht analog anzuwenden

Das ArbG Neumünster folgte der Argumentation des Arbeitnehmers nicht: § 9 BUrlG sei weder direkt noch analog anzuwenden, eine planwidrige Regelungslücke bestehe nicht. Der Arbeitnehmer sei nicht arbeitsunfähig im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes gewesen, sondern es bestand lediglich der Verdacht einer Erkrankung und Ansteckungsmöglichkeit.

 

An einer planwidrigen Regelungslücke fehle es aus folgenden Gründen: Bereits bei der Schaffung von § 9 BUrlG im Jahre 1963 seien Unterscheidungen zwischen Krankheit und bloßer seuchenbezogener Risiken, die zu einer Quarantäneanordnung führen konnten, bereits bekannt gewesen. Auch wenn seinerzeit keine große Seuche wie im Moment durch die Corona-Pandemie mit weitreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen vorlag, konnte ein Problem wie das vorliegende auch seinerzeit jederzeit auftreten und tat es auch in Einzelfällen auch.

 

Das Bundesarbeitsgericht habe zudem in verschiedenen Entscheidungen ausgeführt, dass § 9 BUrlG eng auszulegen ist; eine entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergibt, komme grundsätzlich nicht in Betracht (BAG, Urteile vom 09.08.1994, Az. 9 AZR 384/92, sowie vom 25.08.2020, Az. 9 AZR 612/19).

 

Das ArbG Bremen-Bremerhaven habe jüngst zudem mit Recht auch darauf abgestellt, dass die Zuordnung von Quarantäne-Beschränkungen zum gesetzlich geregelten Fall der Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs nicht mit der Begründung des beschränkten Urlaubsgenusses durchgeführt werden kann, ohne eine irgendwie klare Grenzziehung aufzugeben. Denn es gebe unzählige Umstände, die einer Erholung im Urlaub entgegenstehen können. Viele davon hätten auch ‒ irgendwie ‒ mit Krankheiten zu tun (so z. B. die Erkrankung des Ehepartners, die den Genuss des gemeinsamen Urlaubs mindert, aber kaum auch die Rechtsfolge von § 9 BUrlG auslösen könne). Eine klare Grenzziehung, wer das Risiko der Störung des Urlaubs trägt, sei nur beim Abstellen auf die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglich und praktikabel. (ArbG Bremen-Bremerhaven, Urteil vom 08.06.2021, Az. 6 Ca 6035/21)

 

Grundsätzliche Rechtsfrage ‒ Berufung zugelassen

Trotz des geringen Streitwerts von unter 600 Euro ließ das Arbeitsgericht die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zu. Die Rechtsfrage wurde vom Bundesarbeitsgericht bisher nicht entschieden.

 

FAZIT | Das Risiko für Störungen des Urlaubs trägt vor allem der Arbeitnehmer ‒ so lautet die Essenz aus der Entscheidung des ArbG Neumünster. Auch wenn diese Entscheidung in diesem Einzelfall hart erscheinen mag, so ist sie nur konsequent und leistet einen Beitrag zum Schutz von Arbeitgebern vor weiteren Sonderfällen, die abseits von attestierter Erkrankung zur Nachgewährung von Urlaub führen können.

 

 

 

 

(Ke)

 

Quellen

  • ArbG Neumünster, Urteil vom 03.08.2021, Az. 3 Ca 362
Quelle: ID 47612740