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  • 23.07.2010 | Unfallschadensregulierung

    Merkantiler Minderwert aktuell

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    Als „Entscheidung der Woche“ stellt NJW-aktuell 38/2009 ein Urteil des LG Berlin vor, das bei einem elf Jahre und drei Monate alten Pkw mit einer Laufleistung von 183.502 km einen merkantilen Minderwert zugesprochen hat. Diese in der Tat bemerkenswerte Entscheidung (41 S 15/09, NZV 10, 36) und zahlreiche weitere Urteile aus jüngster Zeit sind Anlass, Sie in Sachen merkantiler Minderwert auf den neuesten Stand zu bringen.  

     

    Checkliste 1: Der merkantile Minderwert als Stellschraube in Grenzfragen
    1. Schon bei der (Vor-)Frage „wie kann der Fahrzeugschaden abgerechnet werden, auf Reparaturkosten- oder auf Totalschadensbasis?“ kann der merkantile Minderwert in Grenzfällen von entscheidender Bedeutung sein.

     

    2. Die aktuelle Arbeitshilfe von Verkehrsrecht aktuell auf Seite 129 dieser Ausgabe zeigt die drei Stufen auf, die es zu unterscheiden und voneinander abzugrenzen gilt. Auf jeder dieser drei Stufen versteht sich die Vergleichsgröße „Fahrzeugschaden“ als Bruttoreparaturkosten plus merkantiler Minderwert (BGHZ 115, 364; OLG Düsseldorf VA 07, 192; OLG München VA 10, 38; Ch. Huber, NZV 09, 322; Lemcke, NZV 09, 115). Nach OLG Köln SP 06, 245 (offen gelassen von BGH NJW 09, 1340) sind bei einem vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten die Nettoreparaturkosten als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, auch hier zuzüglich eines etwaigen merkantilen Minderwerts (zu brutto/netto insoweit s. Pkt. 4).

     

    3. Beispiel für einen Kostenvergleich (auch Vergleichsbetrachtung oder Wirtschaftlichkeitsprüfung genannt): Reparaturkosten lt. Gutachten 8.110 EUR, merkantiler Minderwert 500 EUR (in der Summe 8.610 EUR), Wiederbeschaffungswert (ohne Kürzung um den Restwert) 8.700 EUR. Das ist ein Unter-Hundert-Fall (UHU). Würde der merkantile Minderwert bei sonst gleichen Zahlen mit 800 EUR im Gutachten stehen, handelte es sich um einen Über-Hundert-Fall (ÜHU = 130-Prozent-Fall).

     

    4. Merkantiler Minderwert brutto oder netto? Nach den Erläuterungen zum Leitsatz 8.1 des Instituts für das Sachverständigenwesen (IfS) ist die Wertminderung „umsatzsteuerneutral“ anzugeben. Das ist im Ergebnis richtig, gleichviel, ob der Geschädigte eine Privatperson, die öffentliche Hand oder ein vorsteuerabzugsberechtigter Unternehmer ist (näher Ch. Huber, Der Kfz-Sachverständige 4/06, 21). Letzterenfalls ist zwar auf die Nettoreparaturkosten abzustellen (s.o.), es macht aber keinen Sinn, den im Gutachten ausgewiesenen Minderwertbetrag durch Herausrechnen der MwSt. zu reduzieren, um diesseits der Grenzen von 100 bzw. 130 Prozent zu bleiben (offengelassen von LG Köln SP 07, 17 = Vorinstanz zu OLG Köln SP 06, 245).

     

    5. Merkantiler Minderwert im Gutachten ausgewiesen: Nach dem IfS-Leitsatz 8.1 hat der Sachverständige festzustellen, ob nach fachgerechter und vollständiger Reparatur eine Wertminderung verbleibt. Nr. 8.2 besagt: Im Gutachten ist die Wertminderung der Höhe nach aufzuführen und zu begründen. Eine bestimmte Berechnungsmethode wird nicht empfohlen.

     

    6. Eine im Gutachten mit plausibler Begründung ausgewiesene Wertminderung darf der Geschädigte/sein Anwalt beim Kostenvergleich nicht ignorieren (oben Pkt. 2). Eine erkennbar unzulängliche Schätzung sollte sicherheitshalber hinterfragt werden (Parallele zur fehlerhaften Restwertschätzung). Auf den Ersatz eines gutachterlich festgestellten Minderwerts zu verzichten oder ihn in geringerer Höhe geltend zu machen, hilft bei dem Kostenvergleich nichts.

     

    M.a.W.: Ein Reparaturfall lässt sich nicht konstruieren. Entscheidend sind die objektiven Daten, die im Streitfall der Richter nach § 287 ZPO zu ermitteln hat, incl. der Position „merkantiler Minderwert“ (Ch. Huber, NZV 09, 322; s. auch BGH NJW 92, 1618). Was im Vorfeld helfen kann ist eine Korrektur der Minderwert-Schätzung durch den eigenen Sachverständigen. Einen höheren Betrag als im Gutachten genannt gegenüber dem VR geltend zu machen, z.B. auf der Basis einer Eigenberechnung nach Ruhkopf/Sahm, kann in einem Grenzfall ein Eigentor sein (vgl. OLG Köln SP 06, 245/LG Köln SP 07, 17).

     

    7. Kein merkantiler Minderwert lt. Gutachten: Nach dem IfS-Leitsatz 8.2 ist „gegebenenfalls auch zu begründen, warum eine Wertminderung voraussichtlich nicht verbleiben wird“. Wenn im Gutachten ein merkantiler Minderwert nicht ausgewiesen ist und dafür keinerlei Begründung gegeben wird, kann es sich um einen begründungsfreien Evidenzfall oder um eine Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit des Gutachtens handeln. Vom Geschädigten und seinem Anwalt wird grundsätzlich nicht verlangt, sich darüber Gedanken zu machen. Es gilt der Vertrauensgrundsatz. Bei der typischen Formulierung „Wertminderung: keine“ ist das Vertrauen nicht erschüttert. Stellt sich später heraus, dass sie doch angefallen ist, ist die Disposition, die der Geschädigte in der irrigen Annahme „kein Minderwert“ getroffen hat (z.B. Erteilung des Reparaturauftrags), nicht zu beanstanden (KG NZV 05, 46). Siehe auch OLG München VA 10, 38 (Abruf-Nr. 094051) mit dem vergeblichen Versuch des VR, die 130-Prozent-Grenze durch den Ansatz einer Wertminderung zu sprengen (bei einem 9-jährigen Pkw!).

     

     

     

     

    Checkliste 2: Typische Einwendungen des Schädigers/Versicherers

    Ein merkantiler Minderwert entfällt, weil  

     

    • die Unfallbeschädigungen nicht „erheblich“ sind, weshalb bei ordnungsgemäßer Reparatur eine Einbuße im Veräußerungsfall ausgeschlossen ist (dazu Rechtsprechungsübersicht 1),
    • das Fahrzeug zu alt ist (dazu Rechtsprechungsübersicht 2),
    • das Fahrzeug eine zu hohe Laufleistung hat (dazu Rechtsprechungsübersicht 2),
    • das Fahrzeug als „Sonderfahrzeug“ nicht minderwertanfällig ist (dazu Rechtsprechungsübersicht 3),
    • er allenfalls dem Leasinggeber und nicht dem Leasingnehmer, dem Anspruchsteller, zusteht (vergleichbare Argumentation bei bankfinanzierten Fahrzeugen mit Sicherungsübereignung),
    • Vorschäden einen merkantilen Minderwert ausschließen,
    • das Fahrzeug unrepariert veräußert worden ist, weshalb ein etwaiges Reparaturrisiko nicht abzugelten ist,
    • wegen Überschreitung der maßgeblichen Grenze, z.B. durch Ansatz einer im Gutachten nicht oder zu niedrig ausgewiesenen Wertminderung, eine Abrechnung auf Totalschadensbasis zu erfolgen hat (dazu Checkliste 1).

     

    Der geltend gemachte merkantile Minderwert ist überhöht, weil  

    • die Schätzung im Gutachten nicht nachvollziehbar ist,
    • die Berechnungsmethode des Sachverständigen fehlerhaft ist,
    • eine abweichende Schätzung eines anderen Sachverständigen vorliegt,
    • der vom Anspruchsteller beauftragte Sachverständige Vorschäden nicht oder nicht genügend berücksichtigt hat,
    • die Instandsetzung zu einer Wertverbesserung führt, ein etwaiger merkantiler Minderwert dadurch zumindest teilweise kompensiert wird.