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  • 25.07.2011 | Unfallschadensregulierung

    Der Abzug neu für alt in Haftpflicht- und Kaskosachen

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    Bei beschädigten Gegenständen wie Brille, Kleidung oder Helm werden die Kosten einer Neuanschaffung von den VR-Sachbearbeitern seit jeher gekürzt. Als Vehikel dienen die Zeitwertentschädigung, ein Gebrauchsabschlag oder der Abzug neu für alt. Letzterer ist auch beim Ersatz des Fahrzeugschadens wieder in Mode gekommen und könnte durch BGH VA 11, 37 neuen Schub bekommen.  

     

    Checkliste: Basiswissen „Haftpflichtschaden“ kompakt in 10 Punkten
    1. Terminologie. Entgegen verbreiteter Meinung, vor allem in Sachverständigenkreisen, gibt es den Abzug neu für alt (nfa) auch beim Kfz-Haftpflichtschaden. In den Leitsätzen für Gutachten des Instituts für Sachverständigenwesen (IfS) ist allerdings unter Ziff. 7 der Abzug nfa für Kaskosachen reserviert, während mit Blick auf Haftpflichtschäden von „Wertverbesserungen“ die Rede ist. Diese spezielle, den Gerichten fremde Terminologie gilt es bei der Lektüre von Gutachten und im Dialog mit Sachverständigen und Versicherern zu beachten.

     

    2. Funktion. Der Abzug nfa soll den Vorteil ausgleichen, der dem Geschädigten daraus erwächst, dass er im Zuge der Schadensbehebung für eine alte eine neue Sache oder das Geld für eine Neuanschaffung erlangt. Bei der Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwands (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB) kann dieser Vorteil unter bestimmten Voraussetzungen ein Berechnungsfaktor sein (grdl. BGHZ 30, 29).

     

    3. Zumutbarkeit. Ob ein Abzug zu machen ist, hängt entscheidend davon ab, ob er dem Geschädigten zumutbar ist. Allein die Zumutbarkeit entscheidet darüber, ob eine Anrechnung zu erfolgen hat (so Pauge, VI. Senat, Homburger Tage 2006, S. 32).

     

    4. Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung kommt es zunächst darauf an, ob durch die Wiederherstellung bzw. deren Finanzierung ein Vermögenszuwachs eintritt. Ohne Besserstellung kein Abzug. Aber nicht jede objektive Verbesserung rechtfertigt automatisch einen Abzug. Er muss auch zumutbar sein.

     

    5. Unzumutbarkeit kann der Geschädigte nicht daraus herleiten, dass es keinen Markt für gebrauchte Sachen der beschädigten Art gibt (z.B. Brille).

     

    6. Unzumutbarkeit kann auch nicht allein damit begründet werden, ohne den Schadensfall wäre die beschädigte Sache nicht erneuert worden („hätte ewig gehalten“).

     

    7. Zumutbar ist der Abzug, wenn sich die objektive Wertsteigerung (Wertverbesserung) für den Geschädigten in seiner konkreten Situation wirtschaftlich positiv auswirkt. Er muss konkret „etwas davon haben“; nicht am Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern zeitnah zum Unfall.

     

    8. Bemessung des Abzugs: für das Gericht § 287 ZPO; außergerichtlich Orientierung an der - leider uneinheitlichen - Kasuistik.

     

    9. Doppelrelevanz beim Fahrzeugschaden. Bei der Ermittlung der maßgeblichen Grenzwerte (100 % und 130 %) ist er auf der Seite des Reparaturaufwands zu berücksichtigen; ebenso wie ein merk. Minderwert. Anders als dieser kann er sich bei der Vergleichskontrollrechnung positiv für den Geschädigten auswirken, denn der Abzug kann dazu führen, dass der Reparaturaufwand unter 100 bzw. unter 130 % bleibt.

     

    Einfluss auf Wiederbeschaffungswert (WBW)? Ist das Unfallfahrzeug mit Zubehörteilen ausgestattet, die ein im Übrigen gleichartiges/gleichwertiges Fahrzeug nicht hat, stellt sich die Frage nach einem Umbau der Teile. Scheidet ein Umbau aus (Beschädigung, technische Gründe), ist der WBW unter Berücksichtigung einer Neuanschaffung des Zubehörteils zu ermitteln, was die Frage nach einem Abzug nfa aufwirft.

     

    Tipp: Wenn die Reparaturkosten lt. Gutachten knapp über 100 oder über 130 % liegen, prüfen, ob der SV einen Abzug neu für alt (bzw. wegen „Wertverbesserung“) gemacht hat, wenn ja, ob er bei der Gegenüberstellung von Reparaturaufwand und WBW zugunsten des Mandanten berücksichtigt wurde. Wenn kein Abzug im Gutachten ausgewiesen ist, spricht eine sehr starke Vermutung dafür, dass dies zutreffend ist, zumal bei einem jüngeren Fahrzeug.

     

    10. Darlegungs- und Beweislast. Die gängige These, der Schädiger sei für die Voraussetzungen des Abzugs nfa darlegungs- und beweisbelastet, greift zu kurz. Die Dinge liegen differenzierter. Nach Ansicht des OLG Koblenz muss der Geschädigte darlegen und beweisen, dass ein Abzug nfa zu unterbleiben hat (8.1.09, 5 U 1597/07, Der Sachverständige 10, 78 zu § 635 a.F.). Argument: keine herkömmliche Vorteilsausgleichung, sondern eine der „besonderen Art“. In jedem Fall trägt der Geschädigte eine sekundäre Darlegungslast. Zum Alter, der Nutzungsdauer, dem Grad der Abnutzung wie zum ursprünglichen Anschaffungspreis kann nur er sachdienlich vortragen.
     

     

    Einzelfälle Haftpflichtschaden

    1. Auto  

    • Abzug nein
    Kein Abzug, wenn durch die Neuteile keine Wertsteigerung eingetreten ist, die sich für den Geschädigten wirtschaftlich positiv auswirkt (OLG Celle VersR 74, 1032), d.h. allein der Einbau neuer Teile rechtfertigt keinen Abzug. Voraussetzung ist stets, dass der Wert des Fahrzeugs insgesamt, also nicht des Einzelteils, gestiegen ist (KG VersR 85, 272). Daher von vornherein kein Abzug bei Erneuerung von Karosserieteilen wie Motorhaube (dazu OLG Hamm OLGR 97, 242), Heckklappe, Heckscheibe (LG München II 13.1.05, 14 O 1430/03, Abruf-Nr. 053585), Stoßfänger, Türen oder Kotflügel (sofern nicht durchgerostet). Gleichfalls keine messbare Steigerung des Fahrzeugwerts bei Erneuerung von langlebigen Teilen wie Anlasser (dazu KG a.a.O.), Katalysator (AG Fürstenwalde DAR 98, 147), Anhängerkupplung oder Felgen; ebenso bei einer Neulackierung (LG München II a.a.O. - Heckschaden).

     

    Dass der BGH eine Instandsetzung trotz Verwendung von Gebrauchtteilen in Übereinstimmung mit dem sachverständig beratenen LG als „fachgerecht“ bezeichnet hat (VA 11, 37 Tz. 13), bedeutet nicht, dass Eigentümer älterer Fahrzeuge generell auf Gebrauchtteile verwiesen werden können, auch nicht bei fiktiver Abrechnung. Mit einem generellen Abzug nfa werden die VR vor Gericht gleichfalls nicht durchkommen (Näheres bei Otting, Unfallregulierung effektiv 6/2011, S.12 ff. - den Beitrag können Sie auf unserer Homepage www.iww.de mit der Abrufnummer 112359 kostenlos abrufen).

     

    • Abzug ja
    Ein Abzug ist möglich, wenn künftige Aufwendungen erspart werden oder wenn der Einbau von Neuteilen bei einer bevorstehenden Veräußerung einen messbaren Gewinn erbringt (OLG Celle VersR 74, 1032). Der Ersparnisgedanke kann je nach Alter und Zustand, keineswegs generell, bei Verschleißteilen eingreifen, z.B. Reifen (OLG Düsseldorf NZV 02, 87; s. aber auch AG Köthen 11.7.05, 8 C 252/05, Abruf-Nr. 094082 - Reifen waren erst knapp 3.000 km gelaufen, kein Abzug), Batterie, Stoß- oder Endschalldämpfer. Auch bei Erneuerung vorgeschädigter Teile (z.B. durch Vorunfall) kann ein Abzug nfa in Frage kommen, etwa bei einem sicherheitsrelevanten und damit ohnehin erneuerungsbedürftigen Teil.

     

    2. Brille  

    • Abzug nein
    • LG Lübeck 18.3.11, 10 O 348/10, Abruf-Nr. 112349 (Einsender: Rechtsanwalt Nils Jönsson, Lübeck) - Zweitbrille, Kl. hat nur ursprüngliche Anschaffungskosten, nicht die Kosten der Neuanschaffung eingeklagt, was die Kammer honoriert hat;
    • LG Münster NZV 11, 302 mit informativer Anm. Tischendorf/Wulfert (Vorinstanz AG Coesfeld NZV 09, 233) - 4 Jahre alte Brille, keine Änderung der Sehstärke;
    • AG Weinheim NJW-RR 03, 307 - Ersatz nur für die Gläser verlangt; bei starker Abnutzung evtl. Abzug;
    • AG St. Wendel zfs 00, 340 - Brille 5 Jahre alt),
    • AG Montabaur zfs 98, 132.
    • Abzug ja
    • OLG Hamm SP 01, 376 - 3 Jahre alt, Kauf mit Zuzahlung von 875 DM, Ersatz i.H.v. 500 DM;
    • LG Düsseldorf 18.2.09, 2b O 213/06 - 3 Jahre alte Gleitsichtbrille, Anschaffungspreis 700 DM, Ersatz nur des Zeitwerts = 50 Prozent, 6-jährige Nutzungsdauer;
    • LG Freiburg VersR 89, 636 - Abzug i.H.v. 25 Prozent des Neuwerts, wenn keine Altersangaben.

     

    3. Helm (Motorrad)  

    • Abzug nein
    • OLG Düsseldorf NZV 06, 415 (Argument: Verdacht auf verborgene Mängel),
    • AG Bad Schwartau zfs 00, 488.
    • Abzug ja
    • LG Duisburg 20.2.07, 6 O 434/05, Abruf-Nr. 112350 (bei fünfjähriger Gesamtnutzungsdauer und 3,5 Jahren Restnutzungszeit: Neupreis zum Unfallzeitpunkt x 3,5 : 5 = Ersatzbetrag).

     

    4. Kleidung  

    • Abzug nein
    • OLG Hamm zfs 96, 324 (6 Monate alte Goretexjacke),
    • AG Essen DAR 06, 218 (5 Monate alte Motorradkleidung).
    • Abzug ja
    • OLG Düsseldorf 20.12.04, I-1 U 119/04, Abruf-Nr. 062632 (50 Prozent bei 18 Mo. alter Jacke),
    • OLG München 1.7.10, 1 U 5424/09 (Zeitwert bei Motorradschutzkleidung),
    • OLG Karlsruhe VersR 10, 491 (Restnutzungsdauer bei Motorradschutzkleidung),
    • LG Duisburg 20.2.07, 6 O 434/05, Abruf-Nr. 112350 (Motorradschutzkleidung, wegen normaler Abnutzung nur Zeitwert). Nur Zeitwert-Entschädigung auch bei Motorradhandschuhen und -stiefeln auf Basis einer Gesamtnutzungsdauer von 8 bzw. 6 Jahren.