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  • · Fachbeitrag · Werkvertragsrecht

    Wofür haftet ein Vermessungsingenieur und was sollte beauftragt werden?

    | Der mit der Einmessung eines Bauwerks beauftragte Vermessungsingenieur muss sich mit dem aktuellen Verlauf der Grundstücksgrenzen insoweit eigenständig befassen, wie sie zur fachgerechten Erfüllung seines Auftrags erforderlich sind. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart in einer erst jetzt bekannt gewordenen Entscheidung aus dem Jahr 2012 klargestellt. Die Entscheidung hat auch Konsequenzen für Objektplaner und deren Beratung des Bauherrn. |

    Der Fall: Ungültiger Lageplan mit falschen Grenzdaten

    Im vorliegenden Fall hatte das Vermessungsbüro bei der Gebäudeeinmessung unberücksichtigt gelassen, dass der aktuelle Grenzverlauf nicht mehr mit dem im Lageplan enthaltenen Grenzverlauf übereinstimmte. Als das Gebäude errichtet wurde, stellte sich heraus, dass es sich nicht genau am Grenzverlauf orientiert hatte, sondern im Südosten mit 6 cm in das Nachbargrundstück hineinragte und an der nordöstlichen Ecke 52 cm hinter der Grenze zurückblieb. Damit war abweichend von der Bauvorschrift gebaut worden. Denn das Gebäude sollte mit seiner Fassade an der entsprechenden Stelle unmittelbar dem Verlauf der Grundstücksgrenze folgen.

    Die Entscheidung des OLG Stuttgart

    Das OLG hielt den Vermesser für den Mangel verantwortlich. Es entschied Folgendes (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.9.2012, Az. 10 U 67/12; Abruf-Nr. 141842):

     

    • Ein Vermessungsingenieur ist verpflichtet, vor den beauftragten Leistungen der Bauvermessung (Auspflocken der Baugrube und Einschneiden des Schnurgerüsts) die aktuellen Grundstücksgrenzen selbstständig zu ermitteln. Dies gilt insbesondere, wenn das zu errichtende Gebäude an der Grundstücksgrenze „angedocktt“ werden soll. Dazu hat ein Vermessungsingenieur Zugriff auf die Daten des Landesvermessungsamts, mit denen er den aktuellen Grenzverlauf klären kann. Dabei darf er nur Daten des Landesvermessungsamts zu Grunde legen, die er zeitnah eingeholt bzw. überprüft hat. Es ist unzulässig, Daten zu verwenden, die er drei Jahre zuvor abgefragt hat.

     

    • Weder der Bauherr noch der Objektplaner müssen den Vermessungsingenieur über eine länger zurückliegende Änderung der Grundstücksgrenzen aufklären. Eine Hinweispflicht auf eine Grenzänderung besteht aber dann, wenn sich die Grundstücksgrenze zeitnah zur Vermessungsleistung geändert hat und der Bauherr nicht ausschließen kann, dass der Ingenieur bei der Abfrage beim Landesvermessungsamt überholte Koordinaten übermittelt erhält.

    Konsequenz für Planer und Vermessungsingenieur

    Für den Objektplaner und den Vermessungsingenieur lassen sich aus der Stuttgarter Entscheidung zwei fundamentale Dinge ableiten, nämlich

    • 1. Mängelvermeidung durch optimale Gestaltung des Planungsablaufs und
    • 2. richtiger Umgang mit Mängeln.

     

    1. Mängelvermeidung durch optimale Gestaltung des Planungsablaufs

    Oberste Priorität genießt die Mängelverhinderung. Dieses Ziel erreichen Sie durch eine zielgerichtete Beratung des Auftraggebers und die frühzeitige Einschaltung eines - möglichst umfassend beauftragten - Vermessungsingenieurs. Denn die Vermessung spielt bei vielen Punkten eine große Rolle und verringert das Mängelrisiko erheblich. Denken Sie an folgende Beispiele:

     

    • Einmessung von Gebäuden mit hoher Grundstücksausnutzung, bei denen es auf wenige cm im Bereich der Fassade ankommt.
    • Geometrische Bestandsaufnahme vorhandener Bauwerken oder Bauteile.
    • Einmessung von Pfahlköpfen bei Tiefgründungen zur Prüfung der Maßgenauigkeit eingebauter Bohrpfähle vor Beginn der Rohbauarbeiten, die auf den Pfählen aufbauen.
    • Frühzeitige Erfassung von Bautoleranzen vor Beginn von Fassadenarbeiten.
    • Prüfung des Setzungsverhaltens von Bauteilen.
    • Vermessung von Rohrleitungstrassen im Außenbereich bei grundstücksrelevanter Trassierung oder bei Berücksichtigung vorhandener Trassen.

     

    PRAXISHINWEISE |  

    • Bei der Beauftragung von Vermessungsleistungen sollten keine faulen Kompromisse eingegangen werden. Vermessungsbüros sollten auf alle erforderlichen Fachinformationen zugreifen können und umfangreich beauftragt werden.
    • Am Objektplaner (Gebäude, Ingenieurbauwerke, Verkehrsanlagen) ist es, die Koordinations- und Integrationsleistung zu erbringen. Um hier keine Fehler zu begehen, sollte der Auftraggeber informiert werden, dass Vermessungsleistungen ein wichtiger Planungsteil sind und dass gerade eine umfassende Beauftragung der Qualitätssicherung dient. Ein Musterinformationsschreiben „Beauftragung von Vermessungsleistungen“ finden Sie auf pbp.iww.de unter Downloads → Musterschreiben → Optimale Vertragsabwicklung - allgemein.
     

    2. Richtiger Umgang mit Mängeln

    Wenn das Kind aber in den Brunnen gefallen, sprich ein Mangel passiert ist, gilt es, die baulichen und finanziellen Folgen zu minimieren. Liegt ein Planungsmangel vor, sollte die Nachbesserungsgelegenheit zwingend genutzt werden, solange der Mangel noch nicht baulich umgesetzt ist.

     

    Ist der Mangel erkannt worden, stellt sich ferner die Frage, ob der Betroffene (etwa der Nachbar) diesen dulden muss. Das könnte der Fall sein, wenn es unverhältnismäßig ist, den Mangel zu beseitigen (Beispiel: Das ganze Bauwerk wurde zu nah an der Grenze geplant, ist im Rohbau aber bereits fertig). Deshalb ist hier eine sofortige Mängelrüge besonders wichtig. Ist das Gebäude fertiggestellt, würden zunächst die Fragen anstehen, warum der Mangel so spät erkannt wurde und ob ein Koordinationsfehler vorliegt.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2014 | Seite 14 | ID 42752097