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· Fachbeitrag · Erwerbsunfähigkeit

Fibromyalgie: Es dürfen zwei Gutachter hinzugezogen werden

| Bei Streitigkeiten, ob Fibromyalgie-Kranken eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zusteht, spielen ärztliche Gutachten eine wichtige Rolle. Zwar sagt das BSG, dass ein Gutachter „fachübergreifende“ Erfahrungen bezüglich einer Fibromyalgie haben muss. Das heißt aber nach Ansicht des LSG Nordrhein-Westfalen nicht, dass allein ein Gutachter untersuchen und bewerten muss (16.5.19, L 8 R 350/17). Allerdings müssen die Gutachter mit dem Krankheitsbild entsprechend vertraut sein. |

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist gelernte Arzthelferin. Als sie 2014 einen einmonatigen Reha-Aufenthalt absolvierte, wurde bei ihr ein Fibromyalgiesyndrom/chronisches Schmerzsyndrom diagnostiziert. Zudem ergab sich der Verdacht auf eine Anpassungsstörung bzw. depressive Störung. Sie wurde als arbeitsunfähig entlassen. Allerdings sei sie noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend in sitzender, gehender und stehender Körperhaltung in Tagesschicht bei wirbelsäulenschonenden Tätigkeiten von täglich sechs Stunden und mehr zu verrichten. Die Klägerin selbst schätzte jedoch eine ungünstige sozialmedizinische Prognose.

 

Ihr Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente wurde abgelehnt. Das SG wies ihre Klage ab.

 

Entscheidungsgründe

Auch ihre Berufung zum LSG blieb ohne Erfolg (LSG Nordrhein-Westfalen 16.5.19, L 8 R 350/17, Abruf-Nr. 213602). Obwohl sie vortrug, dass sämtliche behandelnden Ärzte sich einig seien, dass nicht damit zu rechnen sei, dass sich ihr Beschwerdebild bessere, lehnte das LSG den Rentenanspruch ab.

 

Sie bemängelte insbesondere, dass zwei Gutachter hinzugezogen wurden. Das LSG hielt dies jedoch nicht für fehlerhaft und verwies auf die Rechtsprechung des BSG.

 

  • Um eine Fibromyalgie zu beurteilen, bedarf es nicht eines ‒ einzigen ‒ Gutachtens. Das BSG sagt, dass ein bestellter Gutachter über „fachübergreifende“ Erfahrungen hinsichtlich Diagnostik und Beurteilung des Krankheitsbilds verfügen müsse (3.7.02, B 5 RJ 18/01 R). Dies gelte unabhängig davon, ob er von Haus aus als Internist, Rheumatologe, Orthopäde, Neurologe oder Psychiater tätig ist (9.4.03, B 5 RJ 80/02 B).

 

  • Das bedeutet aber nicht, dass nicht zwei Fachärzte auf ihren jeweiligen Fachgebieten hinzugezogen werden dürfen. Allerdings müssen sich beide mit dem Krankheitsbild medizinisch auskennen und einer die Gesamtbeurteilung verantworten.

 

  • Gerade weil sich bei Schmerzerkrankungen somatische und psychische Beeinträchtigungen oft überschneiden, hält die Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen Folgendes für erforderlich: neben einer organmedizinischen Begutachtung (hier: orthopädisch-rheumatologisch) auch eine psychiatrische Begutachtung (hier ebenfalls durch weiteren Gutachter durchgeführt). Damit würde der Anforderung des BSG, fachübergreifende Erfahrungen für die Begutachtung fruchtbar zu machen, in besonderer Weise Rechnung getragen sowie die Fachgebietsgrenzen berücksichtigt.

 

Der eine Gutachter hatte Beurteilung und Diagnosen des anderen Gutachters auch nicht als „Fremddiagnosen“ übernommen. Er hatte zwar auf das Gutachten des anderen Gutachters verwiesen, um Bekanntes nicht zu wiederholen. Trotzdem berücksichtigte er ‒ worauf es entscheidend ankommt ‒ die Wechselwirkungen zwischen seinen Feststellungen und denjenigen des anderen Gutachters. Dabei muss er das Krankheitsbild der Fibromyalgie nicht selbst „feststellen“. Um sich von einer vorliegenden Krankheit zu überzeugen, muss ein Sachverständiger nicht sämtliche Untersuchungen selbst vornehmen, soweit diese ‒ wie hier ‒ bereits fachgerecht vorgenommen wurden.

 

Relevanz für die Praxis

Wird eine Fibromyalgie beurteilt, können auch zwei Gutachter tätig sein. Im vorliegenden Fall hatten beide Sachverständigen gegenüber dem Gericht ausdrücklich versichert, dass sie in der Begutachtung von Fibromyalgie-Erkrankten erfahren sind. Bestehen hieran Zweifel, muss der Anwalt intervenieren, denn bei einer Fibromyalgie sind die konkreten Leistungseinschränkungen darzustellen und ob der Mandant unter den üblichen Anforderungen der Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten kann (BSG 26.1.17, B 13 R 337/16 B).

 

Weiterführende Hinweise

  • Blasenkrebs eines Kfz-Mechanikers als Berufskrankheit, SR 20, 3
  • Dauerhafte psychische Erkrankung muss nachgewiesen und austherapiert sein, SR 19, 98
Quelle: Ausgabe 02 / 2020 | Seite 23 | ID 46299998