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· Fachbeitrag · Gesundheitsschäden

Ärztlicher Behandlungsfehler: Was tun?

von Vors. Richter OLG a.D. Dr. Hans Gießler, Bad Nauheim

| Wer z.B. nach einer Hüft-oder Kniegelenksoperation mit anschließender längerer Nachbehandlung schlechter gehen kann als zuvor, wird sich fragen, ob ein ärztlicher Behandlungsfehler die Ursache ist. Der folgende Beitrag zeigt, wie man bei der Durchsetzung von Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüchen vorgehen muss.

1. Geltendmachung gegenüber dem Arzt

Wenn man den Verdacht auf einen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler hat, sollte man sich zunächst an den Arzt oder dessen Haftpflichtversicherung wenden und dabei die Verdachtsgründe vortragen. Dies allein deshalb, um einen späteren Vorwurf zu vermeiden, unnötige Kosten verursacht zu haben.

 

PRAXISHINWEIS | Sollte sich der Mandant erst kurz vor Ablauf der 3-jährigen Verjährungsfrist (§§ 193,199 BGB) anwaltliche Unterstützung suchen, oder ziehen sich die Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung in die Länge, muss ein vorläufiger Verzicht der Haftpflichtversicherung auf die Einrede der Verjährung oder die Verjährung hemmende Maßnahmen (§§ 203 ff BGB) herbeiführt werden.

 

2. Strafantrag

Man kann Strafantrag wegen fahrlässiger Körperverletzung (§§ 229, 230 StGB) stellen. Dies hat den Vorteil der Kostenfreiheit, ist aber zur Klärung der Haftungsfrage wegen der Wesensverschiedenheit von Strafrecht und zivilistischem Haftungsrecht denkbar ungeeignet. Anders als im Zivilrecht geht es im Strafrecht nicht um den ärztlichen Behandlungsstandard, sondern um die individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen des in Betracht kommenden Arztes. Es greifen auch keine Beweiserleichterungen ein, vielmehr müssen die Voraussetzungen der Strafbarkeit (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Verschulden) eindeutig und mit Sicherheit nachgewiesen werden.

 

Wichtig | Kommt es zum Freispruch, ist vielfach noch ein Haftungsverfahren geboten. Selbst im Fall einer Verurteilung wird über Art und Ausmaß des eingetretenen Primär- und Folgeschadens noch streitig zu entscheiden sein.

3. Klageerhebung 

Das zivilprozessuale Klageverfahren führt zu einer vollumfänglichen Klärung der Haftungsfrage und der Haftungsfolgen (Schadensersatz, Schmerzensgeld) und stellt somit das beste Mittel zur Schadensregulierung dar. Es ist aber für den Patienten mit nicht unerheblichen Nachteilen verbunden. Diese beziehen sich vor allem auf die Kosten für Anwalt, Gericht und Sachverständige. Letztlich wird die Entscheidung, ob Klage erhoben wird, in aller Regel davon abhängen, ob der Mandant rechtsschutzversichert ist oder Anspruch auf PKH hat. Im Zivilprozess kann sich der klagende Patient auch nicht darauf beschränken, lediglich auf seinen schlechten Gesundheitszustand hinzuweisen, er muss vielmehr einen konkreten Behandlungsfehler vortragen und Beweis für diesen Fehler antreten, wozu es meist spezieller Kenntnisse bedarf. Vor Einholung eines Gutachtens ist ein Kostenvorschuss zu leisten. Das Gerichtsverfahren nimmt in der Regel auch viel Zeit in Anspruch.

4. Alternativen zur Klageerhebung

Wegen der Nachteile des gerichtlichen Verfahrens kann es sinnvoll sein, dem Mandanten andere Wege zur Durchsetzung seiner Ansprüche aufzuzeigen.

 

a) Einholung eines MdK-Gutachtens

Die gesetzlichen Krankenkassen unterhalten den medizinischen Dienst der Krankenkassen (MdK). Zu dessen Aufgaben gehört es auch, zwecks Durchsetzung von Regressansprüchen der Krankenkasse, Arzthaftungsgutachten zu erstellen. Die Einholung eines solchen Gutachtens kann ein Kassenmitglied anregen. Den MdK-Gutachten liegt die Dokumentation des Arztes zugrunde. Eine Anhörung dieses Arztes oder des Patienten nach Art eines (kontradiktorischen) Streitverfahrens findet nicht statt mit der Folge, dass ein derartiges Gutachten keinerlei Garantie für Richtigkeit aufweist.

 

b) Anrufung einer Gutachterstelle 

Gegen Ende der 70er Jahre haben die Ärztekammern Gutachterstellen eingerichtet, deren Aufgabe es ist, ärztliche Behandlungen auf Fehler zu überprüfen, um auf diese Weise zu einer möglichst schnellen Klärung der Arzthaftungsfrage beizutragen. Über diese Stellen und ihr Verfahren kann man sich anhand einer Schrift „Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern“, herausgegeben von der Bundesärztekammer, Herbert-Lewin-Platz 1, 10623 Berlin, Tel. (030) 400456-700, informieren.

 

Das Verfahren bei einer Gutachterstelle ist nach Art eines Klageverfahrens ausgestaltet, jedoch freiwillig, kostenfrei, nichtöffentlich und in der Regel ohne mündliche Verhandlung. Zur Antragstellung genügen Angaben zur Person, zum Behandlungsablauf und dazu, aus welchen Gründen der Verdacht eines Behandlungsfehlers besteht. Ein Beweisantritt ist nicht erforderlich. Der Sachverhalt wird, soweit möglich, von Amts wegen geklärt. Gegen das Gutachten eines unabhängigen, qualifizierten Facharzts kann vielfach mit einem Rechtsbehelf von beiden Parteien vorgegangen werden.

 

Die endgültige Entscheidung ist für keine Seite bindend, sodass der Patient u.U. noch Klage erheben muss, wenn er mit seinem Antrag nicht durchgedrungen ist oder die Haftpflichtversicherung des Arztes das für den Patienten günstige Gutachten nicht anerkennt. In jedem Fall war die Durchführung des Verfahrens bei der Gutachterstelle für den Patienten jedoch keine nutzlose Zeitvergeudung, da er nach Verfahrensabschluss genau weiß, worauf es für eine Erfolg versprechende Klage ankommt. Die Dauer des Verfahrens bei der Gutachterstelle ist im allgemeinen wesentlich kürzer als bei Gericht. Sie hängt primär von den Verfahrensbeteiligten, vornehmlich den Gutachtern, ab.

Quelle: Ausgabe 04 / 2014 | Seite 69 | ID 42618374