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· Fachbeitrag · Mandanten fragen

Elternunterhalt: Die 9 wichtigsten Fragen zur Geschwisterhaftung

von RAin Dr. Dagny Liceni-Kierstein, RiOLG a.D., Berlin

| Mandant M fragte Sie: Ich habe einen Bruder B. Müssen wir gemeinsam oder muss ich unter Umständen alleine Elternunterhalt für meinen pflege- und unterhaltsbedürftigen Vater zahlen? |

 

  • M schilderte dazu den folgenden Sachverhalt:

Mein Vater ist in einem Pflegeheim und hat den Pflegegrad 2. Ich werde vom Sozialamt auf Elternunterhalt in Anspruch genommen. Nach den Berechnungen bin ich in der Lage, monatlich 200 EUR Elternunterhalt zu leisten. Die Leistungsfähigkeit meines Bruders hat das Sozialamt mit 600 EUR ausgerechnet. Mein Vater bezieht nur eine geringe Altersrente, sodass die ungedeckten Heimpflegekosten trotz Pflegegeldleistungen noch bei 700 EUR monatlich liegen.

 

Frage 1: Zieht das Sozialamt uns gemeinsam als Geschwister zur Zahlung von Elternunterhalt heran oder vorrangig meinen Bruder aufgrund seiner höheren Einkünfte?

 

Antwort: Geschwister sind im Verhältnis zu ihren Eltern als gleich nahe Verwandte zu beurteilen. Sie haften deshalb gem. § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB für den ungedeckten Unterhaltsbedarf der Eltern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Es besteht eine sog. horizontale Haftungsgemeinschaft.

 

PRAXISTIPP | Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein weiterer gleichrangig haftender Verwandter liegt auch im Rahmen des Elternunterhalts beim unterhaltsverpflichteten Kind, hier also bei M.

 

Frage 2: Was bedeutet eine anteilige Haftung für den Elternunterhalt?

 

Antwort: Es gilt nach der Rechtsprechung die sog. Anteilsmethode. Zunächst muss der offene Unterhaltsbedarf des hilfsbedürftigen Elternteils ausgerechnet werden. Dieser ungedeckte Elternunterhaltsbedarf, der hier mit 700 EUR monatlich anzusetzen ist, wird anschließend zu dem für den Elternunterhalt verfügbaren Einkommen aller gleichrangig unterhaltspflichtigen Personen in Relation gesetzt und anteilig verteilt.

 

Frage 3: Woran knüpft das Sozialamt bei diesen Berechnungen konkret an?

 

Antwort: Um die von jedem Geschwisterkind geschuldete Haftungsquote berechnen zu können, muss das Sozialamt zunächst die Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen feststellen, d. h. den nach Abzug von sämtlichen berücksichtigungsfähigen Belastungen und des individuellen angemessenen Selbstbehalts von dem Nettoeinkommen verbleibenden Betrag. Diese Beträge, die die maximale Leistungsfähigkeit wiedergeben, werden dann zueinander ins Verhältnis gesetzt. Hier ist die Leistungsfähigkeit des M vom Sozialamt mit einem Betrag von monatlich 200 EUR bzw. 600 EUR für B festgestellt worden.

 

MERKE | Die Leistungsfähigkeit der Geschwister muss einzeln festgestellt werden. Die Berechnung wird nach allgemeinen elternunterhaltsrechtlichen Grundsätzen durchgeführt, also so, als wäre jedes Kind nur allein zum Unterhalt verpflichtet. Hier ergeben sich die bekannten praktischen Probleme, „richtig“ sämtliche Einkünfte sowie abzugsfähigen Positionen zu ermitteln, die in die Berechnung der Leistungsfähigkeit aller unterhaltspflichtigen Kinder einzustellen sind.

 

Frage 4: Reicht die bloße Behauptung des Sozialamts zur Leistungsfähigkeit meines Bruders von monatlich 600 EUR, mit dem ich seit Jahren keinen Kontakt mehr habe, aus?

 

Antwort: In vielen Fällen verweigern die Sozialhilfeträger in der vorgerichtlichen Korrespondenz eine nachvollziehbare Dokumentation der wirtschaftlichen Verhältnisse der Geschwister. Dies geschieht unter Hinweis auf den Datenschutz. Das unterhaltspflichtige Kind sollte sich damit jedoch nicht zufrieden geben. M kann daher weitere Angaben verlangen.

 

PRAXISTIPP | Damit die Inanspruchnahme auf Elternunterhalt schlüssig ist, muss der Sozialhilfeträger Ausführungen zur Höhe der jeweiligen Unterhaltsquote machen und nachvollziehbare Berechnungen sowie Belege vorlegen. Dazu gehören insbesondere Einkommensnachweise und Steuerbescheide. Fehlt es daran, kann der Unterhaltspflichtige das Unterhaltsbegehren so lange zurückweisen, bis der Anspruch ihm gegenüber schlüssig dargelegt worden ist. Sowohl vorgerichtlich als auch für das gerichtliche Verfahren ist ein schlüssiger Unterhaltsantrag mit Haftungsquoten aller Geschwister unerlässlich.

 

Frage 5: Kann ich außer zu den Einkünften auch Angaben zu den Vermögensverhältnissen meines Bruders verlangen?

 

Antwort: Die Sozialhilfeträger beschränken sich häufig darauf, nur die Einkommensverhältnisse der Geschwister offenzulegen. Das ist jedoch nicht ausreichend. Mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut des § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB sind unter gleichrangig haftenden Geschwistern grundsätzlich auch Angaben zu den jeweiligen Vermögensverhältnissen zu machen.

 

Frage 6: Nach meinen Informationen ist mein Bruder verheiratet und lebt mit seiner Ehefrau zusammen. Muss das Sozialamt zusätzlich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse mir gegenüber offenlegen?

 

Antwort: Bei der Geschwisterhaftung sind von dem unterhaltsbedürftigen Elternteil bzw. an dessen Stelle von dem Sozialhilfeträger nicht nur Angaben zu den Einkünften des unterhaltspflichtigen Kindes zu machen, sondern auch zu den Einkommensverhältnissen seines Ehegatten. Denn über den Anteil am Familienunterhalt und den nach den individuellen Verhältnissen zu ermittelnden Familienselbstbehalt beeinflussen diese auch bei Geschwistern die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des pflichtigen Kindes.

 

PRAXISTIPP | Sehr praxisrelevant ist die Steuerklassenwahl eines mithaftenden verheirateten Kindes. Sie beeinflusst dessen Leistungsfähigkeit (positiv oder auch negativ) . Die „richtige“ Verteilung der Einkünfte auf das unterhaltspflichtige Kind und seinen Ehegatten ist für die Berechnung der Haftungsquoten unerlässlich. Aus diesem Grund hat der BGH die Wahl der ungünstigen Steuerklasse V durch den Unterhaltspflichtigen beanstandet. Das bedeutet, dass unterhaltsrechtlich gegebenenfalls die Ermittlung des unterhaltsrelevanten Einkommens des Kindes unter fiktiver Berechnung der Steuerlast beider Ehegatten ‒ wie im Fall ihrer getrennten Veranlagung ‒ vorzunehmen ist.

 

Frage 7: In welchem Umfang kann mein Bruder mit Blick auf sein deutlich höheres Einkommen auf Elternunterhalt in Anspruch genommen werden und mit welcher Zahlung muss ich rechnen?

 

Antwort: Die Leistungsfähigkeit der Brüder zusammen beläuft sich hier auf (600 EUR + 200 EUR =) 800 EUR. Sie liegt damit über den 700 EUR ungedeckter Heimpflegekosten. Setzt man die Leistungsfähigkeit von B und M ins Verhältnis zu ihrer Gesamtleistungsfähigkeit, ergibt sich, mit welchem Anteil jeder der Geschwister für den Elternunterhalt haftet. Bei B wären dies (600 : 800 x 100 =) 75 Prozent und bei M (200 : 800 x 100 =) 25 Prozent. Folglich muss B für die ungedeckten Heimkosten in Höhe von (700 EUR × 75 Prozent =) 525 EUR aufkommen, auf M entfallen (700 EUR × 25 Prozent =) 175 EUR. Im Ergebnis muss hier keiner der Brüder in der vollen Höhe seiner rechnerischen Leistungsfähigkeit Elternunterhalt zahlen, weil der ungedeckte Unterhaltsbedarf des Vaters niedriger ist als die gemeinsame Leistungsfähigkeit von B und M.

 

MERKE | Die Brüder haften für die ungedeckten Heimkosten ihres Vaters nicht gesamtschuldnerisch gem. § 421 BGB, sondern nur anteilig. Das bedeutet, dass jeder von ihnen nur den Teil des Gesamtunterhalts (700 EUR) schuldet, der sich nach seinen individuellen Einkommens- und Vermögensverhältnissen bestimmt. Der Sozialhilfeträger kann es sich also auch nicht einfach machen und M in voller Höhe seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit ‒ also mit 200 EUR anstelle seiner Haftungsquote von 175 EUR ‒ in Anspruch nehmen, wenn sich Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Unterhaltsforderung gegenüber B ergeben.

 

Frage 8: Wie ist zu rechnen, wenn der Bedarf meines pflegebedürftigen Vaters im Zuge eines höheren Pflegegrades steigt und die ungedeckten Heimpflegekosten für ihn sich dann beispielsweise auf monatlich 1.000 EUR belaufen?

 

Antwort: In diesem Fall liegt die Gesamtleistungsfähigkeit der Geschwister mit 800 EUR unter den ungedeckten Heimpflegekosten. Jeder der Brüder hat dann für den Elternunterhalt genau mit dem Betrag aufzukommen, der seiner Leistungsfähigkeit entspricht. M muss daher die vollen 200 EUR zahlen, zu denen er nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen in der Lage ist. Auf B entfallen die vollen 600 EUR. Die restlichen 200 EUR sind nicht erstattungsfähig. An den beschriebenen, relativ einfachen Berechnungsschritten ändert sich auch nichts, wenn mehr als zwei Geschwister vorhanden sind.

 

Frage 9: Kann ich von B im Zuge der Elternunterhaltsberechnung auch direkt Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie diejenigen seiner Ehefrau verlangen?

 

Antwort: Geschwister sind untereinander zur Auskunftserteilung über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet. Diese folgt aus § 242 BGB als Folge der schuldrechtlichen Verbindung der Geschwister im Rahmen des Elternunterhaltsverhältnisses. Die Auskunftspflicht trifft laut BGH allerdings nur die Geschwister selbst und nicht deren Ehegatten. Auch wenn die anteilige Haftung von Geschwistern auf Elternunterhalt erst beurteilt werden kann, wenn zusätzlich die hierfür maßgeblichen Verhältnisse der jeweiligen Ehegatten bekannt sind, lässt sich allein daraus kein Rechtsverhältnis herleiten, das es rechtfertigen würde, dem unterhaltspflichtigen Kind einen direkten Auskunftsanspruch gegen die Ehegatten seiner Geschwister zuzubilligen. Allein die Notwendigkeit einer Kenntniserlangung reicht dafür nicht aus.

 

PRAXISTIPP | Sofern B verheiratet ist und seine Ehefrau gegenüber M keine Auskünfte erteilt, könnte M vom Sozialamt die Übermittlung der entsprechenden einkommensbezogenen Daten verlangen. Hierauf ist er auch angewiesen, um die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit seines verheirateten Bruders überprüfen zu können. Nur so hätte M anschließend die Chance, die eigene richtige Haftungsquote zu bestimmen. Dem Träger der Sozialhilfe steht auch selbst ein durchsetzbarer sozialhilferechtlicher Auskunftsanspruch aus § 117 SGB XII gegen den vom unterhaltspflichtigen Kind nicht getrennt lebenden Ehegatten zu.

 

Kinder, von denen der Sozialhilfeträger nach erteilter Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse keine Zahlung von Elternunterhalt verlangt, haben keinen Anspruch auf Übermittlung der Sozialdaten ihrer Geschwister. Eine solche Übermittlung würde dann nämlich nicht „zur Berechnung der anteiligen Haftung“§ 1606 Abs. 3 S. 1 BGB beim Elternunterhalt erfolgen.

 

FAZIT | Die Berechnung der Haftungsquote von Geschwistern lässt sich abschließend wie folgt zusammenfassen:

 

1. Schritt: Die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit der einzelnen Geschwister (als Haftungsgenossen) ist nach den elternunterhaltsrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen.

 

2. Schritt: Sofern die Leistungsfähigkeit der Geschwister den unterhaltsrechtlichen Bedarf des Elternteils übersteigt, lässt sich der Haftungsanteil jedes unterhaltspflichtigen Kindes vereinfachend nach der folgenden Formel bestimmen:

 

Ungedeckter Unterhaltsbedarf x

Leistungsfähigkeit des Geschwisterkindes

Leistungsfähigkeit aller Geschwister

 

 
Quelle: Ausgabe 02 / 2019 | Seite 29 | ID 45688779