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· Fachbeitrag · Mandanten fragen

Die neue Grundsteuer ‒ ein Überblick

von StB Christoph Wenhardt, Brühl

| Der behinderte Senior S stellt an Sie als Rechtsanwalt ‒ Bezug nehmend auf die Grundsteuer und deren Bewertung ‒ die folgenden Fragen. In diesem weiteren Beitrag zur neuen Grundsteuer geht es um die Bewertung von bebauten Grundstücken im Ertragswertverfahren. |

 

Frage: Welche Bewertungsverfahren sind für die Bewertung bei der Grundsteuer vorgesehen?

 

Antwort: Für die Bewertung bei der Grundsteuer gibt es zwei ‒ typisierte ‒ Bewertungsverfahren:

 

  • a) Das Ertragswertverfahren
  • b) Das Sachwertverfahren

 

Dabei kann das anzuwendende Bewertungsverfahren nicht frei gewählt werden. Vielmehr hängt es davon ab, welche Grundstücksart vorliegt.

 

Frage: Welche Grundstücksarten werden unterschieden?

 

Antwort: Bei den bebauten Grundstücken gibt es die folgenden Grundstücksarten:

 

Übersicht / 

Grundstücksart
Bewertungsverfahren
  • Einfamilienhäuser

Ertragswertverfahren

  • Zweifamilienhäuser

Ertragswertverfahren

  • Mietwohngrundstücke

Ertragswertverfahren

  • Wohnungseigentum

Ertragswertverfahren

  • Teileigentum

Sachwertverfahren

  • Geschäftsgrundstücke

Sachwertverfahren

  • Gemischt genutzte Grundstücke

Sachwertverfahren

  • Sonstige bebaute Grundstücke

Sachwertverfahren

 

Eine Übersicht über die Grundstücksarten und deren Abgrenzung enthalten die gleichlautenden Ländererlasse vom 9.11.21 in A 249.1.

 

Frage: Wie sieht das Ertragswertverfahren aus?

 

Antwort: Das folgende Schema zeigt, wie sich der Grundsteuerwert beim Ertragswertverfahren ermittelt:

 

  • Schema
  • Rohertrag des Grundstücks
  • ‒ Bewirtschaftungskosten
  • = Reinertrag des Grundstücks
  • × Vervielfältiger
  • = Kapitalisierter Reinertrag (Barwert des Reinertrags)
 

Beachten Sie | Der Grundsteuerwert ergibt sich dann aus der Addition des kapitalisierten Reinertrags und des abgezinsten Bodenwerts. Hierbei ist der Grundsteuerwert noch auf volle 100 EUR abzurunden.

 

Frage: Wie ermitteln sich der Rohertrag, die Bewirtschaftungskosten, der Liegenschaftszinssatz und der Vervielfältiger?

 

Antwort: Im Einzelnen gilt:

 

  • Rohertrag: Der Rohertrag stellt im Ertragswertverfahren den Ausgangspunkt dar. Hierbei ergibt sich der jährliche Rohertrag des Grundstücks aus typisierten monatlichen Nettokaltmieten. Die Höhe der monatlichen Nettokaltmieten pro Quadratmeter ist der Anlage 39 zum Bewertungsgesetz zu entnehmen.

 

  • Beachten Sie | Es ist nicht möglich, die tatsächlichen Mieteinnahmen oder die übliche Miete heranzuziehen.

 

  • Die Nettokaltmieten werden je Bundesland für die drei Grundstücksarten Einfamilienhaus, Zweifamilienhaus und Mietwohngrundstück jeweils in drei Wohnflächengruppen sowie fünf Baujahrgruppen unterteilt. Sind auch Garagen- und Tiefgaragenstellplätze vorhanden, dann wird eine Nettokaltmiete als Festwert zugrunde gelegt. Diese beträgt 35 EUR pro Monat. Dagegen erfolgt für sonstige Außenstellplätze kein gesonderter Ansatz.

 

  • Bewirtschaftungskosten: Bewirtschaftungskosten sind die bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung und zulässiger Nutzung marktüblich entstehenden jährlichen Verwaltungskosten, Betriebskosten, Instandhaltungskosten und das Mietausfallwagnis, die nicht durch Umlagen oder sonstige Kostenübernahmen gedeckt sind (§ 255 BewG). Hierbei ergeben sich die Bewirtschaftungskosten aus den pauschalierten Erfahrungssätzen nach Anlage 40 zum Bewertungsgesetz.

 

  • Liegenschaftszinssatz: Liegenschaftszinssätze sind die Zinssätze, mit denen der Wert von Grundstücken abhängig von der Grundstücksart durchschnittlich und marktüblich verzinst wird (§ 256 BewG). Bei der Ermittlung des Grundsteuerwerts gelten in § 256 BewG gesetzlich festgelegte Zinssätze.

 

  • Beachten Sie | Nicht angesetzt werden dürfen die von örtlichen Gutachterausschüssen ermittelten und veröffentlichten Liegenschaftszinssätze.

 

  • Vervielfältiger: Der Reinertrag des Grundstücks ist ‒ wie aus dem Schema oben zu ersehen ist ‒ mit dem sich aus Anlage 37 ergebenden Vervielfältiger zu kapitalisieren. Hierbei sind maßgebend der Liegenschaftszinssatz und die Restnutzungsdauer des Gebäudes.

 

Frage: Wie ermittelt sich der abgezinste Bodenwert?

 

Antwort: Wie das obige Schema zeigt, wird zur Ermittlung des Grundsteuerwerts auch der abgezinste Bodenwert benötigt. Zur Ermittlung des abgezinsten Bodenwerts ist vom Bodenwert auszugehen. Dieser errechnet sich regelmäßig durch Multiplikation der Grundstücksfläche mit dem jeweiligen Bodenrichtwert. Anschließend ist der Bodenwert abzuzinsen. Der jeweilige Abzinsungsfaktor kann der Anlage 41 zum BewG entnommen werden. Der anzuwendende Abzinsungsfaktor hängt hierbei vom Liegenschaftszinssatz und der Restnutzungsdauer des Gebäudes ab.

 

  • Beispiel (angelehnt an Beispiel in gleichlautenden Ländererlassen vom 9.11.21 in A 257.1)

Senior S ist Eigentümer eines Einfamilienhauses. Dessen Grundstücksfläche beträgt 500 qm. Das Gebäude wurde 1992 bezugsfertig (Baujahr).

 

Lösung

Zum Hauptfeststellungszeitpunkt (1.1.22) beträgt das Alter des Gebäudes somit 30 Jahre (2022 bis 1992). Die Restnutzungsdauer des Gebäudes ergibt sich aus der Differenz zwischen der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer (vgl. Anlage 38 zum Bewertungsgesetz) und dem Alter des Gebäudes im Hauptfeststellungszeitpunkt: 80 Jahre ‒ 30 Jahre = 50 Jahre.

 

Der Liegenschaftszinssatz für das Einfamilienhaus beträgt (zu entnehmen § 256 BewG): 2,5 Prozent. Aus der Restnutzungsdauer von 50 Jahren und dem Liegenschaftszinssatz von 2,5 Prozent ergibt sich ‒ zu entnehmen der Anlage 41 zum Bewertungsgesetz ‒ ein Abzinsungsfaktor von 0,2909.

 

Damit errechnet sich folgender abgezinster Bodenwert: Bodenrichtwert 105 EUR/qm × Grundstücksfläche 500 qm × Abzinsungsfaktor 0,2909 = abgezinster Bodenwert von 15.272 EUR.

 

Frage: Wie ermittelt sich die Restnutzungsdauer?

 

Antwort: Die Restnutzungsdauer ermittelt sich grundsätzlich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer und dem Alter des Gebäudes im Hauptfeststellungszeitpunkt. Die Finanzverwaltung lässt hierbei ‒ aus Vereinfachungsgründen ‒ zu, das Alter des Gebäudes durch Abzug des Jahres der Bezugsfertigkeit des Gebäudes (Baujahr) vom Jahr des Hauptfeststellungszeitpunkts zu bestimmen. Die Gesamtnutzungsdauer kann hingegen der Anlage 38 zum BewG entnommen werden.

 

  • Beispiel

Der Senior S ist Eigentümer eines Einfamilienhauses. Das Jahr der Bezugsfertigkeit ist 1989.

 

Lösung

Die wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer für ein Einfamilienhaus beträgt 80 Jahre. Das Alter des Gebäudes ist im Hauptfeststellungszeitpunkt 33 Jahre. Damit ergibt sich eine Restnutzungsdauer von 47 Jahren.

 

Beachten Sie | Zu beachten ist jedoch, dass die Restnutzungsdauer mindestens 30 Prozent der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer betragen muss. Bei den Wohngrundstücken beträgt die Mindest-Restnutzungsdauer daher einheitlich 24 Jahre.

 

Frage: Wann liegt eine wesentliche Verlängerung der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer vor?

 

Antwort: Von einer wesentlichen Verlängerung der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer ist nur bei einer Kernsanierung auszugehen.

 

PRAXISTIPP | Eine Kernsanierung liegt vor, wenn nicht nur der Ausbau (u. a. Heizung, Fenster und Sanitäreinrichtungen) umfassend modernisiert, sondern auch der Rohbau jedenfalls teilweise erneuert worden ist. Folge einer Verlängerung der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer ist, dass von einer der Verlängerung entsprechenden Restnutzungsdauer auszugehen ist.

 

Frage: Kann es auch zu einer Verkürzung der Restnutzungsdauer kommen?

 

Antwort: Eine Verkürzung der Restnutzungsdauer kommt nur bei bestehender Abbruchverpflichtung für das Gebäude in Betracht.

 

Beachten Sie | Beispielsweise Baumängel oder Bauschäden führen nicht zu einer Verkürzung der Restnutzungsdauer bei der Ermittlung des Grundsteuerwerts.

 

Frage: Gibt es auch einen Mindestwert zu beachten?

 

Antwort: Der für ein bebautes Grundstück anzusetzende Wert darf aber nicht geringer sein als 75 Prozent des Werts, mit dem der Grund und Boden allein als unbebautes Grundstück zu bewerten wäre. Mit dem Abschlag von 25 Prozent vom Wert des unbebauten Grundstücks wird vom Gesetzgeber bezweckt, die üblichen Freilegungskosten (z. B. Abrisskosten) typisierend zu berücksichtigen.

 

Beachten Sie | Es wird nicht zugelassen, die tatsächlich angefallenen Freilegungskosten anzusetzen.

 

  • Beispiel

Senior S ist Eigentümer eines Einfamilienhauses. Für dieses ergibt sich nach dem Ertragswertverfahren ein Wert von 115.000 EUR. Dagegen beträgt der Wert als ein unbebautes Grundstück 166.000 EUR.

 

Lösung

Der Wert des bebauten Grundstücks ‒ 115.000 EUR ‒ ist geringer als 124.500 EUR (75 Prozent von 166.000 EUR für ein unbebautes Grundstück = 124.500 EUR).

 

Dies hat zur Folge, dass mindestens 75 Prozent des Werts des unbebauten Grundstücks anzusetzen ist, d. h. 124.500 EUR.

 

 

Quelle: Ausgabe 06 / 2022 | Seite 104 | ID 48307780