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· Fachbeitrag · Erwerbsminderungsrente

Rückwirkende Rentennachzahlung: Kein Weg führt an Vier-Jahres-Frist vorbei

| Darf ein Gericht in Härtefällen von der Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X abweichen? Bevollmächtigte denken oft: Ja, wenn der Versicherungsträger an einer falschen Rentenberechnung schuld ist. Das BayLSG widerspricht: Die Frist gilt auch dann. Anwälte sollten wissen: Es gibt keine Ausnahmen, wenn Sozialleistungen nachgezahlt werden. |

 

Sachverhalt

Die 60-jährige Klägerin erhielt seit dem 1.10.04 eine Erwerbsminderungsrente. Berücksichtigt waren dabei Zeiten ihrer Ausbildung als Textilfachverkäuferin vom 1.9.74 bis 30.9.76. Mit Schreiben vom 27.12.16 beantragte sie nun, dass auch ihre Ausbildungszeiten in der ehemaligen DDR für den Zeitraum September 1973 bis Februar 1976 berücksichtigt werden und reichte einen Vertrag ein, der die entsprechende Lehrzeit auswies. Die Beklagte korrigierte daraufhin die Rente und berechnete diese gem. § 44 SGB X neu. Sie stellte nun für die Zeit vom 1.9.73 bis 29.2.76 sowie vom 1.3.76 bis 31.12.76 Pflichtbeitragszeit/berufliche Ausbildung fest. Für den Zeitraum vom 1.1.12 bis 31.12.16 erhielt die Klägerin eine Nachzahlung in Höhe von 1.109,64 EUR.

 

Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Widerspruch ein und verlangte eine Nachzahlung bereits ab Beginn ihrer Rente (= 1.10.04). Ihr Widerspruch blieb erfolglos und auch ihre anschließende Klage wurde zurückgewiesen. Zu Recht, wie das LSG Bayern entschied (31.1.18, L 6 R 490/17, Abruf-Nr. 200255).

 

 

Entscheidungsgründe

Die Beklagte habe korrekt die Nachzahlung für die Erwerbsminderungsrente ab dem 1.1.12 erbracht. Die Klägerin hatte am 27.12.16 beantragt, weitere Ausbildungszeiten anzuerkennen. Daher war gem. § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X der Rückzahlungszeitraum vier Jahre rückwärts bis zum 1.1.12 zu berechnen. Es wird vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 1 S. 2 SGB X). Wird der Bescheid auf Antrag zurückgenommen (wie hier), wird rückwärts zum 1.1. des Jahres gerechnet, in dem der Antrag gestellt wurde (= 1.1.16). § 44 SGB X gleiche dabei zwei widerstreitende Prinzipien aus:

 

  • Einerseits werde der materiellen Gerechtigkeit zur Geltung verholfen. Die Betroffenen sollen so gestellt werden, als hätte die Behörde von vornherein richtig entschieden.

 

  • Andererseits wird die Bestandskraft behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen berücksichtigt, indem hohe tatbestandliche Anforderungen normiert und die leistungsrechtlichen Folgen einer Durchbrechung begrenzt werden.

 

Da die Vier-Jahres-Frist eine Ausschlussfrist ist (vgl. Grafik), spielt es keine Rolle, ob und wenn ja welches Verschulden den Versicherungsträger an dem falschen Bescheid trifft. Das gilt auch, wenn er einen vorhandenen Berechnungsfehler nicht korrigiert. Bereits deshalb ist der Vorwurf der Klägerin unerheblich, dass sich die Beklagte bei der Rentenversicherung der ehemaligen DDR über ihre Versicherungszeiten hätte erkundigen müssen.

 

Relevanz für die Praxis

Eindeutige Berechnungs- oder sonstige Bearbeitungsfehler, die der jeweilige Sozialversicherungsträger zu verantworten hat, ändern nichts daran: Die Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X ist schlicht zwingend. Gegen ihre Anwendung kann weder der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung noch ein Verstoß gegen Treu und Glauben geltend gemacht werden (BSG 23.7.86, 1 RA 31/85; 26.5.87, 4a RJ 49/86).

 

Ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X ist kostenlos und kann jederzeit gestellt werden. Liegen Gründe vor, dass Ihr Mandant rückwirkenden Anspruch auf Sozialleistungen hat ‒ bei älteren Mandanten wird es hier meist um Rentenansprüche gehen ‒, sollte dieser Antrag rasch gestellt werden. Vor allem, wenn ein Jahreswechsel bevorsteht (Nachzahlungszeitraum beginnt am 1.1. des Jahres, in dem Antrag gestellt wird). Wird der Antrag erst im Januar des Folgejahres oder später gestellt, wird ggf. ein ganzes „Nachzahlungsjahr“ verschenkt, wenn die Rente tatsächlich höher berechnet und daher auch nachgezahlt wird.

 

Weiterführende Hinweise

  • BU-Versicherung: Auch nicht nachgefragte Grunderkrankungen sind anzugeben, SR 17, 4
  • Viel Neues bei der Erwerbsminderungsrente, SR 17, 141
Quelle: Ausgabe 04 / 2018 | Seite 58 | ID 45171722