05.10.2012
Finanzgericht München: Urteil vom 24.05.2012 – 14 K 3415/10
1. Für die Leistungen einer Heilpraktikerin, die im Auftrag u. a. von Landratsämtern als Familientherapeutin für verschiedene  Jugendämter im Wesentlichen organische, neurotische und symptomatische Störungen sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen  behandelt und im Rahmen der Eingliederungshilfe gem. den Vorschriften der §§ 27, 35 a SGB VIII (Fassung des Jahres 2008) direkt  mit den jeweiligen Landrats- und Kreisjugendämtern abrechnet, kann die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystR  (Richtlinie 2006/112/EG) in Anspruch genommen werden.  
2. Für die Inanspruchnahme der – im UStG bisher nicht vollständig umgesetzten – Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst.  g MwStSystRL genügt es, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar zum einen, dass es sich um Leistungen handelt, die  mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind, und zum anderen, dass diese Leistungen von Einrichtungen des  öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen  sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden.  
3. Im Streitfall kommt es somit nicht darauf an, ob sich die Klägerin auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG berufen  kann.
IM NAMEN DES VOLKES  
Urteil
 In der Streitsache  
 hat der 14. Senat des Finanzgerichts München durch … auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 24. Mai 2012 für Recht erkannt:  
 1. Der Umsatzsteuerbescheid vom 10. Dezember 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2010 wird aufgehoben.  
 2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.  
 3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in  Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit  in derselben Höhe leistet.  
Gründe
I.
Streitig ist, ob die Klägerin mit ihrer Tätigkeit als Familientherapeutin steuerfreie Umsätze erzielt.
Die Klägerin ist ausgebildete Familien- und Gestalttherapeutin und als solche befähigt, phasische Paar-, Familien- und Einzeltherapie  selbständig durchzuführen. Mit Bescheid vom 23. Juni 1999 wurde ihr vom Landratsamt M die Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung  der Heilkunde ohne Bestallung ausschließlich auf dem Gebiet der Psychotherapie erteilt.  
Im Streitjahr war die Klägerin ausschließlich als Familientherapeutin für verschiedene Jugendämter beschäftigt und behandelt  im Wesentlichen organische, neurotische und symptomatische Störungen sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Die Beauftragung  erfolgte durch Landratsämter und Sozialbürgerhäuser, insbesondere wurde sie im Streitjahr für das Landratsamt E tätig. Die  erbrachten Leistungen rechnete die Klägerin direkt mit den jeweiligen Landrats- und Kreisjugendämtern ab. Die Jugendämter  erstatteten die Kosten auf Anträge der Eltern gemäß den Vorschriften der §§ 27, 35 a des Sozialgesetzbuchs Achtes Buch in  der für das Streitjahr maßgebenden Fassung (SGB VIII).  
Für das Streitjahr 2008 hatte die Klägerin keine Umsatzsteuererklärung abgegeben. Das Finanzamt (FA) schätzte daraufhin die  Besteuerungsgrundlagen unter Berücksichtigung der in der Einkommensteuer erklärten Einnahmen, da es davon ausging, dass die  von der Klägerin erbrachten Leistungen nicht steuerfrei seien. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2009 wurde die Umsatzsteuer auf  5.792,98 EUR festgesetzt.  
Im dagegen gerichteten Einspruchsverfahren trug die Klägerin vor, dass sie eine heilberufliche Tätigkeit im Sinne es § 4 Nr.  14 des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr gültigen Fassung (UStG) ausübe. Im Übrigen könne sie sich auf die Steuerbefreiung  nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 ABl EG Nr. L 347/1 vom 11. Dezember  2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRl) berufen.  
Der Einspruch hatte nur teilweise Erfolg. Mit Entscheidung vom 13. Oktober 2010 erhöhte das FA die abzugsfähigen Vorsteuern  auf 800 EUR und setzte die Umsatzsteuer auf 5.192,98 EUR herab. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.  
Mit ihrer hiergegen eingelegten Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter. Bei der Familientherapie handele es sich um einen  psychotherapeutischen Behandlungsweg mit dem Ziel, Interaktionen zwischen einem Paar, in einer Kernfamilie, in einer erweiterten  Familie oder zwischen einer Familie und anderen interpersonellen Systemen dahingehend zu verändern, dass bestehende Probleme  einzelner Familienmitglieder, Probleme von Familiensubsystemen oder der Gesamtfamilie geheilt oder gelindert werden. Sie erbringe  somit die Leistungen einer Heilpraktikerin für Psychotherapie. Auch das Finanzgericht Köln habe mit Urteil vom 19. Januar  2006 festgestellt, dass diese Umsätze als steuerfrei einzustufen seien. Ihre Rechtsauffassung werde zudem vom Schreiben des  Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 26. Juni 2009 zur Neufassung des § 4 Nr. 14 UStG unterstützt, da es ausdrücklich  erläutere, dass nicht entscheidend sei, für wen die Leistung erbracht werde. Sie erbringe eine Heilbehandlung im Bereich der  Humanmedizin und besitze die hierfür erforderlichen Befähigungen. Ihrer Tätigkeit lägen insbesondere Krankheiten wie Depressionen,  Essstörungen, suizidale Probleme, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Traumata-Behandlungen infolge sexueller, psychischer oder  körperlicher Gewalt, Aufmerksamkeits- und hyperaktives Syndrom (ADHS) und Münchhausen-by-proxy-Syndrom zugrunde. Keinesfalls  erbringe sie eine lediglich beratende Tätigkeit im Bereich der Erziehungs- und Familienberatung. Für diese Hilfen seien in  den Jugendämtern sozialpädagogische Fachkräfte tätig.  
Zu Unrecht begründe das FA seine Auffassung mit zwei Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH). So könne aus dem Urteil vom 30.  Januar 2008 nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine Heilbehandlung ausschließlich bei ärztlicher Verordnung vorliege.  Im ebenfalls zitierten Urteil vom 18. August 2005 sei die Steuerfreiheit für Umsätze im Zusammenhang mit der Behandlung von  Legasthenie verneint worden. Da es sich insoweit jedoch nicht um eine Krankheit handle, könnten die Grundsätze dieser Rechtsprechung  ebenfalls nicht auf den Streitfall übertragen werden.  
Sämtliche von ihr behandelten Krankheitsbilder seien im Sinne des ICD 10 (internationale Klassifikation der Krankheiten) erfasst.  Das therapeutische Ziel stehe im Vordergrund. Sofern sich im Rahmen einer erfolgreichen Therapie auch positive Auswirkungen  beispielsweise auf die Rückführung von Kindern in Familien ergäben, sei dies ein positiver Nebenaspekt, der bei jeder Heilbehandlung  eintreten könne.  
Die Klägerin beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid vom 10. Dezember 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2010 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend zur Einspruchsentscheidung trägt es vor, dass die Steuerbefreiung im Wesentlichen voraussetze, dass ärztliche oder  arztähnliche Leistungen von Personen erbracht werden, die die erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweise besitzen. Die  ausschlaggebenden Gründe für eine Beauftragung der Klägerin seien nicht die Erkrankungen der Kinder und Jugendlichen, sondern  vielmehr Eskalationen in der Familie. Darüber hinaus erfolge die Beauftragung der Klägerin nicht in Zusammenarbeit mit Ärzten  und Kliniken.  
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im  Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.  
II.
Die Klage ist begründet, da die Klägerin mit ihrer Tätigkeit steuerfreie Umsätze ausführt.
Im Streitfall kommt es nicht darauf an, ob sich die Klägerin auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG berufen kann.
Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sind die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast),  Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes und aus  der Tätigkeit als klinischer Chemiker steuerfrei.  
Die vorgenannte Steuerbefreiung setzt bei richtlinienkonformer Auslegung voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung  im Bereich der Humanmedizin erbringt und dass er dafür die erforderlichen Befähigungsnachweise besitzt (vgl. zusammenfassend  unter Hinweis auch auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union – EuGH – die BFH-Urteile vom 18. August  2005 V R 71/03, BFH/NV 2006, 213 und vom 7. Juli 2005 V R 23/04, BStBl II 2005, 904).  
Die Beschränkung der Steuerbefreiung in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG auf Leistungen, die die menschliche Gesundheit betreffen, entspricht  Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften  unter den Bedingungen, die sie zur Gewährung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur  Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, „die Heilbehandlungen im Bereich  der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen oder arztähnlichen  Berufe erbracht” werden, von der Steuer. Dabei werden Leistungen umfasst, die außerhalb eines Krankenhauses im Rahmen einer  auf Vertrauen gegründeten Beziehung zwischen Patient und Behandelnden erbracht werden, wobei diese Beziehung normalerweise  in dessen Praxisräumen zum Tragen kommt (EuGHUrteil vom 23. Februar 1988 Rs. 353/85 – Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg.  1988, 831, Steuerrechtsprechung in Karteiform –StRK–, Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der  Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG, Art. 13, Rechtsspruch 9, Rdnr. 33).  
In ständiger Rechtsprechung weist der EuGH darauf hin (z.B. EuGH-Urteil vom 11. August 1995 Rs. C-453/93 – Bulthuis Griffioen,  Slg. 1995, I-2341, Umsatzsteuer-Rundschau –UR–1995, 477), dass die in Art. 132 MwStSystRL enthaltenen Begriffe, mit denen  die Steuerbefreiungen umschrieben werden, eng auszulegen sind. Dies rechtfertigt es, nicht sämtliche, sondern nur die Leistungen  durch heilberufliche Tätigkeit zu befreien, die (ihrer Art nach) von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden. Andere  berufliche Leistungen sind nicht nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei, selbst wenn für sie eine bestimmte  heil- oder heilhilfsberufliche Ausbildung vorausgesetzt wird, sofern sie sich nicht als heilberufliche Tätigkeiten beurteilen  lassen.  
Heilbehandlungen i.S. des Art. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL sind Tätigkeiten, die zum Zweck der Vorbeugung, Diagnose,  der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen werden.  Die befreiten Leistungen müssen der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen  (BFH-Urteile vom 1. Februar 2007 V R 34/05 BFH/NV 2007, 1201 und vom 18. August 2005 V R 71/03, BStBl II 2006, 143). Nach  § 1 Abs. 2 des Heilpraktikergesetzes, unter dessen Anwendungsbereich die Klägerin als Heilpraktikerin fällt, setzt die heilberufliche  Tätigkeit eine Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder sonstigen Körperschäden beim  Menschen voraus (vgl. § 1 Abs. 2 des Heilpraktikergesetzes).  
Bei den von der Klägerin therapierten psychischen Störungen handelt es sich jedoch nicht um eine Heilbehandlung in diesem  Sinne. Insbesondere gehört es nicht zu ihren Aufgaben, Krankheiten bei bestimmten Menschen zu diagnostizieren und zu behandeln.  So weist die Klägerin in ihrem dem Landratsämtern gegenüber vorgelegtem Konzept ausdrücklich darauf hin, dass sie die von  ihr angebotene aufsuchende Familientherapie nicht für indiziert hält, wenn die Hauptbezugsperson in den Familien alkohol-  oder drogenkrank, akut oder chronisch psychisch erkrankt und nicht behandlungsbereit ist. Eine Heilung oder Linderung von  Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit wird insoweit vielmehr ausgenommen. So erbringt die Klägerin entsprechend des von ihr  vorgelegten Konzepts Hilfeleistungen gegenüber Familien in einer sozialen Notlage. Auch wenn dabei bestehende Probleme einzelner  Familienmitglieder, Probleme von Familiensubsystemen oder der Gesamtfamilie therapiert werden, liegen insoweit keine Heilbehandlungen  im Sinne des Gesetzes vor.  
Auf andere Steuerbefreiungen nach nationalem Recht, insbesondere auf § 4 Nr. 25 UStG, kann sich die Klägerin nicht berufen.  Nach dieser Vorschrift sind Leistungen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII und die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII steuerfrei,  wenn diese Leistungen von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe oder anderen Einrichtungen mit sozialem Charakter erbracht  werden. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall jedoch nicht vor, weil das Unternehmen der Klägerin weder ein Träger der  öffentlichen Jugendhilfe noch eine Einrichtung mit sozialem Charakter im Sinne dieser Befreiungsvorschrift ist (vgl. BFH-Urteil  vom 18. August 2005 V R 71/03 a.a.O.). Das Schreiben des Jugendamtes vom 06.04.2011 ist nicht für das Streitjahr 2008 maßgeblich.  
Die Klägerin kann sich für die Steuerbefreiung ihrer Leistungen jedoch unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRl  berufen.  
Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedsstaaten die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit  verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen  des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte  Einrichtungen bewirkt werden, von der Umsatzsteuer.  
Das UStG hat diese Richtlinienbestimmung bisher nicht vollständig umgesetzt (vgl. unter anderem BFH-Urteil vom 18. August  2005 V R 71/03, BStBl II 2006, 143).  
Ein Einzelner kann sich in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich  als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen  (vgl. ständige Rechtsprechung des EuGH, z.B. EuGH-Urteil Kügler in Slg. 2002, I-6833, UR 2002, 513 RandNr. 51). Er kann sich  auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit sie so geartet sind, dass sie Rechte festlegen, die der Einzelne dem Staat gegenüber  geltend machen kann. Ein Mitgliedstaat kann einem Steuerpflichtigen, der beweisen kann, dass er steuer-rechtlich unter einen  Befreiungstatbestand der Richtlinie fällt, nicht entgegenhalten, dass er die Vorschriften, die die Anwendung eben dieser Steuerbefreiung  erleichtern sollen, nicht erlassen hat (EuGH in Slg. 2002, I-6833, UR 2002, 513 Randnr. 52).  
Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL zählt die Tätigkeiten, die steuerfrei sind, hinreichend genau und unbedingt auf (EuGH  in Slg. 2002, I-6833, UR 2002, 513 Randnr. 53). Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH stellen die in Art. 132 MwStSystRL  vorgesehenen Steuerbefreiungen eigenständige Begriffe des Gemeinschaftsrechts dar und erfordern daher eine gemeinschaftsrechtliche  Definition (zuletzt Urteil vom 26. Mai 2005 Rs. C-498/03, Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd., UR 2005, 486 RandNr.  22, m.w.N.). Dies gilt auch für die spezifischen Bedingungen, von denen die Gewährung dieser Befreiungen abhängig gemacht  werden, und insbesondere für diejenigen, die die Eigenschaft oder die Identität des Wirtschaftsteilnehmers betreffen, der  die von der Befreiung erfassten Leistungen erbringt (EuGH-Urteil in UR 2005, 486 Randnr. 23; EuGH-Urteil vom 11. August 1995  Rs. C-453/93, Bulthuis-Griffioen, Slg. 1995, I-2341 Randnr. 18).  
Für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL genügt es, dass zwei Voraussetzungen  erfüllt sind, und zwar zum einen, dass es sich um Leistungen handelt, die mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden  sind, und zum anderen, dass diese Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die von  dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden  (EuGH-Urteil in UR 2005, 486 Randnr. 34).  
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt, da die Klägerin auf der Grundlage von § 35 a SGB VIII und nach Maßgabe entsprechender  Leistungsvereinbarungen mit den örtlichen Leistungsträgern, insbesondere dem Sozialamt des Landkreises Ebersberg, tätig geworden  ist.  
Nach § 35 a SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn 1. ihre seelische Gesundheit mit  hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und 2. daher ihre  Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Von einer seelischen  Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am  Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Nach Absatz 3 dieser Regelung  richten sich Aufgabe und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Maßnahmen u.a. nach § 53 Abs.  3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung (SGB XII), soweit diese auf seelisch behinderte  oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden. Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so  sollen nach § 35 a Abs. 4 SGB VIII Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl  die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken.  
Die Klägerin hat die genannten Maßnahmen der Eingliederungshilfe erbracht. Sie wendet die von ihr angebotenen Therapien in  Form einer ambulanten Erziehungshilfe gegenüber Kinder und Jugendliche an, deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt  ist und die von einer seelischen Behinderung bedroht sind. Unstreitig bestehen in den von der Klägerin aufgesuchten Familien  massive Probleme und schwerwiegende organische, neurotische und symptomatische Störungen sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen.  Da ihre therapeutische Tätigkeit der sozialen Eingliederung und damit der sozialen Hilfe seelisch behinderter oder von Behinderung  bedrohter Kinder und Jugendlicher dient, erfüllen die die Leistungen der Klägerin als Bestandteil der staatlichen Sozialfürsorge  die Voraussetzungen für eine Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL genannten Leistungen.  
Damit hat die Klägerin Leistungen erbracht, deren Art und Umfang im Sozialgesetzbuch beschrieben werden. Nach § 1 Abs. 1 SGB  I (Allgemeiner Teil) soll das Recht des Sozialgesetzbuches zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit  Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfe gestalten. Leistungen wie die von der Klägerin im Rahmen  der Eingliederungshilfe gegenüber dem Jugendamt erbrachten Leistungen sind danach eng mit der sozialen Fürsorge verbunden.  
Der Begriff „Einrichtung” ist grundsätzlich weit genug, um auch private Einheiten mit Gewin-nerzielungsabsicht zu erfassen  (EuGH-Urteil in UR 2005, 486 Randnr. 35; vgl. auch EuGHUrteil vom 7. September 1999 Rs. C-216/97, Gregg, Slg. 1999, I-4947  Randnr. 17). Hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiungen nicht ausdrücklich vom Fehlen  eines Gewinnstrebens abhängig gemacht, kann das Streben nach Gewinnerzielung die Inanspruchnahme dieser Befreiungen nicht  ausschließen (EuGH-Urteil in UR 2005, 486 Randnrn. 40 und 43).  
Allerdings räumt Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL den Mitgliedsstaaten ein Ermessen in der Frage ein, ob sie bestimmten  Einrichtungen sozialen Charakter zuerkennen. Der Einzelne kann die Eigenschaft einer Einrichtung mit sozialem Charakter nicht  schon dadurch erlangen, dass er sich auf diese Bestimmung beruft. Vielmehr ist es Sache der nationalen Behörden, nach dem  Gemeinschaftsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte, insbesondere unter Berücksichtigung der Praxis der zuständigen  Verwaltung in ähnlichen Fällen zu bestimmen, welche Einrichtungen als Einrichtungen mit sozialem Charakter i.S. von 132 Abs.  1 Buchst. g MwStSystRL anzuerkennen sind (EuGH-Urteile in UR 2005, 486 RandNr. 53 ff.; Kügler in Slg. 2002, I-6833, UR 2002,  513 Randnrn. 54, 55 und 57; BFH-Urteil in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849 zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie  77/388/EWG).  
Dabei sind spezifische nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften  im Bereich der sozialen Sicherheit zu berücksichtigen. Außerdem ist der Umstand zu beachten, ob Gemeinschaften mit den gleichen  Tätigkeiten wie die Klägerin wegen des mit diesen Tätigkeiten verbundenen Gemeinwohlinteresses bereits in den Genuss einer  ähnlichen Steuerbefreiung kommen. Auch kommt dem Umstand rechtserhebliche Bedeutung zu, ob und welche der Kosten für welche  von der Klägerin erbrachten Leistungen zum großen Teil von durch Gesetz errichteten Krankenkassen oder von Einrichtungen der  sozialen Sicherheit übernommen werden, zu denen die privaten Wirtschaftsteilnehmer, wie die Klägerin, vertragliche Beziehungen  unterhalten (EuGH-Urteile in UR 2005, 486 RandNr. 53; Kügler in Slg. 2002, I-6833, UR 2002, 513 Randnr. 58).  
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann die Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter  auch aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit  abgeleitet werden (vgl. BFH-Urteil vom 18. August 2005 V R 71/03, a.a.O.). Maßgebend ist insoweit, dass es sich ihrer Art  nach um Leistungen handelt, für die die Kosten von den Sozialversicherungsträgern übernehmbar waren. Von diesen Grundsätzen  ist auch für andere mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit zusammenhängende Leistungen auszugehen.  
Da die Klägerin aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit Jugendämtern und Sozialbürgerhäusern tätig geworden ist und die  erbrachten Leistungen direkt mit dem für Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zuständigen Leistungsträger für die betreffende  Sozialleistung (§ 12 und § 27 SGB I), abgerechnet hat, genügt dies nach oben genannter Rechtsprechung für ihre Anerkennung  als eine Einrichtung mit sozialem Charakter.  
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit  hinsichtlich der Kosten folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung.