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01.06.2016 · IWW-Abrufnummer 186246

Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 22.12.2014 – 5 U 1132/14

(Zur Fixierung eines psychisch auffälligen, sich selbst gefährdenden Patienten auf der Intensivstation zur Nachtzeit)

Wird ein psychisch auffälliger Patient im Nachtdienst auf der Intensivstation eines Krankenhauses durch eine 5-Punkt-Fixierung ruhig gestellt, wodurch er sich bei seinen Befreiungsversuchen einen Muskelfaserriss zuzieht, haftet das Krankenhaus dafür nicht, sofern die Gesamtschau aller maßgeblichen medizinischen Fakten und sonstigen Umstände der konkreten Behandlungssituation ergibt, dass Ärzte und Pflegepersonal situationsangemessen (§ 34 Satz 2 StGB) unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorgegangen sind


Oberlandesgericht Koblenz

Beschl. v. 22.12.2014

Az.: 5 U 1132/14

In dem Rechtsstreit
pp.

wegen Arzthaftung

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz
durch den Richter am Oberlandesgericht X, den Richter am Oberlandesgericht Y und die Richterin am Oberlandesgericht Z
am 22.12.2014 beschlossen:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 20.08.2014 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Trier und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I. Wegen der Darstellung des Sach- und Streitstandes einschließlich der Berufungsanträge wird auf den Beschluss des Senates vom 02.12.2014 Bezug genommen. Dort hat der Senat mitgeteilt:

"Der Kläger begehrt von der Beklagten immateriellen Schadensersatz von mindestens 2.500 € wegen einer behaupteten Freiheitsberaubung und der Zufügung eines Muskelfaserrisses während einer Fixierung in der Nacht vom 16. auf den 17.01.2013 auf der Intensivstation des in der Trägerschaft der Beklagte stehenden Verbundkrankenhauses in B...

Das Landgericht, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, hat die Klage nach der Vernehmung von Zeugen abgewiesen. Die Fixierung des Klägers sei nach § 34 StGB gerechtfertigt. Der Kläger sei orientierungslos gewesen, habe die EKG-Kabel und den Infusionszugang entfernt sowie das Haus nahezu unbekleidet verlassen wollen. Damit sei eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben gegeben gewesen. Soweit der Kläger sich dabei einen Muskelfaserriss zugezogen habe, sei dies bedauerlich.

Mit der Berufung begehrt der Kläger nur noch ein Schmerzensgeld von zumindest 2.500 € für den erlittenen Muskelfaserriss. Auch wenn die Fixierung als solche gerechtfertigt sei, habe das Personal der Beklagten doch sorgfältiger und ohne derartige Gewaltanwendung vorgehen müssen. Nachdem er bereits an den Händen/Armen sowie am rechten Bein fixiert gewesen sei, habe keine Notwendigkeit einer weitergehenden Fixierung bestanden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Sedativa allmählich Wirkung zeigen mussten.

Der Kläger beantragt für das Berufungsverfahren noch,

1. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Trier vom 16.07.2014, Az.: 4 O 350/13 die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das wohlwollende Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei Rechtshängigkeit, zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 272,87 € zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung sowie die Berufungsbegründung verwiesen.

II. Der Senat ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand einstimmig der Überzeugung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 ZPO erfordern keine Entscheidung durch Urteil nach mündlicher Verhandlung, die auch nicht nach § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten ist. Von ihr sind keine neuen Erkenntnisse zu erwarten. Der Kläger hat keine Gründe aufgezeigt, die eine mündliche Verhandlung ansonsten geboten erscheinen lassen.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidung des Landgerichts Bezug genommen. Die dagegen erhobenen Angriffe der Berufung überzeugen den Senat nicht. Hierzu Folgendes:

1. Der Kläger stellt nicht mehr in Abrede, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Fixierung zweifelsfrei notwendig war, um zu verhindern, dass er sich in einer Phase der vorübergehenden Orientierungslosigkeit einen Schaden zufügt.

2. Es kann dahinstehen, ob der behauptete Muskelfaserriss in der vom Kläger beschriebenen Form vorliegt und er ihn sich im Rahmen der Fixierung zugezogen hat. Der Kläger ist insoweit darlegungs- und beweisbelastet. Den Beweis hat der Kläger nicht geführt. Beides muss in Zweifel gezogen werden.

a. Die ärztlichen Unterlagen sprechen lediglich von einem Verdacht eines Muskelfaserrisses und allenfalls diskreten Ausformungen. Ein Muskelbündel- oder Muskelriss wird ausgeschlossen.

b. Eine zeitliche Zuordnung zur Fixierung wird nicht vorgenommen. Soweit der Hausarzt den Verdacht des Muskelfaserrisses mit der Fixierung in Zusammenhang bringt, beruht dies allein auf den Angaben des Klägers. Unbestritten ist geblieben, dass der Kläger schon mit Schmerzen im Oberschenkel in das Krankenhaus der Beklagten eingeliefert wurde. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass in zeitlichem Zusammenhang mit seiner Aufnahme und der darauf folgenden Fixierung nach dem Verlassen der Intensivstation entsprechende Untersuchungen durchgeführt wurden. Insoweit scheidet ein Anscheinsbeweis wie mit der Berufung reklamiert aus.

c. Inwieweit das Vorbringen in der Berufungsbegründung neu ist und deshalb nach §§ 529, 531 ZPO unberücksichtigt bleiben muss, bedarf keiner Entscheidung durch den Senat.

3. Letztlich kann der tatsächliche Vortrag des Klägers aber als wahr unterstellt werden. Die Berufung scheitert auch dann aus Rechtsgründen. Die Fixierung des Klägers war nach § 34 StGB gerechtfertigt. Das bestreitet der Kläger nach der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht mehr und ist vom Landgericht auch zutreffend gewürdigt. Eine Verpflichtung der Beklagten, nach der Fixierung der beiden Hände und des rechten Beines weitere Sicherungsmaßnahmen zu unterlassen, ist nicht zu ersehen.

Die Bewahrung eines Patienten vor Selbstschädigungen und insbesondere vor selbstschädigenden Eingriffen in den Behandlungsablauf selbst gehört nicht nur auf einer psychiatrischen Station (vgl. dazu OLG Naumburg GesR 2010,318), sondern ebenso im Rahmen einer intensivmedizinischen Versorgung zum Behandlungs- und Pflegestandard (OLG Bamberg NJW-RR 2012,467 [OLG Bamberg 05.12.2011 - 4 U 72/11]). Von den Pflegekräften wird erwartet, dass sie jedenfalls bei einem auffälligen Patientenverhalten die (ambivalente) Gefährdungslage erkennen sowie hierauf unverzüglich und jedenfalls innerhalb der Bandbreite angemessener mechanischer Sicherungsvorkehrungen (Bettgitter, Bauchgurt, Fixierung usw.) sachgemäß und auch sonst situationskonform reagieren. Ihnen obliegt damit eine weitreichende Sicherungspflicht, deren Missachtung im Schadensfall schon bei geringfügiger Nachlässigkeit die eigene deliktische Haftung oder gar strafrechtliche Verantwortlichkeit des nichtärztlichen Personals nach sich ziehen kann. Diese Garantenstellung setzt umgekehrt voraus, dass (jedenfalls) dem pflegerischen Personal einer Intensivstation auch eine entsprechende fachliche Kompetenz bei der Wahrnehmung seiner Überwachungsaufgaben zugebilligt wird (OLG Bamberg NJW-RR 2012, 467 [OLG Bamberg 05.12.2011 - 4 U 72/11]).

Dem haben die Pflegekräfte der Beklagten hier zur Überzeugung des Senats Rechnung getragen, indem Sie nicht nur die Fixierung veranlassten, sondern auch alsbald ärztlichen Beistand veranlassten, um ihre Entscheidung unverzüglich fachmedizinisch überprüfen zu lassen und die daraufhin getroffenen Anordnungen konsequent umzusetzen.

Der hinzugezogene Arzt hat unstreitig eine 5-Punkt-Fixierung angeordnet. Dass dies nicht dem medizinischen Standard in der besagten Situation entsprach, ist weder behauptet noch unter Beweis gestellt. Das Gegenteil muss inzwischen als zugestanden gelten. Der Arzt bekundete - von dem Kläger nicht angegriffen -, dass auch mit der (Teil-)Fixierung eine Selbstgefährdung einhergeht und er sich bei der vorhandenen Personaldichte auf der Intensivstation und in der Nacht nicht in der Lage gesehen habe, eine ständige Überwachung sicherzustellen. Das war nach Überzeugung des Senates in der konkreten Situation auch nicht geschuldet. Deshalb war eine fortdauernde weitgehende 5-Punkt-Fixierung erforderlich.

Tatsächlich war der Kläger noch nicht gemäß der Anordnung fixiert, als er sich wehrte, nach dem Personal trat (!) und sich nach den eigenen Bekundungen den Muskelfaserriss zuzog. Schon der Umstand, dass der Kläger weiter orientierungslos war und sich heftig gegen die Fixierung wehrte, zeigt, dass die Vollfixierung erforderlich war. Dies gilt zumal auf einer Intensivstation und in der Nacht, wenn es nicht möglich ist, den Kläger ständig in anderer Weise zu überwachen, und jederzeit die Situation auftreten kann, dass auch andere Patienten der vollen Aufmerksamkeit des Personals bedürfen. Die Teilfixierung bot keine ausreichende Sicherheit, dass sich der Kläger nicht in anderer, weit schwerwiegenderer Weise verletzte und seine medizinische Überwachung und Behandlung beeinträchtigte.

Insbesondere hätte der sich wehrende Kläger ansonsten verhindert, dass ihm zwingend notwendige Medikamente verabreicht wurden. Der Kläger war noch so beweglich, dass er die Fixierung der Messfühler der medizinischen Überwachungsgeräte (EKG) und den Infusionszugang durch seine Gegenwehr behindern konnte.

Allein der Umstand, dass der Kläger möglicherweise vor der Fixierung des zweiten Fußes nicht mehr aufstehen und davonrennen konnte, beseitigte die durch die 5-Punkt-Fixierung ausgeräumte Gefahr der Selbstgefährdung nicht. Denn diese Gefährdung ging unbestritten über die Absicht hinaus, das Krankenhaus zu verlassen.

Vor diesem Hintergrund muss der Kläger die Folgen seines Widerstandes selbst tragen. Er hat sich die Verletzung nach eigenem Bekunden selbst zugefügt. Der Vorwurf geht dahin, dass das Personal der Beklagten die weitere Fixierung hätte unterlassen müssen. Das ist aus den dargestellten Gründen nicht der Fall.

Wie das Personal ihn "sorgfältiger" und "ohne Gewaltanwendung" hätte fixieren können, legt auch die Berufung nicht dar. Auf Zureden hat der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht reagiert. "

III. Was der Kläger dagegen in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18.12.2014 vorbringt, rechtfertigt keine andere Sicht der Dinge. Soweit er lediglich seine bisherigen Ausführungen wiederholt, hat der Senat sich damit auseinandergesetzt und sie bei seinem Hinweis berücksichtigt.

Ergänzend ist lediglich auf Folgendes hinzuweisen:

1. Die Frage, ob eine schriftliche Fixierungsanordnung vorgelegt wurde, ist für die Entscheidung des Senates unerheblich. Die ergänzende Stellungnahme zeigt die Erheblichkeit angesichts der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme auch nicht auf.

2. Dem Senat erschließt sich nicht, aus welchen Gründen es ausgeschlossen sein soll, dass der Kläger um 21.00 Uhr noch orientiert, um 03.00 Uhr aber desorientiert war. Die Beweisaufnahme hat diese Entwicklung bestätigt, der Kläger vermag sie selbst nicht auszuschließen. Allein seine mangelnde Erinnerung ist ein Indiz für seine Desorientiertheit.

3. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass eine 5-Punkt-Fixierung erforderlich war und auch tatsächlich vorgenommen wurde. Dass im Pflegebericht etwas anderes notiert wurde, bleibt unerheblich. Auch der Kläger leitet hieraus nichts ab. Insbesondere behauptet er nicht, dass nur eine 3-Punkt-Fixierung angeordnet wurde. Der Zeuge A. hat den Umfang der Anordnung mit einer 5-Punkt-Fixierung eindeutig bestätigt und auch den Grund hierfür nachvollziehbar benannt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung des § 3 ZPO bestimmt.