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06.08.2021 · IWW-Abrufnummer 223916

Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 19.07.2021 – 3 K 1276/18

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Im Namen des Volkes

URTEIL

Az: 3 K 1276/18

In dem Finanzrechtsstreit
xxx
gegen

Finanzamt
- Beklagter -

wegen Einkommensteuer 2015

hat der 3. Senat unter Mitwirkung

xxx

auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 10.09.2020

für Recht erkannt:

  1. Der Einkommenssteuerbescheid 2015 vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … wird dahingehend geändert, das weitere Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von … EUR zum Abzug zugelassen werden.
  2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
  4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte zu Recht Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer der Klägerin i.H.v. … EUR nicht zum Abzug als Werbungskosten zugelassen hat.

Die Kläger sind Eheleute, die in dem Streitjahr 2015 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt wurden und zusammen mit ihrer Tochter ein Reihenhaus mit einer Wohnfläche von 155 qm bewohnten. Die Klägerin war vom … bis zum …2015 beim "… " in der Kinderstube als Erzieherin tätig.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger u.a. Aufwendungen i.H.v. … EUR für ein 22 qm großes Arbeitszimmer als Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Tätigkeit geltend. Sie trugen vor, dass der Klägerin für Vor- und Nachbereitungszeiten im Rahmen ihrer Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stehe. Der Beklagte lehnte eine Berücksichtigung der Aufwendungen für das Arbeitszimmer ab und setzte mit Bescheid vom … die Einkommensteuer 2015 i.H.v. … EUR fest. Der gegen den Einkommensteuerbescheid 2015 vom … eingelegte Einspruch der Kläger wurde mit Entscheidung des Beklagten vom … zurückgewiesen. In seinen Gründen führte der Beklagte aus, dass der Klägerin in den Räumen der Kinderstube ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden habe. So setzte der Begriff "Arbeitsplatz" keine räumliche Abgeschlossenheit voraus. Auch ein Raum, den sich der Steuerpflichtige mit weiteren Personen teile könne ein anderer Arbeitsplatz im Sinne der Abzugsbeschränkung sein. Im Streitfall habe die Klägerin die von ihr dargelegten Arbeiten (Vorbereitung von Bastelarbeiten, Gestaltungsübungen, Elterngespräche sowie das Erstellen von Entwicklungsberichten) zwar außerhalb der Dienstzeiten, jedoch in der Kinderstube … erledigen können. Zudem sei nicht nachvollziehbar, dass die Aktivitäten überhaupt außerhalb der Dienstzeit erfolgt seien.

Gegen die Einspruchsentscheidung vom … haben die Kläger am … Klage erhoben. Sie tragen vor, das häusliche Arbeitszimmer sei zwingend notwendig, um Vor- und Nachbereitungsarbeiten im Rahmen der Tätigkeit der Klägerin als Erzieherin zu erledigen. Diese Arbeiten könnten nicht während der Dienstzeit abgeleistet werden; dies sei auch vom Dienstherrn bestätigt worden. Ein geeigneter Arbeitsplatz, welcher nach den Dienstzeiten für diese Tätigkeiten genutzt werden könne, stehe in der Kinderstube … nicht zur Verfügung. Der Arbeitsplatz in der Kindertagesstätte sei objektiv für die neben der Betreuung der Kinder gesetzlich vorgeschriebenen Tätigkeiten (Schreiben von Einschätzungen und Berichten) und der freiwillig erbrachten Tätigkeiten (Vorbereitung von Aktivitäten in der Kita) nicht geeignet. Eine solche, eine erhebliche Konzentration bedürftige und mit Schreibarbeit verbundene, Tätigkeit könne nicht während der Betreuung von Kindern durchgeführt werden. Hierfür sei das häusliche Arbeitszimmer notwendig. Auch stehe der Arbeitsplatz in der Kita nur zu den regulären Öffnungszeiten zur Verfügung, womit das häusliche Arbeitszimmer für die vorgenannten Tätigkeiten genutzt werden müsse. Soweit der Beklagte es nicht für nachvollziehbar erachte, dass in dem Arbeitszimmer auch Besprechungen mit Eltern stattfänden, sei dem entgegenzuhalten, dass Elterngespräche in den Abendstunden oft sinnvoll seien. Der Beklagte spreche einer Erzieherin generell eine qualifizierte unterrichtende Tätigkeit ab. Dieser Ansicht des Beklagten stehe nicht nur die allgemeine Auffassung der Wichtigkeit der frühkindlichen Bildung, die Herausgehobenheit der Rolle einer Erzieherin und die Einrichtung einer Kindertagesstätte für die Bildung und Entwicklung des Menschen entgegen. Vielmehr werde das Berufsbild der Erzieherin herabgewürdigt. Es werde im Einkommensteuergesetz keinen Unterschied zwischen dem Beruf des Lehrers, des Tutors und Erziehers gemacht. Daraus folge, dass eine in-haltliche Abgrenzung zum Beruf des Lehrers nicht nachvollziehbar sei.

Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2015 vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … dahingehend zu ändern, dass weitere Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Tätigkeit i.H.v. … EUR zum Abzug zugelassen werden.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er trägt ‒ in Ergänzung zu seinen Ausführungen in der Einspruchsentscheidung ‒ vor, die die Tätigkeit einer Kindererzieherin prägenden Arbeiten würden typischerweise in der entsprechenden Kindereinrichtung durchgeführt. Innerhalb der Öffnungszeiten von 6 bis 17 Uhr  seien die Verwaltungsarbeiten oder Bastelvorbereitungen mit den sich in der Einrichtung  befindlichen Bastelmaterialien vorzunehmen. Darüber hinaus sei die Kinderstube von 6 bis 17 Uhr geöffnet; dass sich die Erzieherinnen nicht vor oder nach der eigentlichen      Öffnungszeit in der Einrichtung aufhalten dürfen, sei den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Private Gründe für die Erledigung beruflicher Tätigkeiten im häuslichen Bereich seien unerheblich.

Am 10.09.2020 hat in den Räumen des Gerichts die mündliche Verhandlung stattgefunden. Die Klägerin, deren persönliches Erscheinen angeordnet worden war, wurde zu ihrer Tätigkeit im Streitjahr und den Räumlichkeiten in der Kindertagesstätte "…" befragt. Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 10.09.2020 wird insoweit Bezug genommen. Wegen weiterer Sachverhaltseinzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die dem Gericht vorliegenden Akten verwiesen.   

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Einkommensteuerbescheid 2015 vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Der Beklagte hat den geltend gemachten Werbungskostenabzug i.H.v. … EUR zu Unrecht mit dem seiner Ansicht nach in den Räumlichkeiten der Kindertagesstätte vorhandenen anderen Arbeitsplatz abgelehnt.

Nach § 9 Abs. 5 EStG i. V. m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Werbungskosten abziehen. Die Abzugsbeschränkung gilt jedoch nicht, wenn für die berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 und 3 EStG). In diesen Fällen wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen nach Satz 3 Halbsatz 1 der Vorschrift regelmäßig auf … € begrenzt.

1. Ein "anderer Arbeitsplatz" im Sinne der Abzugsbeschränkung ist grundsätzlich jeder Arbeitsplatz, der zur Erledigung büromäßiger Arbeiten geeignet ist; weitere Anforderungen an seine Beschaffenheit sind nicht zu stellen. Der andere Arbeitsplatz steht allerdings nur dann "für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit zur Verfügung", wenn ihn der Steuerpflichtige in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise tatsächlich nutzen kann. Übt der Steuerpflichtige nur  eine berufliche Tätigkeit aus, muss geprüft werden, ob der --an sich vorhandene-- andere Arbeitsplatz tatsächlich für alle Aufgabenbereiche der Erwerbstätigkeit zur Verfügung steht (Urteil des BFH vom 7. August 2003 VI R 17/01, BFHE 203, 130).

1.1 Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Frage, ob ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, tätigkeitsbezogen zu beantworten. Entscheidend ist danach, ob der "andere Arbeitsplatz" geeignet ist, der beruflichen Tätigkeit dort nachzugehen. Die Eignung des Arbeitsplatzes beurteilt sich dabei nach objektiven Gesichtspunkten; subjektive Vorlieben und Befindlichkeiten der Steuerpflichtigen müssen bei der Frage der Eignung des Arbeitsplatzes grundsätzlich unbeachtet bleiben. Allein der Wunsch, lieber zu Hause zu arbeiten, ist daher für die Frage der Annehmbarkeit des Arbeitsplatzes unbeachtlich.

1.2 Legt man diese Maßstäbe zugrunde, stand der Klägerin in dem Streitjahr in der Kindertagesstätte kein "anderer Arbeitsplatz" zur Verfügung. Ein büromäßig ausgestatteter Arbeitsplatz, an dem sie Schuleignungsprofile von den von ihr betreuten Kindern sowie Vor- und Nachbereitungsarbeiten durchführen konnte, wurde ihr von ihrem Arbeitgeber nicht zugewiesen. Nach den Bekundungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 10.09.2020 verfügte die Kindertagesstätte in dem Streitjahr lediglich über einen Computer, der sich im Dienstzimmer der Leiterin des Kindergartens befand und von den Erziehern ggf. mitbenutzt werden durfte. Räumlichkeiten, in denen Bastelarbeiten vorbereitet oder Portfolios zusammengestellt werden konnten, waren nicht vorhanden. Somit war es der Klägerin in der Kindertagesstätte mit den vorhandenen und zugänglichen dienstlichen Vorrichtungen nicht möglich, die objektiv erforderlichen Tätigkeiten, die über die reine Betreuung von Kindern hinausgehen und mit ihrem Beruf verbunden sind, durchzuführen. Um ihrer beruflichen Tätigkeit umfassend nachzukommen, war sie mithin auf das häusliche Arbeitszimmer angewiesen.

2. Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, dass ein gesondertes Arbeitszimmer für die Tätigkeit der Klägerin als Erzieherin nicht erforderlich war, folgt dem der Senat aus den unter Punkt 1.2 dargelegten Erwägungen nicht. Im Übrigen genügt für die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen als Werbungskosten die Veranlassung durch die Einkünfteerzielung. Die Erforderlichkeit eines häuslichen Arbeitszimmers für die Tätigkeit ist kein Merkmal des Abzugstatbestandes  (Urteil des BFH vom 3. April 2019 VI R 46/17 BFH/NV 2019, 903).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO nicht vorliegen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 Sätze 1 und 2 und § 709 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist bei dem Bundesfinanzhof, Postfach 86 02 40, 81629 München, Hausanschrift: Ismaninger Straße 109, 81675 München, Telefax-Anschluss 089/9231-201, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich oder auf elektronischem Weg einzulegen.

Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des angefochtenen Urteils beigefügt werden.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich oder auf elektronischem Weg zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Frist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt werden.

Für den elektronischen Weg gelten § 52a FGO und die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung ‒ ERVV) vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803, mit späteren Änderungen.

Vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen in § 62 Abs. 4 FGO genannten Prozessbevollmächtigten vertreten lassen.