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19.01.2021 · IWW-Abrufnummer 219963

Landessozialgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 20.11.2020 – L 11 KR 2616/20 ER-B

Eine Krankenkasse muss sich grundsätzlich an den für das Verwaltungsverfahren nach §13 Abs 3 Satz 1 SGB X bestellten Bevollmächtigten wenden (vgl BSG 26.07.2016, B 4 AS 47/15 R, NJOZ 2017, 683). Ein Verstoß gegen diese "Kommunikationsverpflichtung" kann der Versicherte nach § 56a Satz 1 SGG nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend machen.


Landessozialgericht Baden-Württemberg

Beschluss vom 20.11.2020


Der 11. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart hat durch Beschluss vom 20.11.2020 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 03.08.2020 wird zurückgewiesen.

Von den außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Antrags- und Beschwerdeverfahren trägt die Antragsgegnerin die Hälfte.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Mitglied der Antragsgegnerin. Während des Bezugs von Krankengeld setzte ihm die Antragsgegnerin gemäß § 51 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eine Frist, innerhalb der er einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Reha) zu stellen hat. Der Antragsteller kam dieser Aufforderung nach und stellte einen solchen Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV). Die DRV gab dem Antrag statt und bewilligte die beantragte Maßnahme. Der Beginn der Reha war für den 24.06.2020 vorgesehen. Diese Maßnahme trat der Antragsteller jedoch nicht an. Daraufhin hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom 30.06.2020 dazu an, dass sie beabsichtige, die Zahlung von Krankengeld ab dem 24.06.2020 zu versagen.

Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers, ein Rentenberater, hat am 30.06.2020 beim Sozialgericht Freiburg (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und folgenden Antrag gestellt: "Es wird beantragt, die Antragsgegnerin dazu zu verpflichten, jegliche Kontaktaufnahme unter Umgehung der Vollmacht an den Antragsteller zu unterlassen unter Androhung eines Zwangsgeldes von 5.000,- Euro." Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsgegnerin habe sich unter Missachtung der von ihm vorgelegten Vollmacht direkt mit dem Antragsteller in Verbindung gesetzt. Er habe deswegen auch eine Unterlassungsklage erhoben.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten und hat ausgeführt, richtig sei, dass Herr E. gegenüber der Antragsgegnerin mit Vollmacht vom 14.05.2020 seine Vertretung des Antragstellers angezeigt habe. Damit sei die Rechtsfolge des § 13 Abs 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) eingetreten. Am 26.06.2020 sei seitens der Antragsgegnerin ein Telefonat mit dem Antragsteller erfolgt, da dieser eine ihm von der DRV genehmigte Rehabilitationsmaßnahme zum 24.06.2020 nicht angetreten habe. Ausweislich der Vorschrift des § 13 Abs 3 Satz 2 SGB X könne sich die Antragsgegnerin an den Beteiligten (im Verwaltungsverfahren) selbst wenden, soweit er zur Mitwirkung verpflichtet ist. Bei dem Nichtantritt zur Rehabilitationsmaßnahme durch den Antragsteller habe es sich um eine Mitwirkungshandlung gehandelt, da der Antragsteller aufgrund seines Krankengeldbezuges in seinem Dispositionsrecht eingeschränkt gewesen sei. Die Kontaktaufnahme sei somit zu Recht erfolgt. Unmittelbare Rechtfolgen oder rechtliche Nachteile seien dem Antragsteller aufgrund der Kontaktaufnahme nicht entstanden. Die Folgen der fehlenden Mitwirkungshandlung und die daraus resultierenden Konsequenzen seien dann mit Schreiben vom 30.06.2020 dem Bevollmächtigten des Antragstellers mitgeteilt worden. Die Kontaktaufnahme zum Antragsteller sei somit zurecht erfolgt, so dass ein Anordnungsanspruch ausscheide. Die weitere Kommunikation in dieser Angelegenheit sei dann ebenfalls mit dem Bevollmächtigten des Antragstellers erfolgt. Weitere Kontakte habe es zwischen der Antragsgegnerin und dem Antragsteller danach nicht gegeben und würden vom Antragsteller auch nicht vorgetragen, so dass auch eine mögliche Wiederholungsgefahr ausgeschlossen werden könne, obwohl ihrer Auffassung nach - wie dargelegt - die Kontaktaufnahme zurecht erfolgt sei. Mangels Wiederholungsgefahr scheide daher auch die Dringlichkeit aus, so dass auch kein Anordnungsgrund vorliege.

Mit Beschluss vom 03.08.2020 hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Nach der Vorschrift des § 56a Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die auch für Anträge im vorläufigen Rechtsschutz gelte, könnten Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Unter den Begriff der behördlichen Verfahrenshandlungen falle dabei jegliches in Form des Verwaltungsakts oder als Realakt erfolgte Handeln und Unterlassen einer Behörde iSd § 1 Abs 2 SGB X während eines Verwaltungsverfahrens iSd § 8 SGB X, sofern die Handlung das Verfahren nicht selbst abschließe. Hier wende sich der Antragsteller gegen die vermeintliche Nichtbeachtung einer Vollmacht durch die Antragsgegnerin, dh ein in Form eines Realakts erfolgtes Unterlassen, das das Verwaltungsverfahren nicht abschließe. Ob und mit welcher Begründung die Antragsgegnerin die streitgegenständliche Vollmacht nicht beachtet habe, sei vor diesem Hintergrund nicht von rechtlicher Relevanz. Ein Ausnahmefall nach § 56a Satz 2 SGG liege offenkundig nicht vor. Nur ergänzend werde auf die Vorschrift des § 13 Abs 3 Satz 2 SGB X aufmerksam gemacht, wonach sich die Behörde trotz Bevollmächtigung direkt an den - hier nach den Vorschriften der §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) - mitwirkungspflichtigen Versicherten wenden könne.

Am 18.08.2020 hat der Antragsteller, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Beschwerde eingelegt und wiederholt um eine Verlängerung der Frist zur Begründung der Beschwerde gebeten, zuletzt bis zum 14.10.2020. Am 21.10.2020 hat er die Beschwerde schließlich begründet und ua vorgetragen, § 56a SGG sei auf Fälle der Missachtung einer Vollmacht nicht anwendbar. Er sei deshalb nicht anwendbar, weil der Bevollmächtigte mitbetroffen sei. Die Missachtung der Vollmacht, sei es nun qualifiziert als Verwaltungsakt oder als einfache Handlung, greife in die Rechte des Mandatsverhältnisses und in die Rechte des Bevollmächtigten ein. Wörtlich schreibt er: "Nun wollen wir doch mal sehen, ich werde im eigenen Namen eine Anordnung beantragen, ich tue das nur inzwischen nicht mehr, weil man ja trotzdem ich nur akzessorisch zu den Kostenbegünstigten stehe, als wenn ich nicht kostenprivilegiert sei und das geht mir einfach zu sehr ins Geld. Aber das hier kann ich ja mal auf mich nehmen."

Ferner trägt er vor, die Eilbedürftigkeit ergebe sich hier insbesondere dadurch, dass am 19.10.2020 eine Sachbearbeiterin der Antragsgegnerin wiederum bei dem Antragsteller angerufen und ihn in Panik versetzt habe, er hätte keinen Krankenversicherungsanspruch mehr. Man müsse sich das überlegen, der Antragsteller sei in der Klinik wegen einer Krebsbehandlung gewesen, habe keine Bauchspeicheldrüse mehr und dann solche Anrufe. Genau um das zu vermeiden, gebe es eine Bevollmächtigung, sie habe nämlich auch Abschirmungsfunktion, das scheine wohl offensichtlich bei den Behörden keiner gerne zu sehen.

Mit Schreiben vom 29.10.2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers ein an den Antragsteller persönlich gerichtetes Schreiben der Antragsgegnerin vom 02.10.2020 vorgelegt. Darin heißt es ua: "... ab dem 01.11.2020 werden wir beim Postversand anders vorgehen: Bei Vorlage einer Vollmacht schreiben wir nur noch die Bevollmächtigten an. Das bedeutet, Sie werden keine Briefe mehr von uns erhalten. Das ist nicht notwendig, denn lhr/e Bevollmächtigte/r kümmert sich für Sie um alles." Daraufhin hat der Senatsvorsitzende den Beteiligten einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreitet (Schreiben vom 04.11.2020). Ein Vergleich ist jedoch nicht zustande gekommen.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 03.08.2020 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, jegliche Kontaktaufnahme unter Umgehung der Vollmacht an den Antragsteller zu unterlassen unter Androhung eines Zwangsgeldes von 5.000 €.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen statthafte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber unbegründet.

Nach § 56a SGG können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen eingelegt werden. Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen. Die Regelung in § 56a Satz 1 SGG dient der Verfahrens- und Prozessökonomie (hierzu Luik in: Hennig, SGG, § 56a Rn 4). Von ihr werden alle unselbständigen Verfahrenshandlungen erfasst, mit denen eine Sachentscheidung erst vorbereitet und noch keine verbindliche Regelung getroffen wird (vgl Luik aaO Rn 10). Es handelt sich um eine eigenständig zu prüfende (negative) Zulässigkeitsvoraussetzung für Rechtsbehelfe. Liegen die Voraussetzungen des § 56a Satz 1 SGG vor, ist der Rechtsbehelf unzulässig (Axer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl, § 56a SGG <Stand: 15.07.2017>, Rn 10).

Im vorliegenden Fall wendet sich der Antragsteller nicht gegen eine förmliche Zurückweisung seines Bevollmächtigten nach § 13 Abs 5 bis 7 SGB X. Denn die Antragsgegnerin hat eine solche Regelung nicht getroffen. Die Zurückweisung eines Bevollmächtigten müsste durch Verwaltungsakt erfolgen, wäre aber im Verhältnis zum Vertretenen (hier: Antragsteller) ohnedies eine unselbständige Verfahrenshandlung iSd § 56a Satz 1 SGG (Roller in: Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 13 Rn 17) und daher nicht gesondert angreifbar. Gegen eine förmliche Zurückweisung könnte der Bevollmächtigte selbst Rechtsbehelfe einlegen. Dem stünde die Regelung in § 56a Satz 1 SGG nicht entgegen, weil der Bevollmächtigte nicht Beteiligter des Verwaltungsverfahrens ist (§ 56a Satz 2 SGG). Ob und mit welchen Rechtsbehelfen sich der Bevollmächtigte dagegen wehren kann, dass er zwar nicht förmlich zurückgewiesen wird, seine Bevollmächtigung aber - aus seiner Sicht - nicht beachtet wird, bedarf keiner Entscheidung. Denn der Bevollmächtigte beansprucht Rechtsschutz nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Antragstellers. Dies ergibt sich auch aus seinem Vortrag im Beschwerdeverfahren ("... ich werde im eigenen Namen eine Anordnung beantragen, ich tue das nur inzwischen nicht mehr, ...).

Der Senat weist allerdings darauf hin, dass sich die Antragsgegnerin nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB X grundsätzlich an den für das Verfahren bestellten Bevollmächtigten wenden muss; dies steht nicht in ihrem Ermessen. Diese "Kommunikationsverpflichtung" bezweckt neben einer zweckmäßigen Verfahrensgestaltung den Schutz des Verfahrensbeteiligten, der durch die Bevollmächtigung zu erkennen gegeben hat, dass dieser das Verfahren für ihn betreiben soll (BSG 26.07.2016, B 4 AS 47/15 R, NJOZ 2017, 683 für den Fall einer Anhörung nach § 24 SGB X).

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Antragsgegnerin Anlass für ein Rechtsschutzverfahren gegeben hat, weil sie erst während des Beschwerdeverfahrens zu erkennen gegeben hat, dass sie die Bevollmächtigung künftig ("ab dem 01.11.2020") beachten werde. Eine volle Kostentragung durch die Antragsgegnerin scheidet aus, da Antrag und Beschwerde in der Sache keinen Erfolg hatten.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 176 SGG).

RechtsgebietSGGVorschriftenSGG § 56a