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27.02.2018 · IWW-Abrufnummer 199876

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 10.01.2018 – L 9 KR 149/17

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landessozialgericht Berlin-Brandenburg

verkündet am: 10. Januar 2018

Az.: L 9 KR 149/17
Az.: S 89 KR 1839/14 Sozialgericht Berlin

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

xxx

hat der 9. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2018 durch den Richter am Landessozialgericht
Hutschenreuther sowie den ehrenamtlichen Richter Schuhrke und den
ehrenamtlichen Richter Hinz für Recht erkannt:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Im Wesentlichen begehrt der Kläger die Feststellung, dass eine Mitgliedschaft bei den Beklagten für die Zeit ab 1. Dezember 2010 und für die Dauer seiner Wohnsitznahme in Spanien bis November 2015 nicht bestanden habe; außerdem begehrt er die Verurteilung der Beklagten zur Rückzahlung entrichteter Beiträge.

Der im Jahre 1948 geborene Kläger lebte in den Jahren 2008 bis Mitte November 2015 in Spanien (behördliche Meldung in Deutschland am 20. November 2015). Er bezieht – soweit aktenkundig – zumindest seit Juli 2010 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen seitens der DRV Bund. Außerdem erhält er Leistungen der betrieblichen Altersversorgung von der Commerzbank und von der Pensionskasse des BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes a.G.

Seit dem 1. Dezember 2010 wird der Kläger auf eigenen Antrag hin nach einem Kassenwechsel bei den Beklagten als Mitglied geführt. Aus der Altersrente des Klägers führt die DRV Bund seitdem Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner und zur Pflegeversicherung an die Beklagten ab. 

Die Beklagten unterzogen für die Zeit ab 1. Dezember 2010 auch die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung seitens der Commerzbank und der Pensionskasse des BVV der Beitragspflicht. Ein gegen die insoweit ergangenen Bescheide vom     12. Mai 2011, 27. Mai 2011 und 27. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2011 geführtes Klageverfahren, das sich auch auf die Erstattung von Beiträgen in Höhe von 2.740,00 Euro richtete, hatte keinen Erfolg     (S 72 KR 1302/11, Urteil vom 17. Oktober 2013; L 1 KR 10/14, rechtskräftiges Urteil vom 11. Juli 2014). In seiner Entscheidung vom 11. Juli 2014 hat der 1. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg mit Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 5. Juli 2005 (B 1 KR 4/04 R) betont, es sei unerheblich für die Versicherung des Klägers, dass er seinen Wohnsitz in das EU-Ausland verlegt habe.

Am 16. Oktober 2014 hat der Kläger „negative Feststellungsklage“ erhoben. Zuletzt (Schriftsatz vom 2. Dezember 2016) hat er beantragt, seiner „Klage auf Nichtvorliegen einer Zwangsmitgliedschaft für die Dauer seines Auslandsaufenthalts bei der Beklagten stattzugeben, gegebenenfalls unter der Maßgabe der Beibehaltung des Status einer beitragsfrei gestellten Mitgliedschaft in der KVdR, mit der jeweiligen Folge der Beitragsrückerstattung aus der Kranken- und Pflegeversicherung“. Der Kläger sieht sich durch die Erhebung von Beiträgen durch die Beklagten für die Zeit seines Aufenthalts in Spanien in seinen Rechten verletzt und macht die Beklagten dafür verantwortlich, dass er wieder nach Deutschland habe übersiedeln müssen.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 24. Februar 2017 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Feststellungsklage sei unzulässig. Soweit sie sich auf die Feststellung der Nichtigkeit ergangener Beitragsbescheide richte, sei sie subsidiär. Beitragsbescheide seien mit der Anfechtungsklage anzufechten, was der Kläger auch schon in dem vorangegangenen Verfahren S 72 KR 1302/11 bzw. L 1 KR 10/14 unternommen habe. Sämtliche ergangenen Bescheide seien bestandskräftig. Für einen Überprüfungsantrag nach § 44      SGB X sei zunächst ein Verwaltungsverfahren zu durchlaufen. Für eine Nichtigkeit ergangener Beitragsbescheide gebe es keinen Anhaltspunkt. Soweit die Feststellungsklage sich auf das Nichtbestehen einer Mitgliedschaft richte, mangele es ebenfalls an einem Feststellungsinteresse; über den Versichertenstatus des Klägers habe nie Ungewissheit bestanden. Zudem stünden der begehrten Feststellung bindende Verwaltungsakte der Beklagten entgegen. Die Leistungsklage schließlich sei sowohl unzulässig als auch unbegründet. Dem Rückzahlungsbegehren stünden bestandkräftige Beitragsbescheide entgegen. Weil der Kläger auch während seines mehrjährigen Aufenthalts in Spanien Pflichtmitglied der Beklagten gewesen sei, seien die ergangenen Beitragsbescheide rechtlich nicht zu beanstanden.

Gegen den ihm am 7. März 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am   3. April 2017 Berufung eingelegt. Das Sozialgericht missachte in einem Akt der Rechtsbeugung (EU-) Recht und Gerechtigkeit. Er werde bewusst benachteiligt. letztlich unterliege er mit der zwangsweisen Beitragserhebung durch die Beklagten einer verbotenen Doppelbesteuerung. Das führe ihn ans Existenzminimum und sei diskriminierend. Weil Belege für seine Zwangsmitgliedschaft bei den Beklagten fehlten, hätten wirksame Beitragsbescheide nicht ergehen können.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2017
aufzuheben sowie

festzustellen, dass eine Mitgliedschaft bei den Beklagten vom 1. Dezember 2010 und für die Dauer seiner Wohnsitznahme in Spanien bis November 2015 nicht bestanden hat,

festzustellen, dass insoweit ergangene Beitragsbescheide nichtig sind und

die Beklagten zu verurteilen, insoweit entrichtete Beiträge an den Kläger zurückzuzahlen.

Der Kläger beantragt daneben ausdrücklich (Schriftsatz vom 10. Dezember 2017),

„es soll festgestellt werden, dass ein Rechtsverhältnis mit der Beklagten (Krankenkasse und Pflegekasse) nicht bestanden hat,
dass die Beiträge für den zugrundeliegenden Zeitraum zurückzuerstatten sind,
es wird Beweisantrag zur Beweisaufnahme (ZPO §§ 355, 361, 367, 370, 375) gestellt, dass die Beklagte EU-Recht verletzt, wie: EU-Vertrag, Grundfreiheiten, Charta der Grundrechte, EU-Vertrag VO 883/2004 mit Präambel, usw., mit der Sachverhaltsgleichstellung werden meine Renten wie spanische Renten behandelt und unterliegen somit den ungünstigeren Besteuerungsmodalitäten Spaniens,
dass die Beklagte zwischenstaatliches Recht, DBA Deutschland und Spanien, verletzt, mit der gegenseitigen Verpflichtung der Gleichbehandlungsgarantie, die ebenfalls dazu führt, dass meine Renten steuerlich wie spanische Renten behandelt werden (Verlust deutscher Steuervergünstigungen), dadurch aber auch das spanische, rein steuerfinanzierte gesetzliche Gesundheitssystem gewährt werden muss. Eine Zwangsmitgliedschaft über ein willkürlich, ohne Gesetzesgrundlage nach SGB und der Missachtung aller anderen Gesetze und Vorgaben, von der Beklagten behauptetes Rechtsverhältnis nicht hergeleitet werden kann, da sonst die im DBA Deutschland – Spanien beiderseitig verpflichtende
Gleichbehandlungsgarantie von keinem der beiden Länder hergestellt werden kann,
dass die Beklagte gegen meine Rechte aus dem Grundgesetz und dem AGG verstößt,
dass die Beklagte die Gesetze und Vorgaben des SGB nicht einhält,
dass die Beklagte ihrer eigenen Satzung zuwiderhandelt,
dass die Beklagte durch ihr Handeln vorsätzlichen Abrechnungsbetrug mit der staatlichen spanischen Gesundheitsbehörde begeht,
dass alle weiteren vorstehend nicht aufgeführten Ausführungen und Nachweise, die in meinen Schriftsätzen dokumentiert wurden, als Beweisantrag zur Beweisaufnahme gestellt werden (siehe auch BSG Beschluss vom 1.3.2006 – B 2 U 403/05 B – Juris RdNr. 5, BSG Beschlüsse vom 2.6.2003 – B 2 U 80/03 B – Juris RdNr. 4 und vom 22.7.2010 – B 13 R 585/09 B – Juris RdNr. 11).
Meine Beweisanträge sind allesamt als gestellt zu betrachten, werden bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG aufrechterhalten und werden somit in der mündlichen Verhandlung auch weiter verfolgt.“

sowie (Schriftsatz vom 19. Dezember 2017)

„dass die Beklagte in diesem Zusammenhang sich auch der Untreue nach       § 266 StGB schuldig macht.“

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Mit Beschluss vom 20. November 2017 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Der Kläger hat angeführt, seine gesundheitlichen Einschränkungen ließen es nicht zu, zu dem Verhandlungstermin am 10. Januar 2018 anzureisen. Daher beantrage er die Durchführung einer Videokonferenz. Daraufhin hat der Berichterstatter ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg keine technischen Vorkehrungen für die Durchführung einer Videokonferenz vorhanden sind.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte, des Verwaltungsvorgangs der Beklagten sowie der beigezogenen Akten zum Verfahren S 72 KR 1302/11 bzw. L 1 KR 10/14 Bezug genommen.      

Entscheidungsgründe

Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 20. November 2017 die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen hat.

Der Senat durfte in Abwesenheit des Klägers entscheiden, denn dieser war ordnungsgemäß geladen und die Ladung enthielt einen Hinweis darauf, dass auch nach Lage der Akten entschieden werden könne (§§ 110 Abs. 1, 126 SGG).

Der Senat war nicht verpflichtet, von der Regelung in § 110a Abs. 1 SGG Gebrauch zu machen und die mündliche Verhandlung nach Art einer Videokonferenz durchzuführen. Nach § 110a Abs. 1 SGG kann das Gericht den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen (Satz 1). Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen (Satz 2). Die vom Kläger beantragte Durchführung einer solchen Videokonferenz war schon, wie dem Kläger auch mit der Terminsladung mitgeteilt wurde, aus tatsächlichen Gründen unmöglich, denn das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hält entsprechende Technik nicht vor. Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, eine Videokonferenzanlage zur Verfügung zu stellen, denn mit dem „Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren“ vom 25. April 2013 (BGBl. S. 935) sollten die Prozessordnungen für diese technische Möglichkeit lediglich geöffnet werden; ein Anspruch Verfahrensbeteiligter auf technische Ausstattung der Gerichte und Justizbehörden ergibt sich aus den gesetzlichen Regelungen nicht (so ausdrücklich Gesetzesbegründung in BT-Drs. 17/1224, S. 12 r. Sp.; s.a. B. Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl. 2017, Rdnr. 3 zu § 110a).

Die Berufung ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. 

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts in der erstinstanzlichen Entscheidung vom    24. Februar 2017 (§ 153 Abs. 2 SGG). Zu ergänzen und zu betonen bleibt:

Die Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 SGG ist unzulässig, weil das Versicherungsverhältnis und insbesondere die Beitragsforderungen der Beklagten durch Verwaltungsakte geregelt werden, die sämtlich bestandskräftig sind. Vorrangig hätte der Kläger ihm missliebige Entscheidungen der Beklagten mit der Anfechtungsklage angreifen müssen. Im Verfahren S 72 KR 1302/11 bzw. L 1 KR 10/14, das rechtskräftig abgeschlossen ist, hat er dies ohne Erfolg unternommen.  

Unabhängig davon besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger im streitigen Zeitraum nicht bei den Beklagten als Rentner pflichtversichert war (Krankenversicherung der Rentner gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch; § 20 Abs. Satz 2 Nr. 11 Elftes Buch Sozialgesetzbuch für die soziale Pflegeversicherung). Seine Mitgliedschaft gerade bei den Beklagen hat der Kläger im Zuge eines Kassenwechsels im Jahre 2010 selbst beantragt. An dem Fortbestehen der Mitgliedschaft änderte sich durch den vorübergehenden Auslandsaufenthalt des Klägers in den Jahren 2008 bis 2015 nichts. Bereits der 1. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg hat den Kläger in seinem Urteil vom 11. Juli 2014 auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hingewiesen (Urteil vom 5. Juli 2005, B 1 KR 4/04 R). Danach bleibt Pflichtversicherter in der Krankenversicherung der Rentner, wer als Bezieher ausschließlich deutscher Rente in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (dort: Frankreich) verzieht. Das Urteil ist ausführlich begründet und würdigt sowohl das nationale Recht als auch die einschlägigen europarechtlichen Vorschriften überzeugend. Ihm ist nichts hinzuzufügen.

Auch der vom Kläger geltend gemachte Zahlungsanspruch kann vor diesem Hintergrund nicht bestehen, denn seine Beitragszahlungen sind nicht ohne Rechtsgrund erfolgt.

Den „Beweisanträgen“ des Klägers musste der Senat nicht nachgehen. Zum einen war der maßgebliche Sachverhalt geklärt und bedurfte keiner weiteren Aufklärung    (§ 103 SGG). Zum anderen verlautbart der Kläger in seinen „Beweisanträgen“ nur seine Rechtsauffassungen, die der Senat bestätigen möge; hierin liegt aber kein Beweisantrag im prozessrechtlichen Sinne.
 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision, § 160 Abs. 2 SGG, bestehen nicht.

RechtsgebieteSGB, SGGVorschriften§ 5 Abs 1 Nr 11 SGB 5, § 110a SGG