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· Fachbeitrag · Sozialrecht

Gutachterkosten auf Landeskasse übernehmen

von Rechtsanwaltsfachangestellter Christian Noe B.A., Leipzig

| Gutachten in Sozialgerichtssachen, die gemäß § 109 SGG beantragt werden, können den Mandanten finanziell erheblich belasten. Eine genaue Prüfung, ob solche Kosten auf die Landeskasse übernommen werden können, ist daher ebenso wichtig, wie eine korrekte Antragstellung. Was dabei zu beachten ist, erläutert dieser Beitrag. |

1. Wann werden Kosten übernommen?

Von der Klägerpartei selbst beantragte Sachverständigengutachten gemäß § 109 SGG fallen grundsätzlich ihr selbst zur Last bzw. werden von dessen Rechtsschutzversicherung getragen. Dies auch nur, wenn der Sozialversicherungsrechtsschutz eingeschlossen ist. Das Problem wird oft unterschätzt: In vielen Fällen können sich die Honorare der Sachverständigen auf mehrere Tausend Euro beziffern. Sie stellen dann eine größere Kostenlast dar, als die Vergütung des Prozessbevollmächtigten. Unter bestimmten Voraussetzungen werden jedoch auch Gutachterkosten gemäß § 109 SGG von der Landeskasse getragen. Sofern solch ein Gutachten

  • die Sachaufklärung objektiv wesentlich gefördert hat und
  • für die gerichtliche Entscheidung Bedeutung hatte,

 

wird es auf Antrag übernommen. Diese beiden zentralen Kriterien kennzeichnen die Rechtsprechung der LSG in den letzten Jahren. Auf eine „wesentliche Sachverhaltsaufklärung“ wurde zuletzt in zahlreichen Entscheidungen abgestellt, ebenso auf den „entscheidungserheblichen Umfang“ eines Gutachtens, der anzeigt, wie stark sich das Gericht auf dessen Ergebnisse gestützt hat (LSG München 3.2.09, L 20 B 306/06 R; LSG Baden-Württemberg 8.5.13, L 6 U 1457/13; LSG Hessen 26.11.13, L 3 U 134/13 B).

 

Wichtig | Von einer wesentlichen Sachverhaltsaufklärung ist auch auszugehen, wenn die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG und dessen Ergebnisse das Gericht veranlassen, weitere Beweiserhebungen im Rahmen des § 106 SGG zu betreiben und erneut von Amts wegen zu ermitteln. Gleiches gilt, wenn das Sachverständigengutachten zu einem Anerkenntnis oder Abschluss eines Vergleiches führen (Meyer-Ladewig/Keller, SGG, 10. Aufl., § 109, Rn. 16a)

2. Obsiegen oder Unterliegen ohne Bedeutung

Hinsichtlich der wesentlichen Förderung der Sachaufklärung ist es unbedeutend, ob der Kläger mit seiner Klage Erfolg hatte oder unterlegen ist (Bayerisches LSG 10.7.13, L 2 P 34/13 B). Die „Förderung“ eines Verfahrens sowie eine wesentliche Sachverhaltsaufklärung liegen auch vor, wenn die gutachterlichen Ergebnisse zeigen, dass der geltend gemachte Anspruch keine Grundlage hat (LSG Baden-Württemberg 8.5.13, L 6 U 1457/13). Ein Gutachten ist verfahrensfördernd, wenn sich auf seiner Grundlage das Gericht umfassend und präzise informieren und schnell entscheiden kann, sei es nun zugunsten des Klägers oder nicht. Dies ist auch der Fall, wenn sich das Gericht in der Urteilsbegründung ausdrücklich auf diese Gutachten stützt und damit zu erkennen gibt, dass seine Urteilsbildung auf den Ergebnissen des Sachverständigen fußt (LSG Baden-Württemberg 8.5.13, L 6 U 1457/13 B).

 

Ein formloser Kostenübernahmeantrag kann und sollte immer gestellt werden. Dabei ist unbeachtlich, ob das Gutachten zahlreiche oder nur wenige neue Erkenntnisse erbracht hat. Entscheidend ist, ob diese neuen Erkenntnisse dazu führen, dass das Gericht den Sachverhalt anders als zuvor bewertet, da das Gutachten vielleicht ein entscheidendes „Mosaik-Steinchen“ zutage gefördert hat (Bayerisches LSG 10.7.13, L 2 P 34/13 B). Dies ist nicht selten der Fall, da Gutachten gemäß § 109 SGG meist von ärztlichen Spezialisten auf bestimmten Fachgebieten erstellt werden, die Krankheitsbilder oder die Progredienz von Erkrankungen noch einmal detaillierter darstellen können.

3. Kostenübernahme korrekt beantragen

Einen Antrag sollte in der Regel erst gestellt werden, wenn das Verfahren in der jeweiligen Instanz abgeschlossen ist, da sich der Natur der Sache nach erst aus der Urteilsbegründung des Gerichts ergibt, inwieweit es sich auf die Gutachterausführungen gestützt hat. Lediglich in den Fällen, in denen die ärztlichen Feststellungen das Gericht dazu veranlassen, von Amts wegen weiter zu ermitteln, kann unter Umständen direkt ein Antrag gestellt werden, da bereits feststeht, dass eine Sachaufklärung durch das Gutachten vorliegt und die Kosten übernommen werden. Zwingend nötig ist dies jedoch nicht, ebenso wenig drohen Rechtsnachteile, wenn die Beantragung nach Verfahrensabschluss geschieht.

Musterformulierung / Antrag auf Kostenübernahme

In dem Rechtsstreit ./. Aktenzeichen

wird nach Abschluss des Rechtsstreits nun noch beantragt, die Kosten des/der gemäß § 109 eingeholten Sachverständigengutachten von/der Dr./Fachklinik vom [Datum] auf die Landeskasse zu übernehmen.

 

Insoweit seien als Beispiele die von Herrn Dr. in seinem Gutachten diagnostizierte ... zitiert, deren Ausprägung und Zukunftsprognosen der Sachverständige detailliert ausgeführt und damit auch ein aussagekräftiges Krankheitsbild dargestellt hat, das den Klageerfolg/die Bewertung der Schwere der Krankheit entscheidend erleichtert hat. Erst die im Rahmen des § 109 SGG eingeholten medizinischen Auskünfte haben den Gesundheitszustand des Klägers derart erhellt und in den Einzelheiten ausgeleuchtet, dass dem Gericht die ergangene Entscheidung möglich war. So bezieht sich auch das Gericht in seiner Urteilsbegründung mehrfach (gegebenenfalls Fundstelle/Zitat im Urteil) auf die Gutachterausführungen und stellt damit deren Beweiserheblichkeit fest.

gez. RA/RAin

 

PRAXISHINWEIS | Prüfen Sie vor Antragstellung die im Verfahren ergangenen gerichtlichen Beweisanordnungen genau auf die Anzahl aller eingeholten Gutachten. Sozialgerichtliche Verfahren ziehen sich häufig in die Länge, es kann zu nacheinander abfolgenden Beweisanordnungen und mehreren, unterschiedlichen Untersuchungen kommen. Halten Sie daher stets nach, dass sich die beantragte Kostenübernahme für das Gericht klar ersichtlich auf alle gemäß § 109 SGG durchgeführten Gutachten erstreckt. Eine einfache Identifikation stellen Sie durch Angabe der Namen der Sachverständigen und des Gutachtendatums sicher.

 

Förderlich ist es, wenn innerhalb der Gutachten oder aber in der Klagebegründung zitierte Gutachteraussagen kenntlich gemacht bzw. in einer Aktennotiz gebündelt werden. Diese Dokumentation kann direkt in den Kostenübernahmeantrag aufgenommen werden, indem jene Passagen der Gutachten zitiert werden, die die „Übernahme-Kriterien“ erfüllen. Dies erspart ein nachträgliches, mühsames Gutachtenstudium.

 

4. Anfechtung der Kostenentscheidung

Ob die Kosten auf die Staatskasse übernommen werden, entscheidet das Gericht nach Ermessen durch Beschluss. Wird mit diesem die Kostenübernahme abgelehnt, kann der Kläger hiergegen Beschwerde zum LSG erheben (§§ 172, 173 SGG). Dabei ist das vom SG ausgeübte Ermessen im Beschwerdeverfahren durch den Senat voll überprüfbar. (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 109 Rn. 22; Bayerisches LSG, 27.7.12, L 16 SB 2/12 B).

5. Rechtsschutzversicherung

Viele sozialgerichtliche Konflikte bergen den Vorteil, dass ihr Entstehen „vorausgesehen“ oder zumindest perspektivisch eingeschätzt werden können. Anders als z.B. bei Arbeitsunfällen lassen bestimmte Berufskrankheiten und deren Verlaufsformen oder eine drohende Pflegebedürftigkeit erfahrene Sozialrechtler schnell erkennen, dass in den kommenden Jahren eine Beantragung (und möglicherweise klageweise Geltendmachung) bestimmter Leistungen wahrscheinlich ist. Hierzu zählen insbesondere:

 

  • Erwerbsminderungsrenten
  • Erwerbsunfähigkeitsrenten
  • Eingruppierung in Pflegestufen (SGB XI)
  • Anerkennung als schwerbehinderter Mensch.

 

Insbesondere Rentenleistungen haben für den Kläger existentielle Bedeutung. Von ihrer Gewährung und Höhe hängt der Lebensstandard im Alter ab. In solchen Fällen kann es strategisch klug sein, betroffenen Mandanten schnell den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung zu empfehlen, die den Sozialrechtsschutz miteinschließt.

 

Hinweis | Erfolgt der Abschluss einer Police frühzeitig, stellen auch Wartefristen der Versicherer (in der Regel drei Monate) kein Problem dar und der Mandant gelangt in den Genuss des Versicherungsschutzes. Selbst wenn es noch ein oder mehrere Jahre dauert, bis tatsächlich eine gerichtliche Auseinandersetzung kommt, überwiegt für den Mandanten der finanzielle Vorteil, da Rechtsanwaltsvergütung und mögliche Gutachterkosten höher liegen dürften als die bis dahin gezahlten Prämien.

 

Checkliste /  Kostenübernahme von Gutachten nach § 109 SGG

Zeitpunkt Antragstellung

Formlos nach Beendigung des Verfahrens in erster oder zweiter Instanz, nicht während laufenden Verfahrens.

Zentrale Kriterien und Antragsbegründung

Wesentliche Förderung der Sachaufklärung, Entscheidungserheblichkeit, stichpunktartig nennen, welche Gutachterausführungen aufklärten und vom Gericht berücksichtigt wurden.

Begutachtung im Ausland

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann auch ein Facharzt/eine Fachklinik im EU-Ausland beauftragt werden (Noe, SR 14, 26; BSG 20.4.10, B 1/3 KR 22/08 R). Da meist von spezialisierten Stellen erstellt, dürften häufig entscheidungserhebliche Ergebnisse vorliegen.

Gericht nennt § 109 SGG nicht in Beweisanordnung

Infolgedessen automatisch von der nicht in Beweisanordnung Staatskasse zu tragen, da eine Begutachtung nach § 109 SGG in der Beweisanordnung explizit als solche zu bezeichnen ist.

PKH nicht für Gutachten

Prozesskostenhilfe kann gemäß § 73a SGG für Verfahren beantragt werden, diese erstreckt sich jedoch grundsätzlich nicht auf Gutachterkosten gemäß § 109 SGG.

Abgelehnte Kostenübernahmeanträge anfechten

In erster Instanz (Sozialgericht): Beschwerde gemäß §§ 172, 173 SGG zum LSG (Frist: 1 Monat). In zweiter Instanz keine Anfechtung möglich. Wichtig: Die Staatskasse hat kein Beschwerderecht, kann also positiv beschiedene Kostenübernahmeanträge nicht angreifen.

Unverbrauchte Kostenvorschüsse

Umgehend Erstattung nach Verfahrensabschluss beantragen, Verjährung droht nach vier Jahren (§ 5 Abs. 2 GKG).

Rechtsschutz: Vorliegende Deckungszusage

Deckungszusagen für sozialgerichtliche Verfahren erstrecken sich nicht automatisch auf Gutachten nach § 109 SGG. Daher: Schreiben an Rechtsschutz, dass vorliegende Deckungszusage auf Gutachterkosten erweitert wird (Eingang Kostenzusage nachhalten!).

Prozesstaktik: Rechtsschutzpolice abschließen, wenn Rechtsstreit droht

Frühzeitig, Wartefristen beachten, lohnt auch dann, wenn Rechtsstreit erst Jahre später erfolgt.

 

Weiterführender Hinweis

  • Wichtige Grundsätze für die Mandatsbearbeitung im Zusammenhang mit Gutachten in Sozialgerichtssachen, Noe, SR 14, 26
Quelle: Ausgabe 03 / 2014 | Seite 51 | ID 42561708